Kapitel 15

Er seufzte. »In Ordnung, worüber möchtest du mich auszanken?«

Nel kicherte. »Ich möchte dich gar nicht auszanken. Ich möchte lediglich über ungefährliche Dinge reden.«

»Verstehe. Du möchtest nicht darüber reden, wie attraktiv du bist und wie dumm Simon ist, dass er dich nicht schon vor langer Zeit zum Altar geführt hat?«

»Nein!«, quiekte sie. »Ehrlich! Außerdem, was bringt dich auf den Gedanken, dass Simon mich zum Altar führen möchte?«

»Zum einen wäre da die Tatsache, dass er die genauen Maße deines Hauses kennt.«

»Das hat nichts zu bedeuten! Grundstücksmakler lieben derartige Details. Außerdem weiß er, dass ich an nichts Dauerhaftem interessiert bin, bevor die Kinder wirklich und wahrhaftig aus dem Haus sind.« Sie runzelte leicht die Stirn und hoffte, dass Simon das tatsächlich wusste und Fleurs freies Jahr nicht mit ihrem endgültigen Auszug von zu Hause verwechselte.

»Oh, warum denn das?«

Diese Frage schien ihn ehrlich zu interessieren, daher antwortete Nel. »Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass ein anderer Mann mit ihnen schimpft. Es hat mir nicht einmal gefallen, wenn Mark es tat, und es waren seine Kinder.«

»Das ist kein Problem, du wirst einfach einen Mann finden müssen, der nicht mit ihnen schimpft. Außerdem sind sie jetzt praktisch erwachsen.«

»Es ist wohl ein Problem. Meiner Erfahrung nach sind alle Männer Tyrannen, weshalb es nur gut ist, dass ich keinen brauche und sehr gut ohne klarkomme.«

»Du magst zwar ohne Mann klarkommen können, aber du tust es nicht. Du hast zwei Männer, die sich für dich interessieren, und einer von ihnen verrichtet handwerkliche Arbeiten in deinem Haus.«

Sie lachte, bis ihr der Gedanke kam, dass Jake vielleicht durchaus dazu fähig war, aus der Obdachlosigkeit alter Menschen Profit zu schlagen, und das warf einen Schatten auf ihre Erheiterung. Aber es war trotzdem nur ein Gerücht. Konnte sie ihn danach fragen? Sie sollte es tun, aber als er sie jetzt mit schelmisch blitzenden Augen ansah, brachte sie die Worte irgendwie nicht über die Lippen. Sie schlug sich so gut sie konnte. »Und der andere arbeitet für zweifelhafte Projekte, für die Land zweckentfremdet wird, auf dem Kinder spielen. Kranke Kinder zum Teil.«

»Und der dich ohne jede Vorwarnung liebt, obwohl ich, um fair zu sein, doch denke, dass es auf Gegenseitigkeit beruht.«

Nel war bereits ziemlich rosa im Gesicht, aber jetzt errötete sie noch heftiger. »Jake!«

»Ich weiß, du willst nicht darüber reden. Aber du kannst mir nicht verbieten, dass ich es tue. Oder dass ich die Erfahrung wiederholen möchte.«

Er sah sie mit einer Mischung aus Verlangen und Erheiterung an, und entgegen all ihren guten Absichten reagierte Nels Körper darauf. »Das dürfen wir nicht! Es kommt nicht infrage. Ich habe es dir erklärt!«

»Aber nicht zu meiner Zufriedenheit. Und ich werde mich nicht für alle Zeit mundtot machen lassen. Ich werde dir etwas Zeit geben, darüber nachzudenken, aber dann werde ich darauf bestehen, darüber zu reden.«

Die Kellnerin brachte ein Glas Brandy und noch ein Wasser an ihren Tisch. Sie stellte den Brandy vor Nel hin, die sich nicht daran erinnern konnte, etwas bestellt zu haben.

»Du versuchst doch nicht etwa, mich betrunken zu machen, damit du dein böses Spiel mir mir spielen kannst, oder?«

»Nein.« Er hielt ihren Blick fest. Er lächelte – beinahe spöttisch –, aber Nel musste dennoch schlucken und woanders hinsehen. »Ich verspreche dir, wenn wir uns das nächste Mal lieben, wie ich es zu beschreiben vorziehe, wirst du im Vollbesitz ...« Er hielt inne, bevor er mit gefährlicher Betonung fortfuhr: »... im Vollbesitz all deiner Sinne sein.«

Nel blickte hastig in ihren Brandy; sie bezweifelte, dass sie jemals wieder im Vollbesitz ihrer Sinne sein würde.

»Also, was hast du letzte Woche so gemacht?«, wollte er wissen.

»Ich habe potenzielle Verkäufer für den Bauernmarkt abgeklappert. Und ich habe Abraham besucht.«

»Abraham? Ach, den Bauunternehmer.«

»Ja.«

»Hat er immer noch die Pläne von Gideon Freebody? Für die Bauarbeiten?«

»Ja.«

»Und konntest du sie dir genau ansehen?«

»So ziemlich. Warum fragst du?«

Er sah sie direkt an; das Lächeln war vollkommen verschwunden. »Ich finde nur, du solltest sie dir ansehen. Gründlich.«

Sie runzelte die Stirn. »Warum? Gibt es da etwas, das ich wissen sollte?« Wusste Jake von dem kleinen Stückchen Land, dessen Umrisse in einer anderen Farbe eingezeichnet waren? Was versuchte er ihr zu sagen?

Jake hob die Hände. »Ich darf nicht darüber sprechen. Es ist vertraulich. Aber ich finde doch, dass ihr beide, du und Abraham, diese Pläne unbedingt gründlich durcharbeiten solltet. Recherchen sind immer interessant. Und denk daran, wo ein Wille ist, ist ein Weg.«

»Was?«

»Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.« Jake drehte die Goldfolie seines Pfefferminzbonbons zu einem Ring und wich ihrem Blick aus.

Nel fragte sich, ob er vielleicht eine zusätzliche Dosis Alkohol in ihren Wein gekippt hatte. Er hätte geradeso gut eine Geheimsprache sprechen können, so wenig Sinn ergaben seine Worte für sie.

»Und denk daran, es wird eine Lösung für deine Probleme geben.«

»Jake! Redest du wirres Zeug, oder versuchst du, mir etwas zu sagen? Wenn Letzteres der Fall ist, könntest du dich bitte etwas klarer ausdrücken?«

»Ich habe schon viel zu viel geredet. Möchtest du noch etwas? Noch ein Glas Brandy?«

»Nein, danke. Es war alles ganz köstlich, wirklich. Noch-mal, danke. Aber ich sollte jetzt nach Hause fahren.«

»Es hat mir auch großen Spaß gemacht, aber ich werde dir ein wenig Zeit geben, deine Hausaufgaben zu machen.«

»Hausaufgaben? Wovon sprichst du?«

»Ich möchte, dass du sehr gründlich über deinen Umgang mit Affären nachdenkst und über die Frage, warum du so dagegen bist, welche zu haben. Immerhin, wenn du keine Affäre haben kannst, solange du Single bist, wann willst du dann eine haben?«

»Da hast du unbedingt Recht. Was ist mit dir? Hast du Affären?« Sie stellte ihre Frage in einem beiläufigen Tonfall, aber ein Teil von ihr wollte ihn nach Kerry Anne fragen, und näher wagte sie sich nicht an das Thema heran.

»Nur in dem Tief zwischen zwei Ehefrauen.«

Sie lächelte, obwohl das nicht die Antwort war, die sie hören wollte. »Wie viele Ehefrauen hattest du denn, Blaubart?«

»Nur eine. Aber es hat ein paar Geschichten gegeben. Ich glaube nicht, dass ich wieder heiraten sollte.«

»Oh.« Ihre Laune sank noch ein oder zwei Meilen tiefer, wofür es keine Erklärung gab, da sie selbst ihn ganz sicher nicht heiraten wollte. Sie brachte ein Lächeln zu Wege. »Dann ist es ja nur gut, dass ich kein Auge auf dich geworfen habe, oder?«

»Absolut.« Er lächelte. »Es ist ein Glück, dass ich ein windiger Anwalt mit zweifelhafter Moral bin, der für die Bösen arbeitet.«

Nel nickte. »Das bringt es so ziemlich auf den Punkt.«

Auf dem Heimweg redeten sie nicht viel. Schon jetzt hatte sich ein Gefühl der Ernüchterung Nels bemächtigt. Sie hatte einen wunderschönen Abend gehabt, aber das war nicht das richtige Leben. Es war nur ein winziges, leuchtendes Juwel unter all den Kieselsteinen. Das Leben bestand aber größtenteils aus Kieselsteinen.

Nach einem anstrengenden Tag – und einem ziemlich entmutigenden Abend – hatte Nel erwartet, dass sie unverzüglich in einen tiefen Schlaf sinken würde, sobald sie nach Hause kam. Aber kaum lag sie im Bett, musste sie feststellen, dass sie hellwach war. Alles, worüber sie und Jake gesprochen hatten, drehte sich in ihrem Kopf. Konnte sie ihm trauen? Konnte er jemals etwas mit ihrem wirklichen Leben zu tun haben? Er war so abscheulich verführerisch, aber es gab auch so viele Dinge über ihn, die sie lieber nicht wissen wollte. Und was hatte er mit all diesen nebulösen Andeutungen vorhin bezweckt? Hatte sie sich das Ganze nur eingebildet?

Gegen vier Uhr morgens ging ihr plötzlich ein Licht auf. Jake hatte tatsächlich eine Geheimsprache benutzt. All diese Bemerkungen darüber, dass es einen Weg gebe, wo nur ein »Wille« vorhanden sei ... Ein letzter Wille womöglich? Jake hatte von einem Testament gesprochen! Nel nahm sich vor, sich Sir Geralds Testament anzusehen. Gleich morgen Früh würde sie Abraham anrufen und mit ihm darüber sprechen. Endlich schlief sie ein.

Da sie erst so spät ins Bett gekommen war, schlief sie noch, als am nächsten Morgen zu ärgerlich früher Stunde das Telefon klingelte. Ausnahmsweise einmal waren die Hunde nicht mit aller Kraft gegen die Küchentür gedonnert, um nach oben und in Nels Bett zu gelangen, und sie lag im tiefsten Schlummer. Sie griff nach dem Telefon. Es war Simon. »Ich rufe nur an, um zu hören, ob du gestern Abend gut nach Hause gekommen bist.«

Sie verkniff sich ein wütendes »Warum um alles in der Welt rufst du mich so früh am Morgen an?«, weil sie den Grund dafür kannte. Er wollte auf den Busch klopfen. »Das ist sehr lieb von dir. Und ich bin gut nach Hause gekommen. Du auch?«

»Natürlich. Ich wollte mich nur davon überzeugen, dass dieser Mann dich sicher heimgebracht hat.«

»Er ist nicht hier, falls es das ist, was du wissen wolltest, Simon.«

»Nein, nein! Ich wollte damit nicht andeuten ...«

»Das ist gut, denn es geht dich wirklich nichts an.«

»Ach nein? Ich dachte, wir wären ein Paar, Nel.«

Nel seufzte, weil sie seinen Tadel deutlich spüren konnte. »Ja, das sind wir. Tut mir Leid, ich bin furchtbar müde und gerade wieder eingeschlafen.«

»Und ich habe dich gestört. Das tut mir Leid. Aber da ich dich gerade an der Strippe habe, du musst mir Bescheid geben, wenn ich dir bei dem Bauernmarkt irgendwie helfen kann. Ich meine, hast du schon mal daran gedacht, in die Gelben Seiten zu schauen und alle Bauern anzurufen, die da drinstehen?«

Nels umnebelter Verstand konnte im Augenblick nicht weiter als bis zu einer Tasse Tee denken. »Nein, darauf bin ich noch nicht gekommen, und es klingt unglaublich mühsam, obwohl es eine gute Idee ist.« Sie gähnte.

»Ich übernehme das für dich«, sagte Simon. »Ich werde die Einträge durchgehen und die Leute anrufen.«

Bei diesen Worten wurde sie schlagartig wach. »Simon! Das wäre großartig! Würdest du das wirklich tun?«

»Absolut. Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich bei dieser ganzen Angelegenheit genug unterstützt habe. Als ich gestern Abend mit Penny gegessen habe, um ihr bei der Entscheidung wegen ihres Hauses zu helfen ...«, diese Worte kamen mit besonderer Betonung, »... da dachte ich, dass ich meinen Kunden gegenüber möglicherweise hilfsbereiter bin als dir gegenüber. Denn genau das war sie, nicht mehr. Penny, meine ich. Sie war eine Kundin.«

»Schon gut. Das hast du mir gestern bereits erzählt.«

»Und du bist nur mit Demerand ausgegangen, weil du mit ihm über Paradise Fields reden wolltest?«

Nel fand Simons Gewohnheit, die Leute bei ihrem Familiennamen zu nennen, grässlich. Es klang so, als ahme er den Jargon der Nobelinternate nach. »Ja.«

»Und hast du etwas von ihm erfahren?«

»Eigentlich nicht.« Irgendwie wollte sie mit Simon im Augenblick nicht über Jakes Andeutungen reden, was die Pläne betraf. »Trotzdem war es eine nützliche Zusammenkunft. Ich glaube jedoch nicht, dass ich es in meinen Memoiren erwähnen werde.«

Simon lachte. »Du bist schon ein komisches Ding! Jetzt überlasse ich dich deinem Schönheitsschläfchen. Ich rufe später nochmal an.«

»Viel später, bitte, Simon. Jedenfalls nach zehn Uhr.«

Sie sah auf ihre Armbanduhr und stieg aus dem Bett. Es war schon spät genug, um Abraham anzurufen und ihm zu sagen, was sie von Jake erfahren hatte. Mit ein wenig Glück würde er wissen, wie man herausfand, was im Testament eines Verstorbenen stand. Er wusste es.

»Es ist ganz einfach, man braucht nur das Nachlassgericht anzurufen und bekommt dort eine Kopie. Ich musste es vor einiger Zeit für einen Freund tun. Das Amt arbeitet sehr effizient.«

»Und meinen Sie, das wir herausfinden können, wem dieses Stückchen Land gehört?«

»Besser eine Taube auf dem Dach als ein Spatz in der Hand«, erwiderte er rätselhaft. »Das Testament wird uns sagen, was Sir Gerald wem hinterlassen hat. Ich kümmere mich darum.«

Aufgemuntert von Abrahams positiver Reaktion, ging sie wieder nach oben, um sich anzuziehen. Der vergangene Abend hatte sich als wirklich nützlich erwiesen, auch wenn das nicht der Grund war, warum sie sich mit Jake verabredet hatte. Simon würde ihretwegen hunderte von Telefongesprächen führen, und sie wusste, dass Abraham in Bezug auf die Pläne auf der richtigen Spur war. Sie blickte noch einmal auf ihre Armbanduhr. Während sie darüber nachdachte, was sie am besten als Nächstes unternahm, konnte sie auch schon das Mittagessen für Jamie und Fleur zubereiten. Wenn man ihr Bratkartoffeln und Soße vorsetzte, das wusste sie, würde Fleur zumindest zum Essen bleiben, und das schien ihr im Augenblick Priorität zu haben.

Als Fleur, die eine geradezu herausfordernde Selbstverständlichkeit zur Schau stellte, und Jamie, mit leicht verlegener Miene, in der Küche erschienen, roch es nach gebratenem Fleisch, im Ofen knisterten und zischten mehrere Backbleche mit Bratkartoffeln und Yorkshire Pudding, und die Fenster waren leicht beschlagen. Die Küche wirkte gemütlich und einladend.

»Hallo, ihr zwei. Hallo, Jamie.« Nel lächelte den netten, anständig wirkenden Jungen erleichtert an, den sie höchstpersönlich für ihre Tochter hätte aussuchen können. All diese Sorgen. »Ich fürchte, das Frühstück habt ihr verpasst, aber das Mittagessen ist fast fertig. Ich mache Soße.«

»Mum! Ein Braten zum Mittagessen! Rind oder Lamm?«

»Lamm. Catherine hat es mir geschenkt; ich musste das Fleisch einfrieren, aber es ist bestimmt noch gut. Und keine Sorge, ich habe trotzdem Yorkshire Pudding dazu gemacht.«

»Ich finde es so unfair, dass man nur zu Rindfleisch Yorkshire Pudding essen darf«, sagte Fleur zu Jamie. »Also macht Mum sie immer, ganz egal, welches Fleisch wir essen.«

»Ich liebe Yorkshire Pudding, nur macht meine Mum ihn leider nicht besonders gut«, sagte Jamie mit Blick auf das Backblech voller goldener Teilchen, das Nel gerade aus dem Ofen holte.

»Oh, meine auch nicht«, bemerkte Fleur. »Sie macht immer welche aus der Packung.«

»So ist es recht, verrate nur all meine Geheimnisse. Also, wärst du so lieb und würdest den Tisch decken? Was möchtest du trinken, Jamie? Orangensaft, da es für euch ja das Frühstück ist? Oder lieber Wein, weil wir ja schon Mittag haben?«

Jamie warf Fleur einen nervösen Blick zu.

»Oder wollt ihr mit Orangensaft anfangen und dann ein Glas Wein trinken?«, fuhr Nel fort.

»Das wäre wunderbar, Mrs Innes«, sagte Jamie. »Falls es keine Mühe macht.«

»Oh, nenn sie ruhig Nel«, meinte Fleur. »Jeder nennt sie so.«

»Dann wollen wir uns setzen. Es ist schade, dass die Jungen nicht hier sind. Dann hätten wir ein richtiges Familienessen.«

»Meine Mum findet, dass das ganze Getue um gemeinsame Mahlzeiten übertrieben ist und außerdem viel Arbeit macht, deswegen gibt es das hier nur zu besonderen Anlässen. Wobei ich«, sagte sie ein wenig tadelnd, »nicht wusste, dass Mum so etwas vorhatte.«

»Liebling, du kannst Jamie unmöglich übers Wochenende einladen und ihm nicht wenigstens eine einzige anständige Mahlzeit vorsetzen. Was würde seine Mutter von uns halten?«

»Oh, sie ist berufstätig und arbeitet Vollzeit«, sagte Jamie, »daher gibt es bei uns eine Menge Fertiggerichte. Ich kann ziemlich gut kochen, und mein Dad auch.«

»Nimm doch noch eine Kartoffel. Ich habe tonnenweise davon gemacht. Und literweise Soße. Hast du noch Geschwister?«

»Bitte, bitte, unterzieh Jamie doch keinem hochnotpeinlichen Verhör!«

»Tu ich doch gar nicht. Ich gebe ihm nur die Bratkartoffeln rüber.«

Nachdem Jamie darauf bestanden hatte, dass er und Fleur den ganzen Abwasch erledigten, einschließlich all der fettigen Töpfe (womit er sich ein Goldsternchen verdient hatte), scheuchte Nel die beiden zwei Stunden später zu einem kurzen Spaziergang mit den Hunden aus dem Haus.

Da sie außer Stande war, sich hinzusetzen und zu entspannen, beschloss sie zu putzen und nahm diese Arbeit mit einer Gründlichkeit in Angriff, die sie selbst irritierte. Normalerweise fand sie, dass Putzen eine totale Zeitverschwendung war, da man es am nächsten Tag sowieso wieder tun musste. Doch jetzt tat sie es zu therapeutischen Zwecken, um nachzudenken. Aber ihre Gedanken waren verworren und unkonstruktiv, und immer wieder standen ihr Gefühle im Weg. Ihre Gefühle für Jake, wie immer die aussehen mochten, machten die Sache nicht besser. Selbst wenn er kein Gauner war, war sie ziemlich fest davon überzeugt, dass er nicht mehr als eine Affäre wollte, und Nel hatte keine Affären. In dem Punkt war sie sich ziemlich sicher. Als Mark noch lebte, hätte sie etwas Derartiges niemals in Erwägung gezogen, und auch nachher hatte sie es nie gewollt.

Das Problem war, dass sie so selten körperliche Lust erlebt hatte. Vor Mark hatte es nur eine einzige, kurze Urlaubsromanze gegeben. Dann war Mark gekommen, und jetzt war da Jake. Simon mochte sie zwar gern, und das schon seit einer ganzen Weile, vielleicht liebte sie ihn sogar, aber sie reagierte auf ihn nicht so, wie sie auf Jake reagierte. Es war gemütlich, neben Simon auf dem Sofa zu sitzen; mit Jake wäre das Gleiche explosiv gewesen. Sie wrang ihren Putzlappen aus und wünschte, sie hätte Gummihandschuhe angezogen. Sie würde ganze Humpen von Sachas Creme benötigen, damit sich ihre Hände wieder erholten.

Sie griff wieder in den Eimer. Aber brauchte man eine solch leidenschaftliche Begierde für eine Beziehung? Oder konnten sich sanftere, durchdachtere Gefühle zu Liebe und Kameradschaft von dauerhafter Art entwickeln?

Eine riesige Spinne entfloh ihrem Schrubber.

»Vor Weihnachten hätte ich eindeutig Ja gesagt, eindeutig«, sagte sie laut. »Aber jetzt, da ich weiß, dass ich zu solcher Leidenschaft fähig bin, würde ich ohne das noch glücklich sein?«

Am frühen Abend, nachdem sie erst die Hälfte der Möbel wieder an ihren richtigen Platz gerückt hatte, rief sie erschöpft bei Vivian an. Wenn sie ihr von der neuen Krise wegen der Wiesen erzählte, brauchte sie wenigstens ein Weilchen nicht über ihre Gefühle nachzudenken. Gefühle waren sehr anstrengend, genau wie Putzen.

»Hi, Nel! Wie geht es dir?«

»Ehrlich gesagt, es ging mir schon mal besser. Ich hatte noch keine Gelegenheit, dich auf den neuesten Stand zu bringen, aber was ich über die Baupläne herausgefunden habe, würde dir die Haare zu Berge stehen lassen.«

»Meine Haare stehen immer zu Berge.«

»Das hier ist eine ernste Angelegenheit! Hör mir zu!«

»Oh Scheiße!«, sagte Vivian einige Minuten und etliche Fragen später. »Was können wir tun?«

»Nichts, bevor Abraham herausgefunden hat, wem dieses Stück Land gehört. Dann können wir uns einen Plan zurechtlegen. In der Zwischenzeit, dachte ich, könnten wir versuchen, die Hunstantons davon zu überzeugen, dass der neue, größere Plan – der, der auch das Land des Hospizes einschließt – eine ausgesprochen schlechte Idee wäre. Wir könnten bei Kerry Anne anfangen.« Nel klang nicht übermäßig begeistert. Ihre Gefühle für Kerry Anne schwankten zwischen Kühlheit und regelrechtem Hass. »Obwohl ich persönlich es lieber nicht tun würde.«

»Aber welchen Sinn hätte es, mit Kerry Anne zu reden? Sie ist nicht der Eigentümer. Wir sollten mit Pierce reden.«

»Viv! Mir ist gerade eine fantastische Idee gekommen!«

»Was, du willst Pierce verführen und ihn dazu bringen, seine Träume von Habsucht aufzugeben?«

»Nein, du wirst es tun!«

»Nel ...«

»Ach, komm schon, Viv. So abstoßend ist er nun auch wieder nicht, und es wäre für einen guten Zweck. Für dich wäre es ein Kinderspiel, ihn zu verführen.«

»Jetzt hören Sie mir mal zu, Mrs Innes, die Zahl meiner Liebhaber mag zwar ein bisschen höher sein als die deiner, aber ich bin keine Schlampe. Wohlgemerkt, deine Zahl hat sich ja in letzter Zeit um einhundert Prozent erhöht, wie?«

»Halt den Mund.«

»Wie dem auch sei, es wäre vollkommen unmoralisch. Ich mag Sex, aber ich habe nicht die Absicht, ein Glück im trauten Heim zu zerstören.«

»Nein«, sagte Nel begeistert. »Nicht ›ein‹ trautes Heim! Du würdest hunderte davon zerstören! Du könntest verhindern, dass sie jemals gebaut werden!«

Vivian seufzte. »Sehr witzig. Außerdem finde ich deine Haltung zu resigniert. Wir wollen verhindern, dass überhaupt irgendetwas gebaut wird. Welchen Sinn hätte es da, die Hunstantons auf unsere Seite zu bringen?«

»Ich könnte mich irren, aber ich denke, es wäre einfacher, gegen Pierce und Kerry Anne zu kämpfen, gegen Einzelpersonen, als gegen jemanden wie Freebody, der wahrscheinlich hunderte von ähnlichen Plänen durchgezogen hat.«

»Das Ganze dreht sich doch nicht etwa um einen gewissen Anwalt, oder?«

»Nein!«

»Und hast du in letzter Zeit mal von einem gewissen Anwalt gehört?«

»Wohl kaum! Wir sind gestern Abend erst ausgegangen. Ich werde ihm eine E-Mail an sein Büro schicken, um mich zu bedanken. Aber Simon hat mir heute Nachmittag Blumen gebracht?«

»Wirklich? Weshalb hat er denn ein schlechtes Gewissen?«

»Wegen gar nichts! Er hat gerade Dutzende von Telefongesprächen für mich geführt und mir die Ergebnisse vorbeigebracht!«

Vivs Antwort war ein tiefer Seufzer. Sie war offensichtlich unbeeindruckt.