22
»Und wo genau willst du mich hinpacken?«, fragte
Daisy, als sie wieder im Auto saßen. »Vergiss nicht, ich habe den
Hund dabei.«
»Als könnte ich das je vergessen«, grummelte Jack.
»Es gefällt mir gar nicht, dich irgendwo hinzupacken, aber es ist
am sichersten so. In manchen Motels sind Haustiere erlaubt. Ich
werde mal beim AAA anrufen und mich erkundigen.«
»Ich habe nichts zum Anziehen dabei«, bemerkte sie.
»Und auch keine Bücher.«
»Ich werde jemanden zu dir nach Hause schicken, der
dir ein paar Sachen einpackt.«
Sie ließ sich das durch den Kopf gehen. »Dann
schick Todd. Der weiß, was er aussuchen muss.«
»Ich habe dir doch gesagt, dass Todd nicht schwul
ist.«
»Ist mir egal. Er weiß, was zusammenpasst und
welche Schminksachen er mitnehmen muss.«
»Eva Fay -«
»Todd.«
»Na gut«, gab er sich halblaut geschlagen. »Dann
schicke ich eben Todd hin.«
Wie sich herausstellte, brauchte er gar nicht beim
Automobilclub anzurufen, um ein Motel ausfindig zu machen, in dem
Haustiere erlaubt waren; sie fuhren an einem Neubau vorbei, der
eben erst an der I-565 errichtet worden war, bogen ein, fragten
nach, und tatsächlich gab es zwei Räume für Gäste mit Haustieren.
Beide Zimmer waren zurzeit frei, darum entschied Jack sich für
jenes, das nach hinten zeigte. Er checkte Daisy unter falschem
Namen ein - sie heiße jetzt Julia Patrick, teilte er ihr mit, als
er wieder einstieg und um das Gebäude herum zu ihrem Zimmer
fuhr.
Er schloss die Tür auf und trug Midas’ Sachen
hinein, während Daisy den Welpen einen Rasenfleck beschnüffeln und
einen Schmetterling jagen ließ. Er war noch zu jung, um lange zu
jagen; nach wenigen Minuten ließ er sich zum Ausruhen auf den Bauch
plumpsen. Die Hitze war unerträglich, viel zu drückend, um ihn in
der prallen Sonne spielen zu lassen. Sie trug ihn in den angenehm
kühlen Raum, gab ihm Wasser zu trinken, und er ließ sich mit einem
müden Seufzen auf seiner Decke nieder.
»Ich bringe heute Abend deine Sachen vorbei«,
versprach er. »Wann genau, weiß ich nicht, aber ich rufe vorher an.
Du öffnest niemandem außer mir die Tür!«
Sie ließ sich auf das King-Size-Bett sinken. »Schon
gut.« Sie
würde ihn nicht anbetteln, bei ihr zu bleiben, obwohl sie das
liebend gern getan hätte. Schon den ganzen Tag hatte sie auf seine
starke Schulter vertraut, begriff sie, und einfach alles ihm
überlassen. Natürlich war Mord sozusagen sein Fachgebiet; er
wusste genau, was zu tun war.
Sie wollte ihn fragen, wie lange sie hier bleiben
musste, aber das war eine dumme Frage: natürlich wusste er das
genauso wenig wie sie. Womöglich würde Morrison Lemmons und Calvin
im Nu auftreiben - womöglich hatten die beiden schon die Stadt
verlassen. Womöglich würden Jacks Kollegen auch Sykes auftreiben,
oder eben auch nicht. Womöglich entsprach Jennifer Nolans Aussage
den Tatsachen, aber andererseits wusste die ganze Stadt, dass sie
trank; wenn sie auch heute Morgen getrunken hatte, würde das ihre
Aussage in Zweifel ziehen. Alles hing in der Schwebe.
Jack war ihr ein Fels in der Brandung gewesen.
Irgendwie wäre Daisy bestimmt auch ohne ihn zurechtgekommen, aber
es war ausgesprochen angenehm gewesen, dass er alle weiteren
Schritte geplant hatte, dass er ihre Familie in Sicherheit gebracht
hatte, dass er sich um Midas gekümmert hatte, während sie sich
durch einen Berg von Karteifotos wühlte.
Er setzte sich neben sie, legte den Arm um ihre
Schulter und drückte sie. »Geht’s?«
»Ich fühle mich ein bisschen überfahren«, gab sie
zu. »Das kommt mir alles so … unwirklich vor. Ich habe zugesehen,
wie ein Mann umgebracht wurde, und es nicht mal bemerkt.«
»Man rechnet nicht damit, einen Mord zu beobachten.
Wenn es nicht gerade zu einer Schießerei oder einem Kampf auf Leben
und Tod kommt, würden die meisten Menschen nichts bemerken. So
etwas liegt außerhalb ihrer persönlichen Erfahrungen.« Er hob ihr
Kinn an und küsste sie. »Ich bin froh, dass es außerhalb deiner
Erfahrungen lag«, murmelte er.
Bis er sie küsste, hatte sie gar nicht gemerkt, wie
sehr sie sich nach ihm verzehrte, nach seiner Berührung, seinem
Geschmack,
dem heißen, männlichen Geruch. »Geh noch nicht gleich.«
»Ich muss«, antwortete er, aber ohne aufzustehen.
Stattdessen schloss sich sein Arm fester um sie, und seine andere
Hand glitt unter ihre Brüste, streichelte sie und begann
schließlich ganz langsam ihre Bluse aufzuknöpfen. Daisy schloss die
Augen, weil sich in ihr ein unglaubliches Wohlgefühl ausbreitete,
das sie nach den überstandenen Anstrengungen umso intensiver
empfand. Kurzfristig, solange er sie berührte, konnte sie vergessen
und sich entspannen.
Sie zerrte sein T-Shirt aus dem Hosenbund, schob
die Hände darunter und presste ihre Handflächen gegen seine
kräftigen Rückenmuskeln.
»Na gut, schon überzeugt«, flüsterte er, zog das
Hemd über den Kopf und stand auf, um den Gürtel zu lösen. Jeans,
Unterhose, Socken und Schuhe wurden in einer einzigen ungestümen
Bewegung abgestreift und landeten auf dem Boden, während er, Daisy
mit sich reißend, auf das breite Bett krachte. Ihre Sandalen
plumpsten auf den Teppichboden. Er befreite sie von Bluse und BH,
die er gemeinsam in Richtung Kommode an der Wand gegenüber
schleuderte.
Während er Küsse auf ihren Bauch drückte, öffnete
er zugleich den Reißverschluss ihres Jeansrocks und schälte ihn von
ihren Hüften, bewegte sich dann weiter aufwärts zu ihren Brüsten
und sog an ihren Nippeln, bis sie fest und rot waren und
hervorstanden wie Himbeeren. Ihr war schwindlig, aber sie hungerte
nach mehr. Sie konnte einfach nicht genug von ihm bekommen, der
Drang, ihn anzufassen, war unersättlich, jede einzelne Berührung
ließ sie nach mehr verlangen.
»Ich bin dran«, sagte sie, gegen seine Schultern
drückend.
Gehorsam rollte er sich auf den Rücken und legte
den Arm über die Augen. »Du bringst mich noch um«, prophezeite er
murmelnd.
»Vielleicht auch nicht.«
Voller Enthusiasmus angesichts der sich bietenden
Möglichkeiten umfasste sie mit beiden Händen seinen Hodensack,
spürte die schwere, weiche Haut und die festen Hoden darunter. Sie
wühlte ihr Gesicht zwischen seine Beine, inhalierte seinen
Moschusduft und ließ ihre Zunge vorschnellen, um ihn zu probieren.
Sein Penis zuckte an ihrer Wange, als wollte er sie necken, darum
drehte sie den Kopf zur Seite und nahm ihn in den Mund.
Stöhnend wühlte er die Hände ins Laken.
Sie kannte keine Gnade, nicht dass er welche
erbeten hätte. Sie schmeckte ihn, sie leckte ihn und streichelte
ihn, bis sein mächtiger Körper sich vor Anspannung in einem Bogen
über der Matratze wölbte. Unvermittelt hielt sie inne, richtete
sich auf und verkündete: »Das reicht.«
Ein fast unmenschlicher Laut stieg grollend aus
seinem Brustkorb auf, dann schnellte er plötzlich hoch, packte sie,
schleuderte sie auf die Matratze und war praktisch im selben Moment
über ihr. Sie lachte, als er wie rasend das Höschen über ihre Beine
zerrte und ihre Beine teilte, um sich dazwischen niederzulassen und
zu einem langen, kräftigen Stoß anzusetzen, mit dem er sich bis zur
Wurzel in ihr Innerstes versenkte und ihr Lachen in einem Stöhnen
enden ließ. Sie zog die Beine an, umklammerte damit seine Hüften,
um sowohl die Festigkeit seiner Stöße als auch ihre ungestüme
Reaktion unter Kontrolle zu halten. Sie wollte jede Sekunde bis zur
Neige auskosten, sie wollte nicht Hals über Kopf auf den Höhepunkt
zuschießen, aber trotz alledem spürte sie bereits, wie sich
zunehmend die explosive Spannung in ihr aufstaute.
Die Muskeln vor Anstrengung vorgewölbt, hielt er
unvermittelt inne. »Scheiße«, zischte er zwischen
zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich hab das Kondom
vergessen.«
Ihre Blicke trafen sich; seine Augen waren zu
Schlitzen verengt, weil er es nur unter Qualen schaffte, seinem
Körper seinen Willen aufzuzwingen. Ihre dagegen waren in
plötzlichem Erschrecken aufgerissen.
Seine Hüften rotierten langsam, als könnte er
keinen Sekunde lang still halten. »Soll ich aufhören?« Sein Gesicht
war zu einer Grimmasse verzerrt, weil es ihn fast übermenschliche
Anstrengung kostete, ihr dieses Angebot zu machen. Schweiß glänzte
ihm auf Stirn und Schultern, der Klimaanlage zum Trotz, aus der
eisige Luft auf das Bett wehte.
Ihr gesunder Menschenverstand sagte Ja. Ihr
ausgeprägtes Verantwortungsgefühl sagte Ja. Es war töricht, dieses
Risiko einzugehen, beziehungsweise ein noch größeres Risiko, als
sie ohnehin schon eingegangen waren, als er ohne Kondom in sie
eingedrungen war. Gleichzeitig aber verzehrte sich ein
unüberhörbarer, primitiver Instinkt in ihr danach, ihn in ihrem
Inneren zu spüren, und wie von selbst formten ihre Lippen das Wort
Nein.
Seine Beherrschung hielt nicht länger. Er begann
sie zu sto ßen, tief, fest, immer und immer wieder, bis das, was
als schlichter Genuss begonnen hatte, sich zu etwas anderem
steigerte, etwas Unfassbarem, etwas Überwältigendem. Daisy
klammerte sich mit aller Kraft an ihn, sie konnte gar nicht anders,
denn mit jenem einen Wort hatte sie alles eingefordert, was er ihr
geben konnte, und musste sich darum auch selbst ganz und gar
öffnen. In unbändiger Lust bog sie ihren Rücken durch, ihre Hacken
bohrten sich in seine Schenkel, tief in ihr wallte ein Schauer auf,
der sich in immer mächtigeren, alles erschütternden Wellen durch
ihren Körper ausbreitete. Eine winzige Ewigkeit lang konnte sie
nicht mehr atmen, nicht mehr denken, war sie auf einem Gipfel der
Empfindungen gefangen, die so scharf und eindringlich waren, dass
die Welt um sie herum verschwamm. Nach einer Weile verblassten sie,
und ihr Leib erschlaffte wieder, Muskel für Muskel, bis Beine und
Arme schließlich zur Seite fielen und ihn frei gaben, sodass er
sich ungehindert und mit kräftigen Bewegungen zum Orgasmus stoßen
konnte.
Sein massiger Körper presste sie danach in die
Matratze,
aber sie brachte weder die Kraft noch den Willen zum Protest auf.
Jeder seiner Muskeln war erschlafft, sein Herz hämmerte gegen ihre
Rippen, sein Atem stieg schwer keuchend aus seinen Lungen. Möglich,
dass sie eindösten; die Zeit selbst schien sich aufzulösen.
Nach einer Weile zog er sich mit einem
angestrengten Stöhnen aus ihr zurück und kam an ihrer Seite zu
liegen, um sie in den Armen zu halten. Daisy schmiegte ihr Gesicht
in seine Halsbeuge und spürte der Feuchtigkeit zwischen ihren
Beinen nach. Vielleicht war die Katastrophe schon passiert. Nur
fühlte es sich nicht an wie eine Katastrophe; es fühlte sich … gut
an.
Liebevoll streichelte er sie. Sie suchte nach
irgendeiner Bemerkung, aber es war, als gäbe es nichts zu
sagen, als wären alle Worte überflüssig. Sie musste sich nur
darüber klar werden, was sie beide verband, denn ihr war
aufgegangen, dass dies hier viel mehr war als eine einfache
Affäre.
Das war doch nicht möglich. Oder?
»Mann, ich muss zurück ins Büro«, murmelte er.
»Nicht zu glauben, dass ich mich so ablenken lasse.«
»Fünf Minuten hin oder her machen bestimmt keinen
gro ßen Unterschied«, tröstete sie ihn.
Er schlug ein Auge auf und peilte sie durchdringend
an. »Fünf Minuten? Pardon, Madam. Aber ich habe schon als
Sechzehnjähriger länger als fünf Minuten durchgehalten.«
Sie wand sich in seiner Umarmung, bis sie die Uhr
auf dem Nachttisch lesen konnte. Das Problem war, dass sie nicht
wusste, ob sie eingedöst waren oder nicht, darum widersprach sie
ihm lieber nicht. »Also gut, eine Stunde hin oder her macht
bestimmt keinen …«
»Eine Stunde! Scheiße!«
Er stürzte aus dem Bett und ins Bad. Sie hörte
etwas plätschern, dann die Toilettenspülung, und im nächsten Moment
kam er wieder heraus und stürmte zum Fußende des Bettes, wo
er seine Kleider auf den Boden geworfen hatte. Er bückte sich und
erstarrte.
Von seiner Miene aufgeschreckt, stützte Daisy sich
auf die Ellbogen.
Im selben Augenblick sah er wieder auf und
verkündete seelenruhig: »Dein Hund hat meine Unterhose
gefressen.«
Sie gab sich redlich Mühe, nicht zu lachen; sie gab
sich wirklich alle Mühe. Ungefähr eine Sekunde lang hielt sie
durch; dann wurde sie wie von kleinen Erdbebenwellen erschüttert.
Kaum hatten die Wellen sich freie Bahn gebrochen, verwandelte sich
ihr Kichern in ein lautes Lachen, das sie so durchschüttelte, dass
sie sich auf die Seite wälzen und ihren Bauch halten musste, als
könnte sie dem Lachen dadurch Einhalt gebieten.
Er bückte sich, hob den kleinen Hund hoch und hielt
ihn vor sein Gesicht. Midas war eindeutig überführt, denn aus
seinem Maul hingen noch dunkelgrüne Boxershorts-Fetzen. Er schien
hoch erfreut über seine Tat zu sein, denn er wedelte wie aufgespult
mit dem Schwanz und zappelte aufgeregt mit den Pfoten, in dem
Versuch, sich Jacks Gesicht auf Abschleck-Distanz zu nähern.
Jack sagte: »Wuschel, du bist eine Pest.« Aber er
sagte es ganz liebevoll und drückte den Welpen dabei gegen seine
Brust, während er zugleich die Fetzen aus dem Mäulchen
zupfte.
Daisy schaute auf den kleinen Welpen und den großen
nackten Mann, der ihn so liebevoll hielt, und ihr wollte fast das
Herz aus der Brust springen. Es hatte sich schon so was angedeutet,
aber in diesem Moment war ihr klar, dass sie sich unwiderruflich
und bis über beide Ohren in Jack verliebt hatte.
Nein, das war nicht nur eine Affäre, jedenfalls
nicht für sie. Es war viel, viel mehr.
Er setzte Midas auf dem Bett ab und überließ es
Daisy, den Kleinen beschäftigt zu halten, bis er sich angezogen
hatte. Während Daisy sich gegen die übergroßen Pfoten und die
hektisch
leckende Zunge zur Wehr setzte, beobachtete sie unter eindeutig
unsittlichen Tagträumen, wie die Jeans über seinen nackten Hintern
glitt.
Sobald er angezogen war, beugte er sich vor und
küsste sie, allerdings wurde es ein längerer und innigerer Kuss,
als beide beabsichtigt hatten. Als er sich wieder aufrichtete,
glühten auf ihren Wangen hektische Flecken, und seine Augen waren
schon wieder schmal geworden. »Du bist gefährlich«, raunte
er.
»Ich liege doch nur auf dem Bett.« Sie erwischte
Midas dabei, wie er sich am Laken zu schaffen machte, schimpfte:
»Nein!«, und löste den Stoff wieder aus seinem Maul.
»Meine Rede. Eine nackte Frau und ein flauschiges
Hündchen; könnte ein Mann sich mehr wünschen? Außer vielleicht ein
Bier. Und eine Sportübertragung im Fernsehen. Und …«
Sie schnappte sich ein Kissen und schleuderte es
nach ihm. »Raus!«
»Bin schon weg. Vergiss nicht, du machst niemandem
auf …«
»… außer dir«, beendete sie den Satz.
»Ich weiß nicht, wann ich zurück bin. Nebenan
gibt’s ein Schnellrestaurant, falls du hungrig wirst.« Er kritzelte
ein paar Nummern auf den Notizblock neben dem Bett. »Das ist meine
Handynummer, meine Büronummer, und die zwei hier sind Todds
Telefonnummern im Laden und zu Hause. Wenn du irgendwas brauchst,
rufst du bei einer oder allen an.«
»Wieso hast du Todds Telefonnummern?«, erkundigte
sie sich neugierig.
»Ich hätte mir denken können, dass du das fragst«,
grummelte er.
»Na und, warum hast du sie?«
»Weil er uns hilft, Sykes aufzuspüren. Er hat gute
Verbindungen, die uns nützlich sein könnten.« Er küsste sie noch
mal, kraulte Midas kurz hinter den Ohren und war in der nächsten
Sekunde zur Tür hinaus.
Obwohl ihre Beine energisch dagegen protestierten,
krabbelte
Daisy aus dem Bett. Midas machte sich unverzüglich daran, den
feuchten Fleck auf dem Laken zu beschnuppern, weshalb sie ihn
schleunigst hochriss und auf den Boden setzte. Er folgte ihr ins
Bad und schnüffelte neugierig an allem herum, während sie sich
abduschte.
Verlegen über die Vorstellung, die Zimmermädchen im
Motel könnten das Laken fleckig vorfinden, bearbeitete Daisy die
feuchte Stelle mit einem Waschlappen und einem Handtuch, bis sie
überzeugt war, dass nichts mehr zu sehen sein würde, wenn der Fleck
erst getrocknet war.
Ihr erster feuchter Fleck, dachte sie und besah
sich den dunklen Kreis. Hoffentlich der erste von vielen, denn sie
wollte Jack Russo als Vater ihrer Kinder haben.
Ob er das ebenfalls wollte oder eher nicht, würde
sich zeigen müssen. Zumindest hatte er nicht die Beine in die Hand
genommen, als ihre Mutter sich darüber ausgelassen hatte, was für
eine Schwiegermutter sie abgab, aber das war nicht anders zu
erwarten gewesen, denn schließlich hatte er gerade einen Mordfall
aufzuklären und musste sie beschützen. Er war kein Mann, der sich
vor seiner Verantwortung drückte.
Sie hätte nicht zulassen dürfen, dass er
weitermachte, dachte sie beim Anziehen. Er sollte sie nicht nur
heiraten, weil sie schwanger war; sondern weil er sie liebte.
Diesmal würde wahrscheinlich nichts passieren - der Zeitpunkt gab
zu dieser Hoffnung Anlass -, aber Mutter Natur spielte gern mit
gezinkten Karten, weshalb Daisy erst wieder ruhig schlafen würde,
wenn sie ihre Tage bekommen hatte.
Sie setzte sich und sah sich im Zimmer um. Für ein
Motelzimmer war der Raum wahrscheinlich ganz okay. Größer als die
meisten, vermutlich weil es ein Zimmer für Tierbesitzer war. Es gab
einen Lehnsessel, einen runden Tisch mit zwei Stühlen und einen
winzigen Kühlschrank mit einer kleinen Kaffeemaschine darauf. Das
Bad war praktisch, aber nicht weiter bemerkenswert.
Und jetzt?
Aus einem Impuls heraus griff sie nach dem
Telefonbuch und schlug unter Sykes nach. Sie wusste nicht,
wie dieser Sykes mit Vornamen hieß oder wo er wohnte, darum war es
ein mü ßiges Unterfangen, aber trotzdem überflog sie die Liste von
Sykesen und stellte sich vor, einen nach dem anderen anzurufen. Sie
könnte zum Beispiel sagen: »Mr. Sykes, hier ist Daisy Minor. Ich
habe gehört, dass Sie versuchen, mich umzubringen.«
Keine besonders tolle Idee. Und wenn er eine
Anruf-Erkennung hatte? Dann würde er wissen, wo sie steckte.
Normalerweise sah sie nicht viel fern, aber vorerst
gab es nichts anderes zu tun. Midas hatte beschlossen, ein weiteres
Nickerchen zu halten; wenn er wieder aufwachte, würde sie ihn nach
draußen bringen, aber wie viel Zeit konnte sie damit totschlagen?
Sie griff nach der Fernbedienung, ließ sich in den Sessel fallen
und schaltete den Fernseher ein.
Untätig zu warten, behagte ihr nicht. Ganz und gar
nicht.
Wenigstens war ihre Familie in Sicherheit. Daisy
war klar, dass sie keine ruhige Sekunde gehabt hätte, wenn Jack
ihre Verwandten nicht aus der Stadt geschafft hätte. Unter Garantie
würde ihre Mutter heute Abend anrufen, um sich zu überzeugen, dass
Daisy nichts passiert war, und sie würde sich schreckliche Sorgen
machen, wenn dann niemand ans Telefon ging. Andererseits schien
Jack einfach alles zu berücksichtigen und hatte ihrer Mutter
wahrscheinlich seine Handynummer gegeben oder ihr erklärt, wie sie
sich sonst nach ihrer Tochter erkundigen konnte.
Aber was war mit Jack selbst? Ihr wurde eisig kalt.
Dass sie eine Affäre hatten, war kein Geheimnis mehr, nicht nachdem
er in der Kirche so unübersehbar neben ihr gethront hatte. Und wenn
der Bürgermeister inzwischen den Klatsch gehört und Sykes befohlen
hatte, Jack nachzusteigen, um Daisy aus ihrem Versteck zu
locken?
Sie hechtete nach dem Telefon und wählte Jacks
Handynummer.
Nach dem ersten Läuten war er am Apparat. »Russo?«
»Du musst auf dich aufpassen«, beschwor sie
ihn.
»Wieso?«
»Wenn der Bürgermeister erfährt, dass wir was
miteinander haben, bist du genauso gefährdet wie meine
Familie.«
»Es gibt einen Unterschied zwischen deiner Familie
und mir.«
Sie liebte jeden einzelnen von ihnen, darum konnte
sie keinen Unterschied erkennen. »Und zwar?«
»Ich bin bewaffnet.«
»Pass einfach auf. Versprich mir das.«
»Versprochen.« Er schwieg kurz. »Ist bei dir alles
in Ordnung?«
»Ich langweile mich zu Tode. Bring mir bloß bald
was zu lesen.«
Kaum hatte Daisy aufgelegt, begann sie grübelnd im
Zimmer auf und ab zu gehen. Es schmeckte ihr gar nicht, in ihrem
Versteck ausharren zu müssen, ohne dass sie erfuhr, was drau ßen
vor sich ging, ohne dass sie irgendwie eingreifen konnte. Tatenlos
abzuwarten entsprach einfach nicht ihrem Temperament. Wenn sie sich
erst einmal über ein Problem oder eine Aufgabe klar geworden war,
fand sie keine Ruhe, bis sie etwas unternommen hatte.
Es musste bald etwas passieren, sonst wurde sie
noch verrückt.
Stirnrunzelnd unterbrach Jack die Verbindung.
Daisy klang jetzt schon überreizt, das war gar nicht gut. Er musste
sicher sein können, dass sie sich an seine Befehle hielt; er musste
sicher sein können, dass sie außer Gefahr war, damit er sich darauf
konzentrieren konnte, Sykes aufzustöbern.
Außerdem hatte er kurz vor dem Gespräch mit Daisy
einen Anruf erhalten, der ihm zu schaffen machte. Einer seiner
Männer
war zu den Nolans gefahren, doch Mrs. Nolan war nicht zu Hause
gewesen. Bis jetzt hatte man sie nicht ausfindig machen können.
Wenn Kendra Owens noch mehr Leuten von ihrem Anruf erzählt hatte,
hatte möglicherweise auch der Bürgermeister bereits davon
erfahren.
Schon wieder standen seine Nackenhärchen
stramm.