13

Ein paar Stunden später wachte ich auf, vor Kälte zitternd, mit pochendem Arm und einem elenden Gefühl. Wie ich mich auch drehte und wendete, ich fand einfach keine bequeme Stellung mehr. Wyatt erwachte ebenfalls, streckte sich nach der Nachttischlampe, und im nächsten Moment erfüllte ein weiches Licht den Raum. »Was ist denn?«, fragte er und legte gleichzeitig die Hand auf meine Stirn. »Ach so.«

»Ach so was?«, fragte ich gereizt, aber er war schon aufgestanden und im Bad verschwunden.

Gleich darauf kam er mit einem Glas Wasser und zwei Tabletten zurück. »Du hast Fieber. Der Arzt hat gesagt, dass wir damit rechnen sollen. Nimm die hier; dann hole ich dir noch eine Schmerztablette.«

Ich setzte mich auf, um die zwei Tabletten zu nehmen, und kuschelte mich sofort wieder unter die Decke, bis er mit der nächsten Pille ankam. Nachdem ich auch die genommen hatte, schaltete er das Licht aus, stieg wieder ins Bett, nahm mich in die Arme und teilte seine Körperwärme mit mir. Ich drückte meine Nase an seine Schulter, inhalierte seine Hitze und seinen Duft, und mein Herz begann zu rasen. Eines stand fest: Er setzte meinem alten Wecker schwer zu. Wahrscheinlich hätte er mich sogar auf Touren gebracht, wenn ich im Sterben gelegen hätte.

Weil ich immer noch zu sehr fror und zu starke Schmerzen hatte, um einschlafen zu können, beschloss ich, dass wir genauso gut ein bisschen plaudern konnten.

»Warum wurdest du geschieden?«

»Ich habe mich schon gefragt, wann du das ansprechen würdest«, bemerkte er schläfrig.

»Macht es dir was aus, darüber zu reden? Nur bis ich wieder müde werde?«

»Nein, es war keine große Sache. Als ich aus dem Profisport ausstieg, reichte sie noch am selben Tag die Scheidung ein. Sie fand es absolut verrückt, Millionen Dollar in den Wind zu schießen, um stattdessen Polizist zu werden.«

»Da würden ihr die meisten Leute zustimmen.«

»Du auch?«

»Na ja, ich komme aus deiner Heimatstadt und habe die Artikel in der Zeitung gelesen, in denen zu lesen war, dass du schon immer Polizist werden wolltest und auf dem College einen Abschluss in Kriminaltechnik gemacht hast. Ich hätte damit gerechnet. Sie ist aus allen Wolken gefallen, nehme ich an?«

»Und auf Beton aufgeschlagen. Ich kann es ihr nicht verübeln. Sie hatte geheiratet, weil sie die Frau eines Profi-Footballspielers werden wollte, mit allem Geld und Glamour, nicht die Frau eines Polizisten, der nie genug Geld verdient und nie weiß, ob er nach der Schicht nach Hause kommt oder während der Schicht umkommt.«

»Ihr habt nicht über die Zukunft gesprochen, bevor ihr geheiratet habt? Darüber, was ihr beide wolltet?«

Er schnaubte. »Als wir heirateten, war ich einundzwanzig und sie zwanzig. In dem Alter spielt sich die Zukunft in den nächsten fünf Minuten ab, nicht in fünf Jahren. Dazu kommen beiderseitige Hormonstürme, und schon nimmst du Kurs auf die Scheidung. Wir brauchten nur ein paar Jahre, um dort anzukommen. Sie war ein nettes Mädchen, aber wir erwarteten völlig verschiedene Dinge vom Leben.«

»Aber jeder weiß – nimmt an –, dass du in deiner Zeit als Footballprofi Millionen gemacht hast. Hat ihr das nicht genügt?«

»Ich habe tatsächlich ein paar Millionen verdient – um genau zu sein, hatte ich vier, als ich aufhörte. Das machte mich nicht zu einem zweiten Donald Trump, aber es war genug, um meiner Familie unter die Arme zu greifen. Ich übernahm die Reparaturen und Renovierung in Moms Haus, richtete zwei Collegefonds für die Töchter meiner Schwester ein, kaufte dieses Haus und ließ es umbauen und investierte den Rest. Wahnsinnig viel war nicht mehr übrig, aber es genügt, um mir das Alter zu versüßen, vorausgesetzt, ich lasse es unangetastet. Als die Aktienmärkte vor ein paar Jahren einbrachen, hat mir das ziemlich zugesetzt, aber inzwischen haben sie sich wieder erholt, es sieht also gar nicht so schlecht aus.«

Ich gähnte und rutschte den Kopf auf seiner Schulter zurecht. »Warum hast du kein kleineres Haus gekauft? Oder eines, das nicht erst saniert werden musste?«

»Mir gefiel die Lage, und ich fand, es wäre ein schönes Haus für eine Familie.«

»Du willst eine Familie?« Das kam unerwartet. So was hört man nicht oft aus dem Mund eines Junggesellen.

»Klar. Irgendwann heirate ich wieder, und dann wünsche ich mir ein, zwei Kinder. Wie ist es mit dir?«

Mir sackte das Herz in die Hose, und ich brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass es sich bei dieser Frage nicht um einen geschickt getarnten Heiratsantrag handelte. Offenbar begannen die Schmerzmittel zu wirken, sonst wäre ich nicht so schwer von Begriff gewesen. »Klar, ich möchte auch wieder heiraten«, sagte ich schläfrig. »Und ein Baby. Die Bedingungen wären ideal. Ich könnte das Kleine mit in die Arbeit nehmen, weil es mein eigenes Unternehmen und eine wenig formelle, entspannte Umgebung ist. Im Center gibt es zwar Musik, aber kein Fernsehen, und jede Menge Erwachsene, die aufpassen können. Was könnte besser sein?«

»Du hast alles genau durchgeplant, wie?«

»Ehrlich gesagt nein. Das ist alles rein hypothetisch, schließlich bin ich weder verheiratet noch schwanger. Und ich bin flexibel. Ich kann mich anpassen, falls sich die Umstände ändern sollten.«

Er sagte noch etwas, aber ich war gerade am Gähnen und verstand deshalb kein Wort. »Was?«, fragte ich, als ich wieder reden konnte.

»Vergiss es.« Er küsste mich auf die Schläfe. »Du bist schon halb weg. Ich dachte, die Pille würde erst nach einer halben Stunde wirken.«

»Ich habe gestern Nacht kaum geschlafen«, murmelte ich. »Das summiert sich.« Nur seinetwegen hatte ich in der Nacht zuvor kaum ein Auge zugetan, denn er hatte mich alle paar Stunden aus dem Schlaf gerissen, weil er Sex haben wollte. Bei dem Gedanken daran spürte ich ein verdächtiges Ziehen in den Lenden, und einen Moment meinte ich tatsächlich seinen schweren Körper auf meinem zu spüren. Wow. Jetzt war mir eindeutig nicht mehr kalt.

Am liebsten wäre ich auf der Stelle über ihn gestiegen und hätte die Sache selbst in die Hand genommen, aber ich hatte ihm erklärt, dass wir keinen Sex haben würden, und konnte folglich schlecht gegen die von mir selbst verhängten Prinzipien verstoßen. Trotzdem hätte ich wohl besser einen Slip angezogen, bevor ich mit ihm ins Bett ging, weil das Hemd natürlich bis zur Taille hochgerutscht war. So was passiert jeder Frau, die ein Hemd als Nachthemd trägt. Er hatte sich wie ein echter Gentleman benommen und mich nicht begrabscht oder so, aber das hatte ich nur meiner Verletzung zu verdanken. Ich rechnete fest damit, dass sich das bald ändern würde, weil es ihn bestimmt stresste, ein Gentleman zu sein. Nicht, dass er schlechte Manieren gehabt hätte, ganz im Gegenteil, aber seinen Instinkten nach war er aggressiv und ehrgeizig. Sonst wäre er kein so guter Sportler gewesen. Er besaß nicht nur die körperlichen Voraussetzungen, sondern auch einen unbedingten Siegeswillen. Wie lange würde er wohl auf meinen Arm Rücksicht nehmen?

Über diesem Gedanken schlief ich ein und erfuhr die Antwort am nächsten Morgen um sechs Uhr früh, als er mich sanft auf den Rücken drehte und sich zwischen meine Beine schob. Ich war noch im Halbschlaf, als er damit anfing, aber hellwach, als er fertig war. Meinen Arm ließ er zwar in Ruhe, dafür fiel er umso enthusiastischer über meinen Hals her.

Als er mich endlich aufstehen ließ, stürmte ich sofort ins Bad. »Das war total unfair!« Todgeil, aber unfair. »Mich im Schlaf zu überwältigen!«

Ich knallte die Tür zu, um sein Feixen nicht sehen zu müssen. Um ganz sicherzugehen, schloss ich zusätzlich ab. Er konnte ja ein anderes von seinen tausend Bädern benützen.

An diesem Morgen ging es mir eindeutig besser, ich war nicht mehr so zittrig, und die Schmerzen in meinem Arm waren zu einem dumpfen Klopfen abgesunken. Ein Blick in den Spiegel zeigte mir, dass ich nicht mal mehr blass war. Wie denn auch, nachdem Wyatt mich gerade durchgevögelt hatte? Meine Wangen waren hektisch gerötet, und es war keine Fieberröte, so viel stand fest.

Nachdem ich meine Sachen wieder zusammengeräumt hatte, kramte ich einhändig in der Reisetasche herum, die immer noch mitten auf dem Badezimmerboden stand. Schließlich fand ich eine saubere Unterhose, die ich tatsächlich über meine Beine brachte, putzte mir dann die Zähne und kämmte meine Haare. Mehr schaffte ich nicht ohne fremde Hilfe. Meine sauberen Sachen waren verknittert und mussten kurz in den Wäschetrockner, aber selbst wenn sie frisch gebügelt gewesen wären, hätte ich sie unmöglich anziehen können. Einen BH zu schließen war ein Ding der Unmöglichkeit. Ein bisschen konnte ich meinen Arm inzwischen zwar wieder bewegen, aber es reichte bei weitem nicht, um mich anzuziehen.

Ich schloss die Tür auf und stürmte wieder hinaus. Er war nirgendwo zu sehen. Konnte dieser Nichtsnutz denn nicht irgendwo bleiben, wo er mich hörte, damit ich ihm ordentlich den Marsch blasen konnte?

Qualmend vor Wut klemmte ich die sauberen Sachen unter den rechten Arm und stampfte nach unten. Die Treppe führte mich direkt in einen riesigen Raum mit einer drei Meter hohen Decke, Ledermobiliar und dem unausweichlichen Großbildfernseher. Nur eine Pflanze war nirgendwo zu sehen.

Kaffeeduft lockte mich nach links, wo ich durch das Esszimmer in die Küche gelangte. Wyatt stand barfuß und mit nacktem Oberkörper an der Kochinsel. Ich gönnte mir einen genüsslichen Blick auf seinen muskulösen Rücken und die sehnigen Arme, auf die tiefe Furche über dem Rückgrat und die etwas schmälere Taille über dem Jeansbund, und mein Herz machte schon wieder einen Satz. Ich steckte bis zum Hals im Schlamassel, und das nicht nur, weil mir ein Mörderdepp auf den Fersen war.

»Wo ist der Waschraum?«, fragte ich.

Er zeigte auf eine Tür in dem kurzen Durchgang zur Garage. »Brauchst du Hilfe?«

»Ich komme schon zurecht. Ich muss nur kurz meine Sachen durchlüften.« Ich verschwand im Waschraum, wo ich meine Sachen in den Trockner legte und ihn anschaltete. Dann kehrte ich in die Küche zurück und stellte mich dem Feind. Na schön, erst schenkte ich Kaffee in die Tasse, die er mir hingestellt hatte. Eine Frau sollte hellwach sein, wenn sie sich mit einem Mann anlegt, der so hinterhältig und gemein ist wie Wyatt Bloodsworth.

»Das muss aufhören.«

»Was denn?«, fragte er und wendete einen Pfannkuchen.

»Diese heimtückischen Überfälle. Ich habe dir gesagt, dass ich keinen Sex mit dir will.«

»Du hast nichts dergleichen gesagt, während ich Sex mit dir hatte. Du hast einiges gesagt, was ganz interessant klang, aber ein Nein habe ich nicht gehört.«

Meine Wangen wurden heiß, aber ich wischte seinen Einwand mit einer kurzen Handbewegung beiseite. »Was ich währenddessen sage, zählt nicht. Dann spricht aus mir nur diese komische Chemie, aus der du keinen Vorteil schlagen darfst.«

»Warum nicht?« Er sah mich an und griff nach seiner Kaffeetasse. Er lächelte.

»Das ist praktisch eine Vergewaltigung.«

Er spuckte den Kaffee quer über den Küchenboden. Ein Glück, dass er sich nicht über die Pfannkuchen gebeugt hatte. Wütend kam er auf mich zu. »So was will ich nie wieder hören, denn das ist überhaupt nicht komisch. Vergewaltigung, leck mich. Wir haben eine Übereinkunft, das weißt du ganz genau. Du brauchst nur Nein zu sagen, und ich höre auf. Bis jetzt hast du noch nie Nein gesagt.«

»Ich habe von vornherein zu allem Nein gesagt.«

»So haben wir aber nicht gewettet. Du kannst mich nicht stoppen, bevor ich angefangen habe. Um zu beweisen, dass du wirklich nicht mit mir schlafen willst, musst du Nein sagen, nachdem ich dich angemacht habe.« Er wirkte immer noch verärgert, aber immerhin drehte er sich wieder um und rettete die Pfannkuchen vor dem Verbrennen, bestrich sie mit Butter und riss dann ein Küchentuch von der Rolle, mit dem er den Kaffee aufwischte. Erst danach trat er wieder an die Pfanne und goss neuen Teig hinein.

»Genau darum geht es ja! Du schließt mein Gehirn kurz, das ist unfair. Schließlich kann ich dein Gehirn nicht kurzschließen.«

»Willst du wetten?«

»Und warum gewinnst du dann immer und ich verliere dauernd?«, heulte ich.

»Weil du mich haben willst und es dir nur nicht eingestehst.«

»Ha. Ha! Wenn wir wirklich auf einer Ebene wären, müsste deiner Logik nach dein Gehirn genauso durchgeschmort sein wie meines, und dann könntest du unmöglich dauernd gewinnen. Du gewinnst aber, was umgekehrt bedeutet, dass du mich nicht haben willst.« Okay, mir war klar, dass diese Argumentation ein bisschen löchrig war, aber im Moment fiel mir nichts anderes ein, um ihn abzulenken.

Er legte den Kopf schief. »Moment mal. Willst du ernsthaft behaupten, ich würde nur mit dir schlafen, weil ich dich nicht will?«

Natürlich musste er die Löcher auf Anhieb erkennen und mit dem Rammbock durchstoßen. Ich sah keine Möglichkeit, mit dieser Argumentationskette zu punkten, und läutete den Rückzug ein. »Jedenfalls will ich so oder so nicht mehr mit dir vögeln. Das solltest du respektieren.«

»Das werde ich auch. Sobald du Nein sagst.«

»Ich sage jetzt Nein.«

»Jetzt zählt es aber nicht. Du musst warten, bis ich dich berühre.«

»Wer hat diese hirnrissigen Regeln eigentlich aufgestellt?«, fauchte ich ihn frustriert an.

Er grinste. »Ich.«

»Schön, und ich werde mich nicht mehr daran halten, kapiert? Wende die Pfannkuchen.«

Er warf einen Blick in die Pfanne und wendete die Pfannkuchen. »Du kannst nicht einfach die Regeln ändern, nur weil du verlierst.«

»Kann ich wohl. Ich kann heimfahren und dich nie wiedersehen.«

»Du kannst nicht heimfahren, weil dich jemand umzubringen versucht.«

Auch wieder wahr. Kochend setzte ich mich an den Küchentisch, den er für zwei gedeckt hatte.

Er kam mit dem Pfannenheber in der Hand herüber, beugte sich vor und drückte einen warmen, weichen Kuss auf meinen Mund. »Du hast immer noch Angst, stimmt’s? Darum machst du so einen Aufstand.«

Dad konnte was erleben, wenn ich ihn wieder zu Gesicht bekam. Ich würde ihn lehren, Informationen ans feindliche Lager weiterzugeben.

»Ja. Nein. Egal. Trotzdem gilt das, was ich sage.«

Er wuschelte mir durchs Haar und widmete sich wieder den Pfannkuchen.

Mit ihm zu argumentieren brachte nichts, so viel war klar. Irgendwie musste ich so weit bei Sinnen bleiben, dass ich Nein sagen konnte, wenn er wieder anfing, aber wie sollte ich das schaffen, wenn er mich im Schlaf besprang? Bis ich wach genug war, um auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, war es längst zu spät, weil ich dann auf keinen Fall mehr Nein sagen wollte.

Er holte den Speck aus der Mikrowelle, teilte ihn auf und trug dann die gebutterten Pfannkuchen auf. Ehe er sich hinsetzte, schenkte er uns beiden Kaffee nach und holte mir noch ein Glas Wasser, damit ich das Antibiotikum und eine Schmerztablette hinunterspülen konnte.

»Und was soll ich heute machen?«, fragte ich noch, bevor ich über mein Frühstück herfiel. »Soll ich hier bleiben, während du zur Arbeit gehst?«

»Auf gar keinen Fall. Nicht, solange du deinen Arm nicht einsetzen kannst. Ich bringe dich zu meiner Mutter. Ich habe sie schon angerufen.«

»Cool.« Ich mochte seine Mutter und hatte den viktorianischen Kasten, in dem sie wohnte, schon immer von innen sehen wollen. »Ich nehme an, ich darf jederzeit mit meiner Familie telefonieren, oder?«

»Ich wüsste nicht, was dagegen spräche. Aber du kannst sie nicht besuchen, und sie dürfen dich auch nicht besuchen, weil sie diesen Typen sonst zu dir führen könnten.«

»Ich verstehe wirklich nicht, wieso ihr euch so schwer tut, ihn zu finden. Es muss ein Freund von Nicole sein.«

»Erzähl mir nicht, wie ich meine Arbeit tun soll«, warnte er mich. »Sie hatte keine feste Beziehung. Wir haben alle Männer überprüft, mit denen sie öfter zusammen war, aber die haben alle ein Alibi. Jetzt gehen wir anderen Hinweisen nach.«

»Drogen oder so stecken bestimmt nicht dahinter.« Ich ignorierte seine barsche Abfuhr, ihm nicht in die Arbeit zu reden.

Er sah auf. »Wie kommst du darauf?«

»Du weißt doch, dass sie Mitglied im Great Bods war. Sie zeigte keine Anzeichen von Sucht, und sie war gut in Form. Nicht exzellent. Einen Rückwärts-Flickflack hätte sie nie im Leben hinbekommen, aber sie war eindeutig nicht auf Drogen. Es muss einer ihrer Liebhaber gewesen sein. Nachdem sie alle Männer angemacht hat, könnte es durchaus eine Eifersuchtsgeschichte sein. Ich kann mit meinen Angestellten reden und sie fragen, ob ihnen was aufgefallen ist …«

»Nein. Halt dich da raus. Das ist ein Befehl. Wir haben deine Angestellten bereits vernommen.«

Verstimmt, dass er meine Vorschläge so rüde überging, aß ich schweigend fertig. Das gefiel ihm natürlich genauso wenig. Männer!

»Hör auf zu schmollen.«

»Ich schmolle nicht. Ich habe nur erkannt, dass es keinen Zweck hat, mit dir zu reden.«

Der Trockner bingte, und ich holte meine Sachen heraus, während er den Tisch abräumte. »Geh nach oben«, sagte er. »Ich komme gleich nach und helfe dir beim Anziehen.«

Er kam nach oben, während ich noch mal meine Zähne putzte, weil die nach dem Pfannkuchenessen immer so kleben, und stellte sich ans zweite Waschbecken. Mit ihm gemeinsam die Zähne zu putzen war ein komisches Gefühl. So was machen sonst nur Ehepaare. Ich fragte mich, ob ich eines Tages immer hier meine Zähne putzen würde, oder ob eine andere an meiner Stelle stehen würde.

Er ging in die Hocke, hielt mir die Caprihose hin, und ich stieg hinein, nicht ohne mich mit der gesunden Hand an seiner Schulter festzuhalten. Er zog den Reißverschluss hoch und schloss den Knopf, hob dann sein Hemd über meinen Kopf, legte mir den BH an und hakte ihn hinter meinem Rücken zu.

Obwohl meine Bluse praktischerweise keine Ärmel hatte, war der Verband so dick, dass er nur mit Mühe durch das Armloch passte. Als er den Stoff über die Mullbinde zerrte, biss ich die Zähne zusammen und dankte Dr. MacDuff im Stillen für seine Schmerzhämmer. Nachdem er die winzige Knopfleiste vorn an meiner Bluse zugeknöpft hatte, setzte ich mich auf die Bettkante und schlüpfte mit den Füßen in die Sandalen. So blieb ich sitzen und schaute ihm beim Anziehen zu. Der Anzug, das weiße Hemd, der Schlips. Schulterholster. Die Marke. Die Handschellen hinten an den Gürtel. Handy vorn an den Gürtel. O Mann. Mein Herz schlug Purzelbäume, wenn ich ihm nur zuschaute.

»Bist du so weit?«, fragte er.

»Nein. Ich bin noch nicht frisiert.« Ich hätte die Haare auch offen tragen können, da ich heute ja wohl auf keinen Fall trainieren würde, aber ich war immer noch sauer auf ihn.

»Okay.« Er holte die Bürste, und ich drehte ihm den Rücken zu, damit er meine Haare zu einem Pferdeschwanz bündeln konnte. Erst als er den ganzen Schopf in seiner Hand hielt, fragte er: »Und was tu ich da drum?«

»Einen Gummi.«

»Das ist nicht dein Ernst.«

»Natürlich ist das mein Ernst.«

»Ich flechte dir bestimmt keinen von meinen Gummis in die Haare.«

»Ich meine natürlich ein Haargummi, mit dem man einen Pferdeschwanz zusammenhält. O Mann.«

»Ich habe in letzter Zeit keinen Pferdeschwanz getragen«, meinte er trocken. »Tut’s auch ein Küchengummiband?«

»Nein! Gummibänder brechen die Haare. Es muss ein richtiges Haargummi sein.«

»Und woher kriege ich ein Haargummi?«

»Sieh mal in meiner Tasche nach.«

Hinter mir wurde es ganz still. Nach ein paar Sekunden ließ er ohne ein weiteres Wort meine Haare los und verschwand ins Bad. Jetzt, wo er mich nicht mehr sehen konnte, erlaubte ich mir ein Grinsen.

»Verflucht noch mal«, hörte ich ihn eine halbe Minute später. »Und wie sieht so ein Haargummi aus?«

»Wie ein Gummiband mit Frottee drum rum.«

Wieder Stille. Schließlich kam er mit meinem weißen Haargummi in der Hand aus dem Bad. »Ist es das hier?«

Ich nickte.

Er bündelte meine Haare wieder zu einem Pferdeschwanz.

»Du musst das Band über dein Handgelenk ziehen«, dirigierte ich ihn. »Dann kannst du es ganz leicht über den Pferdeschwanz streifen.«

Sein dickes Handgelenk dehnte mein kleines Haarband bis an die Grenzen seiner Belastungsfähigkeit, aber er hatte die Theorie sofort kapiert und meine Haare ohne weitere Verzögerung zu einem ordentlichen Pferdeschwanz frisiert. Ich ging kurz ins Bad, um das Ergebnis zu begutachten. »Sehr gut. Ich glaube, ich komme heute ohne Ohrringe aus, wenn es dir nichts ausmacht.«

Er verdrehte die Augen. »Herr, ich danke dir.«

»Sei nicht so sarkastisch. Schließlich war das deine Idee.«

Während wir die Treppe hinuntergingen, hörte ich ihn hinter mir murmeln: »Du kleine Ratte«, und grinste wieder vor mich hin. Sehr gut, er wusste also, dass ich mich gerächt hatte, denn wozu hätte ich sonst solche Zicken gemacht?