11
Daisy erkannte, dass noch ein letzter Akt fehlte, um ihr Image völlig umzukrempeln. Darum ging sie am Montag während der Mittagspause in Clud’s Pharmacy und kaufte ein Päckchen Kondome.
Von allen drei Apotheken am Ort war Clud’s am besten dafür geeignet, weil Cyrus Clud, der seit Ewigkeiten in Hillsboro lebte, Gott und die Welt kannte und weil seine Frau Barbara an der Kasse saß, damit sie niemanden einstellen mussten. Barbara Clud war eine ebenso glühende Tratschtante wie Beulah Wilson und wusste obendrein mit dem Wort Diskretion nicht das Geringste anzufangen; auf diese Weise hatte die ganze Stadt erfahren, dass ein gewisser Stadtrat Viagra nahm. Die Neuigkeit, dass Daisy Minor Kondome gekauft hatte, würde wie ein Lauffeuer durch den Ort gehen.
Durch die Clubs zu ziehen war ganz lustig, und wahrscheinlich waren die Clubs auch die ergiebigsten Jagdgründe, doch Daisy wollte die in Hillsboro verfügbaren Männer keinesfalls ausschließen; im Gegenteil, sie würde einem Ortsansässigen sogar den Vorzug geben, denn schließlich wollte sie weiterhin in der Nähe ihrer Familie wohnen. Das Problem war, dass sie im Ort nicht viele allein stehende Männer kannte; die wenigen, die in ihre Kirche gingen, waren durch die Bank jünger als sie, außerdem fand Daisy sie allesamt nicht besonders interessant. Hank Farris war Single, aber die Farrises waren ziemlich verrufen, und es gab einen guten Grund, warum Hank nie verheiratet gewesen war: Er stank. Übelst. Darum kam er für Daisy keinesfalls in Betracht.
Aber die Menschen tratschten, vor allem in einer Kleinstadt wie Hillsboro, die von einem engmaschigen Spinnennetz an Bekanntschafts- und Verwandtschaftsbeziehungen überzogen war. Es brauchte nur irgendwer zu erzählen: »Du kennst doch Evelyn Minors Tochter Daisy? Die Bibliothekarin? Ich habe gehört, sie war bei Clud’s und hat sich eine ganze Kiste Kondome gekauft. Meine Güte, was führt das junge Ding nur im Schilde?« Und ehe sie sich’s versah, würden die interessierten Männer aus dem Unterholz gekrabbelt kommen. Natürlich würde sie den Ausschuss aussortieren müssen, aber sie tippte, dass die meisten dieser Kandidaten sich von selbst verziehen würden, wenn sie erst gemerkt hatten, dass sie keineswegs die Absicht hatte, die gekauften Kondome auch zu verwenden. Die brauchte sie sozusagen nur als Gesprächsaufhänger.
Andererseits hätte sie nie gedacht, dass es so kompliziert sein würde, Kondome zu kaufen. Sie stand in Reihe fünf und bestaunte die Stapel und Fächer voller Schachteln. Wer in aller Welt hätte gedacht, dass es so viele verschiedene Sorten gab? Und welche davon kaufte die sexuell aufgeklärte, moderne Frau?
Hörte sich zum Beispiel ein Produktname wie Heavy Rider viel versprechend an? Für Daisy eher nicht, weil er so klang, als würde diese Sorte am ehesten von Rockerbanden gekauft, insoweit Hell’s Angels überhaupt Kondome benutzten. Und was war mit Noppen? Machte es einen Unterschied, ob ein Kondom genoppt war oder nicht? Feucht oder nicht? Bei näherer Überlegung gab sie allerdings »Feucht« den Vorzug.
Und bei noch näherer Überlegung bot Cyrus Clud einfach eine unglaubliche Auswahl an Kondomen an, die weit größer war, als sie es einer kleinen Familienapotheke je zugetraut hätte. Dabei waren Kondome bestimmt kein Verkaufsschlager, schließlich bekam man sie fast überall.
Sie griff nach einem Päckchen namens »Ladykitzler«, las die Rückseite durch und stellte es mit hochrotem Kopf ins Regal zurück. Vielleicht hatte Cyrus ja einen eher ausgefallenen Kundenstamm. Vielleicht sollte sie Chief Russo einen Tipp geben, die Reihe fünf bei Clud’s im Auge zu behalten, denn wenn man nach der hier offerierten Vielfalt gehen konnte, spielten sich in Hillsboro merkwürdige Dinge ab.
Zuletzt griff sie mit Todesverachtung nach einer Schachtel namens »Partypack« - damit sollten alle Eventualitäten abgedeckt sein - und marschierte damit zur Kasse, wo sie den Partypack direkt vor Barbara Cluds Nase auf die Theke fallen ließ.
»Hoffentlich ist nichts mit Evelyn und Joella«, meinte Barbara zuckersüß, während sie die Schachtel aufnahm. Es war ihre gewohnte Art, mal auf den Busch zu klopfen, ob mit irgendwem vielleicht irgendwas war; erst dann begriff sie, was sie in Händen hielt, und schnappte nach Luft. »Daisy Minor!«
Jemand stellte sich hinter ihr an. Daisy drehte nicht den Kopf, um festzustellen, wer es war. »Bar«, sagte sie, als hätte Barbara danach gefragt, und angelte ein paar Scheine aus ihrem Portemonnaie, um die Bezahlung zu beschleunigen, bevor halb Hillsboro hinter ihr anstand. Sie hatte angenommen, sie würde dies mit hoheitsvoller Kaltblütigkeit über die Bühne bringen, aber sie spürte schon jetzt, wie ihr Gesicht heiß anlief. So entsetzt, wie Barbara sie ansah, hätte man meinen können, sie hätte noch nie ein Kondom verkauft.
Barbara lief ebenfalls rot an. »Weiß Ihre Mutter davon?«, flüsterte sie, halb vorgebeugt, damit möglichst nur Daisy sie hörte. Wenigstens dafür musste sie ihr dankbar sein, dachte Daisy.
»Noch nicht, aber bald«, murmelte Daisy, die schon die Telefonleitungen glühen sah, sobald die Ladentür hinter ihr zugefallen war. Sie schob das Geld über die Theke, um den Handel endlich zum Abschluss zu bringen.
»Ich hab’s eilig«, meldete sich von hinten und oben eine tiefe, grummlige Stimme, die Daisy erstarren ließ. »Tippen Sie die verdammten Dinger endlich ein.«
Selbst wenn sie gewollt hätte, hätte sie sich nicht mehr rühren können. Sie kannte diese Stimme; sie hatte sie in letzter Zeit viel zu oft gehört. Am liebsten hätte sie sich an Ort und Stelle in Luft aufgelöst.
Barbaras Gesicht erblühte zu zartem Lila, während sie den Scanner über den Strichcode hielt und die Summe aus der Kassenanzeige ablas. Sie nahm Daisys Geld entgegen, reichte ihr schweigend das Wechselgeld und verstaute den Partypack in einer weißen Papiertüte mit der knallroten Aufschrift Clud’s Pharmacy. Daisy schob das Kleingeld in ihren Geldbeutel, nahm die Papiertüte entgegen und verließ zum ersten Mal in ihrem Leben ein Geschäft, ohne sich bei der Verkäuferin zu bedanken.
Zu ihrem bodenlosen Entsetzen wollte Chief Russo überhaupt nichts kaufen, sondern folgte ihr auf dem Fuß. »Was soll das?«, zischte sie ihn an, als sie auf den Bürgersteig traten. »Gehen Sie wieder rein und kaufen Sie was!« Eventuell würde er die glühende Röte in ihrem Gesicht ja den vom Asphalt aufsteigenden Hitzeschwaden zuschreiben. Vielleicht würde ihm ja gar nicht auffallen, dass sie vor Scham fast im Boden versank.
»Ich brauche nichts«, war die Antwort.
»Warum sind Sie dann überhaupt reingekommen?«
»Weil ich Sie gesehen habe und mit Ihnen plaudern wollte. Kondome, wie?« Er betrachtete interessiert die Papiertüte. »Sieht nach einer ziemlich großen Schachtel aus. Wie viele sind da drin?«
»Verschwinden Sie!«, stöhnte Daisy und eilte, das Partypack fest an ihre Brust gepresst, schneller den Bürgersteig entlang. Als sie den Plan gefasst hatte, Kondome zu kaufen, damit die Männer auf sie aufmerksam wurden, hatte sie damit keinesfalls ihn und ganz gewiss nicht jetzt gemeint. In einer halb hysterischen Vision sah sie eine Horde von Männern, die ihr nachliefen und alle einen Blick in ihre Tüte werfen wollten. »Jetzt denkt Barbara, ich hätte die Dinger für Sie gekauft!« Inzwischen hatte mindestens ein Mensch, wenn nicht schon zwei, erfahren, dass der Polizeichef und Daisy Minor gemeinsam eine riesige Schachtel Kondome gekauft hatten. Und obendrein hatte der Polizeichef erklärt, er habe es eilig! Sie verschluckte ein neuerliches Stöhnen.
»Ich kann mir selbst Kondome kaufen, danke«, erwiderte er freundlich.
»Sie wissen genau, wie ich es meine! Sie denkt, sie seien für uns - dass wir …« Sie verstummte, weil die Worte einfach nicht über ihre Lippen kommen wollten.
»Wir müssten es treiben wie die Karnickel, wenn wir die alle während der Mittagspause aufbrauchen wollten«, wandte er ein. »Ich glaube nicht, dass das möglich wäre. Wie viele sind es insgesamt, sechs Dutzend vielleicht? Also zweiundsiebzig, was bedeutet, dass wir, selbst wenn wir eine ganze Stunde zur Verfügung hätten, ungefähr alle einundfünfzig Sekunden ein neues Kondom nehmen müssten.« Er verstummte und schien nachzudenken. »Ich habe keine Lust, derartige Rekorde aufzustellen. Ein Kondom jede Stunde oder alle zwei Stunden käme mir da mehr entgegen.«
Sie spürte, wie ihr vor Schreck wahrhaftig die Knie weich wurden, obwohl das natürlich auch daher kommen konnte, dass sie wie eine Wahnsinnige durch die Mittagshitze raste. Dank seiner langen Beine konnte er bequem mit ihr Schritt halten; er kam nicht einmal ins Schnaufen.
Nicht dass sie geschnauft hätte; sie wollte sich lieber nicht eingestehen, dass sie ins Schnaufen kam, während er sich darüber ausließ, ein Kondom pro Stunde zu verbrauchen. Sie atmete einfach etwas schneller, sonst nichts.
»Sie laufen bald heiß«, erkannte er. »Lassen Sie uns im Coffee Cup einkehren und was Kaltes trinken, sonst brechen Sie noch auf dem Gehweg zusammen, und ich muss Sie tragen.«
Daisy fuhr herum und erklärte ihm mit mühsam gezügeltem Zorn: »Wahrscheinlich hat Barbara inzwischen schon meine Mutter und weiß Gott wen angerufen und allen erzählt, dass wir für unsere Mittagspause einen Partypack Kondome gekauft haben!«
»Dann ist es doch nur gut, wenn Sie sich mit mir im Coffee Cup zeigen, damit wir Zeugen haben, dass wir nicht zu mir nach Hause gegangen sind, um sie aufzubrauchen. Ein Partypack, wie?« Er feixte. »Ich wette, da sind ein paar ganz interessante Sorten dabei. Zeigen Sie mal her.«
»Nein!«, kreischte sie und drehte ihm den Rücken zu, als er nach der Tüte greifen wollte.
Er rieb sich das Kinn. »Bestimmt ist es eine Ordnungswidrigkeit, pornografische Gegenstände auf der Straße mit sich zu führen.«
»Kondome sind keine pornografischen Gegenstände«, wehrte sie sich, obwohl ihr das Herz in die Hose sackte. »Es sind Hygiene- und Verhütungsmittel.«
»Normale Kondome schon, aber ich nehme an, dass man in einem Partypack ein paar ziemlich abgehobene Dinger findet.«
Daisy nagte an ihrer Unterlippe. Verhaften würde er sie nicht; dessen war sie fast sicher. Andererseits war dieses ganze Unternehmen so schnell außer Kontrolle geraten, dass sie nicht wusste, wo ihr der Kopf stand, und sie wollte lieber kein Risiko eingehen. Schweigend reichte sie ihm die Tüte.
Er öffnete die Tüte nicht nur und warf einen kurzen Blick hinein; er fasste auch hinein und zog den Partypack auf offener Stra ße heraus. Daisy sah sich nach einem offenen Kanaldeckel um, in dessen Schacht sie springen konnte, obwohl es auch ein Mauseloch getan hätte. Sie hatte sich heimlich einen halben Schritt von ihm entfernt, als er sie am Arm packte und sie zurückhielt, ohne den Blick von der Aufschrift des Kartons zu heben.
»›Zehn verschiedene Farben und Aromen‹«, deklamierte er laut. »Darunter ›Bubblegum, Wassermelone und Erdbeere‹.« Er schaute auf und schnalzte mit der Zunge. »Sie überraschen mich, Miss Daisy.«
»Von der Wassermelone habe ich nichts gewusst«, blökte sie in der plötzlichen Angst, in der Schachtel könnte sich auch ein grün gestreiftes Kondom finden. Was für eine Schnapsidee. Vielleicht würde Barbara ihr ja das Geld zurückerstatten, es sei denn, es war untersagt, Kondome zurückzugeben. Badeanzüge und Unterwäsche konnte man allerdings auch nicht umtauschen, darum würde Barbara sie vermutlich aus dem Laden schmeißen, wenn sie versuchte, den Partypack zurückzugeben.
»An Ihrer Stelle würde ich mir mehr Gedanken über den Bubblegum machen«, meinte er, gedankenverloren und immer noch lesend.
Sie blinzelte ihn verdutzt an. »Also, blasen würde ich ihn bestimmt nicht«, verkündete sie, dann schlug sie sich die Hand vor den Mund und starrte mit großen, entsetzten Augen zu ihm auf.
»Hören Sie endlich auf«, fuhr sie ihn ein paar Minuten später zornig an, als er nach wie vor keine Anstalten machte, wieder ernst zu werden. Er johlte praktisch vor Lachen, vor Erschöpfung schon an einem geparkten Auto lehnend und die Kondomschachtel fest umklammernd, während er sich mit den Händen auf den Knien abstützte. Tränen liefen ihm über das Gesicht. Sie wünschte, es wären Schmerzenstränen.
Nein, nicht wirklich; sie wollte niemandem wehtun, nicht einmal ihm. Aber was genug war, war genug, und sie würde das keine Sekunde länger mit ansehen. Wenn er sie verhaften wollte, dann würde er erst einmal aufhören müssen zu lachen, weil sie jetzt nämlich gehen würde, und das Partypack würde sie mitnehmen.
Als sie auf ihn zutrat, hob er die linke Hand, wie um sie abzuwehren, weil er ganz offensichtlich glaubte, sie wollte ihn schlagen, wenngleich ihn das nicht davon abhielt, weiter zu gackern und zu schnauben. Daisy riss ihm die Schachtel aus der Hand und schimpfte: »Flegel!«, so eisig wie möglich, um dann davonzumarschieren.
»W-warten Sie!«, hörte sie ihn keuchen. »Daisy!«
Sie blieb nicht stehen, sie wurde nicht einmal langsamer. Von glühendem Zorn getrieben, eilte sie quer über den Platz zur Bücherei und die zwei Marmorstufen zum Eingang hinauf. Dort blieb sie kurz stehen, atmete tief durch, um einen möglichst gefassten Eindruck zu machen, und stolzierte dann wie Miss Amerika persönlich durch die Tür und zur Verbuchungstheke. Erst als sie die Hand ausstreckte, um die Klappe in der Theke anzuheben, merkte sie, dass sie immer noch den Partypack in der Hand hielt, und zwar ohne schützende weiße Papiertüte.
Kendra saß an der Theke und sah natürlich sofort, was Daisy in der Hand trug. Ihre Augen wurden so groß, dass das Weiße rund um die Iris zu sehen war. »Daisy! Was -« Dann verstummte sie, weil ihr einfiel, wo sie sich befanden und dass man hier nur leise sprechen sollte. Stumm deutete sie auf die Schachtel.
Da alles andere versagt hatte, probierte es Daisy diesmal mit Nonchalance. »Das da?«, fragte sie und hob die Schachtel an, als fände sie Kendras Reaktion vollkommen unverständlich. »Das ist nur eine Schachtel Kondome.« Damit segelte sie in ihr Büro, knallte die Tür hinter sich zu und ließ sich in ihren Stuhl fallen.
 
»Du hast Kondome gekauft, habe ich gehört«, sagte Todd abends am Telefon, und die Erheiterung war ihm durch die Leitung anzuhören.
»Du, meine Mutter, meine Tante, die halbe Kirchengemeinde und die gesamte Nachbarschaft«, bestätigte Daisy seufzend. Schließlich hatte sie genau das geplant gehabt. Irgendwie.
»Und dass du zusammen mit unserem formidablen Polizeichef während der Mittagspause die halbe Schachtel aufgebraucht hast.«
»Ich bin auf direktem Weg in die Bücherei zurück!«, jammerte sie. »Ich hab ja gewusst, dass Barbara Clud so was herumerzählen würde, diese widerliche Schnattergans! Ich war nicht zusammen mit ihm im Laden; er ist einfach hinter mir aufgetaucht, als ich gerade zahlen wollte.«
»Sie hat auch erzählt, dass er gar nichts gekauft hat, sondern nur gesagt hat, er hätte es eilig, und dann ist er mit dir wieder raus.«
»Damit wird sie mir alles versauen.« Seufzend ließ sie sich am Esstisch nieder, denn sie hatte den Anruf in der Küche entgegengenommen. Ihre Mutter und Tante Jo schauten wie üblich fern.
»Wieso das denn?«
»Wenn alle glauben, dass Chief Russo und ich was - miteinander haben -«
»Eine Affäre haben«, korrigierte Todd.
»- dann wagt sich doch kein anderer Mann an mich ran! Wie soll ich denn einen Mann finden, wenn niemand mit mir ausgehen will, weil alle glauben, dass sie damit dem Polizeichef in die Quere kommen könnten?«
»Ich kann verstehen, dass das zum Problem werden könnte. Er ist ein ziemlicher Brocken.«
»Tja, damit kann ich mir die Männer im Ort abschminken, und das heißt, dass ich die Kondome ganz umsonst gekauft habe.«
»Ich weiß nicht, ob ich dich da richtig verstehe. Du meinst also, nur Männer aus unserer Stadt hätten sie benützen können?«
»Ach Quatsch, ich will sie doch gar nicht benützen. Mir war klar, dass Barbara sich ans Telefon hängen würde, sobald ich sie gekauft habe. Dadurch würden einige der allein stehenden Männer in der Stadt erfahren, dass ich zu haben bin und modern dazu und so weiter. Dann wären sie eventuell neugierig geworden und hätten mit mir ausgehen wollen. So weit die Theorie«, schloss sie düster. »In der Realität hat Chief Russo alles verpatzt. Jetzt muss ich mich auf die Männer in den Clubs beschränken.«
»Gehst du heute wieder aus?«, fragte er.
»Nein, ich hab zu viel in meinem neuen Haus zu tun. Buck Latham ist mit dem Malen fertig, jetzt muss ich sauber machen und mich dann nach Möbeln und Küchengeräten und solchen Sachen umsehen.«
»Was für Möbel stellst du dir denn vor?«
»Na ja, das Haus ist eher klein, darum möchte ich es kuschelig und gemütlich einrichten. Ich weiß nicht, welcher Stil dazu passt, aber den will ich jedenfalls haben.«
»Muss es was Neues sein? Oder könntest du dich auch mit ein paar älteren Einzelstücken anfreunden? Die könnten wir bei einer Versteigerung für einen Bruchteil dessen erstehen, was sie neu im Möbelladen kosten.«
Beim Thema Geldsparen wurde Daisy immer hellhörig. »Ich war noch nie auf einer Versteigerung. Wo gibt es denn eine, und wann?«
»Überall und ständig«, antwortete er langsam. »Ich suche uns eine für morgen Abend raus, dann hast du das Haus eingerichtet, ehe du dich’s versiehst.«
 
Am Freitag zog Daisy in ihr Hexenhäuschen, nachdem sie sich bis über beide Ohren in die Arbeit gestürzt hatte, sodass ihr gar keine Zeit geblieben war, sich zu grämen, dass Chief Russo ihren Kondom-Plan sabotiert hatte. Sie war derart beschäftigt, dass es sie nicht einmal störte, wenn einige ihrer Mitmenschen bei ihrem Anblick hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln begannen. Schließlich lebten sie im einundzwanzigsten Jahrhundert, Herr im Himmel; es war keine große Sache, Kondome zu kaufen, nicht einmal in Hillsboro. Viele Leute taten das, sonst würde Cyrus Clud kein so umfangreiches Sortiment führen.
Alles in allem hatte sie sowieso keine Zeit, sich den Kopf über andere Dinge zu zerbrechen als die herkulische Aufgabe des bevorstehenden Umzugs. Sie war nie so tief gesunken, dass sie Sachen gekauft hätte, um sie für später aufzubewahren, wenn sie erst verheiratet wäre und ein eigenes Heim hätte, denn das wäre dem Eingeständnis gleichgekommen, dass sie nicht zufrieden mit ihrem Leben war. Na gut, zufrieden war sie tatsächlich nicht, aber inzwischen gestand sie sich das ein - und unternahm etwas dagegen.
Verheiratet war sie zwar nach wie vor nicht, aber dafür wohnte sie in ihrem eigenen Heim. Was tat es schon zur Sache, dass es ein winziges Mietshaus in einer abgewrackten Gegend war? Immerhin hatte es einen eingezäunten Garten, sie würde sich einen Hund zulegen, und sie allein hatte hier das Sagen. Leider hatte das zur Folge, dass sie, nachdem sie, abgesehen von ihrer Bettwäsche, nie irgendwelche Haushaltsdinge erstanden hatte, auf einen Shopping-Marathon gehen musste, um die tausendundein Kleinigkeiten zu erwerben, die man in einem Haushalt braucht.
Sie kaufte Vorhänge und Kochgeschirr, einen Grundvorrat an Lebensmitteln und Reinigern, mehrere Besen, einen Staubwedel und einen Staubsauger - ihr eigener Staubsauger! Sie war ganz aus dem Häuschen und brachte jede freie Minute damit zu, im Schweiße ihres Angesichts sauber zu machen und Sachen zu verstauen.
In der restlichen Zeit hielt Todd sie auf Trab, indem er mit ihr nach Möbeln suchte. Sie war ein bisschen überrascht, aber zugleich zutiefst dankbar, dass er solche Anteilnahme an ihrem neuen Leben zeigte, denn er leistete ihr unschätzbare Hilfe. Er nahm sie mit auf mehrere Auktionen, und sie entdeckte, welche Freude es bereiten konnte, dauernd lediglich mit dem Kopf zu nicken, bis die Mitbieter der Reihe nach die Segel strichen und kein weiteres Gebot mehr abgaben; anschließend hob sie ihre Nummernkarte - und die Lampe oder der Teppich oder das Beistelltischchen gehörten ihr. Einen Zuschlag erteilt zu bekommen, jagte ihr lustvolle Schauer über den Rücken, weshalb Todd sie amüsiert beobachtete, wann immer sie sich entschloss, ein Stück zu ersteigern.
»Du bist wie ein Hai, der Blut gewittert hat«, urteilte er halblaut und lächelnd, als er die Farbe in ihren Wangen und das Funkeln in ihren Augen sah.
Schlagartig lief sie rot an. »Wirklich? Ach du Schreck.« Sie verschränkte die Hände im Schoß, als wollte sie mit aller Gewalt vermeiden, die kleine Zahlenkarte noch einmal hochzureißen.
Er lachte. »Hör bloß nicht auf. Du hast mehr Spaß als ich auf meinen Auktionen.«
»Es macht ja auch Spaß, oder?« Sie fixierte den Teewagen, der eben zu Gebot stand. Eigentlich hatte sie keinen Platz dafür, und wenn sie alles kaufte, was ihr gefiel, dann würde sie nirgendwo mehr die wichtigen Möbel aufstellen können, zum Beispiel einen Sessel. Andererseits würde sich der Teewagen ganz reizend in der Wohnzimmerecke machen, oben mit Pflanzen geschmückt, unten vielleicht mit Fotos …
Wenige Minuten erbitterten Steigerns später gehörte der Teewagen ihr - ebenso wie ein hübscher kleiner Tisch mit zwei Stühlen, ein Lampenpaar mit durchschimmerndem, rosa Fuß und cremefarbenem Schirm, ein dunkler, salbeigrüner Teppich, dazu ein großer, üppiger Lehnsessel zum Schaukeln, dessen Polster in gedecktem Blau mit cremefarbenen Nadelstreifen bezogen waren, sowie ein kleines Schränkchen für den Fernseher. Als sie gingen, begutachtete Todd ihre Beute und kam zu dem Schluss: »Gut, dass wir einen Pick-up gemietet haben; diesen Sessel hätten wir nie im Leben in den Kofferraum klemmen können.«
»Er ist wunderschön, nicht wahr?«, fragte sie glückselig, wobei sie sich im Geist bereits darin lümmeln sah.
»Das ist er, und ich kenne ein Stück, das wie geschaffen dafür ist. Leider neu«, ergänzte er bedauernd. »Aber es ist das perfekte Sofa, glaub mir.«
Das perfekte Sofa hatte einen Überzug mit äußerst unpraktischen, halb geschlossenen Riesenrosen vor einem rauchblauen Hintergrund, der fast genau dem Blau ihres Lehnsessels entsprach. Sie fand das Sofa unverschämt teuer, hatte sich aber auf den ersten Blick in das Stück verliebt. Keine öd-braunen Polster für sie, o nein! Ihr standen Rosenpolster zu. Und als erst alles in ihrem kleinen Häuschen aufgebaut war, wirkte es noch gemütlicher, als sie erwartet hatte.
Am Freitagabend war Daisys Häuschen zum Bersten voll mit Menschen, Möbeln, Kisten und Kartons.
Evelyn und Beth und Tante Jo sichteten die Umzugkartons und wuchteten sie in die Räume, für die der Inhalt bestimmt war, aber ohne sie auszupacken, weil Daisy andernfalls der Überblick fehlen würde, wo sich was befand. Todd legte letzte Hand an die Dekoration, hängte Drucke auf, half, die Möbel zu arrangieren, und diente bei den schwereren Stücken mit den dringend benötigten Muskeln. Daisys Kleider befanden sich im Kleiderschrank, die Vorhänge hingen vor den Fenstern, die Bücher reihten sich im Bücherregal, im Kühlschrank wartete das Essen - alles war bereit.
Das Haus gab Zeugnis dafür, was alles möglich war, wenn ein paar entschlossene Frauen - und ein Antiquitätenhändler - sich zusammentaten. Nachbarn waren genötigt worden, die Schlafzimmereinrichtung zu transportieren; der Elektroladen am Ort hatte ihren Herd, den Kühlschrank, die Mikrowelle, die Waschmaschine und Trockner noch am Kauftag geliefert und installiert. Wenn sie bedachte, wie viel sie dafür ausgegeben hatte, war Daisys Meinung nach eine prompte Lieferung das Mindeste, was sie erwarten konnte.
Evelyn hatte einen Hackbraten vorbereitet und ihn als Einweihungsessen mitgebracht. Daisy platzierte ihre Mutter und Tante Jo an den winzigen Esstisch, während sie, Beth und Todd auf dem Boden saßen und lachend plauderten, so wie es Leute tun, die ein monumentales Werk bewältigt haben.
»Ich kann es einfach nicht fassen«, sagte sie, unfähig, sich das Grinsen zu verkneifen, während sie sich in der Küche umsah. »Und all das hat nur zwei Wochen gedauert!«
»Was soll ich dazu sagen?«, meinte Todd gedehnt. »Du bist eine Sklaventreiberin.« Er nahm einen Mund voll Hackbraten und seufzte genüsslich. »Mrs. Minor, Sie sollten ein Restaurant eröffnen. Sie würden ein Vermögen verdienen.«
»Ich besitze bereits ein Vermögen«, erwiderte sie frohgemut. »Ich habe eine Familie, und ich bin gesund. Alles Übrige macht nur unnötig Arbeit.«
»Außerdem«, ergänzte Beth, »habe ich mich eben erst von dem Schreck erholt, wie Daisy sich verändert hat. Jetzt brauche ich erst mal etwas Zeit, ehe meine Mutter sich in eine Edelköchin verwandelt.«
Alle lachten, weil Beth sich nach ihrer fassungslosen Reaktion am Sonntag genau wie alle anderen über Daisys neues Aussehen gefreut hatte. Zu Evelyns ungeheurer Erleichterung übrigens, denn die hatte sich trotz alledem um das Ego ihrer jüngeren Tochter gesorgt. Aber Beth war eine Minor, und Minor-Frauen ließen sich nicht unterkriegen. Außerdem liebten sich die beiden Schwestern und waren von klein auf gut miteinander ausgekommen.
»Dann werde ich ein paar Monate lang stillhalten«, gewährte ihr Todd. »Aber ich gebe nicht auf; diese Kochkünste muss man mit der Menschheit teilen.«
»Und sich bezahlen lassen«, ergänzte Tante Jo mit zusammengekniffenem Mund.
»Auch das.« Er sah sich um und sagte dann zu Daisy: »Hoffentlich hast du die Türschlösser auswechseln lassen.«
»Gleich als Erstes. Um genau zu sein, hat Buck Latham das für mich erledigt. Ich habe zwei Schlüssel, Mutter hat einen Ersatzschlüssel, und die Vermieterin hat einen. Auf gar keinen Fall hätte ich die alten Schlösser an der Tür gelassen.«
»Außerdem wird sie sich einen Hund zulegen«, verkündete Tante Jo. »Zufällig hat die Hündin von meiner Bekannten vor einigen Wochen geworfen. Ich werde mal nachfragen, ob sie die Welpen noch hat.«
Ein Welpe! Daisys Herz machte einen Satz. Irgendwie war sie davon ausgegangen, dass sie sich einen erwachsenen Hund zulegen würde, aber einen Welpen zu bekommen, den sie selbst aufziehen würde, sagte ihr wesentlich mehr zu.
»Ein Welpe.« Todd runzelte die Stirn. »Wäre ein ausgewachsener Hund nicht besser?«
»Ich will einen Welpen«, entschied Daisy, die bereits den warmen, zappligen kleinen Körper in ihren Armen zu spüren meinte. Na gut, wahrscheinlich war es nur die Übertragung eines unerfüllten Kinderwunsches, aber vorerst reichte ihr ein Hundebaby vollkommen.
Als es Zeit zu gehen war, verabschiedete Todd sich als Letzter und fragte sie auf der Veranda: »Gehst du morgen Abend wieder tanzen?«
Ihr ging durch den Kopf, was alles noch im Haus zu tun war; dann überlegte sie, wie lange sie diese Woche schon in ihrer neuen Wohnung gearbeitet hatte. Bei ihrem Besuch im Buffalo Club hatte sie sich königlich amüsiert, wenigstens bis zu der Rauferei.
»Ich glaube schon. Das Tanzen war ein Heidenspaß.«
»Dann pass auf dich auf und amüsier dich gut.«
»Danke. Bestimmt.« Als er davonfuhr, winkte sie ihm lächelnd nach und dankte ihrem Glücksstern dafür, dass sie einen Freund wie Todd Lawrence gefunden hatte.