26

Man hätte meinen sollen, dass ich im siebten Himmel schwebte, nachdem er erklärt hatte, dass er mich liebte. Aber seine Liebeserklärung hatte sich angehört, als wäre ich eine ekelhafte Medizin, die er runterwürgen musste, wenn er nicht sterben wollte. Schön, er hatte mich auf der Rückbank geliebt, als könnte er nicht genug von mir bekommen, aber egal; ich war tief verletzt. Und damit nicht genug: Nachdem ich wieder halbwegs bei Sinnen war, machte ich mir ernsthaft Sorgen um den Zustand dieser Rückbank. Mal ehrlich, es war ein Mietwagen; niemand wusste genau, was dort schon alles gelegen hatte, und nun zählte auch mein nackter Hintern zu der Liste.

Ich sprach kein Wort mit ihm, bis wir daheim waren, raste, sobald ich im Haus war, die Treppe hoch und stellte mich unter die Dusche, um jegliches Mietwagen-Ungeziefer abzuwaschen. Also gut, ich humpelte die Treppe hoch; von rasen konnte noch keine Rede sein. Außerdem verriegelte ich die Tür zum Bad, damit er sich nicht zu mir unter die Dusche stellen konnte, weil mir klar war, wo das enden würde, und ich mich nicht noch mal so überrumpeln lassen wollte.

Wenn ich wirklich schlau gewesen wäre, hätte ich saubere Sachen mit ins Bad genommen, aber so schlau war ich nicht, weshalb ich alles, was ich ausgezogen hatte, auch wieder anziehen musste. Auf gar keinen Fall würde ich mit nichts als einem Handtuch um den Leib aus dem Bad spazieren. Ich kannte Wyatt Bloodsworths Motto: Gelegenheit macht Liebe.

Als ich aus dem Bad kam, erwartete er mich schon, geduldig an der Wand lehnend, als hätte er nichts weiter zu tun. Er wich einer Auseinandersetzung nicht aus; das war mir schon früher aufgefallen.

»Das mit uns klappt einfach nicht«, kam ich ihm zuvor. »Wir können nicht mal ins Kino gehen, ohne dass wir einen Riesenzoff anfangen, den du anschließend mit Sex aus der Welt schaffen willst.«

Er zog die Brauen hoch. »Gibt’s denn eine bessere Methode?«

»Typisch Mann. Frauen wollen keinen Sex, wenn sie wütend sind.«

Die Brauen wanderten noch höher hinauf. »Den Eindruck hatte ich nicht«, raunte er, was nicht besonders schlau von ihm war.

Meine Unterlippe begann zu beben. »Du solltest mir das nicht immerzu vorhalten. Ich kann nichts dafür, dass du mich so gut kennst, und ich finde es schäbig von dir, die Situation so skrupellos auszunützen, wo du genau weißt, dass ich dir nicht widerstehen kann.«

Ein träges Lächeln spielte um seine Mundwinkel, und er richtete sich auf. »Hast du eine Ahnung, wie es mich anmacht, wenn du zugibst, dass du mir nicht widerstehen kannst?« Mit schlangenhafter Schnelligkeit wand sich sein Arm um meine Taille und zog mich an seine Brust. »Kannst du dir vorstellen, woran ich von morgens bis abends denken muss?«

»An Sex«, stellte ich fest und blickte eisern auf die breite Brust vor mir.

»Hm, auch. Manchmal. Oft. Aber auch daran, wie du mich zum Lachen bringst und wie schön es ist, neben dir aufzuwachen und abends zu dir nach Hause zu kommen. Ich liebe dich, und ich wäre kreuzunglücklich, wenn ich dich gegen die ausgeglichenste, Stressfreieste Frau der Welt tauschen müsste, weil mir der zündende Funke fehlen würde.«

»Ach ja«, meinte ich sarkastisch. »Und nur deshalb hast du mich eiskalt sitzen lassen und dich zwei Jahre lang nicht blicken lassen.«

»Ich hatte kalte Füße bekommen.« Er zuckte die Achseln. »Das muss ich zugeben. Schon nach zwei Dates hatte ich erkannt, dass ich an deiner Seite keine ruhige Minute haben würde, und ich beschloss, meine Verluste zu begrenzen, ehe ich zu tief drinsteckte. Wir hatten ein solches Tempo vorgelegt, dass wir innerhalb einer Woche im Bett gelandet wären und geheiratet hätten, ehe ich kapiert hätte, wie mir geschieht.«

»Und was ist diesmal anders? Ich bin es nicht.«

»Gott sei Dank. Ich liebe dich so, wie du bist. Wahrscheinlich habe ich inzwischen eingesehen, dass du zwar stressig bist, aber dass sich für mich jeder Stress lohnt. Nur darum bin ich dir ans Meer nachgefahren, nur darum bin ich nicht aus dem Kino abgehauen, obwohl ich so sauer war, dass ich mich kaum an den Titel des Films erinnern kann, und nur darum werde ich Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit dir nichts zustößt.«

Ich war noch nicht bereit, ihm zu verzeihen, aber ich merkte, wie mein Groll langsam versiegte. Ich versuchte, ihn festzuhalten, und fixierte finster sein Hemd, damit er nicht auf den Gedanken kam, dass sein Gesülze bei mir wirken könnte.

»Jeden Tag lerne ich dich besser kennen«, murmelte er und drückte mich, damit er seine Lippen auf meine Schläfe pressen konnte. Ich zog die Schultern hoch, damit er nicht an meinen Hals konnte, und hörte ihn leise lachen. »Und jeden Tag verliebe ich mich ein wenig mehr in dich. Außerdem hast du geholfen, die Spannungen auf dem Revier abzubauen, weil mich die Kollegen, die mich noch kürzlich beneidet haben, inzwischen bemitleiden.«

Ich zog die Brauen noch tiefer, und diesmal war es mir ernst. Er wurde bemitleidet, weil er mich liebte? »So schlimm bin ich wirklich nicht.«

»Du hast Feuer unter deinem niedlichen Hintern, Süße, und sie sehen mich schon bis an mein Lebensende rumhüpfen und die Waldbrände austrampeln, die du am laufenden Band entfachst. Und sie haben Recht.« Er küsste mich auf die Stirn. »Aber ich werde mich keine Sekunde langweilen, und ich kann deinen Dad bitten, mir beizubringen, wie man in einem Feuersturm überlebt. Jetzt komm schon«, lockte er und schob dabei die Lippen an mein Ohr. »Ich hab die Kröte zuerst geschluckt. Du kannst es ruhig sagen: Du liebst mich auch. Ich weiß es sowieso.«

Ich zuckte und zagte, aber seine Arme waren so warm, und der Duft seiner Haut machte mich schwindlig vor Leidenschaft. »Na gut«, meinte ich schmollend. »Ich liebe dich. Aber glaub bloß nicht, dass ich mich deshalb in ein Vorort-Hausmütterchen verwandeln werde.«

»Als hätte jemals auch nur die leiseste Möglichkeit bestanden, dass das passiert«, meinte er knapp. »Aber du kannst deinen gesamten Hausstand darauf verwetten, dass du meine Frau wirst. Damit war es mir von Anfang an ernst … also, vom zweiten Anfang an. Der Gedanke, dass du sterben könntest, hat mir die Augen geöffnet.«

»Wann?«, fragte ich und blinzelte ihn an. »Ich wäre dreimal um ein Haar gestorben.«

Er drückte mich mit aller Kraft. »Beim ersten Mal. In der letzten Woche hast du mir so oft Angst eingejagt, dass es bis an mein Lebensende reicht.«

»Ach wirklich? Dann versetz dich mal in meine Lage.« Ich gab auf und ließ den Kopf an seine Brust sinken. Mein Herz vollführte wieder diesen Stepptanz, den nur er auslösen konnte, aber diesmal in Stereo. Verdattert lauschte ich genauer und erkannte urplötzlich, dass ich meinen Herzschlag spürte und dabei gleichzeitig seinen hörte … der ebenso hektisch klang wie meiner.

Ein Glücksgefühl blühte in mir auf und dehnte mich wie Wasser einen Luftballon, bis ich ganz aufgebläht war, was vielleicht keine besonders romantische Beschreibung ist, aber trotzdem passte, weil ich das Gefühl hatte, dass mein Inneres zu groß für meine Haut war. Ich legte den Kopf zurück und strahlte ihn glückselig an. »Du liebst mich!«, erklärte ich triumphierend.

Er sah mich leicht misstrauisch an. »Ich weiß. Das habe ich doch gerade gesagt, oder?«

»Ja, aber du liebst mich wirklich!«

»Hast du gedacht, ich würde dich anlügen?«

»Nein, aber es ist ein Unterschied, ob man es hört oder spürt.«

»Und du spürst …« Er ließ den Satz in der Luft hängen und wartete darauf, dass ich ihn vollendete.

»Dein Herz.« Ich klopfte ihm auf die Brust. »Es hoppelt so wie meines.«

Seine Miene entspannte sich und wurde beinahe zärtlich. »Das tut es immer, wenn ich in deiner Nähe bin. Anfangs dachte ich schon, ich hätte einen Herzfehler, aber dann stellte ich fest, dass es nur so herumspringt, wenn du bei mir bist. Ich wollte mich schon testen lassen.«

Er übertrieb natürlich, aber das war mir egal. Er liebte mich. Nichts anderes hatte ich mir seit dem Augenblick, in dem wir uns begegnet waren, ersehnt und erträumt und erhofft, bis er mir den Boden unter den Füßen weggezogen hatte, indem er mich so schmählich versetzt hatte. Sicher, ich hätte auch den Boden unter den Füßen verloren, wenn er mich anders versetzt hätte, aber dass er mir nicht verraten hatte, warum, hatte mir schwer zu schaffen gemacht. Nachdem er mich so misshandelt hatte, hatte er es durchaus verdient, dass ich ihm in der letzten Woche das Leben so schwer wie möglich gemacht hatte, und ich bereute nichts von dem, was ich getan hatte. Ich wünschte nur, ich hätte es ihm noch schwerer machen können, indem ich nicht gleich die Beine breit machte, wenn er mich nur berührte, aber egal; manchmal muss sich eine Frau auch gehen lassen können.

»Willst du so bald wie möglich heiraten, oder willst du eine Hochzeit mit allem Trara?«, fragte er.

Er ließ keinen Zweifel daran, was ihm lieber war. Ich legte den Kopf schief und überlegte. Ich hatte schon einmal eine große Hochzeit mit kirchlicher Trauung gefeiert und wusste daher, dass kirchliche Trauungen enorm viele Umstände machen und schweineteuer sind – und gründlich geplant sein wollen. Ich fand es schön, dass ich einmal eine kirchliche Trauung mitgemacht hatte, aber ich hatte nicht das Bedürfnis, diese pompöse Zeremonie ein zweites Mal durchzuführen. Andererseits wollte ich auch keine klammheimliche Eheschließung.

»Ich will das Trara«, sagte ich und hörte, wie er ein Stöhnen unterdrückte. Ich tätschelte seinen Arm. »Aber nicht das Ganze. Wir haben beide eine große Familie und sollten irgendwas Festliches veranstalten, aber es braucht kein Staatsakt mit Eisskulpturen und Sektfontänen zu sein. Etwas im kleineren Rahmen mit etwa dreißig Gästen – wenn überhaupt –, vielleicht im Garten deiner Mutter. Glaubst du, das würde ihr gefallen, oder hätte sie eher Angst, dass wir ihre Blumenbeete zertrampeln?«

»Sie wäre begeistert. Sie gibt für ihr Leben gern mit ihrem Haus an.«

»Gut. Moment mal, was ist, wenn du nicht herausfindest, wer auf mich geschossen und meine Bremsleitungen durchschnitten hat? Was ist, wenn ich mich bis Weihnachten verstecken muss? Dann sind alle Blumen verblüht, und außerdem ist es dann zu kalt für eine Hochzeit im Garten. Wir können noch nicht mal ein Datum festlegen!«, heulte ich auf. »Wir können überhaupt nichts planen, bis diese Sache geklärt ist.«

»Wenn es nötig sein sollte, fahren wir eben mit allen Verwandten nach Gatlinburg und heiraten in einer kleinen Hochzeitskapelle.«

»Ich soll mein Brautkleid in einem Motelzimmer anziehen?«, fragte ich entrüstet.

»Warum nicht? Du hast doch nicht vor, eines dieser langen Dinger mit Tüllrock und Riesenschleppe zu tragen, oder?«

Eigentlich nicht, aber trotzdem … Ich wollte alles zur Hand haben, wenn ich mich für meine Hochzeit aufputzte. Und wenn ich irgendwas vergaß, das ich beim Schminken brauchte? So was kann die Erinnerung an die Hochzeit total versauen.

»Ich muss Mom anrufen.« Damit löste ich mich aus seiner Umarmung und griff nach dem Telefon.

»Blair … es ist schon nach Mitternacht.«

»Ich weiß. Aber sie wird es mir nie verzeihen, wenn ich sie nicht augenblicklich anrufe.«

»Woher will sie das wissen? Ruf sie morgen früh an und erzähl ihr, wir hätten das beim Frühstück besprochen.«

»Darauf wird sie nie im Leben reinfallen. Kein Mensch beschließt beim Frühstück zu heiraten; zu heiraten beschließt man nach einem heißen Date mit Knutschen und so weiter.«

»O ja, und das ›und so weiter‹ hat mir am besten gefallen«, meinte er sinnierend. »Ich glaube, auf der Rückbank eines Autos habe ich es seit achtzehn, neunzehn Jahren nicht mehr gemacht. Ich hatte ganz vergessen, was für ein Geficke das ist, und zwar in jeder Hinsicht.«

Ich hatte die Nummer schon gewählt.

»Willst du deiner Mutter auch von dem ›und so weiter‹ erzählen?«

Ich warf ihm einen ›Witzbold‹-Blick zu. »Als würde sie das nicht schon längst wissen.«

Mom ging nach dem ersten Läuten an den Apparat und fragte aufgeregt: »Blair? Ist was passiert?«

Eine Nummernanzeige im Display ist was Wunderbares. Damit spart man so viel Zeit, weil man sich nie mit Namen zu melden braucht. »Nein, ich wollte dir nur sagen, dass Wyatt und ich heiraten werden.«

»Und deshalb rufst du mitten in der Nacht an? Dass ihr heiraten werdet, hat er uns schon bei unserer ersten Begegnung im Krankenhaus erzählt.«

Mein Kopf schoss herum, und ich sah ihn finster an. »Ach ja? Komisch, mir gegenüber hat er das erst heute Abend erwähnt.«

Wyatt zuckte die Achseln und wirkte absolut reuelos. Ich ahnte, dass ich mit diesem Kerl jahrelang alle Hände voll zu tun haben würde. Er war eindeutig zu sehr von sich selbst überzeugt.

»Ich hatte mich schon gefragt, wieso du mir nichts erzählt hast«, sagte Mom. »Ich war schon fast ein bisschen beleidigt.«

»Dafür wird er bezahlen«, beschloss ich grimmig.

»Ach du Scheiße.« Wyatt war klar, dass ich über ihn sprach, er wusste nur nicht, was er diesmal angestellt hatte. Wahrscheinlich würde er es sich zusammenreimen, sobald er wusste, worüber wir sprachen, aber ihm war noch nicht aufgegangen, dass es unverzeihlich war, Moms Gefühle zu verletzen.

»Es gibt in dieser Angelegenheit zwei unterschiedliche Denkschulen«, sagte Mom, womit sie meinte, dass man von zwei Seiten an die Sache herangehen konnte. »Die eine fordert, sofort und mit Härte zu reagieren, damit er lernt, wie er in solchen Fällen zu reagieren hat, während die andere zu Milde aufruft, weil das Terrain neu für ihn ist.«

»›Milde‹? Was soll das sein?«

»Das ist mein Mädchen«, hörte ich sie loben.

»Warum bist du noch wach? Du warst so schnell am Telefon, als hättest du es mit ins Bett genommen.« Das war nicht ungewöhnlich, weil Mom das Telefon immer auf dem Nachttisch ablegt, wenn sie sich um eine von uns ängstigt. Damit hatte sie angefangen, als ich im Alter von fünfzehn Jahren meine ersten Verabredungen hatte.

»Ich habe das Telefon nicht mehr mit ins Bett genommen, seit Jenni die High School abgeschlossen hat. Nein, ich sitze immer noch über der Umsatzsteuer, und dieser dämliche Computer bleibt immer wieder hängen und verliert dann die Kontrolle über alles, was an ihm dranhängt. Jetzt druckt er nur noch unverständlichen Quark aus. Am liebsten würde ich die Steuern so einreichen. Schließlich sind die Anweisungen und Vorschriften des Finanzamts so kompliziert, dass sie dort selbst nicht mehr wissen, was wofür gelten soll. Glaubst du, das fänden die lustig?«

»Ganz und gar nicht. Das Finanzamt hat einen sehr eingeschränkten Sinn für Humor.«

»Ich weiß«, bestätigte sie düster. »Wenn ich gewusst hätte, dass dieses dumme Ding zu spinnen anfängt, hätte ich die ganze Erklärung per Hand erledigt, aber jetzt habe ich alle Daten im Computer. In Zukunft werde ich immer sofort eine Kopie ausdrucken.«

»Hast du denn keine Backup-Diskette?«

»Natürlich habe ich eine. Frag mich mal, ob sie funktioniert.«

»Ich glaube, du hast ein echtes Problem.«

»Das weiß ich selbst, und mir steht der ganze Schmu bis zum Hals. Aber jetzt ist es Ehrensache, dass ich dieses dämliche Ding nicht gewinnen lasse.«

Was bedeutete, dass sie vor dem Bildschirm sitzen bleiben und ihr Bestes versuchen würde, während jeder normale Mensch längst das Handtuch geworfen und das Gerät ins Computer-Krankenhaus gebracht hätte.

Dann fiel mir etwas ein, und ich sah Wyatt an. »Ist es okay, wenn ich Mom von den Haaren erzähle, die ihr gefunden habt?«

Er überlegte kurz und nickte dann.

»Was für Haare?«, fragte Mom.

»Die Leute von der Spurensicherung haben am Unterboden meines Autos ein paar dunkle, etwa zwanzig Zentimeter lange Haare gefunden. Fällt dir irgendwer mit so langen dunklen Haaren ein, der einen Grund hätte, mich umzubringen?«

»Hmm.« So hörte sich Mom beim Denken an. »Sind es schwarze oder nur dunkle Haare?«

Ich gab die Frage an Wyatt weiter und konnte ihm an der Nasenspitze ansehen, dass er davor war zu fragen, ob es da einen Unterschied gab, aber dann dachte er kurz nach und erkannte ihn selbst. »Schwarz, würde ich sagen«, meinte er.

»Schwarz«, gab ich weiter.

»Natur oder gefärbt?«

Jetzt kam Mom in Fahrt. Ich drehte mich um. »Natur oder gefärbt?«

»Das wissen wir noch nicht. Wir müssen die Beweismittel erst analysieren.«

»Das können sie noch nicht sagen«, erklärte ich Mom. »Hast du jemand Bestimmten im Sinn?«

»Also, es gäbe da Malinda Connors.«

»Seit ich an ihrer Stelle zur beliebtesten Schülerin gewählt wurde, sind dreizehn Jahre vergangen. Das wird sie inzwischen hoffentlich verwunden haben.«

»Ich weiß nicht so recht; mir kam sie immer ziemlich nachtragend vor.«

»Aber dazu wäre sie zu ungeduldig. Sie hätte bestimmt nicht so lange gewartet.«

»Stimmt auch. Hmmm. Es muss jemand sein, der aus irgendeinem Grund auf dich eifersüchtig ist. Frag Wyatt, mit wem er zusammen war, bevor ihr zusammengekommen seid.«

»Daran habe ich auch schon gedacht. Er behauptet, es gäbe da keine Kandidatinnen.«

»Natürlich gibt es die, es sei denn, er hat wie ein Mönch gelebt.«

»Ich weiß, aber er will mir nicht mal die Namen verraten, damit ich sie auf eigene Faust überprüfen kann.«

Inzwischen hatte er sich neben mir aufs Bett gesetzt und sah mich besorgt an. »Worüber redet ihr?«

»Über dich und deine Frauengeschichten.« Ich drehte ihm den Rücken zu und rutschte ein wenig von ihm ab, damit er unser Gespräch nicht belauschen konnte.

»Ich habe keine Frauengeschichten«, betonte er ärgerlich.

»Hast du das gehört?«, fragte ich Mom.

»Natürlich habe ich es gehört; glauben tue ich ihm trotzdem nicht. Frag ihn mal, wie lange er im Zölibat gelebt hat, bevor er dir begegnet ist.«

Wie man merkt, ging meine Mutter nicht davon aus, dass er immer noch im Zölibat lebte. Die Tatsache, dass sie nichts gegen mein augenblickliches Liebesleben einzuwenden hatte, verriet mir, dass meine Mutter ihn uneingeschränkt guthieß, was nur wenige Männer von sich behaupten konnten. Das mütterliche Einverständnis ist ein wesentlicher Faktor, wenn es darum geht, ein störungsfreies und glückliches Familienleben zu führen.

Ich sah ihn über die Schulter an. »Mom will wissen, wie lange du vor unserer Verlobung keine Frau mehr hattest.«

Er sah mich entsetzt an. »Das ist nicht wahr. Das will sie nicht wirklich wissen.«

»O doch. Hier. Sprich selbst mit ihr.«

Ich reichte ihm das Telefon, das er unwillig entgegennahm. »Hallo«, sagte er; dann verstummte er. Ich sah zwei rote Flecken auf seinen Wangen erblühen. Er legte die Hand über die Augen, als wollte er sie vor der Frage verschließen. »Äh … sechs Wochen?«, antwortete er belämmert. »Vielleicht. Vielleicht etwas länger. Ich gebe Ihnen wieder Blair.«

Er konnte es kaum erwarten, mir das Telefon in die Hand zu drücken. Ich nahm es ihm ab und fragte: »Was meinst du dazu?«

»Sechs Wochen sind lang für eine Frau, die auf einen Mann fixiert und verrückt nach ihm ist«, urteilte Mom. »Wahrscheinlich ist es niemand von seiner Seite. Und was ist mit dir? Weißt du, ob einer der Männer, mit denen du quasi was hattest, sich hinterher mit einer Verrückten zusammengetan hat, die krankhaft eifersüchtig auf ihre Vorgängerin sein könnte?«

Quasi was hattest bedeutet in Muttersprech ein paar Dates, vielleicht auch ein bisschen mehr, ohne dass sich etwas Ernsthaftes daraus entwickelt hätte, ehe wir wieder auseinander gegangen waren.

»Ich habe keinen Kontakt zu meinen Verflossenen, aber ich schätze, das lässt sich rausfinden«, sagte ich. Vorausgesetzt, ich erinnerte mich an alle Namen.

»Eine andere Möglichkeit will mir nicht einfallen«, sagte Mom. »Sag Wyatt, dass er den Fall bald gelöst haben muss, weil Großmutters Geburtstag bevorsteht und wir ihn nicht feiern können, wenn du dich verstecken musst.«

Nachdem ich aufgelegt hatte, gab ich diese Anweisung an ihn weiter, und er nickte, als hätte er verstanden, dabei bin ich ziemlich sicher, dass er keine Ahnung hatte, was Granny angeht. Er hat keine Vorstellung von dem heiligen Zorn, der auf unsere Köpfe herabregnen würde, falls sie sich irgendwie vernachlässigt fühlen sollte. Sie sagte immer, in ihrem Alter gebe es nicht mehr viele Geburtstage zu feiern, und darum sollten wir sie, wenn wir sie wirklich liebten, gebührend begehen. Wie unschwer zu erraten, ist Grammy Moms Mutter. Sie wird vierundsiebzig, ist also nicht wirklich alt, aber sie spielt ihr Alter nach allen Regeln der Kunst aus, wenn sie ihren Kopf durchsetzen will.

O Mann. Genetik ist echt irre, oder?

Ich setzte den Röntgenblick ein. »Also raus damit. Wie heißt sie?«

Er wusste genau, wen ich meinte. »Ich hab’s gewusst«, sagte er kopfschüttelnd. »Ich hab gewusst, dass du dich darauf stürzen würdest wie ein Aasgeier. Es war nichts dabei. Ich bin auf einer Konferenz einer alten Bekannten begegnet und – es war wirklich nichts dabei.«

»Nur dass du mit ihr geschlafen hast«, warf ich ihm vor.

»Sie hat rote Haare«, sagte er. »Und sie arbeitet als Detective in – Scheiße, nein, ich werde dir nicht verraten, wo sie arbeitet. So blöd bin ich nicht. Du hättest sie morgen am Telefon und würdest sie entweder als Mörderin beschimpfen oder dich mit ihr über mich austauschen.«

»Wenn sie Polizistin ist, kann sie jedenfalls schießen.«

»Blair, vertrau mir. Bitte. Glaubst du wirklich, ich würde auch nur eine Sekunde zögern, sie zum Verhör zu bestellen, wenn ich auch nur die leiseste Möglichkeit sehen würde, dass sie zu so was fähig sein könnte?«

Ich seufzte. Er hatte schnell gelernt, die Dinge so auszudrücken, dass mir wenig Raum zur Interpretation blieb, und er verstand diese Gabe geschickt einzusetzen.

»Trotzdem muss es jemand sein, der eifersüchtig auf mich ist«, beharrte ich. »Mom hat Recht. Ich habe Recht. Es ist was Persönliches.«

»Das sehe ich auch so.« Er stand auf und begann sich auszuziehen. »Es ist schon nach Mitternacht. Ich bin müde, du bist müde, und wir können das besprechen, wenn wir die Haaranalyse haben. Dann wissen wir wenigstens, ob wir es mit einer echten Schwarzhaarigen oder mit jemandem zu tun haben, der sich die Haare zur Tarnung gefärbt hat.«

Was die Müdigkeit anging, hatte er Recht, deshalb beschloss ich, dass er mit dem Übrigen auch Recht hatte. Ich zog mich ganz aus und krabbelte nackt unter die kühle Decke. Er schaltete das Licht aus und schlüpfte zu mir unter die Laken, wo mir kurz darauf dämmerte, dass das mit dem Müdesein eine dicke Lüge gewesen war.