Kapitel 19
Als Fleur von der Sitzung erfuhr, bestand sie darauf, mit ihrer Mutter einkaufen zu gehen.
»Ich weiß, dass du furchtbar viel um die Ohren hast, ich weiß, dass du die Leute dazu überreden musst, sich für den Markt zu verpflichten und diese Grundstücksparzellen zu kaufen, bla, bla, bla, aber wenn du die Ausschussmitglieder bei eurer Sitzung von den Socken hauen willst, kannst du nicht in diesem marineblauen Fummel auftauchen, in dem du aussiehst wie eine Mary Poppins für Arme.«
»Du willst ja nur deshalb mit mir einkaufen fahren, damit ich meine Kreditkarte mitnehme, und weil du nichts mit dir anzufangen weißt, nachdem Jamie nach London zurückgefahren ist.« Normalerweise genoss Nel es, Kleider in Größe 36 zu kaufen, und ein Einkaufsbummel mit Fleur machte immer Spaß, aber im Augenblick stand ihr der Sinn nicht nach derartigen Unternehmungen. »Er ist ein netter Junge, nicht wahr?«
»Vorsicht, Mum, sonst vermiest du ihn mir noch.«
»Nun, so nett ist er natürlich auch wieder nicht«, sagte Nel hastig. »Er hat einen schrecklichen Geschmack, was Musik betrifft.«
»Es kümmert dich doch gar nicht, was für eine Art Musik er gern mag! Aber ich bin froh, dass du nicht mehr rumzickst, dass er aus London herkommen soll. Also, gehen wir jetzt einkaufen?«
»Ich habe Florence und Viv erklärt, dass ich keine Zeit zum Einkaufen habe. Und ich habe sie nicht. Was auch immer du dir in den Kopf gesetzt hast, du wirst es von deinem eigenen Geld kaufen müssen.«
»Hm, ich brauche wirklich dringend eine neue Jeans, aber mal ehrlich, Mum, hier geht es um dich. Wenn Jake dort sein wird, musst du einfach hinreißend aussehen.«
»Ich interessiere mich nicht für Jake. Jedes noch so geringe Interesse, das ich einmal an ihm gehabt haben mag, hat sich schon lange in Luft aufgelöst.« Das war nicht annähernd die Wahrheit, aber sie glaubte, wenn sie es nur oft genug wiederholte, würde es eines Tages wahr werden. Außerdem gewöhnte sie sich langsam an das Lügen; sie konnte es jetzt schon sogar, ohne rot zu werden.
»Verd...! Darum geht es doch gar nicht! Was immer er getan haben mag, dass du ihn plötzlich nicht mehr leiden kannst, es soll ihm Leid tun! Ich weiß, dass du das willst.«
»Aber er hat es getan, bevor er mir begegnet ist, Schätzchen. Ich habe es dir erzählt. Simon hat diesen Artikel vorbeigebracht, und als ich Jake in der Bar darauf angesprochen habe, hat er nichts bestritten. Er ist ein nichtswürdiger, verkommener Schurke.«
»Nun, mir gefällt er. Er ist nicht herablassend oder tyrannisch.« Mit den Lippen formte sie die Worte »wie Simon«. Dann fügte sie laut hinzu: »Und Viv ist meiner Meinung.«
»Jetzt nicht mehr, o nein. Nicht, nachdem sie weiß, was für ein bösartiger Teufel er ist.«
»Du hast wirklich manchmal drollige Ausdrücke, Ma, aber lass dir eins von mir gesagt sein. Auch wenn du ihn wirklich nicht mehr magst ...« Fleurs hochgezogene Augenbrauen deuteten an, wie wenig sie gerade an dieses Märchen glaubte. »... möchtest du trotzdem, dass es ihm Leid tut.«
»Liebling, ich spiele solche Spielchen nicht.«
»Quatsch mit Soße«, erwiderte Fleur unumwunden. »Ich habe viel mehr Erfahrung mit solchen Dingen als du. Also, hol mich nach der Schule ab, und wir machen einen Streifzug durch die Läden. Ich bin um zwei fertig.«
Nel wusste, wann sie geschlagen war. Den Sieg hatte jedoch weniger die tyrannische Art ihrer Tochter davongetragen als ihr eigenes Bedürfnis, ein wenig Zeit auf Oberflächlichkeiten zu verwenden. Trotzdem murmelte Nel noch ein paar Minuten vor sich hin, dass sie zu ihrer Zeit den ganzen Tag in der Schule habe verbringen müssen, ob sie nun Unterricht hatte oder nicht, und Fleur murmelte zurück, dass dies eben nicht ihre Zeit sei.
Nel rief Viv an, um ihr zu beichten, dass sie sich einen freien Nachmittag gönnen würde – wenn Viv auch nur annähernd missbilligend klingen würde, hatte Nel sich vorgenommen, würde sie es nicht tun.
»Gute Idee! Du kannst nicht jede Minute arbeiten, die der liebe Gott uns schenkt, und Mum hat Recht. Du wirst viel selbstbewusster in die Sitzung hineingehen, wenn du großartig aussiehst.«
»Ich habe aber trotzdem Gewissensbisse. Ein ganzer Nachmittag. In dieser Zeit könnte ich 2,4 potenzielle Bauernmarktverkäufer besuchen. Die Pacht, die sie zahlen, wird für das Hospiz umso wichtiger sein, wenn wir unsere Wiesen verlieren.«
»Nichtsdestotrotz kannst du dir mal freinehmen. Außerdem werde ich ein paar von Mums alten Freundinnen anrufen und ihnen erzählen, dass sie im Krankenhaus liegt, und ich werde das Hospiz so nebenbei ins Gespräch einfließen lassen. Einige der Frauen sind im Topflappen-Häkelkreis. Was sollten sie mit ihrer Zeit anfangen, wenn es kein Hospiz mehr gäbe, das sie unterstützen können?«
»Wahrscheinlich würden sie ein Tierasyl unterstützen oder irgendetwas, das nicht von ihnen verlangt, Wiesenparzellen zu kaufen, für die sie gar keine Verwendung haben.« Nel stockte, und Viv wusste, woran sie dachte.
»Hör mal, ich weiß, du glaubst, Jake hätte nur aus den falschen Gründen mit dir geschlafen.«
»Es gibt keine richtigen Gründe, Viv. Wie auch immer seine Motive ausgesehen haben mögen, sie waren falsch.«
»Unfug! Was ist mit Begehren! Das ist ein durch und durch akzeptabler Grund.«
»Begehren ist ein zu nettes Wort dafür. Es war Wollust.«
»Trotzdem, an ehrlicher Wollust gibt es nichts auszusetzen ...«
»Nur dass nichts Ehrliches daran war.«
»Das kannst du nicht wissen. Und eines Tages wirst du an das Erlebnis zurückdenken und wissen, dass es schön war, nur um seiner selbst willen, ohne Schmerz oder Bitterkeit.«
Nel dachte ein paar Sekunden darüber nach. »So würde ich vielleicht empfinden, wenn es Wollust oder Begehren oder was auch immer war, aber nicht, wenn ich glaube, dass er es nur getan hat, um mich handzahm zu machen. Mein Gott! Lieber würde ich wegen meines Geldes verführt werden! Das ist zumindest etwas Positives.«
»Nur dass du gar kein Geld hast.«
»Darum geht es nicht.«
»Hm, ich glaube, du irrst dich. Ich glaube, er wollte dich genauso sehr, wie du ihn wolltest.«
Nels Herzschlag beschleunigte sich einen Augenblick lang, als sie darüber nachdachte. »Möglicherweise.«
»Und du hast dich doch wirklich gut amüsiert, oder? Es war fantastisch?«
»Ja. Aber was ist mit diesem ganzen Pille-danach-Fiasko? Das war ziemlich furchtbar.«
»Gar nicht wahr. Sie hat doch funktioniert, oder? Die Pille? Du bist nicht schwanger. Ich sage nicht, dass du das Ganze im Handumdrehen abschütteln wirst. Aber eines Tages wirst du auf eure gemeinsame Zeit zurückblicken, als etwas wirklich Schönes, das dir widerfahren ist.« Viv hielt inne. »Und wer weiß, wenn Simon alles ist, was du im Sinn hast, wirst du vielleicht nie wieder Sex haben.«
»Viv!«, heulte Nel auf. »Ich mache jetzt Schluss.«
»Gut. Vergiss deine Kreditkarte nicht, und mach dir keine Sorgen darüber, wie viel du ausgibst. Dafür sind Kreditkarten ja schließlich da. Ach, und könnten wir etwas Aufregenderes bekommen als unser Standardschwarz oder Dunkelblau? Ich weiß, du glaubst, du hättest die Maße eines Kleiderschranks, aber außer dir findet das niemand.«
Als sie nach Cheltenham kamen, verlangte Fleur als Erstes etwas zu essen. »Zum Einkaufen braucht man Energie, Ma. Wenn du Hunger hast, schnappst du dir nur irgendetwas, das dir gerade in die Finger kommt. Ich kenne ein hübsches kleines Lokal.«
Das war eine gute Entscheidung. Der Besitzer kochte persönlich, es gab hausgemachte Suppe und herrliche Salate, und das Restaurant hatte, wie Fleur feststellte, eine Schankerlaubnis. »Trink ein Glas Wein, Mum. Mach schon.«
»Aber ich habe den ganzen Tag lang nichts gegessen! Der Alkohol wird mir sofort zu Kopf steigen. Ich muss noch fahren.«
»Dann eine Schorle, und wir teilen sie uns. Du brauchst ein bisschen Alkohol, um dich zu überwinden, neue Farben und Schnitte auszuprobieren. Viv hat mir strikte Anweisung gegeben, dass du nicht mit Schwarz oder Dunkelblau zurückkommen darfst.«
»Dann bleiben mir also noch Flaschengrün oder Braun«, erwiderte Nel. »Oder möglicherweise Dunkelgrau.«
Fleur schnitt eine grässliche Grimasse und lächelte dann die Kellnerin an. »Zwei Suppen und einen Salat Cäsar für uns beide, bitte.«
Während sie Suppe, Brot und Butter aßen und im Salat herumstocherten, beäugte Fleur ihre Mutter mit schräg gelegtem Kopf. Das machte Nel nervös.
»Ich werde mich nicht von Kopf bis Fuß neu einkleiden. Du brauchst es nicht einmal vorzuschlagen! Meine Zeit reicht nicht einmal, um ein einziges Teil zu kaufen. Und wenn du mich drangsalierst, zu viel zu kaufen, dann werde ich am Ende gar nichts nehmen.«
»Ich habe lediglich über einen Lippenstift nachgedacht, der eine Spur heller sein könnte. Dieser Braunton, den du trägst, ist okay, aber nicht gerade ein Knüller.«
»Das ist kein Braun! Es ist Altrosa! Und es ist schließlich nur eine Farbe auf meinen Lippen! Wichtig ist doch, was ich sage!«
Fleur verzog das Gesicht und riss sich noch ein Stückchen Brot ab.
»Das Problem ist«, sagte Nel, während sie die Kleiderständer musterte, »ich kann mich nicht entscheiden, wenn die Auswahl so groß ist. In einem Secondhandshop gefällt einem normalerweise nur ein einziges Teil, und das passt, oder es passt nicht. Wenn ich ein Dutzend Regale mit Jacken vor mir habe, die alle gleich aussehen, finde ich das verwirrend. Wie ein Fuchs im Hühnerstall weiß ich nicht, welches Teil ich mir schnappen soll.«
Fleur quittierte diesen Anfall von geistiger Umnachtung mit einem Kopfschütteln. »Es sind nicht dutzende Regale! Nur ein paar in jeder Größe!«
»Und da ist noch etwas! Man stelle sich nur vor ...« Sie warf einen entsetzten Blick auf das Etikett. »So viel Geld, nur um feststellen zu müssen, dass eine andere Frau dasselbe trägt – aber in Größe 34.«
»Das wird dir nicht passieren, Mum«, erklärte Fleur zuversichtlich. »Niemand, der Größe 34 trägt, würde so etwas anziehen. Es sei denn, er wäre wirklich alt und depressiv.«
Nel sah sich ängstlich um, um sich davon zu überzeugen, dass niemand wirklich Altes und Depressives in Hörweite war. »Also ehrlich, Fleur!«
»Und ich finde, du solltest es auch nicht tragen. Komm mit hier rüber.«
»Liebling!« Nel blieb abrupt stehen. »Auf diesem Etikett steht, dass ein einziges T-Shirt fast hundert Pfund kostet!«
»Sie geben Rabatt! Das tun sie immer! Jetzt stell dich nicht so an.«
»Und du sei nicht so herrisch.«
»Eine von uns muss es sein. Also, wie wär’s damit?«
Von Fleur dazu genötigt, unterzog sich Nel der Tortur des Anprobierens. Als sie schließlich aus der Kabine kam, wusste sie nicht recht, wie sie sich fühlte.
Es war eine Art langer Strickmantel aus Merinowolle, der wunderbar fiel. Es gab noch einen dazu passenden Rock, den Fleur jedoch angewidert beiseite schob. »Ich weiß, eigentlich wollten wir dich aus deinen schwarzen Hosen rausholen, aber dazu würden sie sich gut machen.«
»Findest du wirklich, dass das elegant genug für eine Sitzung ist?«
Mittlerweile war die Verkäuferin auf dem Plan erschienen, und zu Nels leichtem Ärger schlug sie sich kategorisch auf Fleurs Seite. »Absolut! In diesem Mantel können Sie überall hingehen. Wenn Sie sich erst daran gewöhnt haben, werden Sie praktisch darin leben. Er ist elegant, praktisch, chic und warm, und er macht schlank.«
»Und rüstet er den Besitzer auch mit schmackhaften Imbissen und Hundesittern aus?«, fragte Nel ironisch, obwohl sie sich allmählich einfach wunderbar in der Jacke fühlte.
»Wenn du die Hunde auch nur in die Nähe dieses Schmuckstücks lässt, bringe ich dich um!«, sagte Fleur. »Die Jacke ist toll. Aber gefällt sie dir auch?«
Fleur, die genug Kleider hatte, um die Secondhandshops einer ganzen Stadt zu beliefern, hatte eine strenge Regel. Wenn ihr etwas nicht gefiel, kaufte sie es nicht. Nel neigte dazu, Dinge zu kaufen, wenn sie nur halbwegs passten und erschwinglich waren, ohne sich einen Deut um kleine Schönheitsfehler zu scheren. Viv drohte ihr permanent damit, ihre Garderobe durchzusehen und die Hälfte davon wegzuwerfen.
Nel seufzte. »Ja, sie gefällt mir tatsächlich. Ich will sie gar nicht mehr ausziehen.«
»Wunderbar! Also, was ziehst du dazu an?«
»Du hast doch gesagt, schwarze Hosen würden gehen!«
Fleur seufzte. »Nicht diese schwarze Hose! Du brauchst eine bessere!«
Widerstrebend gab Nel ihr Recht. Außerdem trug sie die Hose, die sie im Augenblick anhatte, beinahe wie eine Uniform, und obendrein war sie unauslöschlich mit Jake verbunden. Sie erinnerte sich mit schauerlicher Regelmäßigkeit daran, wie er sie ihr ausgezogen hatte. Wenn sie nicht bei jedem Besuch der Toilette daran denken musste, würde es ihr eindeutig leichter fallen, darüber hinwegzukommen.
Fleur überredete Nel, in die Kosmetikabteilung zu gehen. »Sieh mal, wenn du zwei Produkte kaufst, bekommst du eine tolle Zugabe.«
»Schätzchen, ich brauche keine zwei Produkte! Ich habe schon für die Kleider ein kleines Vermögen ausgegeben, was ich streng genommen nicht rechtfertigen kann. Ich brauche nicht auch noch Make-up.«
»Brauchst du wohl. Dieser Lidschatten ist ein bisschen fad. Macht dich alt. Ich finde nicht, dass du ihn tragen solltest.«
»Aber du klaust ihn mir ständig!«
»Du hast uns immer beigebracht, dass wir teilen sollen, Mum, und ich finde einfach, dass du einen neuen brauchst, als Krönung sozusagen. Würde dir den letzten Pfiff verleihen. Also, mal sehen, was wir so haben.«
Nel, die Schnäppchen genauso liebte wie jeder andere auch, musste einräumen, dass eine ganze Menge nützlicher kleiner Fläschchen und Tuben in dem Schminktäschchen waren, das man geschenkt bekam, wenn man das Haushaltsgeld für eine ganze Woche für Lidschatten und getönte Tagescreme ausgab.
»Sie haben eine schöne Haut«, sagte die Verkäuferin, die beruhigend alt war, dafür allerdings einen beunruhigend weißen Lippenstift benutzte. »Das ist genau das, was Sie brauchen, um Unregelmäßigkeiten der Haut auszugleichen und Ihnen ein reizvolles, natürliches Aussehen zu geben. Schauen Sie nur, wie harmonisch das wirkt. Und dazu brauchen Sie noch ...«
Zehn Minuten später verließen Fleur und Nel die Kosmetikabteilung, bereichert um zwei sehr hübsche Tragetaschen und eine Vielzahl von Mittelchen gegen feine Linien (das Wort »Falten« war in der Schönheitswelt absolut nichtexistent), vergrößerte Poren und geplatzte Äderchen.
»Ich kann nicht fassen, dass ich gerade so viel Geld ausgegeben habe. Oder dass ich mir Schönheitstipps von einer Frau habe geben lassen, die weißen Lippenstift trägt. Ich muss noch verrückter sein, als ich dachte. Nur weil sie gesagt hat, ich hätte eine schöne Haut!«
»Sie war aber sehr großzügig mit den Proben, und der Lidschatten hat eine tolle Farbe ...«
»Ich teile gern, aber der Lidschatten ist bei mir zu Hause, okay?«
»Okay. Was jetzt, eine Tasse Tee? Oder wollen wir nach Hause fahren?«
»Nach Hause. Tee habe ich dort auch und eine Kostprobe von einem Zitronenkuchen, den mir jemand geschenkt hat.«
»Oh, großartig.«
Als Simon später anrief, um sie zu einem Drink einzuladen, mochte sie nicht zugeben, dass sie zu müde war, da sie den ganzen Nachmittag beim Einkaufen verbracht hatte, daher sagte sie zu. Viel lieber hätte sie mit Fleur, die sämtliche Folgen von Sex and the City auf Video hatte, eine alte Folge angesehen. Während sie den neuen Lidschatten auflegte und Unregelmäßigkeiten ihres Teints kaschierte, ging ihr die Frage durch den Kopf, ob das vielleicht ein Zeichen war, dass sie ihre Beziehung zu Simon eindeutig beenden sollte. Nur dass sie Simon vielleicht noch brauchen würde. Wollte sie als einsame alte Dame enden? Es war eine Sache, lieber einen Abend mit Fleur verbringen zu wollen, wenn Fleur zu Hause war. Würden alte Folgen von Sex and the City ihr auch noch so verlockend erscheinen, wenn sie sie allein ansah und niemanden hatte, mit dem sie über die Kleider reden konnte?
Und konnte sie gerade jetzt noch mehr Aufregung in ihrem Leben verkraften? Gut möglich, dass Simon am Boden zerstört wäre, vor allem, nachdem er so viel für sie getan hatte. Wollte sie ihn durchmachen lassen, was Jake sie hatte durchmachen lassen? Auf keinen Fall! Simon war ein netter und ehrlicher Mann. Wenn sie über dieses emotionale Erdbeben mit Jake hinweg war, würde sie Simon als das erkennen, was er war, und wahrscheinlich in eine Heirat einwilligen.
Während sie an ihrem Pony zupfte und sich Fleurs Haarwachs für Blondinen auslieh, fiel ihr eine Bemerkung ein, die Viv zum Thema Männer gemacht hatte, als Fleur sie fragte, warum sie nie geheiratet habe. »Männer sind wie Elefanten, praktisch das Schönste, was es für mich gibt, aber würdest du einen Elefanten haben wollen?«
»Will ich einen haben?«, fragte Nel, spähte in den Spiegel und versuchte, zu erkennen, ob ihre Poren mit ihrem neuen Make-up wirklich feiner wirkten oder ob sie so grob waren wie eh und je. Im nächsten Augenblick fluchte sie und schlürfte den verschütteten Tee aus der Untertasse.
»Du siehst müde aus, Nel«, sagte Simon, als sie auf ziemlich unbequemen Stühlen an einem zu kleinen Tisch saßen.
Nels Nackenhaare stellten sich auf, womöglich sichtbar. »Das sollte ich aber nicht! Ich habe ein neues Make-up aufgelegt, das meinen schimmernden Teint zur Geltung bringen soll.«
»Neues Make-up hilft nicht gegen Schlafmangel oder Stress, Mädchen.« Er griff nach ihrer Hand und drückte sie sanft.
Nel musterte ihn. Es war nett von ihm, dass er sich Sorgen machte. Sie war müde und gestresst, und nein, man konnte von einem neuen Make-up wohl wirklich nicht erwarten, dass es irgendetwas daran änderte. Sie sollte Simons fürsorgliches Wesen zu schätzen wissen. Stattdessen fühlte sie sich beinahe erstickt davon.
»Ich finde, du solltest weniger arbeiten. Warum konzentrierst du dich nicht auf den Bauernmarkt und gibst diesen Unfug mit dem Hospiz auf ... Ich meinte nicht, dass es Unfug ist!«, fügte er hastig hinzu. »Ich meine, das Hospiz ist natürlich schrecklich wichtig. Aber du kannst wegen der Baupläne nicht viel ausrichten. Und wenn das Grundstück des Hospizes verkauft wird, nun, denk doch mal an das schöne neue Gebäude, das ihr von dem Geld kaufen könnt.«
Nel konnte sich nicht daran erinnern, Simon all das erzählt zu haben. Sie musste es wohl irgendwann getan haben, woher sollte er es sonst wissen? Aber es schadete nichts, wenn er es wusste. Schließlich war keine dieser Informationen vertraulich.
»Ich verstehe, was du meinst. Wir haben eine riesige Opposition gegen uns. Aber ich habe das Gefühl, dass das neue Hospiz nicht gebaut werden wird. Dass das Geld einfach in irgendwelchen Taschen verschwinden würde.« Sie sagte nicht, dass es Jake Demerands oder Chris Mowbrays Tasche sein würde, aber sie dachte es.
»Ich glaube nicht, dass du dir deswegen Sorgen zu machen brauchst. Schließlich bist du nicht verantwortlich für das Hospiz. Du bist nur ein Mitglied des Ausschusses. Ich finde wirklich, du solltest dein soziales Engagement etwas herunterfahren, Nel. Ich weiß, was du nach Marks Tod durchgemacht hast, aber du bist jetzt über ihn hinweg. Du brauchst dir nicht mehr für jede gute Sache das Herz aus dem Leib zu schneiden.«
Einen kurzen, verrückten Augenblick lang kam es ihr so vor, als folgte Simon einer verborgenen Tagesordnung. Nel tat diesen Gedanken als verfrühte Paranoia ab und wünschte, sie hätte Simon sagen können, dass auch er in gewisser Weise eine gute Sache sei, dass auch er ihre Zeit beanspruchte, Zeit, in der sie es sich mit ihrer Tochter gemütlich machen könnte. Sie lächelte. Der Griff seiner Finger um ihre Hand verstärkte sich.
»Liebling, ich wünschte, du würdest mir erlauben, mich besser um dich zu kümmern.«
»Simon! Du kümmerst dich großartig um mich! Du reparierst ständig irgendwelche Dinge für mich und hilfst mir bei dem Wagen und so weiter.«
»Aber ich würde es gern als Vollzeitbeschäftigung machen. Ich möchte dich heiraten, Nel. Ich denke, das weißt du.« Er ließ ihre Hand los und hob die seine. »Nein, ich weiß, was du sagen wirst! Du wirst sagen: ›Warte, bis die Kinder aus dem Haus sind‹, aber sie sind aus dem Haus, jedenfalls fast. Ich möchte nicht länger warten, ich möchte dich jetzt heiraten, solange wir unsere Zeit vor uns haben.«
Nel versuchte ziemlich verzweifelt, die Atmosphäre zu entkrampfen. »So alt sind wir nun auch wieder nicht! Wir haben wahrscheinlich noch einige Jährchen vor uns, bevor wir diese sterbliche Hülle abstreifen! Zumindest gilt das für mich.«
»Typisch, dass du einen Witz daraus machst, aber ich meine es ernst. Ich liebe dich, und ich möchte dich heiraten. Jetzt. Bald.« Dann schob er zu Nels wachsendem Entsetzen eine Hand in die Tasche und förderte ein Kästchen zu Tage. »Ich weiß, dass alle Frauen romantische Gesten lieben. Das ist eine Kleinigkeit, die ich neulich in Cirencester mitgenommen habe. Probier ihn mal an.«
Der Ring passte nicht nur, er sah umwerfend aus. Es war ein riesiger ovaler Aquamarin, umringt von winzigen Diamanten. Nel starrte auf das Schmuckstück, vorübergehend hypnotisiert von seinem Anblick an ihrem Ringfinger. Mark hatte sich keine Diamanten leisten können, und ihr Verlobungsring war entzückend gewesen, aber ein Halbedelstein, und Nel trug ihn seit Jahren nicht mehr. Er hätte die Strapazen, die das Leben als Frau und Mutter mit sich brachte, nicht überstanden. Plötzlich sah ihre Hand komplett aus; der schmale goldene Ring brachte den größeren Ring erst richtig zur Geltung. Warum also musste sie an den Augenblick denken, als Mark eine zerknüllte Papiertüte aus der Tasche gezogen und ihr den Ring geschenkt hatte, der ursprünglich so groß gewesen war, dass sie ihren Finger mit Heftpflaster und Watte umwickeln musste, damit der Ring nicht herunterrutschte? Das Engermachen hatte mehr gekostet als der Ring selbst. Würde Mark es als Treulosigkeit empfinden, wenn sie wieder heiratete?
Nachdem sie diesen Gedanken als Unsinn abgetan hatte, sagte sie: »Simon, ich kann mich unmöglich verloben, ohne mit den Kindern vorher darüber zu reden.«
»Würden sie mit dir reden, wenn sie sich verlobten?«
»Wahrscheinlich nicht, aber das ist nicht dasselbe. Ich bin ihre Mutter ...«
»Was bedeutet, dass du ihnen keine Rechenschaft schuldest.«
»Tue ich doch. Sie sind noch jung! Sie wohnen noch zu Hause! Ich kann nicht einfach heiraten und ihr Leben vollkommen umkrempeln, ohne mich mit ihnen zu beraten!«
»Natürlich musst du es ihnen erzählen, aber du brauchst ihre Erlaubnis nicht. Sie sind junge Erwachsene und haben ihr eigenes Leben. Sie können dir nicht vorschreiben, was du zu tun und zu lassen hast.«
»Nein! Natürlich nicht. Und sie würden nicht einmal im Traum daran denken, das zu tun oder es auch nur zu versuchen. Aber ich müsste ihnen reichlich Zeit geben, sich an die Vorstellung zu gewöhnen. Ich kann nicht einfach mit einem riesigen, dicken Klunker an der Hand nach Hause kommen.« Sie betrachtete den Klunker. »Obwohl er wunderschön ist.«
»Du brauchst ihn ja nicht sofort zu tragen. Gib den Kindern Gelegenheit, sich an den Gedanken zu gewöhnen, und dann trägst du deinen Ring.« Er lächelte, und dabei legte sich die Haut um seine Augen auf sehr anziehende Weise in Fältchen. Sein Lächeln war eins der Dinge, die Nel bewogen hatte, Ja zu sagen, als er sie das erste Mal um ein Rendezvous gebeten hatte. Sie hatte in den Jahren davor viele andere Einladungen abgelehnt. Damals hatte sie darin ein Zeichen gesehen, dass sie bereit war für eine neue Beziehung.
»Schließlich«, sagte er jetzt, »wird es deine Kinder nicht allzu sehr betreffen. Wir brauchen ja nicht umzuziehen oder so etwas. Ich könnte bei dir einziehen. Du hast reichlich Platz für uns beide, vor allem, wenn die Kinder tatsächlich aus dem Haus gehen.«
Ein schreckliches Erstickungsgefühl bemächtigte sich Nels. Sie gab sich alle Mühe, es beiseite zu schieben. Sie benahm sich nur deshalb so neurotisch, weil sie unter solchem Stress stand. Simon würde sie behüten. Simon würde nicht mit ihr schlafen, weil er sich ihres Einflusses versichern wollte. Er würde nicht ihr Alter und ihre Verzweiflung ausnutzen oder die Tatsache, dass sie eine sinnliche Frau war, die ihre Sinnlichkeit jahrelang unterdrückt hatte. Er würde es wahrscheinlich nicht einmal merken; sie hatte es ja selbst gerade eben erst entdeckt. Sie war so verwirrt. Wäre es nicht Wahnsinn von ihr, Simon und alles, wofür er stand, abzuweisen, weil sie verrückt genug gewesen war, sich in Jake zu verlieben?
»Du brauchst mir jetzt keine Antwort zu geben. Denk darüber nach. Besprich es zuerst mit den Jungen – nicht gleich mit Fleur. Sie ist so verwöhnt, dass sie bestimmt dagegen sein wird.«
Wie immer stellte Nel bei der geringsten Andeutung von Kritik an ihren Kindern die Stacheln auf. Sie zwang sich zur Ruhe. Fleur war verwöhnt. Erst vor wenigen Stunden hatte sie ihr eine sehr teure Jeans gekauft – aus keinem anderen Grund als dem, dass sie sie liebte und ihr dankbar für ihre Hilfe beim Einkaufen gewesen war. Das Problem war, dass man Fleur so leicht verwöhnen konnte. Sie war immer so begeistert, so dankbar und so liebevoll. Und genau deshalb wusste Nel auch, dass sie nicht verzogen war. Verzogene Kinder waren nie zufrieden, konnten sich niemals über etwas freuen, das man ihnen schenkte. Das war, redete Nel sich ein, der entscheidende Unterschied.
»Ich glaube nicht, dass Fleur gegen etwas wäre, das mich glücklich machen würde«, erwiderte sie.
»Nicht bewusst, aber sie würde dich nicht mit mir teilen wollen. Sie würde nicht mehr dieselbe Aufmerksamkeit bekommen wie jetzt. Das Gleiche gilt für Viv. Sie würde das Gefühl haben, dich als Freundin zu verlieren, wenn du mich heiratest – oder sonst irgendjemanden. Also, denk erst mal nur darüber nach und rede nicht darüber. Aber behalte den Ring und sieh ihn dir von Zeit zu Zeit an. Er ist ein Symbol für all die schönen Dinge, die ich dir geben kann.«
Nel blickte auf den Ring hinab, halb begeistert von seinem Glitzern, halb entsetzt über das, was er mit sich bringen würde. Entsetzt, dass sie Simons Antrag ernsthaft in Betracht zog. Sie liebte ihn nicht, daran gab es keinen Zweifel – zumindest empfand sie nicht dasselbe für ihn, wie sie für Jake empfand. Er geisterte nicht ständig durch ihre Gedanken und lenkte sie von allem anderen ab; das Zusammensein mit ihm erfüllte sie nicht mit überwältigender Erregung. Aber er brachte sie auch nicht dazu, an sich selbst und ihrem Urteil zu zweifeln. Er mochte sie nicht entflammen, aber bei ihm wusste sie, woran sie war – etwas, das man von Jake gewiss nicht behaupten konnte.
Bevor Jake auf der Bildfläche aufgetaucht war und alles durcheinander gebracht hatte, war sie doch vollkommen glücklich gewesen mit Simon, oder? Was, wenn Jake die Dinge nur vorübergehend in Aufruhr gebracht hatte? Was, wenn sie, indem sie Simon abwies, eine sehr behagliche Zukunft an der Seite eines guten Freundes zurückwies? Schließlich war es unwahrscheinlich, dass Jake ihr einen ähnlichen Antrag machen würde. Sie holte tief Luft.
»Also gut. Ich werde darüber nachdenken. Aber ich sage nicht Ja, Simon, nicht bevor ich mir alles gründlich durch den Kopf habe gehen lassen. Und wie du bereits sagtest, ich habe im Augenblick eine Menge am Hals. Ich werde auf eine Atempause warten müssen, bis ich Zeit zum Nachdenken habe.« Sie lächelte, um ihren kleinen Scherz zu unterstreichen, der ausnehmend jämmerlich klang.
»Du brauchst nicht allzu gründlich nachzudenken. Schließlich würdest du, wenn du mich heiratest, nicht mehr ganz so viel am Hals haben, nicht wahr?«
»Hm, nein.«
Mit einem Anflug von Panik überlegte sie, was Simon ihr abnehmen würde. Die Wartung des Wagens, Papierkram möglicherweise, Steuerformulare und Arbeiten am Haus. Es schien eine Menge zu sein, und sie lächelte, während sie versuchte, nicht daran zu denken, wie viel Arbeit er ihr bescheren würde: Sie würde ständig richtig kochen müssen, waschen, bügeln und häufiger putzen und aufräumen, als sie es bisher tat. Würden diese Dinge einander auch nur ausgleichen? Und wollte sie wirklich freiwillig das Opfer bringen, sich Dokumentarfilme über den Krieg anzusehen statt einen Spielfilm?
Es würde allerdings ein vertrautes Opfer sein. Mark war süchtig gewesen nach allen Sendungen, die sich um Krieg, Kriegsmaschinen oder die Nachstellung von Schlachten drehten, die vor langer Zeit geschlagen worden waren. Außerdem konnte sie sich jederzeit einen zweiten Fernseher kaufen und in einem anderen Raum fernsehen.
»Versprich mir, dass du darüber nachdenken wirst und dass du nicht allzu viel Zeit darauf verwenden wirst, über Dinge nachzudenken, die du nicht ändern kannst, ja?«
»In Ordnung, Simon, das mache ich«, sagte sie leise, wohl wissend, dass ein großer Teil ihrer herzlichen Gefühle für ihn auf Dankbarkeit beruhte: der Dankbarkeit, dass er sie nicht zu einer Antwort drängte.