Kapitel 12

Der nächste Tag fing schon schlecht an. Es kam ein Brief von der Gemeinde, der besagte, dass Nel mindestens zwanzig Stände für jeden Markt garantieren müsse, anderenfalls käme eine feste Einrichtung dafür nicht infrage. Daher brauchte sie Briefe von mindestens zwanzig potenziellen Marktverkäufern und idealerweise obendrein noch einige Dutzend weitere, die sich dazu verpflichteten, den Markt zu unterstützen und jedes Mal zu kommen.

Sie sprach ein kurzes Dankgebet, weil sie zumindest gute Fortschritte auf der Suche nach einem neuen Standplatz für den Markt gemacht hatte, dann sagte sie zu Fleur: »Es ist alles so unvernünftig. Das sind alles viel beschäftigte Leute. Sie können nicht ständig Briefe schreiben! Andererseits, wenn wir jedes Mal so viele Stände hätten, würde das vielleicht ein nettes kleines Zubrot für das Hospiz abgeben.«

»Jamie kommt übernächstes Wochenende runter«, bemerkte Fleur, die nicht zuhörte.

»Das ist schön«, erwiderte ihre Mutter und fragte sich, wann aus »Bitte, darf ich ... (irgendein nettes kleines Mädchen) zum Übernachten einladen?« die Ankündigung eines Herrenbesuches geworden war. »Ich freue mich darauf, ihn kennen zu lernen«, fügte sie hinzu und verkniff sich die Frage.

»Hmhm. Würdest du mal an der Milch riechen? Ich glaube, sie ist sauer.«

»Dann möchte ich nicht daran riechen. Gib sie den Hunden und sieh nach, ob die Morgenzeitung schon gekommen ist.«

»Mum! Du weißt, dass sie von Milch Durchfall kriegen! Mum – hörst du überhaupt zu?«

»Nein«, sagte Nel, die sich wieder in den Brief der Gemeindeverwaltung vertieft hatte. »Heute ist die Feier, und wenn ich jede Farm und jeden kleinen Bauernhof besuchen muss, weiß ich, was ich zu tun habe. Wenn ich nicht genug Leute zusammenbekomme, kriege ich meine Fördergelder nicht, die ich für Werbung, Publicity und so weiter brauche.« Sie schaltete den Wasserkocher aus und versuchte, sich wieder auf ihre Tochter zu konzentrieren. »Soll ich Freitagabend etwas Besonderes für Jamie kochen?«

»Du gehst an diesem Freitag aus. Mit Jake, erinnerst du dich?«

Nel seufzte. »Ich hatte versucht, es zu vergessen.« Das war eine Lüge. Sie versuchte zu entscheiden, ob sie absagen konnte. Es war nicht so, dass sie nicht mit Jake ausgehen wollte, das Problem bestand eher darin, dass sie es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte.

»Und du bist nicht mit Simon verlobt«, sagte Fleur, die ihre Mutter Besorgnis erregend gut kannte.

»Du bist nicht mit Jamie verlobt, aber du würdest auch nicht mit jemand anderem ausgehen.«

»Das ist etwas anderes. Simon ist der einzige Mann, mit dem du seit Daddys Tod aus gewesen bist. Du solltest die Nase ein wenig in den Wind halten, bevor du wieder eine feste Beziehung eingehst.«

»Hast du mit Viv geredet?«

»Nein, aber ich schätze, sie würde dasselbe sagen.«

»Das würde sie bestimmt, deshalb dachte ich ja auch, ihr beide würdet unter einer Decke stecken.« Nach dem ersten Schluck Pfefferminztee fühlte Nel sich ein wenig ruhiger. »Was ist mit Samstagabend? Oder Sonntagmittag?«

»Danke, Mum, das ist wirklich eine nette Idee, aber wir werden am Samstag ausgehen, und er muss am Sonntag um zwölf schon wieder fahren. Er hat eine Menge Arbeit.«

»Dann werde ich nicht viel Gelegenheit haben, ihn kennen zu lernen. Also ein Mittagessen am Samstag?«

»Keine Sorge, du wirst ihn schon zu Gesicht bekommen. Was willst du Freitag anziehen?«

»Fleur! Einige von uns haben wichtigere Dinge zu tun, als sich über ihre Garderobe für eine Verabredung den Kopf zu zerbrechen, bis zu der es noch über eine Woche hin ist!« Aber sie zerbrechen sich trotzdem den Kopf darüber, dachte Nel kläglich.

»Natürlich«, fuhr Fleur fort, »brauchst du für den Markt einen Koch, jemanden, der die angebotenen Produkte zubereitet. Ich habe in der Schule in einer Zeitschrift etwas darüber gelesen. Es ging um einen Bauernmarkt in Schottland, wo auch jemand kochte.«

Nel dachte über diesen Vorschlag nach. »Das ist eine gute Idee. Aber wen könnten wir engagieren? Ich kenne keine Köche.«

»Ich wette, Jake kennt jemanden. Er ist der Typ, der alle jungen Talente aus London kennt, Leute, die nichts lieber tun würden, als herzukommen und einen kränkelnden Pub in ein Restaurant zu verwandeln.«

»Und wieso weißt du so viel darüber?«

»Hab ich doch gesagt. Es stand in einer Zeitschrift. Wie dem auch sei, ich hab keine Zeit mehr zum Plaudern. Ich muss in die Schule. Es besteht nicht zufällig die Chance, dass du mich mitnimmst?«

Nel warf einen Blick auf die Uhr. »Schätzchen, um diese Tageszeit wärest du zu Fuß schneller. Der Verkehr wird grauenhaft sein.«

»Kein Problem, es macht mir nichts aus, zu spät zu kommen. Ich werde einfach sagen, wir hätten im Berufsverkehr festgesessen.«

Nel seufzte. »Also schön, schaff die Hunde ins Auto, und ich drehe mit ihnen anschließend schnell eine kleine Runde im Wald. Um die Feier kümmere ich mich danach. Ob wohl die Teekiste noch da ist, die wir letztes Mal als Lostrommel genommen haben? Oder hast du sie als Kulisse für Jane Eyre gebraucht?«

»Kulisse für Jane Eyre«, antwortete Fleur. »Jemand ist reingetreten.«

»Das hat mir gerade noch gefehlt! Jetzt in der Endphase noch einen neuen Behälter finden zu müssen.«

»Oh, nimm doch einfach eine Mülltonne, Mum!«

»Gute Idee. Wo ist denn Villette abgeblieben? Auf meinem Bett, nehme ich an. Du treibst die beiden anderen zusammen, und ich hole Villette.«

»Hm, das ist ganz gut gelaufen, meinst du nicht auch?«, fragte Vivian. »Die Presse war vollzählig und hat Fotos gemacht.« Sie trocknete das nächste Glas ab.

Nel, die spülte, hielt ein anderes Glas unter den Wasserhahn. »Ja, und es ist uns fast gelungen, sie davon zu überzeugen, dass das Ganze als Spendensammlung für die Finanzierung des Daches dienen sollte und nicht für die Rettung der Uferwiesen.« Kopfschüttelnd dachte sie darüber nach, wie viele Lügen sie in so kurzer Zeit erzählt hatte.

»Oh, zerbrich dir darüber nicht den Kopf!« Vivian räumte die Gläser in Schachteln. »Sie hätten sich sowieso nicht daran erinnert, warum sie gekommen sind.« Sie trug einen Karton mit Gläsern zum Tisch hinüber. »Ein Jammer, dass Jake nicht dabei sein konnte. Ist er übrigens wirklich mit dir nach Hause gefahren, um dir bei dem neuen Kuchen zu helfen?«

»Ja. Und Fleur hat auch mitgeholfen. Sie hat ein Foto davon gemacht, für ihre Kunstmappe. Ich glaube, sie will als Abschlussarbeit einen Kuchen backen. Essbare Kunst. Das müsste eigentlich gut ankommen.«

»Du wechselst das Thema?«

»Nein, aber ich werde dieses Wasser wechseln. Viv, du kennst nicht zufällig irgendwelche Köche, oder? Fleur hat vorgeschlagen, jemanden für eine Kochvorführung für den Markt zu engagieren, um die Leute zum Kaufen zu animieren.«

»So auf der Stelle fällt mir niemand ein, aber ich werde mal darüber nachdenken. Du könntest ja Jake fragen. Er kennt bestimmt jemanden.«

»Jake und ich stehen uns nicht so nahe, und könntest du mich vielleicht mal beim Spülen ablösen? Meine Hände sind schon ganz runzelig.«

»Du solltest Handschuhe anziehen.«

»Würde ich ja, aber die da liegen schon seit einer Ewigkeit hier und sind innen ganz schleimig.«

Vivian drehte den Warmwasserhahn auf. »Du weißt, dass er viel besser für dich wäre als Simon ...«

»Viv! Jake interessiert sich nicht für mich, und Simon ist vollkommen in Ordnung. Ich bin in einem bestimmten Alter, und ich ziehe jetzt nur noch eine bestimmte Art Mann an.«

»Schwachsinn. Wirst du ihm erzählen, dass Jake dir beim Kuchenbacken geholfen hat?«

»Wenn es sich ergibt! Aber ich werde nicht darauf herumreiten. Er würde nur denken, dass ich ihn eifersüchtig machen will, und ich bin zu alt, um Spielchen zu spielen.«

»Keine Frau ist jemals zu alt, um diese Art von Spielen zu spielen«, sagte Vivian entschieden. »Außerdem, was bringt dich auf den Gedanken, dass Jake sich nicht für dich interessiert? Er hat mit dir geschlafen, oder?«

Nel schrie auf und blickte über ihre Schulter, um sich davon zu überzeugen, dass niemand Vivians letzte Bemerkung mitbekommen hatte. »Das bedeutet gar nichts! Zumindest nicht langfristig! Es war ein ungeplanter, spontaner ...«

»Wunderschöner?«

»... Ausrutscher. Ohne langfristige Perspektive. Frauen wie ich sind nicht mit Männern wie Jake zusammen. Verstanden?«

»Nein.«

Nel seufzte. »Ich bin Mutter, ich bin über vierzig, ich bin übergewichtig! Jake ist jünger, attraktiv und ledig. Er könnte jede Frau haben, die er will. Er wird sich wohl kaum für meine Wenigkeit entscheiden. Könnten wir das Thema jetzt bitte fallen lassen? Es ist zu niederschmetternd.«

»Okay. Deine Entscheidung. Aber ich glaube, dass du nichts tust, als im Wald zu pfeifen. Also, was hast du jetzt vor?«

»Ich werde morgen all meine potenziellen Marktverkäufer besuchen. Ich muss sie dazu bringen, an die Gemeindeverwaltung zu schreiben und die Leute davon zu überzeugen, dass sie den Markt regelmäßig unterstützen werden. Wenn ich nicht mindestens zwanzig vorweisen kann, bekomme ich keine Genehmigung. Die sind so verdammt vorsichtig! Wenn sie uns langsam anfangen ließen, würden wir mit der Zeit schon mehr Leute bekommen.«

»Und zwanzig sind sehr viele. Wir hatten früher nie mehr als zehn.«

»Ich weiß! Ich könnte es wahrscheinlich schaffen, wenn sie auch Handwerker zulassen würden, aber diese Leute stellen sich furchtbar an. Ich weiß nicht, warum. Gwen Salisbury – du weißt schon, die Töpferin, die diese entzückenden blauen Sachen herstellt – ist die Frau eines Bauern. Und sie ist nun wirklich eine Einheimische. Ich denke, ich werde mal persönlich hingehen und diesen Verwaltungsleuten die Pistole auf die Brust setzen.« Nel trocknete ihre Hände an einem sehr nassen Geschirrhandtuch ab. »Ich hätte ja mit dem Beamten gesprochen, der für die Planung zuständig ist, aber das erscheint mir jetzt ein wenig sinnlos. Irgendjemand wird auf den Wiesen bauen. Es ist nur die Frage, wer.«

»Kommt es nicht gerade darauf an, wer?«

Nel zuckte die Achseln. »Ich bin bloß die Chefin beim Kuchenbacken. Ich habe nicht zu entscheiden, wer.«

Am nächsten Morgen drückte Nel Fleur entschieden auf den Beifahrersitz ihres Wagens, nachdem sie beschlossen hatte, es gleich um neun mit der Gemeindeverwaltung aufzunehmen, bevor sie eine ganze Liste von Ausreden finden konnte, um es nicht zu tun. Am vergangenen Abend hatte sie mit Simon gesprochen, und er hatte sich erboten, sie zu begleiten, aber Nel hatte dieses freundliche Angebot abgelehnt. Wenn er mitkam, würde er ganz allein das große Wort führen, und ihre Argumente und Sorgen würden unter den Tisch fallen. Es war eine Spur ärgerlich, dachte sie, dass er sie dorthin begleiten wollte, wo sie allein hingehen wollte, ihr aber einen Korb gab, wenn sie ihn anflehte, mit ihr in eine Disko zu gehen.

Es versetzte ihr einen Stich, als sie an einer Tür mit der Aufschrift »Bauplanung« vorbeikam, während sie durch kilometerlange Korridore zu der Abteilung lief, die für den Bauernmarkt zuständig war. Auch wenn die Bebauung der Wiesen inzwischen unausweichlich schien – ein zutiefst niederschmetternder Gedanke –, würde das Hospiz zumindest noch ein kleines regelmäßiges Einkommen haben, wenn es ihr gelang, die Erlaubnis für ihren Markt in der Stadt zu bekommen.

Es überraschte sie einigermaßen, dass sie das Rathaus eine Stunde später in etwas gehobenerer Stimmung verließ, als sie es betreten hatte. Die Frau, die jetzt für sie zuständig war (Nels ursprüngliche Kontaktperson war in eine andere Abteilung gewechselt), bestätigte nicht nur, dass die Gemeinde ihr Anliegen unterstütze, sondern sicherte ihr auch eine kleine Summe an Fördermitteln für die »Aufwärmphase« zu. Sie gab Nel Material über Startbeihilfen, Tourismusförderung und die günstigen Auswirkungen für die ansässigen Geschäfte, und sie pflichtete Nel darin bei, dass handwerkliche Qualitätsprodukte eine gute Ergänzung des Angebots seien. Auf die Idee, dass jemand aus den Produkten des Marktes an Ort und Stelle köstliche Mahlzeiten zubereiten könnte, reagierte sie geradezu enthusiastisch.

»Was wir brauchen«, hatte sie erklärt, »ist ein Jamie Oliver ohne Drogen. Und ich kenne genau den richtigen Mann!«, fuhr die Frau fort. »Er ist ein Neffe von mir und hat in einem Londoner Restaurant gearbeitet. Jetzt ist er allerdings hierher gezogen, damit er und seine Freundin heiraten können. Im Augenblick wohnt er zur Miete, aber wenn diese Einfamilienhäuser gebaut werden ... wie dem auch sei, er ist vielleicht genau der Richtige für Sie. Und er sieht großartig aus. Die Frauen werden ihm zu Füßen liegen. Überlassen Sie die Angelegenheit mir, ich melde mich dann wieder bei Ihnen.«

»Vielen Dank«, sagte Nel und fragte sich, ob die Frau auch so hilfsbereit gewesen wäre, wenn sie gewusst hätte, dass Nel ursprünglich den Bau eben jener Einfamilienhäuser hatte verhindern wollen. Aber seither war sie gründlich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden. »Das würde uns wirklich weiterhelfen. Natürlich müsste er alle erforderlichen Prüfungen in Sachen Hygiene bestanden haben.«

»Natürlich«, sagte die Frau. »Wir nehmen solche Dinge in dieser Abteilung sehr ernst.«

Als Nel nun ihren Wagen vom Parkplatz fuhr, musste sie zugeben, dass ihre Laune sich gebessert hatte. Ein Teil ihrer Pläne zumindest entwickelte sich gut. Außerdem konnte sie sich auf ihre Verabredung mit Jake freuen, und wie sehr sie auch versuchte, sich vor dem unausweichlichen Liebeskummer zu schützen, konnte sie jenes prickelnde Gefühl der Erregung nicht ganz unterdrücken.

Nel beschloss, zuerst zu einer Farm zu fahren, wo ihr ein freundliches Willkommen, eine Tasse Kaffee und wahrscheinlich sogar ein Stück selbst gebackener Kuchen sicher waren. Die Leute produzierten nicht nur mehrere Sorten Biofleisch, einschließlich Nels Lieblingshamburger, sie würden gewiss auch bereit sein, eine schriftliche Zusage zu geben.

»Haben Sie mal daran gedacht, Kautionen zu verlangen?«, fragte Catherine, eine hübsche, dunkelhaarige Frau.

»Daran gedacht habe ich, aber ich habe die Idee als zu kompliziert wieder verworfen. Ich müsste das Geld getrennt verwalten, und das wäre furchtbar kompliziert.«

»Irgendwann werden Sie das Ganze gewerbsmäßig etablieren müssen, Nel.«

»Ich habe meine Fördermittel, die sicher bald ausgezahlt werden, und damit können wir uns ein Weilchen über Wasser halten, um Annoncen aufzugeben und was weiß ich noch. Aber obwohl ich mich natürlich darüber freuen sollte, dass wir vielleicht einen neuen Standort für den Markt gefunden haben, bin ich doch immer noch traurig über den Verlust von Paradise Fields.« Sie hielt inne. »Sie wissen doch sicher von dem Plan, dort zu bauen, nicht wahr?«

»Da ich Sie kenne, Nel, weiß ich natürlich davon. Was für eine Art von Häusern soll denn gebaut werden? Können Sie mir das sagen?«

»Nun, das hängt ganz davon ab, wer den Auftrag bekommt. Da wäre zum einen ein Bauunternehmer, der einerseits Häuser für gehobene Ansprüche und andererseits Kaninchenställe für das große Publikum bauen will, und dann ein anderer, ein ganz lieber Mann, der sich mit weniger Häusern zufrieden geben möchte, die aber solider sein werden.«

»Oh!« Catherine wurde plötzlich lebhaft. »Ich habe da ein paar Gerüchte gehört! Sie könnten vielleicht sogar ganz nützlich sein!« Sie senkte vertraulich die Stimme, obwohl nur ihr Mann und Nel zugegen waren. »Anscheinend hat der Rechtsanwalt der Hunstantons ... wie war noch gleich sein Name?«

»Jake Demerand«, sagte Nel – zu schnell, wie ihr zu spät bewusst wurde.

»Den meine ich. Also, ein Bauunternehmer, den eine Freundin von mir kennt – nicht besonders gut, glaube ich, aber sie sind Mitglieder desselben Golfclubs –, ich erinnere mich nicht, welcher Club das war. Weißt du es noch, Robin?«, fragte sie ihren Mann, während Nel im Geiste an ihren Fingernägeln kaute und wünschte, ihre Freundin würde endlich mit der Geschichte fortfahren.

»Na, egal«, fuhr Catherine fort, nachdem ihr Mann ihr einen ausdruckslosen Blick zugeworfen hatte, »anscheinend hat dieser Bauunternehmer gesagt, dass der Rechtsanwalt, Jake ...«

»Demerand«, blaffte Nel.

»... in irgendein zwielichtiges Geschäft verwickelt war. Es ging irgendwie um ein Altenheim und die Nutzung des Geländes zu Bauzwecken. Er hat bei dem Geschäft haufenweise Geld gescheffelt.« Catherine sah sie triumphierend an. »Das ist doch gut, oder? Ich meine, wenn die Hunstantons einen nicht ganz sauberen Anwalt haben, würde das ihre Position beim Bauausschuss doch bestimmt schwächen, oder?«

Nel fühlte sich ganz schwindelig. Instinktiv glaubte sie, dass das Gerücht eine Lüge war; Jake Demerand konnte unmöglich etwas anderes als ehrlich sein. Technisch gesehen kannte sie ihn nicht gut genug, um das mit Bestimmtheit zu wissen, aber jede Zelle ihres Körpers sagte es ihr. Andererseits, wenn er durch irgendeinen bizarren Zufall an der Obdachlosigkeit alter Menschen ein Vermögen verdient hatte, würde es sich vielleicht lohnen, die Protestinitiative wieder aufleben zu lassen, die sie bei der Sitzung am Mittwoch aus reiner Niedergeschlagenheit fallen gelassen hatte. Einen Moment lang wurde ihr übel, und sie fühlte sich buchstäblich einer Ohnmacht nahe, während sie mit der Frage rang, was ihr wichtiger war, die Rettung der Felder oder ihr Vertrauen in Jakes Integrität.

»Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Nel?«

Nel lächelte und nippte an ihrem Kaffee. »Mir geht es gut, mir war nur aus irgendeinem Grund plötzlich etwas komisch. Hunger wahrscheinlich.«

»Nehmen Sie doch noch etwas Kuchen. Gehen Sie immer noch zu den Weight Watchers?«

»Da war ich seit einer Ewigkeit nicht mehr. Ich habe ein furchtbar schlechtes Gewissen.«

»Alles reiner Unsinn«, bemerkte Robin.

»Also, was halten Sie davon?« Zu Nels Bedauern war Catherine noch nicht fertig mit Jake. »Wenn der Rechtsanwalt nicht ganz koscher ist, würde das helfen?«

Robin, der nicht so viel redete wie seine Frau, sagte: »Ich bezweifle es. Wenn die Hunstantons irgendetwas Negatives über ihren Rechtsanwalt erfahren würden, würden sie einfach einen anderen engagieren.«

»Aber vielleicht sollten wir es ihnen erzählen«, meinte Catherine. »Schließlich haben sie ein Recht darauf, es zu wissen.«

»Aber es ist nur ein Gerücht«, wandte Nel ein. »Wenn wir es den Hunstantons erzählen und es sich herausstellt, dass es nicht wahr ist, könnte er uns wegen Verleumdung oder so etwas verklagen.«

»Stimmt«, antwortete Catherine. »Ich dachte nur, ich sollte alles weitergeben, was ich weiß, auch wenn es noch so unwichtig scheint. Schade, dass Sie es nicht benutzen können. Noch eine Tasse Kaffee?«

»Nein, danke. Ich habe schon zu viel Kuchen gegessen.«

»Dieser Bauunternehmer hat sich um den Auftrag beworben«, fuhr Catherine fort. »Er glaubt, es sei alles unter Dach und Fach. Was einer der Gründe ist, warum ich Ihnen von dem Anwalt erzählt habe.«

»Haben Sie meine Petition unterschrieben? Ich hatte die Hoffnung, die Wiesen retten zu können, mehr oder weniger aufgegeben, aber jetzt könnte es vielleicht doch noch einen Versuch wert sein.«

Catherine seufzte. »Das bezweifle ich. Keiner unserer Briefe, in denen wir gegen die Pläne protestiert haben, hat etwas genutzt, oder?«

Nel musste zugeben, dass das der Wahrheit entsprach.

»He!«, rief Catherine plötzlich. »Haben Sie mal daran gedacht, selbst gemachte Karamellbonbons zu verkaufen? Drüben in Forrest wohnt eine Frau, die Karamellbonbons macht, für die man sterben könnte, und das ist keine Übertreibung.«

Robin trank seinen Kaffee aus und stellte den Becher vernehmlich auf den Tisch. »Aber sie arbeitet unter äußerst unhygienischen Bedingungen. Man findet ziemlich oft Hundehaare in dem Karamell, die Töpfe sind uralt, und der Küchenfußboden dort ist so klebrig, dass man kaum darüber gehen kann.«

»Hm, klingt anheimelnd«, sagte Nel. »Ich werde sie mir vielleicht mal ansehen, und sei es nur, um eine Kostprobe zu schnorren.«

»Wo wir gerade beim Thema sind, Sie müssen unbedingt diese Lammkeule hier mitnehmen. Jemand hat sie bestellt und dann abgesagt.«

»Ich will aber dafür bezahlen ...«

»Reden Sie keinen Unsinn!«

Nel blieb an diesem Tag keine Zeit mehr, jemanden aufzusuchen, den sie nicht kannte, aber selbst wenn alle Leute, die sie kannte, Briefe an die Gemeinde schickten, hatte sie immer noch lange nicht genug beisammen. Sie würde nach anderen Produkten Ausschau halten müssen. Die Sache hatte nur einen Haken. Es mochte durchaus angehen, mehr als einen Käsehersteller auf dem Markt zu haben, aber wenn sie geradezu nach Konkurrenz suchte, käme ihr das dem Freund gegenüber, der den Käse herstellte, doch ein wenig treulos vor. Andererseits war es eine noch größere Treulosigkeit, wenn der Markt nicht mehr stattfinden konnte, weil sie nicht genug Leute zusammenbekam. Ich wünschte, ich wäre ein Tier, dachte Nel, die langsam Kopfschmerzen bekam, dann müsste ich keine moralischen Bedenken haben. Ich könnte einfach meinen Instinkten folgen. Als ihr plötzlich wieder einfiel, was passiert war, als sie »einfach ihren Instinkten gefolgt war«, beschloss sie, den Tag – und die Woche – bei Sacha zu ausklingen zu lassen und ihre Freundin um einen beruhigenden Trank zur Aufmunterung anzugehen.

Sacha freute sich sehr, sie zu sehen. »Nel! Du bist die Beste! Ich bin dir ja so dankbar!«

»Es ist schön, dass mich jemand zu schätzen weiß«, sagte Nel, während sie unaufgefordert Platz nahm. »Aber womit habe ich das verdient?«

»Du hast mir Kerry Anne vorgestellt! Sie ist unglaublich! Am Tag nach eurem Besuch ist sie wiedergekommen und hat mir geholfen – ich habe beschlossen, doch nicht nach Oxford zu fahren –, und gestern hat sie eine Unmenge von meinen Sachen mit nach Amerika genommen, und sie ist fest davon überzeugt, dass ihr die Bestellungen schon bald aus den Ohren kommen werden! Es ist einfach fantastisch!«

»Aber wirst du solche Mengen denn schaffen?«

»Es wird hart werden, aber wenn Kerry Anne zurückkommt, wird sie mir helfen.«

»Also kann ich sie nicht länger hassen? Viv wird fuchsteufelswild sein.«

»Warum?«

»Sie sagt, es sei langweilig, dass ich niemals jemanden hasse. Sie findet auch Leute langweilig, die immer nur nett über andere Leute reden. Ich muss um ihretwillen unbedingt üben, gehässig zu sein. Wenn ich weiß, dass Kerry Anne dir geholfen hat ...«

»Das hat sie! Aber ich werde wirklich bald etwas Größeres brauchen, wenn ich die Produkte für Kerry Annes Wellnesshotel herstellen soll. Dieses Haus in Oxford wäre nicht das Richtige gewesen ...«

Nel hörte ihr jedoch nicht mehr zu. »Ein Wellnesshotel!«, fiel sie ihrer Freundin ins Wort.

»Ja. In dem alten Haus. Das wird bestimmt fantastisch.«

»Aber ich dachte, die Hunstantons wollten Anteilswohnungen daraus machen!«

»Nun, das Wellnesshotel ist Kerry Annes jüngster Plan. Ich denke ...« Sacha hüstelte bescheiden. »Ich denke, meine Sachen haben sie ein wenig inspiriert. Außerdem liegt ihr das viel mehr.«

Nel runzelte plötzlich die Stirn. Mit einem Mal hatte sie das Bild von Kerry Anne mit Sachas Rezepten in der Hand vor Augen. »Du glaubst doch nicht, dass sie etwas Böses im Schilde führt, oder? Ich meine, sie könnte deine Geheimnrezepturen stehlen, sie an jemand anderen verkaufen und dich hintergehen!«

Sacha lachte. »Nun, das könnte sie, wenn sie die Rezepte kennen würde. Aber sie kennt sie nur bis zu einem gewissen Grad.«

»Und du wirst Kerry Anne nicht zu deiner Partnerin machen, oder? Du weißt ja, dass man Partnerschaften fast so schlecht trennen kann wie Ehen?«

»Ich werde mich auf nichts einlassen, ohne vorher Rat einzuholen. Ich würde mir einen guten Anwalt nehmen.«

»Das wäre vernünftig. Schließlich hat Kerry Anne auch einen.« Zumindest vermutete sie, dass Jake Demerand ein guter Anwalt war. War es ihr Gehirn, das ihr das sagte? Oder ihr Herz? Sie biss sich auf die Lippen, um sich wieder auf das gegenwärtige Thema zu konzentrieren. »Also, Sacha, habe ich dich schon gebeten, einen Brief an die Gemeindeverwaltung zu schreiben? Bevor sie mir grünes Licht für einen größeren Markt geben werden, muss ich beweisen, dass ich genug Marktverkäufer habe, die auf dem geplanten Markt ihre Waren feilbieten wollen. Oh, und kennst du vielleicht noch jemanden, der Dinge macht oder produziert, die annähernd essbar sind?«