28

Selbstverständlich wäre ich nicht mitgegangen, wenn er mir nicht die Pistole in die Nieren gedrückt hätte, aber weil er es tat, tat ich es auch. Ich war irgendwie unter Schock und bemühte mich redlich, aber vergeblich zu begreifen, was mit mir passierte. Diesmal konnte ich die Zeit, bis sich mein Unterbewusstsein der Situation stellen wollte, nicht überbrücken, indem ich im Geist Pirouetten drehte. Bis ich begriffen hatte, dass er mich vor so vielen Zeugen bestimmt nicht erschießen würde – denn es waren ein paar Polizisten im Revier geblieben –, war es schon zu spät; da saß ich bereits in seinem Auto.

Er ließ mich fahren und zielte dabei mit der Pistole auf mich. Ich überlegte, ob ich das Auto an einen Telegrafenmasten setzen sollte, aber mir graute davor, schon wieder in einen Unfall verwickelt zu werden. Mein armer Körper hatte den letzten noch nicht recht verwunden. Und ich wollte keinesfalls den nächsten Airbag ins Gesicht geknallt bekommen. Ja, ich weiß, blaue Flecken vergehen, während blaue Bohnen für die Ewigkeit sind, weshalb diese Entscheidung vielleicht nicht wirklich schlau war. Nur für den Fall, dass ich doch noch gegen einen Telegrafenmasten rasen musste, schaute ich dennoch kurz aufs Lenkrad, um mich davon zu überzeugen, dass das Auto einen Airbag hatte. Natürlich hatte es einen, immerhin war es ein fast neuer Chevrolet, aber nach der vergangenen Woche wollte ich wirklich ganz sicher sein.

Komischerweise war mir zwar bange, aber ich hatte keine Todesangst. Also, wenn man eines über Jason wissen muss, dann ist es die Tatsache, dass er für sein Image einfach alles tun würde. Sein ganzes Leben kreiste um die politische Karriere, um Meinungsumfragen und um seine beruflichen Ziele. Wie er glauben konnte, ungestraft einen Mord begehen zu können, nachdem mehrere Menschen beobachtet hatten, wie ich mit ihm weggegangen war, war mir ein Rätsel.

Ich folgte seinen Anweisungen und wartete gleichzeitig darauf, dass er das erkannte, aber irgendwie schien er in seinem ureigenen Alternativ-Universum gefangen zu sein. Wohin er mich bringen wollte, war mir schleierhaft; ehrlich gesagt hatte ich den Eindruck, dass wir ziellos durch die Stadt kurvten, während er darüber nachgrübelte, wohin wir fahren sollten. Er zupfte an seiner Unterlippe herum, was er, wie mir wieder einfiel, immer tat, wenn er sich Sorgen machte.

»Du hattest eine schwarze Perücke auf, stimmt’s?«, fragte ich möglichst beiläufig. »Als du meine Bremsleitungen durchgeschnitten hast?«

Sein Blick zuckte nervös zu mir herüber. »Woher weißt du das?«

»Ein paar Haare hatten sich im Unterboden verfangen. Die Spurensicherung hat sie gefunden.«

Er sah mich leicht verdutzt an und nickte schließlich. »O ja. Ich erinnere mich, dass sich die Perücke irgendwie verhakt hatte. Aber weil ich nichts spürte, habe ich gar nicht gemerkt, dass dabei ein paar Haare ausgerissen wurden.«

»Sie sind gerade dabei, eine Liste von Leuten zu erstellen, die eine schwarze Perücke gekauft haben«, log ich. Wieder sah er mich nervös an. Eigentlich war es nur halb gelogen. Sobald Wyatt meinen Notizblock mit dem umkringelten Wort »Perücke« entdeckte, würde er das ganz bestimmt überprüfen.

»Und man hat gesehen, wie wir zusammen weggegangen sind«, bemerkte ich weiter. »Wie willst du das erklären, wenn du mich wirklich umbringen willst?«

»Ich lasse mir was einfallen«, murmelte er.

»Und was? Wie willst du meine Leiche loswerden? Außerdem werden sie dich an einen Lügendetektor anschließen, ehe du auch nur ›Ich war’s nicht!‹ rufen kannst. Selbst wenn sie nicht genug Beweise finden, um dich vor Gericht zu stellen, wird diese Geschichte deine politische Laufbahn beenden.« Wie man sieht, kannte ich Jason in- und auswendig; dass etwas seine politische Karriere beeinträchtigen könnte, war sein schlimmster Albtraum. Und selbst nachdem er meine Bremsleitungen durchgeschnitten hatte, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er mich einfach abknallen würde.

»Lass mich lieber laufen«, fuhr ich fort. »Ich weiß nicht, warum du mich unbedingt umbringen willst – einen Augenblick! Du hast vielleicht meine Bremsleitungen durchgeschnitten, aber du hast ganz bestimmt nicht am letzten Sonntag auf mich geschossen! Was wird hier eigentlich gespielt?« Mein Kopf schoss herum, weil ich ihn anstarren musste, und dabei kam das Auto ins Schleudern. Er fluchte, und ich brachte den Wagen eilig wieder in die Spur.

»Ich weiß nicht, wovon du redest.« Er blickte stur geradeaus und vergaß dabei, mich mit der Pistole zu bedrohen. Na? Ich sag’s doch, Jason ist nicht für das Verbrecherleben geschaffen.

»Jemand anderes hat auf mich geschossen.« Mein Hirn arbeitete auf Hochtouren, um alle einzelnen Glieder zu einer langen, festen Kette zu verknüpfen. »Deine Frau! Deine Frau hat versucht, mich umzubringen, nicht wahr?«

»Sie ist verrückt vor Eifersucht«, blökte er. »Ich kann nichts dagegen tun; mit ihr ist nicht zu reden. Wenn sie irgendwann erwischt wird, ist das mein Ruin, und man wird sie erwischen, weil sie nicht weiß, was sie tut.«

Damit war sie in dieser Ehe nicht allein.

»Du dachtest also, du bringst mich selbst um, damit sie das nicht zu tun braucht? Du wolltest ihr nur die Arbeit abnehmen?«

»So ungefähr.« Völlig entnervt fuhr er sich mit der Hand durch den blonden Schopf. »Wenn du tot bist, wird sie hoffentlich aufhören, so besessen von dir zu sein.«

»Warum um Himmels willen sollte sie besessen von mir sein? Wir haben nicht das Geringste miteinander zu tun; bis zum heutigen Tag habe ich seit unserer Scheidung kein Wort mit dir gesprochen.«

Er murmelte etwas vor sich hin, und ich sah ihn zornig an. »Was ist? Sag es laut.« Wenn er ein schlechtes Gewissen hat, fängt er an zu murmeln.

»Das könnte meine Schuld sein«, murmelte er kaum lauter.

»Ach so? Und warum?« Ich versuchte, möglichst aufmunternd zu klingen, dabei hätte ich nichts lieber getan, als seinen Kopf auf das Straßenpflaster zu donnern oder so.

»Manchmal rede ich über dich, wenn wir miteinander streiten«, gestand er; inzwischen starrte er nur noch aus dem Seitenfenster. Echt wahr. Ich überlegte ernsthaft, ob ich einfach hinüberfassen und ihm die Pistole abnehmen sollte, aber er hatte den Finger am Abzug, was einfach so unbeschreiblich blöd ist, wenn jemand kein absoluter Experte ist, und das war Jason wirklich nicht. Andernfalls hätte er mich keine Sekunde lang aus den Augen gelassen, statt aus dem Fenster zu schauen.

»Jason, du Trottel«, stöhnte ich. »Warum solltest du so was Bescheuertes tun?«

»Sie versucht, mich immer eifersüchtig zu machen«, wehrte er sich. »Ich liebe Debra, ehrlich, aber sie ist ganz anders als du. Sie ist anhänglich und unsicher, und ich hatte es satt, dass sie mich immerzu eifersüchtig machen wollte. Deshalb fing ich an zurückzufeuern. Ich weiß, dass ich sie damit wahnsinnig machte, aber ich konnte doch nicht ahnen, dass sie gleich so ausflippt. Als ich letzten Sonntagabend vom Golf nach Hause kam und begriff, dass sie tatsächlich auf dich geschossen hatte, hatten wir einen Riesenstreit. Sie schwor mir, dass sie dich umbringen würde, und wenn es das Letzte wäre, was sie täte. Ich glaube, sie hat auch dein Haus ausspioniert oder so, weil sie wissen wollte, ob da was zwischen uns läuft. Ich kann sagen, was ich will, sie hört einfach nicht auf mich. Sie ist verrückt vor Eifersucht, und wenn sie dich umbringt, werde ich wahrscheinlich nie wieder ins Parlament gewählt. Und meine Chancen auf den Gouverneursposten kann ich dann erst recht begraben.«

Ich sortierte das alles in Gedanken durch.

»Jason, ich sage es dir nur ungern, aber du hast eine echte Knalltüte geheiratet. Andererseits ist das nur fair«, ergänzte ich mit Bedacht.

Er sah mich kurz an. »Wieso?«

»Sie hat es nicht besser getroffen.«

Daraufhin schmollte er ein paar Minuten, aber schließlich stöhnte er auf und sagte: »Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll. Ich will dich nicht umbringen, aber wenn ich es nicht tue, dann wird Debra es immer weiter versuchen und mir damit die Karriere versauen.«

»Ich habe eine Idee. Warum bringst du sie nicht in eine Nervenheilanstalt?«, schlug ich sarkastisch vor. Dabei war es mir ernst. Sie war eine Gefahr für ihre Mitmenschen – vor allem mich – und erfüllte damit alle Kriteria. Oder Kriterien. Wie auch immer.

»Das kann ich nicht! Ich liebe sie doch!«

»Hör zu. So wie ich es sehe, hast du durchaus die Wahl: wenn sie mich umbringt, könnte das deine Karriere beenden; aber wenn du mich umbringst, wird das viel schlimmere Konsequenzen haben, weil du schon einmal den Versuch dazu unternommen hast, was auf einen Vorsatz schließen lässt und dich noch viel tiefer in die Scheiße reitet. Und obendrein bin ich mit einem Bullen verlobt, der dich umbringen wird.« Ich nahm die linke Hand vom Lenkrad und streckte sie ihm hin, damit er den Ring sah.

»Mann, das ist vielleicht ein Stein«, meinte er bewundernd. »Ich hätte nicht gedacht, dass Polizisten so viel verdienen. Wie heißt er?«

»Wyatt Bloodsworth. Er hat dich neulich vernommen, erinnerst du dich?«

»Deshalb war er so ekelhaft. Jetzt wird mir manches klar. Er war früher Footballspieler, nicht wahr? Ich gehe davon aus, dass er viel Geld hat.«

»Er kann sich nicht beklagen«, bestätigte ich. »Aber falls mir etwas zustoßen sollte, wird er dich nicht nur umbringen – und die anderen Bullen werden ihn decken, weil sie mich nämlich mögen –, sondern auch deine Stadt niederbrennen und deine Felder mit Salz bestreuen.« Ich dachte, diese Drohung mit altrömischen Vergeltungsmaßnahmen würde ihn vielleicht mehr beeindrucken.

»Ich habe keine Felder«, sagte er. »Und keine Stadt.«

Manchmal konnte Jason geradezu verblüffend schwer von Begriff sein. »Das weiß ich selbst«, sagte ich geduldig. »Es war eine Metapher. Ich meinte damit, dass er dich total vernichten wird.«

Er nickte bedächtig. »Ja, das kann ich mir vorstellen. Du siehst übrigens echt gut aus.« Er ließ den Kopf gegen die Nackenstütze kippen und stöhnte schon wieder. »Und was soll ich jetzt machen? Ich bin am Ende. Ich hatte diesen Mord/Selbstmord gemeldet, um die Polizisten aus dem Revier zu treiben, aber natürlich sind nicht alle hingefahren. Du hast Recht; es gibt Zeugen. Wenn ich dich umbringe, muss ich auch sie umbringen, und das würde wahrscheinlich nicht funktionieren, weil die anderen Polizisten inzwischen bestimmt gemerkt haben, dass mein Anruf ein falscher Alarm war, und schon wieder auf dem Revier sind.«

Wie auf Kommando begann mein Handy zu läuten. Jason sprang vor Schreck fast aus seinem Sitz. Ich begann in meiner Tasche nach dem Handy zu kramen, aber Jason sagte: »Geh nicht dran!«, und ich zog die Hand wieder heraus.

»Das ist bestimmt Wyatt«, sagte ich. »Er wird zum Berserker, wenn er rausfindet, dass ich mit dir weggefahren bin.« Das war zwar nicht altrömisch, aber akkurat.

Schweißperlen traten auf Jasons Stirn. »Du kannst ihm doch erzählen, dass wir nur ein wenig geplaudert haben, oder?«

»Jason. Werd’ erwachsen. Du hast versucht, mich umzubringen. Wir müssen diese Sache klären, sonst erzähle ich Wyatt, dass du mich anbaggern wolltest, und dann reißt er dich bis aufs letzte Molekül in Fetzen.«

»Ich weiß.« Er stöhnte schon wieder. »Am besten fahren wir zu mir nach Hause, wo wir ungestört reden und einen Plan schmieden können.«

»Ist Debra auch da?«

»Nein, sie beschattet das Haus deiner Eltern, weil sie überzeugt ist, dass du dort früher oder später auftauchen wirst.«

Sie spionierte meine Eltern aus? Dafür würde ich diese dreiste Schlampe skalpieren. Heißer Zorn durchpeitschte mich, aber ich beherrschte mich, weil ich einen klaren Kopf behalten musste. Ich hatte Jason bequatschen können, aber ich kannte ihn auch und hatte kein bisschen Angst vor ihm. Seine Frau hingegen war offenbar völlig von Sinnen, und ich wusste beim besten Willen nicht, wie wir mit ihr umgehen sollten.

Ich fuhr zu Jasons Haus, das früher mal unser Haus war, da wir es zusammen gekauft hatten. Ich hatte es ihm bei der Scheidung überlassen. Es hatte sich in den vergangenen fünf Jahren praktisch nichts verändert; der Garten war ein bisschen weiter zugewachsen, aber mehr war nicht passiert. Es war ein zweistöckiges Haus aus rotem Backstein mit weißen Zierleisten und Fensterläden. Vom Stil her wirkte es modern, und es war mit interessanten architektonischen Details ausgestattet, aber es unterschied sich nicht wesentlich von den anderen Häusern in diesem Viertel. Ich habe den Verdacht, dass alle Architekten genau fünf Grundrisse und Stilrichtungen in ihrem Portfolio haben, weshalb Häuser, die nachträglich in mehrere Wohnungen aufgeteilt wurden, immer aussehen wie mit dem Kuchenmesser zerhackt. Das Garagentor war unten, demnach war Debra nicht zu Hause.

Als ich in die Einfahrt bog, meinte ich nachdenklich: »Weißt du, vielleicht wäre es ganz schlau gewesen, woanders hinzuziehen, statt zu erwarten, dass Debra sich hier einlebt.«

»Warum denn?«

Wie gesagt: verblüffend schwer von Begriff. »Weil du hier mit mir gewohnt hast, als wir noch verheiratet waren«, erklärte ich mit Engelsgeduld. »Wahrscheinlich hat sie das Gefühl, dass es eher mein Haus ist als ihres. Sie braucht ihr eigenes Haus.« Schräg, aber zum ersten Mal spürte ich einen Funken Mitleid mit ihr.

»An dem Haus ist nichts auszusetzen«, protestierte er. »Es ist ein schönes Haus, es ist komfortabel und modern.«

»Jason. Kauf der Frau ein Haus!«, schrie ich ihn an. Manchmal kann man nicht anders zu ihm durchdringen.

»Schon gut, schon gut. Du brauchst nicht gleich zu schreien«, schmollte er.

Hätte ich eine Wand zur Hand gehabt, dann hätte ich den Kopf dagegen geschlagen.

Wir gingen ins Haus und ich verdrehte die Augen, als ich sah, dass er immer noch dieselben Möbel hatte. Der Mann war wirklich unbeschreiblich blöde. Ihn sollte Debra umbringen.

Also, ich wusste genau, dass die Kavallerie schon unterwegs war; schließlich würden Wyatt und seine Leute Jason zuallererst bei sich zu Hause suchen, oder? Sie wussten, dass Jason nicht auf mich geschossen hatte, aber Wyatt würde meine Notizen lesen und genau wie ich zwei und zwei zusammenzählen. Die Person, die auf mich eifersüchtig war, war die neue Frau meines Exmannes, nur dass sie gar nicht mehr so neu war, nachdem die beiden schon vier Jahre verheiratet waren. Konnte irgendwas noch offensichtlicher sein? Jason hatte nicht auf mich geschossen, aber er hatte am Morgen danach eine besorgte Nachricht auf meinem Anrufbeantworter hinterlassen – nachdem fünf Jahre lang absolute Funkstille geherrscht hatte. Vielleicht würde Wyatt nicht gleich erkennen, dass Wyatt meine Bremsleitungen durchgeschnitten hatte, aber das zählte nicht. Im Moment zählte einzig und allein, dass ich in spätestens fünf Minuten mit dem ersten Streifenwagen rechnen konnte.

»So«, sagte Jason und sah mich dabei an, als müsste ich auf alles eine Antwort wissen, »und was machen wir mit Debra?«

»Was soll das heißen, was macht ihr mit mir?«

Ich machte vor Schreck einen Luftsprung, nicht nur, weil ich absolut nicht mit diesem Schrei gerechnet hatte, sondern auch, weil er bedeutete, dass Debra sehr wohl zu Hause war. Auf der Liste von Dingen, die ganz und gar nicht gut waren, stand das an allererster Stelle.

Jason machte ebenfalls einen Satz und ließ die Pistole fallen, die aber – dem Himmel sei Dank – nicht losging, weil mir dann garantiert das Herz stehen geblieben wäre. Mein Herz blieb sowieso fast stehen, als ich mich umdrehte und der ehemaligen Miss Debra Schmale und jetzigen Mrs. Jason Carson gegenüber stand, der es mit ihrer Ehe offenbar todernst war. Sie hielt ein Gewehr im Arm, hatte den Schaft gegen die Schulter gedrückt und zielte über Kimme und Korn, als wüsste sie ganz genau, wie man schießt.

Ich schluckte und setzte meine Zunge in Bewegung, obwohl mein Hirn immer noch die Handbremse angezogen hatte. »Er meinte damit, wie wir dich überzeugen können, dass du keinen Grund hast, eifersüchtig auf mich zu sein. Dies ist das erste Mal seit unserer Scheidung, dass ich mit Jason spreche, er wollte dir nämlich nur heimzahlen, dass du ihn eifersüchtig machen wolltest, und hat dich deshalb mit mir eifersüchtig machen wollen. Deshalb solltest du eigentlich ihn und nicht mich erschießen, weil das echt beschissen von ihm war, findest du nicht auch?«

Unter den gegebenen Umständen fand ich das eine meisterhafte Ansprache, selbst wenn das nach Eigenlob klingt, aber sie blinzelte nicht mal. Stattdessen zielte sie weiter mit diesem Gewehr auf meine Brust. »Ich hasse dich, du Schlampe«, sagte sie leise und gehässig. »Ständig höre ich nur ›Blair, Blair, Blair‹. Blair dies und Blair das. Ich könnte kotzen.«

»Was aber, wie ich bemerken möchte, nicht meine Schuld ist. Ich hatte keine Ahnung, dass er das tut. Ehrlich, du solltest ihn und nicht mich erschießen.«

Erst jetzt schien Jason aufzugehen, was ich da sagte. »He!«, meinte er entrüstet.

»Spar dir dein ›He!‹«, fuhr ich ihn an. »Du hast all das verursacht. Du solltest auf die Knie gehen und uns beide um Verzeihung bitten. Deinetwegen ist diese arme Frau dem Wahnsinn nahe, und deinetwegen wurde ich um ein Haar umgebracht. Das ist alles deine Schuld.«

»Ich bin keine arme Frau«, fuhr Debra mich an. »Ich bin schön und ich bin klug, und er sollte mich verehren, aber stattdessen ist er immer noch so in dich verliebt, dass er keinen vernünftigen Gedanken fassen kann.«

»Gar nicht wahr«, mischte sich Jason automatisch ein und machte einen Schritt auf sie zu. »Ich liebe dich. Ich habe schon lange aufgehört, Blair zu lieben, schon vor unserer Scheidung.«

»Stimmt«, pflichtete ich ihm bei. »Hat er dir je erzählt, dass er mich betrogen hat? Klingt nicht so, als hätte er mich besonders geliebt, oder?«

»Er liebt dich«, wiederholte sie eisern. Offenbar wollte sie nicht auf die Stimme der Vernunft hören. »Er hat darauf bestanden, dass wir in diesem Haus wohnen …«

»Hab ich’s nicht gesagt?«, zischte ich Jason zu.

»Sprich nicht mit ihm! Ich will nicht, dass du je wieder mit ihm sprichst. Ich will nicht, dass du je wieder atmest.« Sie machte zornig einen Schritt auf mich zu und rammte mir dabei fast den Gewehrlauf ins Nasenloch. Weil die blauen Flecken nach meinem Unfall immer noch nicht abgeheilt waren und ich keine neuen brauchen konnte, wich ich ebenfalls einen Schritt zurück. »Du hast einfach alles gekriegt«, brach es schluchzend aus ihr heraus. »Oh, ich weiß, du hast ihm das Haus überlassen, aber er bringt es nicht übers Herz, irgendwas daran zu ändern, also ist es praktisch immer noch dein Haus. Du hast einen Mercedes. Du fährst mit offenem Verdeck durch die Stadt, als würde deine Scheiße nach Rosen duften, und ich muss mich mit einem Taurus begnügen, weil er behauptet, dass es seinem Image nützt, wenn wir amerikanische Autos fahren.«

»So ein Taurus hat eine tolle Federung«, sagte ich, um sie abzulenken. Wer hätte das gedacht? Irgendwie hatte mein Unterbewusstsein geahnt, dass der Wagen noch wichtig werden sollte.

»Ich scheiße auf die Federung!«

Meine Güte. Sie sollte sie erst mal ausprobieren, bevor sie so abfällig darüber urteilte.

Ich meinte draußen etwas zu hören, wagte aber nicht, den Kopf zu drehen. Neben den Hauptzugängen ins Haus – der Haustür, der Hintertür und den Fenstern – gab es noch eine doppelte Terrassentür im Esszimmer. Von meinem Posten aus konnte ich die Terrassentür sehen und meinte eine Bewegung wahrzunehmen, aber ich konnte nicht allzu auffällig hinschauen, weil Debra sonst gewusst hätte, dass was – oder wer – im Busch war.

Jason stand rechts von mir und konnte von seinem Platz aus nur auf die Treppe, aber nicht nach draußen sehen. Debra konnte zum Wohnzimmerfenster hinausschauen, aber ihr Blickfeld war durch eine Wand und die Gardinen eingeschränkt, die vor dem Fenster hingen und zwar das Licht, aber keine Blicke durchließen. Niemand außer mir wusste, dass Rettung nahte.

Aber wenn sie nun ins Haus platzten, wie Bullen das so machen, und Debra vor Schreck den Abzug durchdrückte? Ich wäre tot, das wäre ›aber wenn‹.

»Woher kannst du so gut schießen?«, fragte ich, nicht weil es mich interessiert hätte, sondern um sie am Reden und davon abzuhalten, mich auf der Stelle niederzuschießen.

»Ich bin früher oft mit meinem Vater auf die Jagd gegangen. Und ich bin so zielsicher, weil ich oft zum Tontaubenschießen gehe.« Ihr Blick streifte meinen verbundenen Oberarm. »Wenn du dich nicht zufällig gebückt hättest, wüsstest du jetzt, wie zielsicher ich bin. Nein, stimmt nicht – du wüsstest es nicht. Weil du tot wärst.«

»Könntest du mal mit diesem Todesgeschwafel aufhören?« Ich wurde immer wütender. »Das langweilt nämlich. Und du würdest teuer dafür bezahlen müssen.«

»Das würdest du dir wohl wünschen. Jason verrät bestimmt nichts, weil er keine negative Presse haben möchte.«

»Er wird auch nichts verraten müssen. Zwei Polizisten haben beobachtet, wie er mich entführt hat.«

»Entführt?« Ihre Augen wurden groß wie Murmeln.

»Er wollte mich ebenfalls umbringen«, erklärte ich ihr. »Damit du nicht erwischt wirst. Siehst du, er liebt dich sehr wohl, denn ich würde das für niemanden tun.«

Sie sah ihn kurz an. »Stimmt das?«, fragte sie unsicher.

»Ich habe ihre Bremsleitungen durchgeschnitten«, bestätigte er.

Eine Sekunde stand sie wie versteinert da, dann traten ihr Tränen in die Augen. »Du liebst mich also doch«, sagte sie schließlich. »Du liebst mich wirklich.«

»Natürlich liebe ich dich. Ich bin verrückt nach dir«, versicherte er ihr.

Verrückt war unter diesen Umständen ein treffendes Wort, oder?

Ich atmete erleichtert aus. »Gut, damit wäre das geklärt«, sagte ich. »Ich wünsche euch beiden viel Glück und werde dann am besten gehen …«

Ich trat einen halben Schritt zurück, und in diesem Augenblick geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Sobald ich mich bewegte, reagierte Debra und zielte wieder auf mich. Hinter ihr war ein Splittern zu hören, mit dem die Terrassentüren eingetreten wurden, und ich sah sie wie in Zeitlupe erschrocken zusammenzucken. Als sie das Gewehr wieder auf mich richtete, reagierte mein Körper wie von selbst und ohne auf ein Kommando meines Gehirns zu warten. Das Muskelgedächtnis, klar? Sie zielte, ich erschrak, und mein jahrelanges Training verselbstständigte sich. Ich ging mit dem Oberkörper immer weiter zurück, bis ich ein Hohlkreuz machte, spannte gleichzeitig die Beine an, um sie nach oben zu ziehen, und streckte dabei die Arme über den Kopf, um mich abzustützen. Plötzlich stand der Raum Kopf; dann übernahmen meine Bein- und Rückenmuskeln das Kommando und lieferten den nötigen Schwung und Sprung.

Als Rückwärts-Flickflack war es eine Katastrophe. Ich ging mit beiden Beinen gleichzeitig hoch, und Debra war mir viel zu nahe; mein linker Fuß landete unter ihrem Kinn, während der andere gegen das Gewehr in ihrer Hand schlug. Leider hatte sie immer noch den Finger am Abzug und drückte unwillkürlich ab; der Knall war ohrenbetäubend. Weil sie im Weg war, brachte ich die Beine nicht bis über den Kopf und knallte mit voller Wucht auf den Rücken. Der Tritt ans Kinn ließ sie rückwärts taumeln, mit wild wirbelnden Armen, um das Gleichgewicht zu halten. Schließlich verlor sie den Kampf um ihre Balance und landete auf ihrem Hintern, auf dem sie über das polierte Parkett schlitterte.

»Autsch!«, schrie ich auf und umklammerte meinen linken großen Zeh. Ich hatte Sandalen an, was für einen Kick gegen das Kinn wahrlich nicht das optimale Schuhwerk ist.

»Blair!« Plötzlich war das Haus voller Polizisten, die durch alle Öffnungen hereinströmten. Polizisten in Uniform, Polizisten in Zivil – und Wyatt. Er war derjenige, der im wahrsten Sinn des Wortes durch die Terrassentür hereingeplatzt war, als er geglaubt hatte, sie würde mich erschießen, und er war es auch, der mir vom Boden aufhalf und mich so fest an seine Brust drückte, dass ich kaum noch Luft bekam. »Ist dir was passiert? Hat sie dich getroffen? Ich sehe kein Blut …«

»Es geht mir gut«, presste ich heraus. »Wenn du mich nicht zu Tode quetschst.« Das Eisenband seiner Arme lockerte sich ein wenig, und ich ergänzte: »Ich hab mir den Zeh angestoßen.«

Er wich ein paar Zentimeter zurück und starrte mich an, als könnte er nicht glauben, dass ich noch in einem Stück war und ohne jeden Kratzer aus dieser Sache herausgekommen war. Nach den Ereignissen der letzten Woche hatte er bestimmt erwartet, dass ich aus einem Dutzend Schusswunden bluten würde.

»Du hast dir den Zeh angestoßen?«, fragte er. »Ach du meine Güte. Da sind aber ein paar Kekse fällig.«

Hab ich’s nicht gesagt? Ich wusste doch, dass er lernfähig ist.