Zwanzig

Ich kriege ein Kind.

Aber ich kann nicht darüber nachdenken.

Weihnachten steht vor der Tür. Wieder mal, das vierte Weihnachten ohne meine Eltern, ohne Familie. Wie habe ich diese Tage in den letzten Jahren bloß hinter mich gebracht? Na ja, die ersten Male bekifft, und letztes Jahr habe ich es einfach ignoriert. Was schwer war.

Aber heute hat Karen angerufen. Sie und Stefan haben eine Woche frei, müssen erst Silvester wieder arbeiten. Und sie wollen Heiligabend und den ersten Feiertag bei mir auf dem Hof verbringen! Ich freue mich so.

Ich habe sofort einen Tannenbaum gekauft und den Christbaumschmuck vom Söller geholt. Er ist völlig verstaubt, denn in der WG haben wir selbstverständlich kein traditionelles Weihnachten gefeiert. Aber das ist mir jetzt schnurz. Ich freue mich einfach.

 

Ich kriege ein Kind, Ende Juli wohl.

Zuerst habe ich gedacht, ich müsste sterben.

Und jetzt?

Ich kriege ein Kind, mein Kind. Ein Kind ist wunderbar.

Es bewegt sich noch nicht, ich kann es noch nicht spüren, aber es wächst in mir, und es ist meins, mein Kind.

Was ich Karen, Renate und den anderen aus der Gruppe erzählen soll, weiß ich noch nicht.

Es ist auch egal. Da sind das Kind und ich. Nur wir beide.

 

Zum Frauenarzt traue ich mich nicht.

Es gibt ja keinen Vater.

Aber ich habe mir beim Lesering Bücher bestellt und kaufe regelmäßig »Eltern«. Ich lese und lerne alles, was ich wissen muss.

Und ich bin gesund und stark und achte auf meine Ernährung. Manchmal habe ich wegen der Tiere Angst vor Toxoplasmose, darüber habe ich so einiges gelesen. Aber dann denke ich wieder, wer hat sich denn früher um so was gekümmert? Auf allen Bauernhöfen wurden gesunde Kinder geboren.

Es macht mir so viel Freude, für das Kind einzukaufen. Wie gut, dass ich mein Auskommen habe. Richtig große Sprünge kann ich nicht machen, aber für mich und mein Kind reicht es allemal. Es wird gut versorgt sein.

 

Ich gehe viel spazieren. Und jetzt, wo man es schon gut sehen kann, wandere ich mit meinem dicken Bauch stolz durchs Dorf. Lache nur über das Gezischel: »Hat es nicht besser verdient, die Hure.«

»Gut, dass die armen Eltern das nicht mehr erleben müssen.« Aber wenn ich dann wieder zu Hause bin, muss ich doch manchmal weinen, vor allem auch, weil Tante Maria sich in all den Monaten nicht gemeldet hat. Dabei weiß sie es bestimmt.

 

Jetzt muss das Kind jeden Tag kommen. Keiner fragt, keiner spricht mich an. Na ja, Renate hat angeboten, bei der Geburt dabei zu sein.

Aber ich brauche keinen. Das schaffen wir ganz alleine, mein Kind und ich. Wenn die Wehen alle halbe Stunde kommen, fahre ich mit Papas Mercedes ins Krankenhaus.

 

Ich habe einen Sohn!

Sebastian ist da, gesund und kräftig. Mein Sohn.

Ich werde alles dafür tun, dass dein Leben schön wird, mein Kleiner. Du und ich zusammen, wir schaffen alles. Es ist einfach wundervoll, nicht mehr allein zu sein.