26
Es war fast drei Uhr früh. Ein Einsatzkommando aus mehreren Departments wartete in der Dunkelheit auf die Übergabe der jungen Russinnen. Polizisten aus Hillsboro, Deputies der Sheriffbüros aus dem Madison County sowie dem Jackson County, Beamte des FBI und der Einwanderungsbehörde hatten sich hinter Bäumen, Büschen, dem Propangastank und jedem anderen sich bietenden Sichtschutz verschanzt. Sie hatten die Einsatzfahrzeuge weit weg geparkt und waren mehr als eine Meile über ein Feld gewandert, bis sie den Wohnwagen erreicht hatten.
Glenn Sykes war schon dort, um dieselbe Rolle zu spielen wie immer. Falls irgendwer anders dort gewartet hätte, um die Lieferung zu übernehmen, hätte der Lasterfahrer wahrscheinlich Lunte gerochen; und da er bewaffnet war, wollte ihn niemand verschrecken. Die Mädchen hinten im Laster hatten auch so schon genug durchgemacht, ohne dass sie dem Risiko eines Querschlägers ausgesetzt wurden.
Jack lag unter einer riesigen Fichte, in schwarze Sachen gehüllt, die mit den Nachtschatten verschmolzen. Normalerweise hielten sich die Vorgesetzten bei solchen Einsätzen im Hintergrund, aber diesmal wollte niemand auf seine Erfahrung verzichten. Sykes’ Schilderungen zufolge kam der Fahrer normalerweise allein, aber die Russinnen waren so teuer gewesen, dass Philipps einen zusätzlichen Mann geordert hatte, um sicherzugehen, dass nichts schief lief. Den beiden Männern standen zwar fünfzehn Polizisten gegenüber, trotzdem bestand die Möglichkeit, dass einer von ihnen durchdrehte; Scheiße, davon konnte man praktisch ausgehen, wenn nicht alles wie am Schnürchen klappte und die Gesetzeshüter die beiden Bewacher überwältigt hatten, ehe die noch recht wussten, wie ihnen geschah.
In Jacks Armen lag ein schwarzes Gewehr. Er wusste genau, wie viel Druck er ausüben musste, um den Abzug auszulösen, und wie stark der Rückschlag ihn treffen würde. Er hatte schon tausende von Patronen durch den Lauf der Waffe gejagt; er kannte sie in- und auswendig, ihren Geruch, ihr Gewicht, ihre Eigenheiten. Sie war ihm wie eine alte Freundin, aber wie sehr er sie wirklich vermisst hatte, hatte er erst bemerkt, als er sie aus seinem Waffenschrank geholt und in seinen Armen gehalten hatte.
Sykes war in seinem Trailer, hatte die Lichter eingeschaltet und schaute fern. Sie hatten den Wohnwagen sorgfältig durchsucht, um sicherzugehen, dass er keine Verbindung zu dem Fahrer aufnehmen konnte, aber Jack war überzeugt, dass Sykes nicht einmal angerufen hätte, wenn ein Dutzend Telefone in seiner Bude gestanden wären. Er hatte ganz nüchtern entschieden, seine Verluste zu begrenzen, indem er mit ihnen kooperierte. Er würde sich an die getroffene Abmachung halten. Der Staatsanwalt hatte beinahe Freudentränen über das Beweismaterial vergossen, das Sykes ihm angeboten hatte, und mit ihm einen Deal ausgehandelt, den Sykes einfach nicht ausschlagen konnte. Er würde nicht einmal sitzen müssen; er würde mit fünf Jahren Bewährung wegkommen, was für einen Mann wie Sykes weniger als nichts war.
In der Ferne hörten sie über der Kakophonie der Frösche, Grillen und Nachtvögel einen Motor aufheulen. Jack spürte, wie ihm das Adrenalin in die Adern schoss, und gab sich alle Mühe, ruhig zu bleiben. Es wäre nicht klug, sich in die Sache hineinzusteigern.
Der Laster, ein sechssitziger Ford Pick-up mit einem Campingaufsatz auf der Ladefläche, bog in die Schottereinfahrt, und im selben Moment schaltete der Fahrer die Scheinwerfer aus. Es gab keinerlei Signal, kein Gehupe, kein kurzes Aufblenden. Stattdessen schaltete Sykes die Außenbeleuchtung ein, öffnete dann die Tür seines Wohnwagens, trat heraus und blieb auf der obersten der drei Stufen vor seiner Tür stehen.
Der Fahrer stellte den Motor ab und kletterte aus dem Führerhaus. »Hallo, Sykes.« Der zweite Mann blieb auf dem Beifahrersitz.
»Gab’s irgendwelche Probleme?«, fragte Sykes.
»Einem Mädel wurde es übel, es hat ein paar Mal gekotzt, aber wahrscheinlich nur, weil es die ganze Zeit im Aufsatz fahren musste. Hat aber trotzdem gestunken. Ich musste anhalten und hinten alles durchspritzen, damit die anderen nicht auch zu kotzen anfangen.«
»Dann schaffen wir sie mal rein, damit sie sich sauber machen können. Mr. Philipps kann es kaum erwarten, die Lieferung zu inspizieren.«
»Er wartet vor allem auf die Jüngste, stimmt’s? Ein hübsches kleines Ding, aber ausgerechnet sie hat so kotzen müssen, im Moment ist sie also nicht besonders fit.«
In der Ferne war ein zweites Auto zu hören, und die Polizisten erstarrten in ihren Verstecken. Der Fahrer wurde sichtbar nervös, doch Sykes machte eine beschwichtigende Geste. »Keine Panik«, sagte er leise. »Mach dir nicht ins Hemd, der fährt vorbei.«
Aber das Auto schien langsamer zu werden. Der Fahrer trat wieder ans Führerhaus, zog die Tür auf und rutschte halb hinein, bis er nur noch mit einem Bein auf dem Boden stand. Die Männer unter den Bäumen wussten, dass er sich eben bewaffnet hatte. Trotzdem bewahrten alle Ruhe und warteten ab, was wohl als Nächstes passieren würde.
Das Auto bog mit strahlend hellen Scheinwerfern in die Einfahrt. Sofort drückte sich Glenn Sykes an die Seite, um nicht geblendet zu werden, und hob die Hand an die Stirn, um die Augen abzuschirmen.
Das Auto, ein weißer Lexus, kam genau hinter dem Pick-up zum Stehen, und die Scheinwerfer erloschen. Ein Mann kletterte hinter dem Lenkrad hervor, ein großer Mann mit ergrauendem blondem Haar, das er straff aus der Stirn gekämmt hatte. Er trug einen Anzug, trotz der schwülen Wärme, und überhaupt, wer trug schon um drei Uhr morgens einen Anzug?
»Mr. Sykes«, sagte eine glatte Stimme mit jenem fleischigen Südstaatenakzent, den man oft in Filmen zu hören bekam. Nach zwei Jahren im Süden hatte Jack ein recht gutes Gehör für den Dialekt entwickelt und erkannte, dass der Mann nicht aus Nordalabama stammte. Irgendwie hörte er sich unecht an; er übertrieb.
»Mr. Philipps«, begrüßte Sykes ihn überrascht. »Wir hatten nicht mit Ihnen gerechnet.«
Das war nicht gelogen. Die Polizei von Scottsboro hatte Mr. Philipps nicht ausfindig machen können, obwohl man bei der Suche so wenig Aufsehen wie möglich erregt hatte. Bis Philipps in Gewahrsam war, wurde alles so unauffällig wie möglich gehandhabt, weil er nicht vorgewarnt werden und keine Gelegenheit bekommen sollte, Beweise zu vernichten oder gar aus der Stadt zu verschwinden. Er war reich genug, um sich irgendwo in Europa oder der Karibik niederzulassen, wenn es ihm angebracht erschien.
Sykes sah auf den Fahrer und seinen Begleiter. »Kein Problem, Mr. Philipps ist unser Auftraggeber.« Die beiden entspannten sich und stiegen aus dem Wagen. Ihre Hände waren leer; beide hatten die Waffen in der Kabine gelassen.
»In letzter Zeit ist ziemlich viel schief gelaufen«, sagte Philipps und ging dabei auf Sykes zu. »Ich wollte die Übergabe persönlich überwachen, damit auch ganz bestimmt alles klappt.«
In anderen Worten, er konnte es kaum erwarten, die Dreizehnjährige hinten im Pick-up in die Finger zu bekommen, dachte Jack, dessen Magen sich vor Ekel zusammenkrampfte. Er nahm Philipps ins Visier, weil dessen Auftauchen eine unerwartete Wendung war und weil Jack die Erfahrung gemacht hatte, dass jede unerwartete Wendung Ärger bedeutete.
»Diesmal geht garantiert alles glatt«, versicherte Sykes ganz ruhig.
»Davon bin ich überzeugt«, gurrte Philipps und zog eine Pistole aus seiner rechten Jackentasche. Er zielte und feuerte auf Sykes, ehe einer der Männer reagieren konnte; Sykes wurde gegen den Wohnwagen geschleudert und purzelte dann die Stufen hinunter.
Jacks Finger zog sacht den Abzug durch. Sein Schuss traf genau ins Ziel, und Philipps brach schreiend zusammen.
Schlagartig war der Teufel los.
Für einen nicht Eingeweihten hätte die Explosion von Lärm, Licht und Hektik, in der die schwarz gekleideten, schwer bewaffneten Männer aus ihren Verstecken stürmten, »Polizei! Hände hoch!« brüllten oder sich als FBI-Agenten auswiesen - je nachdem -, wie ein einziges Furcht erregendes Chaos gewirkt. Für Jack war es ein durchorganisierter Einsatz, den sie immer wieder durchgesprochen und geprobt hatten, bis jeder Beteiligte genau wusste, was er zu tun und zu erwarten hatte. Die beiden noch stehenden Männer wussten es ebenfalls: Beide erstarrten und hoben automatisch die Arme, um die Hände hinter den Köpfen zu verschränken.
Die kleinen Russinnen im Campingaufsatz gerieten in Hysterie, sie schrien und heulten und versuchten zu entkommen, indem sie gegen die verriegelte Tür trommelten. Der Beamte der Einwanderungsbehörde nahm dem Fahrer den Schlüssel ab, öffnete die Tür und taumelte zurück, weil ihm ein bestialischer Gestank entgegenschlug. In panischer Angst stürzten die Mädchen aus ihrem Gefängnis, tretend und kratzend, sobald einer der Polizisten sie festhalten wollte.
Einem Mädchen gelang es, die Reihen zu durchbrechen und in rasendem Tempo die Landstraße entlangzurennen, bis es aus schierer Erschöpfung ins Straucheln kam und hinfiel; der Beamte der Einwanderungsbehörde, der ihm nachgelaufen war, hob es auf und trug es wie ein Baby auf den Armen zurück, während es unter Schluchzen auf Russisch alles zu erklären versuchte. Da die Einwanderungsbehörde vorgewarnt worden war, hatte man auch eine Russisch-Dolmetscherin zur Hand, die sich alle Mühe gab, die Mädchen zu beruhigen, indem sie unermüdlich dieselben Sätze wiederholte, bis die Russinnen ihr endlich zuzuhören begannen.
Es waren insgesamt sieben, und keine war älter als fünfzehn. Sie waren dürr, verdreckt, erschöpft. Laut Sykes war zumindest keine von ihnen missbraucht worden; alle waren Jungfrauen und sollten für absurd hohe Summen an Verbrecherbanden verhökert werden, die wiederum kranken, reichen Drecksäcken noch mehr Geld dafür abknöpfen würden, dass sie das Privileg zugestanden bekamen, die Mädchen als Erste zu vergewaltigen. Danach würden die Mädchen auf den Strich geschickt und an weitere Banden weiterverkauft, die sie eine Weile arbeiten lassen und dann weitergeben würden. Keine Einzige von ihnen sprach Englisch; allen hatte man weisgemacht, dass ihre Familien in Russland erschossen würden, wenn sie sich nicht fügten.
Die Dolmetscherin der Einwanderungsbehörde erklärte ihnen immer wieder, dass ihren Familien nichts zustoßen würde und dass sie bald wieder heimkehren könnten. Schließlich hatten sich die Mädchen so weit beruhigt, dass sie, zu Tode erschöpft, nicht mehr ausschließen wollten, dass die Dolmetscherin die Wahrheit sagte. Nach ihrem Leidensweg, nach der endlos langen, unter brutalen Bedingungen durchgestandenen Reise von Russland hierher fiel es ihnen schwer, irgendjemandem zu vertrauen. Eingeschüchtert durch die kreiselnden Lichter der anrückenden Krankenwagen, drängten sie sich ängstlich aneinander, machten aber keine Anstalten mehr zu fliehen.
Jack stand halb über Sykes gebeugt, als die Sanitäter die Verwundeten versorgten. Aus Sykes’ Brustkorb sickerte Blut, das seine ganze linke Seite durchtränkte, aber er war bei Bewusstsein und verfolgte mit aschgrauem Gesicht, wie die Sanitäter ihn zu stabilisieren versuchten. Im Hintergrund waren Philipps’ Schreie zu einem gutturalen Stöhnen herabgesunken. Unter Schock sah Sykes mit glasigen Augen zu Jack auf. »Wird … wird er durchkommen?«
Jack sah über die Schulter auf die Sanitäter, die sich um Philipps drängten. »Möglich. Wenn er nicht an Blutvergiftung eingeht. Ich habe die Baucharterie verfehlt, aber Schüsse in den Geschlechtsbereich können ziemlich übel enden, wenn dabei der Dickdarm verletzt wird.«
»Geschlechtsbereich …« Sykes brachte beinahe ein Lächeln zustande. »Sie haben … ihm die Eier weggeschossen.«
»Ich habe nicht nachgesehen. Aber falls überhaupt noch was da ist, dann wird er es kaum noch gebrauchen können.«
Sykes schnappte nach Luft, und der Sanitäter erklärte: »Wir haben über Funk einen Helikopter für ihn angefordert«, womit klar war, dass jede Sekunde zählte, wenn Sykes’ Leben gerettet werden sollte.
»Ich werde … noch ganz groß … rauskommen«, flüsterte Sykes, und Jack erkannte mit einem Blick auf den Liegenden, dass Sykes, falls ihn seine Willenskraft am Leben erhalten würde, um jeden Preis in der Verhandlung gegen Nolan und Philipps aussagen wollte.
Um sechs Uhr dreizehn schlurfte Jack zurück in sein Büro. Er war nicht zu Hause gewesen, er hatte nicht geduscht, und er trug immer noch sein schwarzes Gewehr im Arm. So müde war er nicht mehr gewesen, seit … Scheiße, seit er das letzte Mal das Gewehr in der Hand gehabt hatte, aber gleichzeitig war er euphorisch. Er wollte nur noch ein paar Kleinigkeiten erledigen und dann heimfahren zu Daisy.
Sykes und Philipps wurden bereits im Krankenhaus von Huntsville operiert, aber selbst wenn Sykes nicht durchkommen sollte, hatten sie genug in der Hand, um gegen die Übrigen vorzugehen.
Die Informationen waren nur so aus Sykes herausgesprudelt. Mitchell war umgebracht worden, weil er die Angewohnheit hatte, Mädchen mit GHB flachzulegen; zwei von ihnen waren dabei gestorben, darum hatte Nolan beschlossen, dass Mitchell beseitigt werden musste. Als Sykes nach den Drogen gefragt wurde, hatte er die Namen aller ihm bekannten Dealer heruntergerasselt. Aufgrund von Sykes’ Aussagen waren in zehn weiteren Fällen Ermittlungen eingeleitet worden.
Nachdem sich Jack von Todd alle Einzelheiten hatte geben lassen, fragte er Sykes, ob er etwas über die Frau wisse, der man im Buffalo Club GHB verabreicht hatte und die im Anschluss von mindestens sechs Männern vergewaltigt worden war. Auf diese Frage wusste allerdings selbst Sykes keine Antwort; Jack glaubte nicht, dass es je eine Antwort geben würde.
Als er seine Bürotür öffnete, starrte er fassungslos auf Eva Fay, die an ihrem Schreibtisch saß. Sie blickte auf und streckte ihm eine Tasse mit frischem, heißem Kaffee hin. »Hier, Sie sehen aus, als könnten Sie einen brauchen.«
Er nahm erst die Tasse und dann einen kleinen Schluck. Jawohl, der Kaffee war so frisch, dass er noch die Bohnen riechen konnte. Er beäugte seine Sekretärin über den Tassenrand hinweg. »Also gut, Eva Fay, raus mit der Sprache, wie machen Sie das?«
»Was?« Sie sah ihn erstaunt an.
»Woher wissen Sie, wann ich reinkomme? Wie schaffen Sie es, dass Sie immer frischen Kaffee für mich haben? Und was zum Teufel tun Sie hier um Viertel nach sechs am Morgen?«
»Gestern war viel los«, erklärte sie. »Mir ist viel liegen geblieben, deshalb bin ich heute früher gekommen.«
»Und jetzt erklären Sie mir das mit dem Kaffee.«
Sie sah ihn lächelnd an. »Nein.«
»›Nein‹? Was soll das heißen, ›Nein‹? Ich bin Ihr Vorgesetzter und verlange eine Erklärung.«
»Zu dumm«, beschied sie und drehte sich wieder ihrem Computerbildschirm zu.
 
Er wusste, dass er eigentlich erst heimfahren und sich frisch machen sollte. Er musste unbedingt schlafen. Aber noch dringender musste er Daisy sehen, in der Gesellschaft einer Frau sein, die nie im Leben in einer Feuerwehreinfahrt parken oder auch nur bei Rot über die Straße gehen würde. Nachdem er so tief im Schmutz und in menschlichem Abschaum gewühlt hatte, vermisste er ihre Sauberkeit, ihre unkomplizierte Güte. Und obwohl er wusste, dass ihr nichts fehlte, musste er sie sehen, seinem Verstand durch seine Augen Gewissheit verschaffen. Er konnte nicht genau sagen, wann sie so wichtig für ihn geworden war, aber es gab eben Dinge, gegen die ein Mann nicht ankämpfen konnte. Außerdem konnte er auch bei ihr duschen.
Schon beim ersten Klopfen riss sie die Tür auf. »Ich habe deinen Wagen gehört«, sagte sie und musterte ihn dann von Kopf bis Fuß. »Meine Güte.«
»Das geht beim Waschen ab«, versicherte er und verschmierte dabei die Reste der schwarzen Tarnfarbe auf dem Gesicht. Auf der Toilette der Polizeistation hatte er sich schon notdürftig mit Papierhandtüchern gesäubert, aber dort hatte es keine Seife gegeben, und zu diesem Zweck brauchte man ganz eindeutig Seife.
Sie fixierte ihn zweifelnd. »Na hoffentlich.«
Sie trug Midas im Arm, und der Welpe strampelte mit Leibeskräften, um zu ihm zu gelangen. Midas war es egal, wie er aussah, dachte Jack und streckte die Hand aus, um den kleinen Flauschball auf den Arm zu nehmen. Midas begann wie üblich hektisch an ihm herumzulecken, und Daisy sah ihn ernst an. »Ich weiß nicht, ob du ihm das erlauben solltest«, meinte sie.
»Warum nicht? Er macht das doch immer so.«
»Schon, aber sonst hast du im Gesicht nicht dieses … Zeug. Ich möchte nicht, dass er sich den Magen verdirbt.«
Jack hatte kurz eine Vision, wie er Daisy packte und das Zeug auf ihrem Gesicht verteilte, aber wahrscheinlich würde sie ihm eher eine knallen. Sie sah zum Anbeißen aus, dachte er, mit dem zerzausten Blondhaar und den verschlafenen, verschiedenfarbigen Augen. Ihre Haut wirkte frisch und rein, und der dünne rosa Morgenrock war beinahe dick genug, um zu verheimlichen, dass sie darunter nichts als ein Höschen trug.
»Ich dachte, du würdest gern wissen, dass die Sache glatt gelaufen ist.«
»Ich weiß. Todd hat mich schon angerufen.«
»Todd.« Er knurrte. Er mochte Todd, er vertraute ihm sogar, aber plötzlich spürte er einen heißen, eifersüchtigen Stich. Daisys lockere Freundschaft mit Todd behagte ihm nicht, weil er im Gegensatz zu ihr nicht an dessen sexueller Orientierung zweifelte.
»Steh nicht da wie fest gewachsen, komm rein«, befahl sie, nahm ihm Midas ab und setzte den Welpen auf den Boden, der zügig auf der Suche nach einem Spielzeug loshoppelte. »Du gehst jetzt erst mal duschen, während ich Frühstück mache.«
Das hörte sich himmlisch an. Schon während er in Richtung Bad loslief, begann er seine Sachen auszuziehen, allerdings hatte er seine Sinne noch so weit beisammen, dass er alles mitnahm und nicht auf dem Boden liegen ließ, wo es von scharfen Welpenzähnen in Fetzen gerissen werden konnte. Plötzlich ließ ihn ein unwiderstehlicher Drang, alles zu regeln und festzuklopfen, in der Tür innehalten. »Daisy.«
Sie blieb in der Küchentür stehen. »Ja?«
»Weißt du noch, was wir abgemacht hatten?«
»Was denn?«
»Dass ich dich heiraten werde, wenn du schwanger wirst.«
Ihre Wangen leuchteten rosa auf. Es bezauberte ihn, dass sie so leicht rot wurde. »Natürlich weiß ich das noch. Wenn du abgelehnt hättest, hätte ich nichts mit dir angefangen. Man muss schließlich Verantwortung zeigen, und wenn du glaubst, du könntest dich im Nachhinein drücken …«
»Lass uns am Wochenende nach Gatlinburg fahren und heiraten.«
Die Augen fielen ihr fast aus den Höhlen, und ihr Mund blieb vor Überraschung offen stehen. »Aber ich bin doch gar nicht schwanger. Jedenfalls glaube ich das nicht … Es war doch nur ein einziges Mal und …«
»Dann probieren wir es eben noch mal«, meinte er achselzuckend. »Falls du darauf bestehst, dass du mich nur schwanger heiratest.«
»Meine Güte, natürlich nicht! Soll das heißen, du willst wirklich …«
»O ja«, bestätigte er leise. »Ich will.«
Midas kam wieder ins Wohnzimmer gesprungen, eine Tischdecke hinter sich herschleifend. Daisy bückte sich, hob ihn hoch und nestelte das Tischtuch aus seinen Zähnen. »Und du hättest nichts dagegen, Kinder zu bekommen? Weil ich nämlich unbedingt Kinder haben möchte und du so entsetzt reagiert hast, als ich dich gefragt habe, ob du welche hast.«
»Ich war entsetzt über die Vorstellung, ich hätte Kinder mit meiner Ex.«
»Ach so. Gut.«
Doch sie enthielt ihm ihre endgültige Antwort vor, blieb lediglich nur leicht verlegen stehen, bis er sich Sorgen zu machen begann. Schließlich ließ er das Hemd auf den Boden fallen und ging zu ihr. Er legte einen Arm um ihre Taille, zog sie zu sich her und setzte die andere Hand an ihren Hals, um mit dem Daumen ihr Kinn ganz sacht nach oben zu drücken. »Ich weiß, dass ich schmutzig bin und stinke«, sagte er, »aber ich lasse dich nicht eher los, bevor ich die Antwort bekommen habe, die ich möchte.«
»Nicht nur irgendeine Antwort, sondern diejenige, die du möchtest, wie?«
»Ganz genau.«
»Ich habe eine Frage.«
»Dann frag.«
»Liebst du mich?« Sofort wurde sie wieder rot. »Anfangs dachte ich, du bist überhaupt nicht mein Typ, aber irgendwie war das egal. Je länger ich mit dir zusammen war, desto öfter wollte ich mit dir zusammen sein, und ich würde dich für mein Leben gern heiraten, aber wenn du nicht das Gleiche empfindest wie ich, dann sollten wir lieber nicht heiraten, finde ich.«
»Ich liebe dich«, bestätigte er unverblümt. »Deutlicher kann ich es nicht sagen. Und, heiratest du mich jetzt?«
Sie strahlte ihn an, mit jenem Millionen-Watt-Lächeln, das ihm schon aufgefallen war, als er sich das erste Mal mit ihr unterhalten hatte, damals, als er in die Bücherei gekommen war, um sich für die virtuelle Bibliothek registrieren zu lassen. Dieses Lächeln setzte ihm viel mehr zu, als die blonden Haare und das Make-up es je gekonnt hätten. »Ja, danke.«
Da musste er sie einfach küssen. Und als er seine Lippen von ihren löste, war er längst nicht mehr so müde wie bei seiner Ankunft. Er begann sie in Richtung Treppenhaus zu zerren. »Vergiss das mit dem Frühstück. Komm mit unter die Dusche.«
»Midas …«, setzte sie an und sah sich ängstlich nach dem kleinen Dämon um.
»Den nehmen wir mit.« Jack hob ihn hoch und löste sein Hemd aus dem Welpenmäulchen. »Der hat auch ein Bad nötig.«
»Hat er nicht. Außerdem glaube ich nicht, dass ich es machen kann, wenn er mit uns in der Badewanne sitzt und zuschaut.«
»Ich verbinde ihm die Augen.« Er zerrte sie ins Bad.
»Das wirst du nicht!«
»Dann schließen wir einfach die Tür ab und lassen ihn auf dem Boden spielen.« Er ließ seinen Worten Taten folgen, nachdem er zu dem Schluss gekommen war, dass ein paar ungestörte Minuten ihm ein geopfertes Hemd wert war. Kaum hatte er es fallen gelassen, hechtete Midas darauf.
Daisy bückte sich sofort, um es ihm wieder abzunehmen, aber Jack hielt sie zurück und befreite sie behände von Morgenmantel und Höschen, um sie anschließend in die Badewanne zu heben. Er stieg aus seinen restlichen Kleidern und ließ sie ebenfalls fallen. Sollte Midas sich doch austoben.
Er kletterte zu ihr in die Wanne, stellte das Wasser an, drehte, als es heiß war, die Dusche auf und schirmte Daisy mit seinem Körper ab, bis der anfangs eiskalte Strahl warm geworden war. Als er sie anschließend hoch hob, legte sie mit ernster Miene die Arme um seinen Hals. »Könnten wir es nicht gleich versuchen?«
Vielleicht war er zu müde, um noch klar denken zu können, oder er war einfach zerstreut. »Was versuchen?«
»Ein Kind zu machen«, flüsterte sie ärgerlich und schnappte im nächsten Moment nach Luft, als er sich in sie versenkte. Blitzartig wurden ihre Augen glasig, und ihr Kopf fiel zurück, als sei er unvermittelt zu schwer geworden für ihren Hals.
»Süße«, versprach er, »du wirst nie wieder einen Partypack kaufen müssen.«