Acht
Ackermann lenkte seinen Wagen auf die Autobahn und entspannte sich.
»Ich bin immer froh, wenn ich aus dem Großstadtgewusel raus bin.«
Penny nickte. »Ich habe früher ein paar Jahre in London und Edinburgh gelebt. Damals hat es mir gefallen, aber mittlerweile fühle ich mich in einer Kleinstadt viel wohler.«
»Hat wohl wat damit zu tun, wo man herkommt«, sinnierte Ackermann. »Wie groß is’ Worcester eigentlich?«
»Ich denke, etwa so groß wie Kleve. Aber ich komme ursprünglich gar nicht aus Worcester. Geboren und aufgewachsen bin ich in Pershore, und das ist noch kleiner. Und du?«, fragte sie. »Bist du in Kranenburg geboren?«
»Jawoll, un’ die meiste Zeit hab ich auch da gewohnt.«
Und weil Penny ihm so freundlich zulächelte, erzählte er ihr von Guusje, seiner holländischen Frau, mit der er schon seit achtundzwanzig Jahren verheiratet war. »Die große Liebe, auch heut’ noch.« Von den drei Töchtern, die schon erwachsen waren, und wie sehr er sich Enkelkinder wünschte. »Mir fehlt dat Leben inne Bude.«
»Dann sind deine Mädchen wohl alle schon aus dem Haus?«
»Mehr oder weniger. Nadine und Jeanette studieren in Nimwegen. Nur Joke, unsere Jüngste, wohnt noch bei uns. Is’ ‘n Spätzünder, dat Kind, hat sich mit de Schule ‘n bissken schwergetan. Aber im Oktober geht se jetz’ auch studieren. Wat bestimmt nich’ leicht wird, die is’ nämlich ‘n Mamakind. Guusje kriegt jetz’ schon dat heulende Elend.«
»Sind denn schon Schwiegersöhne in Sicht?«
Ackermann lachte. »Hör mir bloß auf! Wat die bis jetz’ angeschleppt haben, kannste inner Pfeife rauchen. Wird wohl noch wat dauern mit den Enkelkindern.« Er schaute sie an. »Jetz’ erzähl mir aber lieber ma’ wat von dir.«
Nur drei Kilometer hinter ihnen auf der Autobahn fuhren van Appeldorn und Schnittges und hingen, jeder für sich, ihren Gedanken nach.
Schließlich brach van Appeldorn das Schweigen.
»Was für ein Mensch war Finkensieper, wenn man nach seiner Wohnung geht? Beschreib ihn mal.«
Schnittges spürte heißen Zorn in sich aufsteigen.
»Hatten wir das nicht schon vorgestern? Personenbeschreibung, Schnittges!«
Van Appeldorn hielt seinen Blick fest auf die Straße geheftet und biss die Zähne zusammen.
»Okay«, sagte er endlich, »was macht dich so sauer?«
»Dein Ton, Norbert«, blaffte Schnittges. »Wir wissen, dass du jetzt der Boss bist. Aber deshalb brauchst du uns nicht alle wie Anfänger zu behandeln. Wir sind nämlich keine.«
»Das weiß ich doch.« Van Appeldorn war blass geworden.
Schnittges wischte sich durchs Gesicht. »Entschuldige, es steht mir nicht zu, dich zu kritisieren. Vergiss es also.«
Van Appeldorn sagte nichts, setzte aber den Blinker und bog zum Rastplatz ab. Er dachte an Toppe.
Erst als er den Wagen geparkt und den Motor ausgeschaltet hatte, sprach er wieder. »Du musst dich nicht entschuldigen, Bernie. Lass uns einen Kaffee trinken gehen und über Finkensieper reden.«
Kurz nachdem sie die Autobahn verlassen hatten, ging ein Platzregen nieder, und als sie am Präsidium ankamen, war die Luft wie in einer Waschküche.
In Cox’ Büro warteten Penny, Ackermann und Toppe.
Cox hob fragend die Kaffeekanne, aber beide Männer winkten ab. »Wir haben unterwegs Kaffee getrunken«, sagte van Appeldorn. »Aber ein Wasser könnte nicht schaden.«
Toppe, der am offenen Fenster stand, hielt ihm eine Sprudelflasche hin. Heute trug er weder Jackett noch Krawatte, hatte die Ärmel seines weißen Hemdes hochgekrempelt, und Penny stellte plötzlich fest, wie attraktiv er war.
Er grinste in die Runde. »Dann bringt mal meine kleinen grauen Zellen in Schwung.«
Van Appeldorn überließ es Schnittges, Finkensiepers Wohnung zu beschreiben, und legte die Aktenordner, die sie gefunden hatten, und das Fotoalbum auf den Schreibtisch. Dann setzte er sich, hörte Pennys Bericht zu und versuchte, Ackermann auszublenden, der ihr immer wieder ins Wort fiel.
»An Wehmeyers Idee mit der Verwechslung könnte etwas dran sein«, meinte Schnittges und starrte in die Ferne, wie er es oft tat. »Vielleicht galt der Anschlag tatsächlich jemand anderem.«
Cox ächzte vernehmlich und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. »Das hilft uns im Moment aber überhaupt nicht weiter.«
»Man kriegt diesen Kerl irgendwie nicht zu fassen«, murmelte van Appeldorn und schaute dann auf. »Bis jetzt haben wir jedenfalls keine Leiche bei ihm im Keller entdecken können.«
»Wir wissen aber, dass Finkensieper in letzter Zeit seinen Lebensrhythmus geändert hat«, meldete sich Penny zu Wort. »Er hat sich freigenommen, und das hat er vorher noch nie getan.«
»Ja, irgendwat muss vor zwei oder drei Wochen passiert sein«, ergänzte Ackermann. »Aber Wehmeyer wusste von nix.«
»Hatte Sebastian Finkensieper noch andere Freunde?«, wollte Cox wissen.
»Wehmeyer sagt nein.«
»An welchen Tagen genau hat er sich freigenommen?«, fragte Toppe.
Penny blätterte in ihren Notizen. »Am 5. April, das war Gründonnerstag, dann am 13., das war ein Freitag. Und dann am Sonntag, dem 15., hat er seinen Chef um eine Woche Urlaub gebeten.«
»Den er ganz offensichtlich in Kessel verbracht hat.«
Toppe zündete sich eine Zigarette an.
»Ja«, sagte van Appeldorn. »Laut van Beek hat er am 15. im Gasthof eingecheckt.«
»Und laut van Beek war Finkensieper in Kessel, um mit ein paar Bauern zu verhandeln. Was aber, laut Wehmeyer, gar nicht seine Aufgabe war.« Toppe neigte den Kopf. »Kann es sein, dass van Beek lügt? Wenn ja, warum? Oder hat Finkensieper ihm tatsächlich diese Geschichte erzählt?«
»Wenn ja, warum«, unterbrach Ackermann ihn. »Hat er sich dat als Ausrede ausgedacht, weil er verheimlichen wollte, wat er in Wirklichkeit in Kessel getrieben hat?«
»Wir sollten uns eine Liste seiner Handyanrufe besorgen«, sagte Schnittges. »Wir müssen unbedingt herausfinden, mit wem Finkensieper in den letzten drei Wochen telefoniert hat.«
Cox räusperte sich. »Mit Verlaub, das habe ich schon angeleiert. Aber ihr wisst ja, was diese Provider für Luschen sind. Ja, selbstverständlich machen sie uns sofort eine Auflistung, und dann dauert es Tage, wenn nicht Wochen. Aber ich bleibe am Ball.«
Penny überlegte. »Wenn es stimmt, was Wehmeyer uns über Finkensiepers Angewohnheiten erzählt hat, dann hat er, als er zum Essen bei ›Ophey‹ fuhr, sein Handy im Hotelzimmer gelassen, vielleicht auch seine Brieftasche und seinen Hausschlüssel.«
»Wat is’ mit seinem Laptop?«, rief Ackermann. »Ihr sagtet doch, den hätt’ er bei sich gehabt, als er morgens aus’m Hotel ging.«
»Er muss noch einmal ins Hotel zurückgekommen sein«, überlegte van Appeldorn. »Vielleicht in der Zeit, in der van Beek auf der Jagd war. Und vielleicht war Finkensieper nicht allein. Wir sollten uns bei van Beek in der Nachbarschaft umhören. Möglicherweise hat jemand beobachtet, wann Finkensieper gekommen und gegangen ist. Zumindest sein Auto müsste aufgefallen sein in der engen Straße.«
»Vielleicht hat man ja auch jemand anderen beobachtet, der mit einem Laptop aus dem Gasthof kam«, hoffte Schnittges.
Eine ganze Weile blieb es still.
Toppe schrieb etwas auf seinen Block, zeichnete ein paar Linien.
»Genau wie früher«, dachte van Appeldorn. »Diagramme zeichnen, vor sich hin brüten, klammheimlich eigene Theorien entwickeln.« Wie oft hatte er sich darüber geärgert.
Es war Cox, der die Stille unterbrach. »Was ist mit der Kiesspur? Soll ich mal in Arnsberg anfragen, wo in der Gegend von Kessel neue Auskiesungen geplant sind und wem die entsprechenden Grundstücke gehören?«
Es dauerte einen Moment, bis van Appeldorn merkte, dass die Frage an ihn gerichtet war. »Ja, mach das auf alle Fälle. Schließlich gehörte Finkensieper zur Kiesmafia oder war zumindest deren Handlanger.«
»Aber austauschbar«, ließ sich Schnittges vernehmen und handelte sich fragende Blicke ein. »Ich meine, selbst wenn ich ein militanter Naturschützer bin, der am Rad dreht, was hätte ich davon, Finkensieper umzunieten? Die KGG, oder wer auch immer, hätte doch flugs einen anderen Anwalt aus dem Hut gezaubert, Wehmeyer zum Beispiel.«
»Der am Rad dreht, da sagste wat.« Ackermann ließ sein Knie auf und ab wippen. »Vielleicht war et einfach ‘n Bekloppter.« Er grinste Bernie an. »Frag doch ma’ deine Lettie, wat et da so an Kroppzeug gibt im Dorf.«
»Mach ich, aber du kannst dir die Tour mit ›deine Lettie‹ schenken. Die Dame ist über siebzig.«
Keiner hatte van Gemmern anklopfen hören. Er sah schlecht aus, noch blasser als sonst, und seine Augen waren gerötet.
Penny und Schnittges betrachteten ihn ein wenig besorgt, die anderen aber schienen sich nicht zu wundern. Sie wussten, wie starrsinnig van Gemmern wurde, wenn er sich in eine Aufgabe verbissen hatte.
Er legte einen Stapel Fotos auf Cox’ Schreibtisch.
»Noch mehr Müll aus der Umgebung des Tatorts. Und die Waffen sind vom Beschuss zurück – negativ.« Damit war er schon wieder an der Tür.
»Klaus«, meinte Toppe eindringlich, »du solltest mal wieder schlafen.« Aber van Gemmern drehte sich nicht einmal um.
Toppe sammelte seine Notizen ein und schaute auf die Uhr. »Halb drei. Ihr fahrt jetzt nach Kessel? Ich muss auch los. Wenn ich es schaffe, komme ich heute Abend noch einmal dazu.«
Ackermann folgte ihm auf den Flur. »Wat ich dich schon die ganze Zeit fragen wollte, Helmut: Wie geht et eigentlich Astrid?«
Astrid Steendijks Eltern waren bei einem Schiffsunglück in der Antarktis ums Leben gekommen und hatten ihrem einzigen Kind eine Fabrik hinterlassen, einen Betrieb mit über sechzig Mitarbeitern.
Toppe lehnte sich gegen die Wand und zündete sich eine neue Zigarette an. »Das ist schwer zu sagen, Jupp. Sie hat sich keine Zeit zum Trauern genommen, sondern sich sofort in die Arbeit gestürzt, weil sie den Betrieb unbedingt erhalten will.«
Er öffnete das Flurfenster und schnippte die Asche hinaus. »Im Moment ist sie furchtbar wütend auf ihre Eltern, aber das ist vielleicht sogar ein gutes Zeichen.«
Ackermann nickte bekümmert. »So geht dat mit de Trauer ja oft los. Kannst du dir denn vorstellen, dat sie als Fabrikantin glücklich wird?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Toppe langsam. »Wir müssen abwarten.«
»Et is’ echt nich’ datselbe ohne unser Mädken.«
Toppe seufzte. »Wem sagst du das?«
»Obwohl, sonst …« Ackermann drückte ihm aufmunternd die Schulter. »Die Penny passt gut in ‘t Team, ehrlich. Penny … wusstest du, dat dat ‘ne Abkürzung für Penelope is’? Wer gibt seinem Kind bloß so ‘n bescheuerten Namen?«
»Engländer.« Toppe warf die Zigarette hinaus und schloss das Fenster.
Ackermann beschloss, zuerst in der Imbissstube nachzufragen. Er studierte die Speisekarte, die im Fenster ausgehängt war. Hier gab es so ziemlich alles, was das Fastfood-Herz begehrte: Pizza, Döner, Pommes und Schnitzel, sogar Bami und Nasi.
Hinter der Theke hantierte ein junger Türke herum, er mochte vielleicht dreißig sein.
Erschrocken schaute er hoch, als Ackermann hereinkam. »Oje, ich habe vergessen, die Tür abzuschließen. Wir haben noch gar nicht geöffnet«, haspelte er. »Das Fett ist noch nicht heiß.«
»Ich will gar nix essen«, beruhigte ihn Ackermann und legte seinen Ausweis auf den Tresen. »Gucken Sie, hier, ich bin von der Kripo.«
Der Mann lächelte zaghaft. »Ach so.« Er hielt Ackermann die Hand hin. »Ich heiße Ahmed.«
»Angenehm, ich bin Jupp.«
»Sie haben doch bestimmt gehört, dat am Samstag hier im Dorf ‘n Mann erschossen worden is’.« Ackermann zog Finkensiepers Foto aus der Jackentasche und hielt es Ahmed hin.
Der schnappte nach Luft. »Der war das? Der ist doch höchstens so alt wie ich!«
»Sie haben den wohl gekannt.«
»Gekannt ist zu viel gesagt. Ich habe ihn ein paarmal gesehen, durchs Fenster.«
»Un’ wat hat er da gemacht?«
»Gemacht?«, fragte Ahmed verwirrt. »Nichts, er ist herumspaziert und hat sich die Gegend angeguckt.«
»Ah so.« Ackermann schaute auf seine Armbanduhr.
»Zu früh für ‘n Bier, aber ‘ne Cola war’ nich’ schlecht. Wenn et geht, eiskalt.«
»Gerne.« Ahmed gab ein paar Eiswürfel in ein Glas, holte eine Dose Cola aus dem Kühlschrank und goss ein.
Ackermann trank gierig, bevor er seine nächste Frage stellte.
»Uns geht et um letzten Samstag. Haben Sie ihn da auch gesehen? Un’ hatte er vielleicht ‘n Laptop dabei?«
»Samstag? Das kann ich echt nicht sagen. Ich bin im Moment allein im Laden. Wir haben nämlich gerade wieder ein Baby bekommen, und meine Frau ist noch nicht ganz so fit.«
»Glückwunsch, kann ich nur sagen. Wie viel Kinder haben Sie denn?«
»Drei«, antwortete Ahmed stolz.
»Drei is’ ‘ne gute Zahl, ich selbs’ hab auch drei.«
Ackermann besann sich. »Wohnen Sie eigentlich hier?«
Ahmed zeigte an die Decke. »Oben, gleich über dem Laden. Das ist praktisch, weil meine Frau mir so helfen kann und dabei trotzdem die Kinder im Auge hat.«
»Find’ ich gut. Aber ma’ wat anderes: Wenn Finkensieper durch dat Dorf gelaufen is’ – Finkensieper, so hieß der Mann, der erschossen worden is’ –, also, wenn der im Dorf rumlief, war er da immer alleine? Oder haben Sie den mal mit einem anderen gesehen?«
»Nö, der war immer allein.«
Ackermann leerte sein Glas. »Sagen Sie ma’, wie kommen Sie eigentlich klar in diesem Kaff? So als Ausländer, mein’ ich. Sind die Leut’ hier nich’ ziemlich verbohrt?«
»Gar nicht«, antwortete Ahmed entschieden. »Ich bin in Deutschland geboren, und mein Vater ist schon als kleiner Junge hergekommen. Türkisch ist eine Fremdsprache für mich. In Kessel haben wir schnell Fuß gefasst.« Er musste grinsen. »Unser Ältester spielt in der E-Jugend vom SV Kessel und ist Torschützenkönig. So was hilft auch, da wird man schnell zum Kesseler. Außerdem sind wir ja nicht die einzigen Ausländer. Hier wohnen doch jede Menge Holländer und sogar ein paar Polen. Die sind früher jahrelang als Saisonarbeiter zum Spargelstechen gekommen, und anscheinend haben sie jetzt dauerhaft hier Arbeit gefunden, im Gartenbau und so.«
Ackermann nickte. »Gehen Sie eigentlich manchmal in die Kneipe da drüben, zu van Beek?« Dann schlug er sich gegen die Stirn. »Ach Quatsch, Sie dürfen ja gar keinen Alkohol trinken, Sie sind ja Moslem.«
»Ich bin gar nichts, und ich trinke auch Alkohol. Aber bestimmt nicht bei van Beek. Da gehen doch nur die alten Männer hin. Ich habe gehört, dass der Tote bei denen gewohnt hat. Fand ich komisch, da wohnt sonst nie einer.«
Norbert van Appeldorn parkte sein Auto, blieb aber noch eine Weile sitzen. Bernies Anpfiff ging ihm nicht aus dem Kopf. Er hatte bestimmt nicht vorgehabt, die anderen zu maßregeln. Es war nur so, dass er Umständlichkeiten und unnötiges Gerede hasste. Er behielt gern das Heft in der Hand, mochte klare Ansagen und klare Wege. Aber offensichtlich fühlten sich die anderen dadurch bevormundet. Das hatte er gar nicht bemerkt. Erst bei der Teamsitzung eben war ihm bewusst geworden, dass er wohl mit aller Macht versucht hatte, es anders zu machen als Toppe. Keine Assoziationen, keine freilaufenden Gedankengänge, kein Brüten, keine schlaflosen Nächte wegen eines Falles.
Ohne weiter nachzudenken, holte er sein Handy heraus und rief seine Frau an. »Hallo, Liebes, arbeitest du noch?«
Ulli leitete einen Sonderkindergarten und konnte sich ihre Arbeitszeit ziemlich frei einteilen und zudem den Kleinen mitnehmen.
»Ich habe gerade Schluss gemacht und packe jetzt Paul ins Auto. Was ist los? Du hast eine ganz kleine Stimme.«
»Ja, stimmt, man hat mich heute ein bisschen zusammengefaltet, und ich befürchte, nicht ganz zu Unrecht. Ich bitte also um ein Beratungsgespräch, Frau Sozialpädagogin.«
Sie lachte nicht. »Sekunde.« Er hörte, wie sie Paul im Kindersitz anschnallte und ihm einen Kuss gab.
»Heute Abend«, sagte sie dann. »Ich bleibe wach, egal, wie spät es bei dir wird, dann reden wir. Paul ist den ganzen Tag bespielt worden, er ist völlig platt. Wir werden also wohl unsere Ruhe haben.«
Van Appeldorn schloss den Wagen ab und ging über die Straße zur Kfz-Werkstatt. Die Tür, die mit Mennige gestrichen war, führte direkt in eine große, ziemlich düstere Halle, in der es penetrant nach Altöl, Schmiere und Batteriesäure roch. Aus der Grube am hinteren Ende kam ein Hämmern.
»Hallo!«, rief van Appeldorn, und das Hämmern hörte auf.
Ein Mann in einem blauen Overall, der vor Schmutz starrte, kam hervorgekrochen. Er war über eins neunzig groß, dabei, bis auf seine Hände, nicht besonders kräftig. Das dünne, staubig blonde Haar trug er zum Pferdeschwanz gebunden. Sein linkes Ohr war mehrfach gepierct, feine Silberringe reichten von der oberen Muschel bis zum Ohrläppchen, acht oder zehn Stück.
»Schönen guten Tag«, grüßte van Appeldorn. »Sind Sie Herr Elbers?«
»Bin ich.«
»Ganz allein hier?«
Elbers wischte sich die Finger an einem schmierigen Lappen ab. »Heute wohl, mein Azubi hat montags Schule.«
Er grinste jovial und enthüllte dabei ein erschreckend schlechtes Gebiss für jemanden, der erst Mitte vierzig war.
»Was kann ich denn für Sie tun?«
Van Appeldorn zog seinen Dienstausweis und Finkensiepers Foto aus der Tasche. »Ich bin von der Kripo. Es geht um diesen Mann hier.«
Elbers guckte sich das Foto an. »Das ist wohl der, den sie auf ›Opheys‹ Parkplatz erschossen haben.« Dann schaute er van Appeldorn ins Gesicht. »Und was hab ich damit zu tun?«
Er fummelte ein zerknautschtes Päckchen filterloser Zigaretten aus der Brusttasche und zündete sich eine an.
»Haben Sie den Mann hier im Dorf gesehen?«
»Allerdings, ich hab sogar mit dem gesprochen. Der war bei mir. Anfang letzter Woche, muss wohl Dienstag gewesen sein. Wollte neue Blätter für seine Scheibenwischer. Könnt’ ich aber nicht mit dienen. Der fuhr einen Citroën.« Elbers kniff die Augen zusammen. »Aber ich glaub’, das war nur ein Vorwand. In Wirklichkeit wollte der bloß quatschen.«
»Worüber?«
»Ach, der war von der Kiesgesellschaft. Wollte wissen, wie das mit dem Kies hier alles so angefangen hat. Aber da könnt’ ich ihm nicht viel drüber sagen. In den Siebzigern war ich ja selbst noch ein Kind, da hatte mein Vater die Werkstatt noch.«
Van Appeldorn schaute ihn aufmunternd an.
»Er hat lauter komisches Zeug gefragt. Ob der Seeweg früher mal länger gewesen wär’, zum Wald hin runter. Und ob da früher mal ein Haus gestanden hätt’, wo jetzt der Anglersee ist.«
»Und? Hat da mal ein Haus gestanden?«
»Ich glaub wohl, aber ich war ja noch ein Kind, wie gesagt. Und deshalb könnt’ ich dem Typ auch nicht viel erzählen. Ich weiß bloß noch, dass wir Kinder, als ich noch ziemlich klein war, im ersten Baggerloch immer schwimmen gegangen sind und dass immer eine Mutter dabei war, die auf uns aufgepasst hat. Keine Ahnung mehr, wer die war. Die hat uns immer mit Wassermelonen gefüttert. Wassermelonen – die kannte ich als Kind gar nicht …«
»Uns geht es um den letzten Samstag, Herr Elbers. Haben Sie Finkensieper an dem Tag auch gesehen?«
»An dem Tag, wo sie ihn kaltgemacht haben? Nee, hab ich nicht.« Er zupfte an seinen Ohrringen. »Konnte ich auch gar nicht. Gestern und vorgestern war ich auf einem Harley-Treffen in Bad Münstereifel. Samstagnachmittag hab ich bei Heino im Café gesessen und mir ein Stück Holländer Kirsch gegönnt.«
Bernie Schnittges hatte schlechte Laune.
Bei seinen Befragungen heute im Dorf war nicht viel herausgekommen, hoffentlich hatte er morgen mehr Glück.
Es war ein langer, trauriger Tag gewesen, und er würde heute bestimmt nicht mehr mit Lettie auf ein Bier zu van Beek gehen, vielleicht morgen. Schön kühl duschen und dann gleich ins Bett.
Er war gerade vor seinem Haus angekommen, als sein Handy sich meldete.
Misstrauisch schaute er aufs Display und freute sich dann, »Hallo, Mutter, was gibt’s?«
Seine Mutter war die Einzige, die wusste, warum er wirklich aus Krefeld weggegangen war, aber sie war klug genug, es nicht anzusprechen. Sie wollte einfach nur wissen, wie es ihm ging. Dann erzählte sie von ihrem Plan, ein Sommerfest zu machen, »damit ich meine ganze Brut mal wieder so richtig betüddeln kann«.
Als er das Auto abschloss und ins Haus ging, hatte seine Laune sich deutlich gebessert. Er musste an Finkensiepers Fotoalbum denken. Da waren überhaupt keine Babyfotos gewesen.
Auch Peter Cox war nicht traurig, dass die abendliche Teamsitzung nur kurz gewesen war. Er wollte endlich das Gäste-WC fliesen.
Aber Penny war müde und bedrückt, also änderte er seine Pläne, massierte ihr ausgiebig den Nacken und ließ ihr ein Bad ein. Dann füllte er ein Glas mit irischem Whiskey und brachte es ihr ins Badezimmer. Sie trank einen Schluck, schloss die Augen und stöhnte wohlig.
»Das ist schon besser. Hol dir doch auch ein Glas und komm zu mir in die Wanne.«
Was er auch tat.
»Weißt du, dass ich ein schlechtes Gewissen habe? Normalerweise würde ich noch bis spät in der Nacht über den Akten sitzen. Aber jetzt denke ich ständig nur an dich. Ich bin gar nicht so richtig bei der Sache.«
Sie strahlte leise. »Weißt du was? Wenn wir den Fall abgeschlossen haben, nehmen wir uns ein paar Tage frei und fahren nach England. Ich möchte, dass du meine Familie kennenlernst.«
»Bei der ich dann um deine Hand anhalten werde.«
»Machst du Witze?«
»Eigentlich nicht.«