25
In dieser Nacht hatte ich einen Albtraum, was nach allem, was mir widerfahren war, nicht weiter überraschend ist. Eigentlich hätte ich jede Nacht einen Albtraum haben müssen, aber mein Unterbewusstsein ist im Verdrängen genauso gut wie mein Bewusstsein. Ich habe nur selten Albträume; normalerweise träume ich Alltagsgeschichten mit absurden Details, weil Träume vor allem für diese absurden Details gut sind, stimmt’s? Zum Beispiel, dass ich im Great Bods bin und Aktenberge wälzen muss, aber ständig von irgendwelchen Mitgliedern gestört werde, weil die Hälfte der Besucher splitternackt auf dem Heimtrainer sitzen möchte, während die andere Hälfte so was absolut ferkelig findet, was es auch wäre. Solche Sachen.
Dass man auf mich schießt, träumte ich nicht. Der Schuss gab abgesehen von dem Knall und dem Brennen in meinem Arm wenig für einen Traum her, wohingegen der Unfall mit einer Detailfülle aufwartete, an der sich mein Unterbewusstsein lange laben konnte. Ich träumte nicht, dass ich wieder ein Stoppschild überfuhr; stattdessen saß ich in meinem roten Mercedes, den ich direkt nach der Scheidung gekauft und später gegen den weißen getauscht hatte, und ich fuhr darin über eine hohe Bogenbrücke, als das Auto plötzlich außer Kontrolle geriet und ins Schleudern kam. Immer mehr Autos prallten auf meines, und mit jedem Aufprall wurde ich näher ans Geländer geschoben, bis mir irgendwann klar war, dass mich der nächste Aufprall von der Brücke stoßen würde. Ich sah den letzten Wagen in Zeitlupe auf mich zurollen; dann gab es einen grauenvollen Ruck, mein Mercedes sprengte das Geländer, und ich kippte ins Nichts.
Zitternd und mit klopfendem Herz schreckte ich aus dem Schlaf. Ich meine, ich zitterte, nicht mein Herz. Vielleicht zitterte mein Herz auch, aber das kann ich nicht sagen; ich konnte nur spüren, dass es wie wild pochte. Und dass sich Wyatt über mich beugte wie ein großer, schützender Schatten inmitten des dunklen Zimmers. Er strich mir über den Bauch, griff mich dann bei der Taille und drückte mich an seine Brust. »Hast du schlecht geträumt?«
»Mein Auto wurde von einer Brücke gestoßen«, brummelte ich noch im Halbschlaf. »So ein Mist.«
»Ja, das kann ich mir vorstellen.« Er hatte seine eigene Methode, mich zu trösten, und dazu gehörte, dass er sich über mich schob. Ich schlang die Beine um seine Hüften und zog ihn näher.
»Fühlst du dich okay dafür?«, murmelte er, allerdings mit leichter Verspätung, weil er schon halb in mir drin war.
»Ja«, antwortete ich trotzdem.
Er war vorsichtig oder bemühte sich jedenfalls, vorsichtig zu sein. Er stützte sich auf den Unterarmen ab und bewegte sich langsam und gleichmäßig – bis zum Schluss, wo auch Schluss mit langsam und gleichmäßig war. Aber er tat mir nicht weh, oder wenn, dann war ich zu scharf, um es zu bemerken.
Der nächste Tag war quasi eine Wiederholung des vorangegangenen, nur dass ich etwas mehr Dehnübungen und Yoga machte und mich wesentlich besser fühlte. Mein linker Arm schmerzte immer noch, wenn ich etwas anhob und den Muskel belastete, aber solange ich mich vorsichtig bewegte und nicht rumzappelte, konnte ich ihn mehr oder weniger uneingeschränkt einsetzen.
Der Busch, den Wyatt besorgt hatte, würde durchkommen, brauchte aber eine Woche lang viel Liebe und Pflege, bevor er den Schock, in den Garten gepflanzt zu werden, überstehen würde. Wyatt hatte vielleicht keinen Begriff davon, was eine Zimmerpflanze ist, aber er hatte ihn für mich gekauft, und ich hatte das arme Gesträuch ins Herz geschlossen. In meiner erzwungenen Untätigkeit stand ich kurz vor einem Hüttenkoller, und so spazierte ich ein wenig durch den Garten und überlegte, wohin ich den Busch pflanzen wollte. Weil das Haus so alt war, war der Garten üppig und reich bewachsen, aber es gab dort nur Büsche und kein einziges Blumenbeet, weshalb etwas Farbe nicht schaden würde. Es war schon zu spät im Jahr, um noch Blumen zu pflanzen. Nächstes Jahr allerdings …
Die wärmende Sonne fühlte sich gut auf meiner Haut an. Inzwischen war ich mein Invalidendasein leid und verzehrte mich nach dem High, das mir ein anstrengender Workout bescherte. Ich sehnte mich so nach meiner Arbeit, dass es fast wehtat, und ich war sauer, dass ich hier versauern musste.
Außerdem machte mir mein nächtlicher Traum zu schaffen. Nicht das Ende mit dem Brückensturz, sondern die Tatsache, dass es der rote Mercedes gewesen war, den ich vor über zwei Jahren in Zahlung gegeben hatte. Wenn man an die prophetische Bedeutung von Träumen glaubt, musste das etwas bedeuten, nur dass mir beim besten Willen nicht einfallen wollte, was das sein könnte. Dass ich es bereute, nicht wieder ein rotes Auto genommen zu haben? Dass ich Weiß in Wahrheit zu langweilig fand? Das stimmte nicht, und außerdem ist Weiß in der Hitze des Südens eindeutig praktischer.
Was die Coolness angeht – im Image, nicht bei den Temperaturen –, kommt Rot eigentlich erst an dritter Stelle, Weiß belegt Platz zwei, und an der Spitze steht eindeutig Schwarz. Ein schwarzes Auto strahlt einfach Macht aus. Rot war sportlich, Weiß war sexy und elegant, und Schwarz ist mächtig. Vielleicht würde ich mir als Nächstes ein schwarzes Auto zulegen – falls ich je dazu kommen würde, eines auszusuchen.
Aus lauter Langeweile stellte ich die Möbel im Wohnzimmer um, wobei ich die Sessel mit meinen Beinen und dem rechten Arm herumschob, und nur zum Spaß verbannte ich auch Wyatts Fernsehsessel von seinem Ehrenplatz direkt vor der Glotze. Eigentlich stand er wunderbar so und es störte mich auch nicht, wenn sein Sessel den Logenplatz bekam, aber wie gesagt, ich langweilte mich zu Tode.
Seit ich das Great Bods eröffnet hatte, hatte ich außer zu den Spätnachrichten nur selten Zeit zum Fernsehen gehabt und es mir dadurch abgewöhnt. Allerdings wusste Wyatt das nicht. Vielleicht konnte ich ihn ein bisschen ärgern, indem ich mich beschwerte, meine Lieblingssendungen zu verpassen, die natürlich ausnahmslos auf dem Romantik-, dem Heim- und Garten- oder dem Frauen-Kanal laufen würden. Blöderweise würde ich, falls ich die Schlacht um die Fernbedienung gewinnen sollte, die Sendungen auch anschauen müssen. Irgendwo ist immer ein Haken.
Ich ging nach draußen, holte die Zeitung aus dem Kasten und setzte mich dann in die Küche, wo ich sie von Anfang bis Ende durchlas. Ich musste mir unbedingt etwas zu lesen besorgen. Und ich musste einkaufen gehen und Make-up oder Schuhe kaufen. Neues Make-up und neue Schuhe bauen mich unfehlbar wieder auf. Ich musste rausfinden, was Britney zurzeit trieb, weil das Mädchen sein Leben in ein derartiges Chaos gestürzt hatte, dass ein Streifschuss und ein manipulierter Unfall verglichen damit ganz normal wirkten.
Wyatt hatte nicht mal Kaffee mit Aroma. Alles in allem war sein Haus erbärmlich schlecht dafür gerüstet, mich bei Laune zu halten.
Als er am Nachmittag endlich wieder auftauchte, ging ich fast die Wände hoch. Aus reiner Frustration hatte ich sogar eine weitere Liste mit Wyatts Verfehlungen angelegt, auf der als erster Punkt stand, dass er meinen Lieblingskaffee nicht hatte. Wenn ich länger hier bleiben sollte, wollte ich es angenehm haben. Außerdem brauchte ich mehr zum Anziehen und meinen Lieblingsbadeschaum und mein Shampoo und alle möglichen anderen Sachen.
Er küsste mich zur Begrüßung und sagte dann, er wolle nach oben gehen und sich umziehen. Um zur Treppe zu kommen, muss man bei ihm durch das Wohnzimmer gehen. Ich blieb in der Küche und hörte, wie seine Schritte abrupt erstarben, als er die Veränderungen sah.
Dann hörte ich ihn rufen: »Was hast du mit den Möbeln angestellt?«
»Mir war langweilig«, rief ich zurück.
Er grummelte etwas Unverständliches, und dann hörte ich ihn weiter die Treppe hinaufgehen.
Ich bin kein passives Zuckerpüppchen. Selbstverständlich hatte ich auch in seinem Kühlschrank Inventur gemacht und in seinem Gefrierschrank etwas Hamburger-Fleisch entdeckt. Das hatte ich angebraten und zu einer Spaghettisoße verarbeitet. Weil er noch nie zweimal hintereinander zur gleichen Zeit heimgekommen war, hatte ich die Nudeln noch nicht aufgesetzt, sondern machte das erst jetzt. Brötchen hatte er keine, aber dafür etwas Toastbrot, das ich jetzt butterte und mit Knoblauchpulver und Käse besprenkelte. Außerdem hatte er nichts, was man zu einem grünen Salat verarbeiten konnte. Für mich war das nicht eben ein ausgewogenes Mahl, aber in Anbetracht der gähnenden Leere in seinem Kühlschrank hätte die Alternative aus einer Dose Bohnen bestanden.
Er kam nur in Jeans die Treppe herunter, und mir lief das Wasser im Mund zusammen, als ich seinen festen Bauch und den muskulösen, behaarten Brustkorb sah. Um mich nicht zu blamieren, indem ich ungehemmt lossabberte, drehte ich ihm den Rücken zu und schob das Backblech mit den Brotscheiben in den Ofen. Bis sie angebräunt waren, wären auch die Spaghetti fertig.
»Das riecht aber gut«, meinte er und begann den Tisch zu decken.
»Danke. Aber falls du nicht zufällig einkaufen warst, haben wir nichts mehr zu kochen da. Was machst du dir sonst zum Abendessen?«
»Gewöhnlich esse ich unterwegs. Ich frühstücke hier und esse abends im Restaurant. Das ist für mich einfacher, weil ich abends meistens k.o. bin und keine Lust habe, noch lange zu kochen.«.
»Ich kann in kein Restaurant gehen«, stellte ich mürrisch fest.
»Das könntest du schon, wir müssten nur in einen anderen Ort fahren. Sollen wir das morgen machen? Das würde dann als Date zählen, oder?«
»Nein, das zählt nicht.« Ich hatte angenommen, das hätten wir schon am Meer besprochen. »Du willst sowieso ins Restaurant gehen. Ein Date ist es nur dann, wenn du etwas unternimmst, was du gewöhnlich nicht tust, wie ins Theater oder zum Tanzen zu gehen.«
»Zählt ein Besuch im Stadion auch?«, entgegnete er.
»Im Moment läuft nur die Baseball-Saison, und das ist blöd. Beim Baseball gibt es keine Cheerleader. Wenn die Football-Saison beginnt, können wir noch mal darüber reden.«
Er ließ meine abschätzige Bemerkung zum Baseball unwidersprochen und füllte stattdessen unsere Gläser mit Eiswürfeln, über die er Tee goss. »Die Spurensicherung hat was gefunden«, wechselte er abrupt das Thema.
Ich drehte die Hitze unter den Spaghetti zurück. Er hörte sich ratlos an, so als wüsste er nicht, was er mit dem neuesten Fund der Spurensicherung anfangen sollte.
»Was denn?«, fragte ich nach.
»Am Unterboden deines Wagens hatten sich ein paar Haare verfangen. Wenn man bedenkt, in welchem Zustand dein Auto ist, ist es ein Wunder, dass sie noch dran waren.«
»Was können euch diese Haare schon verraten?«, fragte ich mutlos. »Wenn ihr einen Verdächtigen hättet, dessen DNA ihr überprüfen könntet, dann kämen ein paar Haare sehr gelegen, aber ihr habt niemanden.«
»Es sind dunkle Haare, was uns verrät, dass die gesuchte Person braunhaarig ist. Und sie sind etwa zwanzig Zentimeter lang, weshalb es gut möglich wäre, dass wir doch nach einer Frau Ausschau halten müssen. Es ist zwar nicht sicher, schließlich haben viele Männer lange Haare, aber im Moment werden die Haare auf Haarspray und Gel oder Ähnliches untersucht. Das müsste uns weiterbringen, weil in unserer Gegend nicht viele Männer solches Zeug verwenden.«
»Jason schon«, wandte ich ein.
»Jason ist ein verkleidetes Mädel mit mehr Haar als Hirn«, war seine knapp vorgebrachte Überzeugung.
O Mann, er konnte Jason absolut nicht leiden. Es war herzerwärmend.
»Kennst du irgendwelche Frauen mit dunklem Haar, die dich vielleicht umbringen möchten?«, fragte er.
»Ich kenne viele Frauen mit dunklem Haar. Nur bei dem Umbringen muss ich passen.« Ich zuckte hilflos die Achseln. Die Sache war ein einziges Rätsel. »Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich in den letzten Jahren auch nur um einen Parkplatz gestritten hätte.«
»Vielleicht liegt der Anlass ja schon länger zurück«, meinte Wyatt. »Wahrscheinlich sah jemand, als du nach dem Mord an Nicole Goodwin als Zeugin benannt wurdest, die Chance gekommen, dich umzubringen und die Tat Nicoles Mörder in die Schuhe zu schieben. Dwayne Bailey hat jedenfalls keinen Grund mehr, dich zu töten, nachdem er den Mord gestanden hat.«
»Aber warum hat diese Person nicht mit den Anschlägen aufgehört, als Bailey verhaftet wurde? Jetzt kann sie ihm die Tat nicht mehr anhängen.«
»Offenbar nimmt sie an, dass sie gefahrlos weitermachen kann, nachdem sie bis jetzt nicht geschnappt wurde.«
»Bist du alle Frauen durchgegangen, mit denen du dich im letzten Jahr verabredet hast?«, fragte ich. »War da vielleicht eine Brünette dabei?«
»Ja, das schon, aber glaub mir, das war nichts Ernstes.«
»Du solltest sie trotzdem aufs Revier bestellen und vernehmen«, verlangte ich ärgerlich. Hinter den Attacken musste eine tiefe Antipathie stecken, denn ich hatte nichts getan, was ein Motiv für einen Mord darstellen könnte.
»Und wie ist es mit den Männern, mit denen du verabredet warst? Vielleicht hatte ja einer davon eine Ex, die total verrückt nach ihm war – wobei ›verrückt‹ wörtlich zu verstehen ist – und deshalb einen Wahnsinnshass auf dich entwickelt hat, als ihr Macker mit dir anzubandeln versuchte.«
»Das könnte möglich sein.« Ich brütete darüber nach. »Trotzdem fällt mir niemand ein, der von einer verrückten Exfreundin erzählt hätte. Keiner hat erzählt, dass er von seiner Ex verfolgt wird, und so jemand hätte dem Angebeteten doch bestimmt nachgestellt, oder?«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wir müssen inzwischen jede Möglichkeit in Betracht ziehen, und deshalb brauche ich eine Liste von allen Männern, mit denen du in den letzten Jahren verabredet warst.«
»Na schön. Dann fangen wir am besten mit dir an.« Ich lächelte ihn zuckersüß an. »Gehen wir doch deine Freundinnen durch.«
Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass wir uns im Kreis drehten, darum ließen wir die Sache auf sich beruhen, während wir aßen und danach die Teller abspülten. Danach schob Wyatt seinen Fernsehsessel zurück vor den Apparat und ließ sich glückselig mitsamt seiner Zeitung in die Polster fallen. Ich baute mich vor ihm auf und grillte ihn mit Blicken, bis er entnervt die Zeitung sinken ließ und »Was?« fragte.
»Mir ist langweilig. Ich bin seit zwei Tagen nicht aus dem Haus gekommen.«
»Weil du schlau bist. Solange dich jemand umzubringen versucht, solltest du hier bleiben, wo dich niemand sehen kann.«
Glaubte er etwa, ich ließe mich damit abspeisen? »Ich hätte heute einen Ausflug machen können, aber ich dachte, du würdest dir Sorgen machen, wenn ich allein losziehe.«
Er nickte knapp. »Stimmt.«
»Aber jetzt bist du da.«
Er seufzte. »Na schön. Was möchtest du unternehmen?«
»Ich weiß nicht. Irgendwas.«
»Das schränkt die Auswahl erheblich ein. Wie wäre es mit einem Film? Wir könnten es gerade noch zur Abendvorstellung nach Henderson schaffen. Das würde aber als Date zählen, oder?«
»Richtig.« Henderson war etwa dreißig Meilen entfernt. Inzwischen war es kurz vor sieben, und so ging ich nach oben, um mich zu schminken. Die blauen Flecken auf meinem Gesicht hatten sich dank Moms Behandlung schon gelblich eingefärbt, sodass ich sie mit reichlich Grundierung übertünchen konnte. Dann zog ich eine lange Hose und eine kurzärmelige Bluse an und verknotete die Blusenzipfel über meinem Bauchnabel. Haare kämmen, Ohrringe durchziehen, fertig.
Wyatt schmökerte, wie nicht anders zu erwarten, immer noch in der Zeitung. Und war immer noch halb nackt.
»Ich bin so weit«, verkündete ich.
Er warf einen Blick auf die Uhr. »Wir haben noch ewig Zeit.« Dann vertiefte er sich wieder in seine Lektüre.
Ich wühlte meine Liste heraus und fügte unaufmerksam hinzu. Man sollte doch meinen, er hätte bei unserem ersten Date seit zwei Jahren einen guten Eindruck machen wollen. Wie man sieht, war es ein schwerer Fehler gewesen, so bald mit ihm zu schlafen. Schon glaubte er, dass er sich nicht mehr um mich bemühen musste.
»Ich glaube, ich werde in Zukunft in einem anderen Zimmer schlafen«, überlegte ich halblaut.
»Okay, bin sofort fertig.« Er ließ die Zeitung fallen und eilte, zwei Stufen auf einmal nehmend, nach oben.
Ich griff mir die Zeitung und machte es mir in seinem Sessel gemütlich. Ja, ich hatte sie schon gelesen, aber ich hatte keine Ahnung, welche Filme zurzeit gezeigt wurden. Natürlich waren nur die Kinos in unserer Stadt aufgeführt, aber ich ging davon aus, dass in Henderson die gleichen Filme liefen.
Mir war nach Lachen, und es gab eine neue Liebeskomödie, die sich witzig und sexy anhörte. Ein weißes Hemd zuknöpfend, kam Wyatt die Treppe heruntergetänzelt. Er blieb kurz stehen, zog den Hosenstall auf, steckte das Hemd in die Hose und schloss die Hose wieder. »Was möchtest du anschauen?«, fragte er.
»Prenup. Das klingt lustig.«
Er stöhnte auf. »Alles, nur bitte keinen Weiberfilm!«
»Und was würdest du stattdessen sehen wollen?«
»Am liebsten den Film, wo der Survival-Typ diesen Ureinwohnern entkommen muss.«
»End of the Road?«
»Ja, genau den.«
»Damit ist die Sache klar.« Wyatt hatte sich für einen hirnlosen Ballerfilm entschieden, in dem der Held mutterseelenallein in den Bergen ums Überleben kämpfen muss, und natürlich rettet er dabei die unausweichliche halbnackte Frau, obwohl mir schleierhaft ist, weshalb er sich so den Arsch für sie aufreißt, wo sie von einer geradezu kosmischen Blödheit ist. Aber wenn Wyatt so was ansehen wollte, dann bitte.
Wir fuhren in dem Taurus, und ich stieß vor Freude über den Tapetenwechsel einen erleichterten Seufzer aus. Die Sonne stand knapp über dem Horizont, der Nachmittag warf lange Schatten, aber es war immer noch so heiß, dass die Klimaanlage auf Hochtouren lief. Ich ließ mir die kalte Luft ins Gesicht blasen, weil ich keinesfalls die Abdeckung über meinen blauen Flecken wegschwitzen wollte.
Weil wir fast eine Stunde vor Beginn der Vorstellung in Henderson waren, kreuzte Wyatt noch ein wenig durch die Straßen. Der Ort hat etwa fünfzehntausend Einwohner, was mit Mühe für ein Vier-Säle-Kino reicht. Trotzdem war es ein nettes Kino, das vor ein paar Jahren renoviert und mit neuen Sitzen ausgestattet worden war. Wyatt, typisch Mann, hasste es, auf den Filmanfang warten zu müssen, und so kamen wir genau fünf Minuten vor Beginn der Vorstellung zum Kino zurück.
»Ich zahle«, sagte ich, holte mein Portemonnaie heraus und trat an die verglaste Kinokasse. »Einmal Prenup und einmal End of the Road.« Ich schob einen Zwanziger über die Theke.
»Was?«, hörte ich Wyatt empört hinter mir tönen, aber ich beachtete ihn nicht. Die Kassiererin druckte zwei Karten aus und schob sie zusammen mit dem Wechselgeld durch das Fenster.
Ich drehte mich um und reichte ihm seine Karte. »So können wir beide sehen, was wir wollen«, erklärte ich ihm ganz vernünftig und ging ihm voran ins Foyer. Zum Glück fingen beide Filme gleichzeitig an.
Er schien zu kochen, aber er zog ab, um seinen Film zu sehen, während ich allein im Dunkeln saß und mich königlich über die absurden Verwicklungen amüsierte, ohne mir dabei Gedanken machen zu müssen, ob er sich vielleicht langweilte. Auch die Sexszenen waren gut und prickelnd, genau wie ich sie mag. Irgendwie machten sie mir Lust, Wyatt auf der Heimfahrt ins Gebüsch zu lotsen; ich hatte es seit meiner Teenagerzeit nicht mehr im Auto getrieben, und der Taurus hatte eine ganz ansehnliche Rückbank. Nicht gerade luxuriös, aber ansehnlich. Und gut gefedert.
Als der Film zu Ende war, spazierte ich lächelnd aus dem Kino, nachdem ich mich eine Stunde und fünfzig Minuten gut unterhalten hatte. Ich musste ein paar Minuten warten, bis auch Wyatts Film zu Ende war, und vertrieb mir die Zeit, indem ich Filmplakate anschaute.
Der Film hatte seine Laune nicht gebessert; als er zehn Minuten später erschien, schaute er immer noch finster wie eine Gewitterwolke. Wortlos packte er mich am Arm und schleifte mich zum Auto.
»Was war das denn für ein Mist?«, blaffte er mich an, als wir im Auto saßen und ihn niemand hören konnte. »Ich dachte, wir wollten zusammen ins Kino gehen!«
»Nein, denn du wolltest auf gar keinen Fall den Film sehen, der mich interessiert hat, und ich wollte mir deinen Film nicht ansehen. Wir sind beide erwachsen; wir können auch allein ins Kino gehen.«
»Aber bei dem ganzen Unternehmen ging es darum, Zeit miteinander zu verbringen, auf ein Date zu gehen.« Er biss die Zähne zusammen. »Wenn du meinen Film nicht anschauen wolltest, hätten wir genauso gut zu Hause bleiben können.«
»Aber ich wollte Prenup sehen.«
»Den hättest du auch später anschauen können; in ein paar Monaten bringen sie ihn bestimmt im Fernsehen.«
»Das gilt auch für End of the Road. Niemand hat dich gezwungen, ihn anzuschauen; du hättest auch mit mir in das andere Kino kommen können.«
»Um mich in einem Weiberfilm zu Tode zu langweilen?«
Seine Arroganz ging mir auf die Nerven. Ich verschränkte die Arme und sah ihn wütend an. »Wenn du dir keinen Weiberfilm anschauen willst, dann nenne mir nur einen vernünftigen Grund, warum ich mir einen Chauvifilm anschauen sollte. Es sei denn, ich wollte ihn sowieso sehen.«
»Es muss immer nach deinem Kopf gehen, wie?«
»Jetzt halt mal die Luft an. Ich hatte rein gar nichts dagegen, mir allein einen Film anzusehen; ich habe keine Sekunde lang darauf bestanden, dass du mitkommst. Wenn hier jemand darauf besteht, dass alles nach seinem Kopf geht, dann bist das du.«
Er knirschte mit den Zähnen. »Ich wusste von Anfang an, dass es so kommen würde. Du bist so verdammt stressig …«
»Das bin ich nicht!« Unvermittelt war ich so wütend, dass ich ihn geohrfeigt hätte, wenn ich nicht so friedfertig wäre. Was ich meistens bin.
»Süße, wenn du im Lexikon unter ›stressig‹ nachschlägst, wirst du dort dein Bild finden. Willst du wissen, warum ich mich vor zwei Jahren verkrümelt habe? Weil ich genau wusste, dass es so kommen würde, und weil ich mir ausgerechnet hatte, dass ich mir eine Menge Stress sparen würde, wenn ich die Sache frühzeitig beende.«
Er war so wütend, dass er die Worte fast ausspie. Mir blieb der Mund offen stehen. »Du hast unsere Beziehung auf den Müll geworfen, weil ich dir zu stressig war?«, kreischte ich ihn an. Ich hatte immer geglaubt, er hätte einen wichtigen, bedeutsamen Grund gehabt, dass er damals vielleicht mit einer verdeckten Ermittlung befasst war und einen sauberen Schnitt machen wollte, falls er dabei umkommen würde oder so. Stattdessen hatte er mich abserviert, weil ich ihm zu stressig war?
Ich packte den Sicherheitsgurt über meiner Schulter und drehte ihn mit aller Kraft herum, um zu verhindern, dass ich dasselbe mit seinem Hals anstellte oder es wenigstens versuchte. Ich weiß nicht, wie das ausgegangen wäre, weil er zwanzig Kilo schwerer war als ich. Nein, ich wusste es nur zu gut, und darum strangulierte ich lieber den Sicherheitsgurt.
»Wenn ich dir zu stressig bin, dann brauchst du dir um mich keine Gedanken mehr zu machen!«, schrie ich ihn an. »Weil ich niemandem zur Last falle; ich kann allein für mich sorgen, und wenn ich irgendwem Stress mache, dann mir selbst! Du kannst dich verpissen und dein friedliches, langweiliges Leben wieder aufnehmen …«
»Fick dich!«, entfuhr es ihm, und dann küsste er mich. Ich war so wütend, dass ich ihn zu beißen versuchte. Er zuckte zurück, lachte und küsste mich noch mal. Dann griff er mir ins Haar und zog meinen Kopf zurück, bis mein Hals bloßlag.
»Wage es bloß nicht!« Ich gab mir alle Mühe, mich aus seinem Griff zu winden, und löste dabei meine Hand vom Sicherheitsgurt, um ihn wegzudrücken.
Natürlich wagte er es.
»Ich habe kein Interesse an einem friedlichen, langweiligen Leben«, nuschelte er wenig später in meine Halsbeuge. »Du machst nichts als Ärger, aber ich liebe dich, und damit basta.«
Dann ließ er mich in meinen Sitz zurücksinken, startete den Motor und fuhr weg, ehe noch jemand auf uns aufmerksam wurde und die Bullen rief. Ich war immer noch sauer und den Tränen nahe, und ich könnte unmöglich sagen, wie weit er fuhr, ehe er von der Straße bog und das Auto hinter ein paar dicken Bäumen abstellte, wo es von der Straße aus nicht zu sehen war.
O ja, so ein Taurus hat wirklich eine super Federung.