19.
Zurück in seiner Wohnung schleuderte Danner die Stiefel unter die Couch und schaltete den PC ein.
Ich hockte mich nachdenklich mit Evas Foto in der Hand auf das Sofa.
Wenn wir herausfanden, wer das Bild gemacht hatte, half uns das weiter?
Oder für wen sie es hatte machen lassen?
Oder hatte das gar nichts mit ihrem Tod zu tun?
Wahrscheinlich besaßen viele Sechzehnjährige solche Fotos.
Um sie ihrem Freund zu schenken. Oder weil sie von einer Modelkarriere träumten.
Nachdenklich rieb ich mir die linke Nackenseite.
Danner bemerkte ich erst, als er hinter mir stand und den Kragen meines Rollis auseinanderzog.
Ich konnte nicht verhindern, dass ich zusammenzuckte.
Interessiert betrachtete er meine gelblich verfärbte Schulter. Mit einem Satz sprang er über die Lehne der Couch und landete zu dicht neben mir auf dem Polster.
»Also wer war’s?«
»Wer war was?«, tat ich, als wüsste ich nicht ganz genau, wovon er sprach.
»Ich bin Schnüffler, ich lass dich nicht in Ruhe, bevor ich es weiß! Also raus damit! Dein Macker? Dein Zuhälter? Papi?«
»Den Zuhälter nimmst du sofort zurück!«
»Bleiben dein Freund und dein Vater übrig!«, schlussfolgerte er sofort.
Verdammt! Ich hatte nicht aufgepasst! Er hatte schon wieder was aus mir rausgequetscht, bevor ich richtig begriffen hatte, dass ich verhört wurde.
Er ließ mich nicht aus den Augen.
Ich hasste den Kerl aus tiefstem Herzen!
Feindselig starrte ich ihn an.
Er verschränkte die Arme und hielt meinem Blick stand.
Wollte ich es sagen?
Konnte ich das überhaupt?
»Mein Vater!« Ich musste das Wort ausspucken, es klebte an meinem Gaumen fest wie ein zu lange gekauter Kaugummi.
»Danke schön, aber ich pfeife auf einen geschenkten Studienplatz!«, schreie ich empört und knalle ihm die Uni-Einschreibung vor die Füße. »Ich denke überhaupt nicht daran zu studieren und schon gar nicht Scheißjura! Ich habe es satt, mir alles vorschreiben zu lassen! Wenn ich auf Bali Bananen sortieren will, dann mache ich das, kapiert?«
Blitzschnell holt er aus.
Ich drehe mich noch weg, sodass der Schlag nicht mein Gesicht, sondern nur meinen Rücken trifft.
Wieder durchzuckte mich die Erinnerung an das Krachen, an den rasenden Schmerz, der meine Wirbelsäule hinabgejagt war.
»Nur das eine Mal?«, riss mich Danner aus meinen Gedanken.
Ich schüttelte den Kopf, etwas länger, als für eine Antwort nötig gewesen wäre. Kalter Schweiß ließ meine Handflächen feucht werden und meine ineinander verkrampften Finger zitterten. Überdeutlich wurde mir bewusst, dass ich das noch niemals irgendjemandem erzählt hatte.
Jetzt wusste Danner mehr über mich als jeder andere Mensch.
Sein Blick war messerscharf und ausdruckslos, die gleiche Miene, mit der er Ahrend befragt hatte.
»Hat deine Mutter davon gewusst?«
Ich wischte mir die Hände an meiner Jeans ab. »Klar«, antwortete ich leichthin.
»Und sie hat nichts unternommen?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Ich zuckte die Schultern. »Sie hat wohl nie die Hoffnung aufgegeben, dass die Prügel irgendwann etwas nützen würden.«
Unerwartet gab Danner seine ausdrucklose Schnüfflermiene auf. Einen Moment lang glaubte ich, Mitleid in seinem Gesicht zu erkennen – und Mitleid war das Letzte, was ich wollte!
»Meine Rache war übrigens furchtbar«, grinste ich.
»Glaube ich aufs Wort!« Endlich grinste Danner auch.
Ich stand auf, ging zum Computer hinüber und öffnete das Schreibprogramm, um meine Hände zu beschäftigen, damit sie aufhörten zu zittern.
»Reicht dir das oder willst du noch mehr intime Details aus meinem Leben hören?«, hielt ich Danner auf Abstand.
»Vielleicht, wie ich das erste Mal besoffen in ein fremdes Auto gekotzt habe? Oder lieber, wie ich Sex in dem uralten Opel Kadett hatte, der neben einer Polizeistreife parkte?«
Er streckte sich und legte die Füße auf den Tisch. »Ich komme drauf zurück.«