Dreiundzwanzig
Ein Laptop, eine Brieftasche, ein Hausschlüssel, Ausweispapiere, Kreditkarten, den Schlüssel zu einem Schließfach, möglicherweise Akten – das waren die Dinge, nach denen sie suchten. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass sie etwas fanden? In Häusern, die sie nicht kannten, in denen es eine Menge geheimer Verstecke geben konnte.
Penny war froh, dass Ackermann die Durchsuchung von Pitz’ Anwesen übernommen hatte. Es wäre ihr schwergefallen, Christa Pitz schon wieder zu quälen.
Stattdessen stand sie hier in Hans-Jürgen Küppers’ Diele und wartete darauf, dass dem Mann endlich die Puste ausging.
Mit einem »Ich bestehe darauf, dass mein Anwalt dabei ist« beendete er die Tirade.
»Sie können Ihren Anwalt gern verständigen, Herr Küppers.« Penny musterte ihn kühl. »Aber wir haben einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss, und das bedeutet, dass wir nicht auf ihn warten müssen. Lesen Sie sich das ruhig noch einmal durch.« Sie zeigte auf das Papier, das Küppers zwischen seinen Fingern zerknitterte, und machte den beiden Frauen von der Spurensicherung, die hinter ihr gewartet hatten, ein Zeichen.
»Fangen Sie bitte im oberen Stockwerk an.«
»Auch den Dachboden?«
»O ja, jeden Winkel. Ich sehe mich hier unten um, danach nehmen wir uns die Nebengebäude vor.«
»Warum sind Sie eigentlich so wütend?«, wandte sie sich wieder Küppers zu.
»Hätten Sie es vielleicht gerne, wenn fremde Leute in Ihren intimsten Sachen herumschnüffeln würden? Und überhaupt, was soll das heißen: berechtigter Verdacht) und ›im Zusammenhang mit dem Mordfall Finkensieper‹?«
»Das werden Sie schon noch erfahren. Und jetzt lassen Sie mich bitte vorbei.«
Küppers hob die geballten Fäuste, Penny starrte ihm in die Augen.
»Das wird ein Nachspiel haben!«, presste er hervor.
»Ja, ja«, murmelte sie, »und Sie werden sich bei meinem Vorgesetzten beschweren, ich weiß.«
Das Haus der van Beeks war genauso lieblos eingerichtet wie ihre Fremdenzimmer, nur war es wesentlich schmuddeliger.
Und das ist noch freundlich ausgedrückt, dachte Bernie.
Manfred van Beeks Gesicht spiegelte tiefste Verwirrung. »Wieso denn durchsuchen? Mein Haus? Ich habe doch nichts gemacht.«
Schnittges winkte die ED-Leute heran. »Diese Tür führt in die Kneipe. Fangt dort an, und nehmt euch dann die Gästezimmer vor. Ich schaue mich erst einmal hier um.«
»Aber ich habe doch nichts getan«, leierte van Beek.
»Wo ist Ihre Frau?«
»Oben, sie schläft. Sie hat heute einen schlechten Tag, Rheuma, Sie wissen schon.«
»Dann wecken Sie sie, bitte.«‹
Van Beek straffte die Schultern. »Das mach ich nicht. Es geht ihr nicht gut.«
»In Ordnung, dann wecke ich sie eben.«
Mit drei Sätzen war Schnittges die Treppe hinaufgelaufen. Wenn man ihn nicht ins Schlafzimmer lassen wollte, würde er sich dort besonders gründlich umsehen.
Er öffnete die Tür zu seiner Rechten. Ein Jugendzimmer mit Stockbett, fleckige Matratzen, knubbelige rote Plumeaus, angelaufene Fußballpokale. Die Fensterscheiben blind, und es lag so viel Staub in der Luft, dass er niesen musste.
Er stieß die gegenüberliegende Tür auf und wich erst einmal zurück, so stark war der Alkoholdunst, der ihm entgegenschlug. Im Zimmer war es stockfinster. Er fand den Lichtschalter. Herta van Beek lag auf dem Rücken, den linken Arm weit ausgestreckt. Sie war nackt.
Schnittges kniff die Augen zusammen, griff nach der Bettdecke, die auf den Boden gerutscht war, und warf sie über die Frau. Dann zog er die Rollos hoch und öffnete das Fenster.
»Frau van Beek?«
Sie rührte sich nicht.
»Muss wohl das Rheuma sein«, knurrte er und ging wieder hinunter, wo van Beek immer noch wie benommen dastand, dann aber rasch seine zitternden Hände in den Hosentaschen verschwinden ließ.
»Am besten, Sie trinken erst mal ein paar Schnäpse«, sagte Bernie. »Und dann holen Sie bitte Ihre Frau aus dem Bett. Ich will Ihr Schlafzimmer durchsuchen.«
Cox war es tatsächlich gelungen, den Filialleiter der Deutschen Bank in der Elisabethstraße aufzutreiben.
»Mehr Glück als Vaterlandsliebe«, freute er sich. Der Mann war zwar nicht gerade begeistert gewesen, hatte sich aber bereit erklärt, sich um 18 Uhr an seiner Arbeitsstelle mit einem Kripobeamten zu treffen. Er bestand allerdings auf einer richterlichen Anordnung, wenn er das Schließfach öffnen und dessen Inhalt herausgeben sollte.
Das hatte Cox dann noch einmal ein wenig ins Schleudern gebracht, aber schließlich war auch dieses Problem gelöst.
Er rief Ackermann auf seinem Handy an.
»Um sechs, sagst du? Dat schaff ich locker, verlass dich drauf. Die Jungs hier kommen auch alleine zurecht.«
So, jetzt hatte er endlich Zeit.
Ihm lief eine Gänsehaut über die Arme, als er Finkensiepers USB-Stick in den PC steckte.
Da waren sie, die eingescannten Prozessakten und auch die Anwaltsakte.
Die Papiere über seine Erbschaft von einem Krefelder Notar.
Die Nummer des Schließfachs.
Die Daten, die Finkensieper aus dem Taufregister von St. Stephanus abgeschrieben hatte.
Ein Brief an ein Labor mit dem Auftrag, eine DNA-Analyse durchzuführen, und das Antwortschreiben des Labors, dass die Blutprobe von Sebastian Finkensieper (geb. 26. Juni 1980) am 4. April 2007 eingegangen war und dass es circa vier Wochen dauern würde, bis ein Ergebnis vorläge.
Cox schaute auf das Datum: 4. April. Also bevor Sebastian nach Kessel gekommen war. Er hatte sich tatsächlich auf die Suche nach seinem leiblichen Vater machen wollen.
Dann eine Datei »Nachf. 1«:
»Das Alter bezieht sich auf den September 1979:
Kurt Goossens (46 J.) – damals Ortsvorsteher
Manfred van Beek (32 J.) – Kneipier
Hans-Jürgen Küppers (38 J.) – Sabines Chef??
Adolf Pitz (41 J.) – Sabines Lehrer??«
Mehr Zeit für Nachforschungen war ihm wohl nicht geblieben. Am Montag hatte er in den Prozessakten die Namen der Männer gefunden, die als Zeugen gegen Sabine ausgesagt hatten, und festgestellt, dass das Verfahren eine Farce gewesen war. Und erst am Donnerstag vor seinem Tod hatte er von der Vergewaltigung erfahren.
»Am 23. April Wiederaufnahme beantragen.«
Sebastian hatte allerdings wohl noch genug Zeit gehabt, die drei (oder vier) Männer über diesen Plan in Kenntnis zu setzen.
Konnte er wirklich so unvorsichtig gewesen sein?
Und seine letzte Notiz:
»Sabine: WG Mitte der 70er (Quelle: Reiterhof, Sabines Nachbarn zur Linken)
- bestätigen lassen
- Mitbewohner finden
- Anti-AKW-Zentrale (?); Mitglieder aufsuchen
- Kinder (Pitz, Goossens, van Beek, Küppers) aufsuchen: Taucherspiel?«