15
»Susanne, was machst du hier?« Steffen Wellner blickte seine Frau über den Schreibtisch hinweg erstaunt an. Er konnte sich nicht erinnern, wann sie ihn das letzte Mal im Krankenhaus aufgesucht hatte. »Ist was passiert?«
»Ja, mit uns.« Susanne kam um den Schreibtisch herum und sah auf ihren Mann herab. »Wir beide wissen, dass unsere Ehe nicht besonders gut läuft. Aber das totzuschweigen, ist keine Lösung. Wir müssen darüber reden.«
»Ja, aber bestimmt nicht hier und jetzt.« Er erhob sich aus seinem Chefsessel. »Ich glaube, du gehst besser wieder.«
»Nein!« Das klang sehr bestimmt. »Ich bleibe. Aber nicht zum Reden.«
»Susanne, was soll das?« Seinen gereizten Ton kannte sie zur Genüge, aber diesmal würde sie sich davon nicht beeindrucken lassen. Sie öffnete ihren Mantel, warf ihn achtlos zu Boden und trat ganz nahe an Steffen heran. Zärtlich blickte sie ihm in die blauen Augen. Wie gerne wollte sie wieder glücklich mit ihm sein. So wie früher.
»Was wird das?« Nüchtern sah er auf seine zierliche Frau hinunter. Er war einen ganzen Kopf größer als sie.
Susanne legte ihre Hand auf seinen Nacken und zog ihn zu sich hinunter, um ihn zu küssen. Widerwillig ließ er es zu, in der Hoffnung, sie würde dann endlich wieder gehen. Doch Susanne dachte gar nicht daran. Sie schob ihm den Kittel von den Schultern und öffnete sich selbst die Bluse.
»Susanne, ich muss arbeiten«, versuchte er einzuwenden.
»Danach«, sagte sie mit einem verführerischen Augenaufschlag und fegte mit einer schnellen Armbewegung sämtliche Unterlagen vom Schreibtisch. Dann nahm sie darauf Platz, zog sich den Rock über die Knie und spreizte die Beine. Als sie ihn am Gürtel zu sich ziehen und ihm die Hose öffnen wollte, packte er sie am Arm und zog sie grob vom Tisch.
»Sag mal, spinnst du jetzt total?«, schrie er sie an. »Du glaubst doch nicht im Ernst, ich fick dich hier auf meinem Schreibtisch!«
»Früher hättest du das getan«, entgegnete sie leise.
»Früher«, wiederholte er spöttisch. »Heute ist nicht früher. Dinge ändern sich.«
»Ja, die Dinge haben sich geändert und zwar grundlegend. Nur, dass ich nicht weiß, warum. Du bist eiskalt zu mir und schlafen willst du auch nicht mehr mit mir. Warum zum Teufel ist das so?« Sie funkelte ihn aus ihren braunen, ausdrucksvollen Augen an. »Wahrscheinlich hast du eine andere.«
»So ein Quatsch.« Er schüttelte missbilligend den Kopf.
»Was soll ich denn denken, wenn du mich nicht willst?«
»Ich hab jetzt keine Zeit, derart bescheuerte Gespräche zu führen.« Er zog sich den Kittel zurecht und ging zur Tür. »Eins sage ich dir: Wag es nicht noch mal, hierher zu kommen. Das ist weiß Gott nicht der richtige Ort, um Eheprobleme zu beseitigen.« Er öffnete die Tür, wandte sich aber nochmals kurz um. »Und meine Unterlagen finde ich nachher wieder da, wo sie vor deinem idiotischen Auftritt lagen. Dann verschwindest du.«
Die Tür fiel krachend ins Schloss und Susanne stand wie ein begossener Pudel hinter dem Schreibtisch. Tränen traten ihr in die Augen. Ihre Ehe hatte sie sich wirklich anders vorgestellt. Als sie Steffen vor zehn Jahren kennengelernt hatte, war er noch liebevoll und aufmerksam und für sie das Nonplusultra gewesen. Sie fragte sich, warum sie seinen wahren Charakter erst so spät erkannt hatte. Zu spät! Liebe machte wohl tatsächlich blind. Steffen war ein egoistischer, kalter Mann, geldgeil noch dazu. Sein Machtbedürfnis sowie sein Selbstwertgefühl schienen ihr völlig übersteigert. Er lebte nur noch für seine Arbeit in der Humboldt-Klinik und hatte wohl vergessen, dass er eine Frau zu Hause hatte, die sich nach Liebe und dem Mann, der er früher gewesen war, sehnte. Sie überlegte, wie lange es wohl her war, seit Steffen sie in den Arm genommen hatte? Sie konnte sich nicht erinnern. Sehnsucht machte sich breit und sie fragte sich, warum es Steffen nicht ebenso ging. Jeder brauchte doch Liebe. Steffen wohl nicht. Was er brauchte, war höchstens Sex, und den holte er sich wahrscheinlich irgendwo anders.
Traurig ließ sie sich auf dem Boden nieder und stapelte die Unterlagen aufeinander. Ihr Plan war völlig in die Hose gegangen. Wie sehr hatte sie gehofft, Steffen damit aus der Reserve locken und in ihm wieder den Mann von früher wecken zu können. Sie wusste, dass ihm spontane Aktionen normalerweise gefielen. Oder gefallen hatten. Er hatte es geliebt, wenn sie einfach über ihn hergefallen war. Aber die Erinnerung daran war bei ihm wohl verblasst, genauso wie seine Liebe.
Auch wenn ihre Ehe schlecht war, ging es ihr im Grunde sehr gut. Sie lebte in purem Luxus, hatte eine Putzfrau, einen Gärtner und konnte tun und lassen, was sie wollte. Ließe sie sich scheiden, stünde sie vor dem Nichts. Dieser Gedanke holte sie immer wieder zurück in die Realität.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Theo Stadler stürmte ins Zimmer.
»Steffen, du hast –«, abrupt blieb er stehen, als er Susanne kniend auf dem Boden sitzen sah, inmitten all der Papiere. »Was ist denn hier passiert?«
»Ich habe ein bisschen Chaos angerichtet.«
»Das sehe ich.« Theo trat näher und sein Blick fiel auf Susannes geöffnete Bluse. »Wenn du nicht so traurig aussehen würdest, könnte man denken, ihr habt hier eine Nummer geschoben.«
»Leider nein.«
Theo ging vor ihr in die Knie und half ihr beim Aufheben. »Was ist passiert? Habt ihr euch gezofft?«
»So kann man es nennen. Aber halb so schlimm. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.«
Theo nahm ihr Kinn in die Hand, so dass sie ihn ansehen musste. Ihre Tränen hatten schwarze Mascaraspuren auf ihre Wangen gezeichnet und ihr Blick glich dem eines verletzten Rehs. »Komm her.« Er zog sie hoch, wischte ihr die Streifen mit einem Taschentuch ab und nahm sie in den Arm. »Tut mir leid, dass das nicht so läuft zwischen euch.«
»Theo, ich verstehe es einfach nicht. Steffen ist so kalt zu mir, als wäre ich ihm völlig egal.« Verzweifelt sah sie Theo Stadler in die schmalen, braunen Augen. Der Fünfunddreißigjährige hatte schwarze, glatte Haare, die an den Seiten kurz geschnitten waren. Das Deckhaar trug er länger. Seine vollen Lippen wirkten irgendwie unpassend in seinem länglichen Gesicht mit der schmalen Nase. Theo war kein besonders hübscher Mann.
Susanne kannte ihn nun schon seit neun Jahren. Zu Anfang hatte er als Caddie beim Golfen für ihren Mann gearbeitet, um sich Geld für sein Medizinstudium zu verdienen. Wie sie von Steffen wusste, kam er aus ziemlich armen Verhältnissen. Er beschrieb Theo immer als starken, angriffslustigen Typ, dem Konflikte Spaß bereiteten. Steffen war der Meinung, dass das seine Art von Kontaktaufnahme war.
Der junge Arzt war oft anstrengend, weil er Widerstand leistete, seine Meinung sagte und sich nicht einfach anpasste. Trotzdem oder gerade deswegen mochte ihn Steffen und war überzeugt, dass er prima in sein Team passte. Er sagte immer: Wir brauchen starke Kämpfertypen, die etwas erreichen wollen. Als Theo sein Studium beendet hatte, hatte Steffen Wellner ihn sofort in der Humboldt-Klinik als Assistenzarzt angestellt.
Auch Susanne mochte Theo von Anfang an. Er war ein guter Zuhörer und immer nett zu ihr. Ob es aufgesetzte Freundlichkeit oder wahres Interesse war, wusste sie nicht und es war ihr auch egal. Seine Art, mit ihr umzugehen, tat ihr gut.
»Ich weiß nicht, was in ihm vorgeht«, sagte Theo. »Über so was spricht er nicht mit mir.«
»Er muss eine andere haben«, mutmaßte Susanne. »Sexuell läuft schon lange nichts mehr bei uns. Und ohne kann er es nicht lange aushalten.«
»Und du?«
»Was, und ich?«
»Hältst du das denn aus?«
»Mir bleibt ja nichts anderes übrig. Er will mich einfach nicht mehr. Ich komme mir so blöd vor. Biedere mich hier an und kriege glatt eine Abfuhr. Ich hätte es mir denken können. Wie bescheuert von mir.«
»Hey!« Theo nahm ihr Gesicht in seine Hände und streichelte ihre Wangen. »Mach dich nicht so klein. Du bist eine tolle Frau. Und wenn er dich nicht will, ist er schön blöd.« Theo musterte Susanne, wie er es schon so oft getan hatte. Sie war eine hübsche, schlanke Person, immer liebenswert und höflich. Aber sein größtes Interesse galt ihrer großen Oberweite, auf die er jetzt ungehindert blicken konnte. Ihr BH hatte die Brüste in attraktive Position gerückt und bedeckte nur knapp ihre Brustwarzen. Am liebsten hätte er sich zu ihnen hinuntergebeugt, um sie zu küssen. Aber er kannte die Frauen, schließlich war er eingefleischter Single mit regelmäßigen One-Night-Stands. Bei Susanne war eine so forsche Vorgehensweise nicht angebracht. In ihrem Zustand sowieso nicht. Eine Runde Trösten war angesagt.
»Ich überlege mir schon länger, mich scheiden zu lassen. Das hat doch alles keinen Sinn mehr.«
»Ich glaube, du solltest nicht so viel grübeln.« Sanft kraulte er ihr den Nacken.
»Leichter gesagt als getan«, entgegnete sie seufzend.
»Tu doch einfach mal, wozu du Lust hast.«
»Das wollte ich hier ja gerade, aber Steffen ist so subtil wie ein Holzklotz.« Seufzend trat sie einen Schritt zurück und begann, sich die Bluse zuzuknöpfen.
Schnell nahm Theo ihre Hände und zog sie wieder nah zu sich heran. Dann nahm er sie in die Arme und streichelte ihren Rücken. Ein tiefer Blick in ihre erstaunten Augen, dann küsste er sie, bis sie seinen Kuss erwiderte. Als er spürte, wie die Leidenschaft in ihr erwachte, löste er sich sanft von ihr.
»Komm«, sagte er nur, knöpfte ihr die Bluse zu und schob sie aus dem Zimmer. Schweigend liefen sie den Gang entlang, fünf Türen weiter bis zu Theos Arztzimmer. Er schloss die Tür ab und nahm sie sofort wieder in die Arme. Unsicher blickte sie ihn an und er wusste, dass ein Kampf in ihr tobte. Aber er würde ihr keine Zeit lassen, darüber nachzudenken, ob das, was sie hier tun würden, richtig oder falsch war. Theo begehrte diese Frau und da spielte es auch keine Rolle, dass sie die Frau seines Chefs war. Schließlich hatte der gar kein Interesse an ihr und sich anderweitig orientiert.
Gerade wollte sie etwas sagen, als Theo ihr den Mund mit einem leidenschaftlichen Kuss verschloss. Susanne war für einen kurzen Moment überrascht, welch unglaubliches Gefühl dieser Kuss in ihr hervorrief. Wie sehr ihr das gefehlt hatte, wurde ihr in diesem Augenblick bewusst.
»Wie lange ist es her?«, fragte er dicht an ihrem Ohr.
»Ich weiß nicht genau. Vielleicht fünfzehn Monate«, sagte sie mit leiser Stimme, in der Verlegenheit mitschwang. Dieser Umstand machte die Frau für Theo noch viel reizvoller.
»Ich bin sicher, du hast inzwischen nichts verlernt.« Theo lächelte sie verschmitzt an. »Das ist wie Fahrradfahren, wenn man es einmal kann, dann für immer.«
Er begann ihren Hals mit Küssen zu bedecken, während er ihr die Bluse aufknöpfte und von den Schultern streifte. Sie legte den Kopf in den Nacken und ließ ein leises Stöhnen hören. Mit weichen Knien stand sie da, eingehüllt in eine Wolke erregenden männlichen After-Shaves und spürte die Nähe seines Körpers. Sie wollte sich nur noch hingeben und dieses herrliche Gefühl genießen.
Mit geschickten Chirurgenfingern öffnete er ihren BH, der lautlos zu Boden glitt. Sanft streichelte er ihren Busen. Die Worte, die er sagte, waren für Susanne von ungewöhnlicher Zärtlichkeit und verfehlten ihre Wirkung nicht. Auch sie begann Theo auszuziehen.
Als sie nackt voreinander standen, sahen sie sich einen Moment lang schweigend an.
»Du bist wunderschön«, sagte er dann und dachte: Was für ein Hammergerät!
Dankbar schenkte sie ihm ein verführerisches Lächeln, das gleiche, das noch vor wenigen Minuten ihrem Mann gegolten hatte.
Theo nahm ihre Hand und zog sie mit zum Schreibtisch, aus dessen Schublade er ein Kondom fischte, bevor er mit ihr zur Untersuchungsliege hinüberging. Dort streifte er es sich derart schnell über, dass sie sich fragte, ob er das täglich trainierte. Aber noch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, lag sie schon auf der Liege und wurde nach allen Regeln der Liebeskunst bearbeitet. Er entlockte ihr die ganze aufgestaute Leidenschaft, ließ seine vollen Lippen über ihren Körper wandern, während sie ihre Hände in seinen weichen Haaren vergrub. Als sie glaubte, vor Erregung zu zerspringen, zog sie ihn auf sich und umklammerte ihn. Sanft spreizte er ihre Beine und drang in sie ein. Susanne wölbte sich ihm entgegen und kam wenige Augenblicke später zum Höhepunkt. Lächelnd stand Theo auf, woraufhin Susanne ihn irritiert ansah. Blitzschnell zog er sie von der Liege, drehte sie ruckartig vor sich herum und drang erneut von hinten in sie ein. Er stieß so kraftvoll zu, dass sie sich an der Liege festklammern musste.
Plötzlich hörten sie ein Klopfen an der Tür, jemand versuchte, sie zu öffnen. Susanne erschrak und wollte inne halten. Doch Theo beeindruckte die Störung überhaupt nicht. Gelassen bewegte er sich im gleichen Rhythmus weiter.
»Dr. Stadler?«, fragte eine weibliche Stimme. »Sind Sie da? Sie werden auf Station zwei gebraucht.«
»Ich komme gleich!«, rief er in Richtung Tür und etwas leiser murmelte er: »Und wie ich gleich komme.« Mit einem lustvollen Stöhner presste er Susannes Gesäß fest gegen seine Hüften und genoss seinerseits den sexuellen Höhepunkt.
Susanne drehte sich zu ihm um und sah ihn erwartungsvoll an.
»Das war unglaublich!«, sagte er und nahm sie in die Arme.
»Ja, das war es«, bestätigte sie lächelnd. »Danke!«
»Wofür?«
»Dass ich mich jetzt wieder ein bisschen wie eine Frau fühle.«
»Eine Frau mit einem Geheimnis. Das Ganze bleibt unter uns, o.k.?«
»Sicher!« Sie nickte.
»Wenn es mal wieder –« Juckt, wollte er sagen, überlegte es sich aber. »Ich meine, wenn du mal wieder Lust verspürst, mich zu besuchen … jederzeit gerne.«
Als sie ihn anblickte, wusste er, dass er bei Susanne ein Feuer entfacht hatte, das tief in ihr geschlummert hatte. Der ein oder andere Quickie war da sicher noch drin. Er musste nur aufpassen, dass sie sich nicht in ihn verliebte oder Steffen Wind davon bekam.
»Also, ich muss jetzt wieder zurück zu meiner Pflicht. Du hast es ja gehört. Ohne mich geht nichts.« Lachend suchte er seine Kleider zusammen und zog sich schnell an. Susanne beobachtete ihn dabei. Theo gefiel ihr oder besser gesagt, sein Körper gefiel ihr. Das, was seinem Gesicht fehlte, um hübsch auszusehen, machte sein Körper locker wett. Besonders zwischen den Beinen war er gut ausgestattet. Ihr kam der Spruch Wie die Nase eines Mannes, so auch sein Johannes in den Kopf und sie musste lächeln. Theo war das beste Beispiel dafür, dass das völliger Blödsinn war. Seine Stupsnase passte überhaupt nicht zu seinem Johannes. Susanne fragte sich, warum sie nicht ein bisschen Spaß mit ihm haben sollte, wenn ihr werter Gatte seinen ehelichen Pflichten sowieso nicht nachkam.
Theo knöpfte seine Hose zu, gab ihr einen Kuss und verabschiedete sich. An der Tür zwinkerte er ihr nochmal zu, dann war er verschwunden. Während Susanne sich fertig machte, dachte sie über Theo nach. Auf irgendeine Art war er unnahbar. Eigentlich kannte sie ihn überhaupt nicht, auch wenn sie sich seit neun Jahren immer wieder begegneten. Was wusste sie von ihm? So gut wie nichts. Sie hatte Lust, das zu ändern.