KAPITEL 16
Naomi hatte den kleinen Park im Innenhof bereits zur Hälfte durchquert, als es ihr wieder einfiel: Ein gründlich sexbeseelter Phin hatte ihr Bett in Beschlag genommen. Abrupt blieb sie stehen.
Von Gemma wusste sie, dass Phin ihre Suite längst verlassen haben musste. Er war schließlich in seinem eigenen Appartement im Familienflügel aufgetaucht. Aber wartete er vielleicht jetzt doch wieder oben im Penthouse des Gästeflügels auf sie? Um mit ihr zu frühstücken, wie sie selbst es vorgeschlagen hatte?
Leck mich! Jetzt in ihre Suite zurückzukehren kam überhaupt nicht in Frage.
Geflissentlich überhörte sie die leise Stimme in ihrem Hinterkopf, die sie einen Feigling schimpfte. Duschen. Sie musste vor allem jetzt erst einmal duschen. Und dann müsste sie Meldung bei ihrem Vorgesetzten machen. Mit ein bisschen Glück könnte ihr Team mit etwas Hilfreichem aufwarten. Etwa mit einem Plan, bei dem es nicht nötig wäre, herumzusitzen und darauf zu warten, dass ihre Zielperson den nächsten Zug tat.
Wenn sie kein Glück hatte, würde ihr selbst schon noch etwas einfallen.
Sich etwas einfallen zu lassen, irgendetwas zumindest, darin war sie echt gut.
In ihre Suite für Dauergäste zurückzukehren und Zeit damit zu verschwenden, mit Phin für die nächste Nummer ins Bett zu springen, gehörte nicht dazu.
Nicht, wenn ihr der bloße Gedanke daran, Phin ein weiteres Mal zu vögeln, den Atem nahm.
Den Aufzug zum Flügel der Dauergäste ließ Naomi links liegen. Stattdessen hielt sie jetzt auf die Doppeltüren zum Pool-Bereich zu. Dort gab es Duschen und genügend Seife zur freien Verwendung durch die Gäste, um Phins Geruch von Naomis Haut zu schrubben. Aus ihrem Haar zu spülen.
Aus ihrem Denken und Fühlen.
Sie stieß die Tür auf und schlenderte durch die hohe Halle, in der Wasser und Wände jedes Geräusch zigfach verstärkten. Die glatten Fliesen spiegelten das gedämpfte Licht; überall Blau- und Grüntöne, die mit dem Blau des Wassers in den Schwimmbecken und Whirlpools harmonierten, und üppige Pflanzen, satt von der warmen, feuchten Luft. Ein Tropenparadies inmitten der höchsten zu den Wolken strebenden Türmen New Seattles.
Wo optisch grün und blau um die Vorherrschaft stritten, dominierte akustisch das Rauschen von Wasser. Warme Strömungen aus unzähligen Düsen sorgten dafür und am anderen Ende der Halle sprudelte ein kristallklarer Wasserfall. Unter ihren Füßen spürte Naomi das stetige Summen von Elektrizität, die die künstliche Welt am Leben hielt.
Am Beckenrand erhob sich ein Service-Mensch in der üblichen Zeitlos-Uniform. In seiner Hand hielt er einen röhrenförmigen Gegenstand. Jetzt kam er Naomi entgegen. Auf ihrer Höhe lächelte er sie kurz an. »Das Wasser hat genau die richtige Temperatur zum Schwimmen«, versicherte er ihr. »Die Sonnenbänke stehen ebenfalls zu Ihrer Verfügung, und ich bringe gleich noch Getränke in den Ankleidebereich, dauert nur noch einen Moment!«
»Danke«, murmelte Naomi, aber der Mann war bereits weg. Die Flügel der Schwingtür, durch die er verschwunden war, pendelten noch. Ziemlich tüchtig, der Mensch.
Geistesabwesend kratzte Naomi sich dort, wo der Verband aufhörte. Die immer noch verschlossene und versiegelte Sauna zog ihren Blick an. Immerhin hatte man die Scheibe schon ersetzt.
Im Zeitlos ließ man nichts schleifen.
Naomis Absätze klapperten einen knackigen Stakkato-Rhythmus auf den Fußboden aus Rotschiefer. Wasser leckte an den farbenfroh eingefassten Rändern jedes Beckens, kleine und größere Wellen. Es hüllte Naomi in einen Klangteppich aus Plätschern, Gluckern und Glucksen. Wahrscheinlich hielten andere das für eine beruhigende Geräuschkulisse.
Hier war ja auch nur fast eine ältere Dame zu Tode gekommen.
Der Ankleidebereich unterteilte sich in zwei Sektionen, jede mit einem entsprechenden Schild gekennzeichnet. Naomi stieß die Tür zur Damen-Umkleide auf, während sie sich bereits den Pullover über den Kopf zog.
Aus dem mehrteiligen Spiegel heraus, der eine der Wände in gesamter Breite einnahm, starrte Naomi Abigail Montgomery an. Sie war gerade dabei, Make-up aufzulegen. Naomi erstarrte.
Abigail trug, so jedenfalls Naomis Vermutung, was in einem Wellness-Tempel modisch sicher der letzte Schrei war. Ihre weiße Hose war makellos sauber und gebügelt, die Bluse mit U-Boot-Ausschnitt leuchtend grün. Abigail sah hinreißend aus, gepflegt und elegant.
Zur Schönheit veredelt.
Ihr Lächeln war so oberflächlich wie flüchtig, das Lächeln gewordene Desinteresse, hellrot angemalt. »Ich bin in einer Minute fertig«, sagte sie in demselben Tonfall, in dem sie gestern Naomi entlassen hatte wie eine huldvolle Königin einen Untertan.
Kühl. Kultiviert. Alle anderen hatten gefälligst zu warten, bis sie fertig war, ehe sie die gleiche Luft wie sie atmen durften.
Während Naomi zeitlupenlangsam, wie ihr schien, die Hand zur Faust ballte, kratzten ihre Fingernägel über die Tür. »Kein Problem.« Eigentlich hätten ihr die Worte im Hals stecken bleiben müssen, so zugeschnürt schien ihre Kehle. Sie drehte sich um, um in Richtung Schwimmhalle zu verschwinden, hielt die Schwingtür aber dann mit dem Ellenbogen fest, als Abigail sagte: »Warten Sie bitte einen Moment.«
Es gelang ihr nicht, einfach weiterzugehen. Der Kloß in ihrem Hals machte es ihr außerdem unmöglich, etwas zu sagen. Sie hätte einfach gehen sollen.
Keine Ahnung, warum sie stehen geblieben war, worauf sie eigentlich wartete.
Hinter ihr hörte sie Abigail den Lippenstift auf die Ablage legen. Die Metallhülse klapperte auf den blanken Marmor. Naomi drehte sich halb um und sah Abigail, die Arme vor der Brust verschränkt, sich mit einer Hüfte gegen die Fliesen lehnen.
Ihre blauen Augen waren nachdenklich zusammengekniffen.
Nur dass sie nicht über neuen Schmuck oder die neueste Modekreationen nachdachte, die ihre endlosen Kleiderschränke füllen sollten. Nicht dieses Mal.
»Verzeihen Sie bitte, wenn ich so unhöflich bin, Sie danach zu fragen«, sagte die Fremde, die ihre Mutter war, »aber sind wir uns vielleicht schon einmal bei einer Gala oder Benefizveranstaltung begegnet?« Beim Sprechen betonte sie jede einzelne Silbe und strapazierte Naomis angekratztes Nervenkostüm zusätzlich. »Kennen wir uns?«
Fast hätte Naomi gelacht. Sie schluckte das Lachen hinunter, würgte an dessen Bitterkeit. Zuzulassen, dass Lachen und Bitterkeit sich Bahn brächen, hätte bedeutet, nicht mehr damit aufhören zu können. Aber wer wegen eines Stahlbands aus Schmerz um die Brust kaum Luft holen konnte, konnte sowieso nicht lachen.
Plötzlich umfing Erschöpfung Naomi wie ein schwerer Mantel. Seltsam unbeteiligt antwortete sie: »Nein. Wir kennen uns nicht.«
»Sind Sie sicher? Wie heißen Sie?«
Naomi schloss die Augen. »Ishikawa«, sagte sie leise. Sie sagte es so leise, dass die Laute kaum Schallwellen in der Luft erzeugten. »Naomi Ishikawa.«
Scharf holte Abigail Luft. Naomi hörte es gerade noch, ehe die Tür zuschwang. Naomi blieb nicht stehen, um nachzuschauen, ob Abigail hinter ihr herkäme. Sie kam nicht.
Ihre Mutter war ihr nie hinterhergekommen.
So wütend und erschöpft, dass es ihr die Sprache verschlug, ging Naomi um die Trennwand zwischen der Damen- und der Herren-Umkleide herum und drängte sich durch die Schwingtür dort. Hier war niemand. Alles war sauber. Borde und Ablagen waren mit Herrendüften und Duschgels gefüllt, die nach Wald und frisch verarbeitetem Holz rochen. Naomi grabschte nach irgendetwas, das ihr zwischen die Finger kam.
Sie duschte so heiß, dass sie sich fast verbrühte. Die ganze Zeit über versuchte sie sich weiszumachen, sie lauschte nicht angestrengt über das Rauschen des Wassers hinweg auf die Stimme ihrer Mutter.
Versuchte sich weiszumachen, es zerrisse ihr nicht vor Enttäuschung das Herz, als es nichts zu hören gab.
Abigail Montgomery war nicht Naomis Problem. Abigail Montgomery hatte selbst genug Probleme, lebte ein einsames Leben, ohne jemanden an ihrer Seite, ohne Liebe. Mit jedem Tag, der verging, zog das Alter eine neue Narbe in das ach so perfekte Fleisch von Naomis Mutter. Mit jedem Tag rückte sie ihrem Tod als hässliche, verhärmte alte Zicke näher.
Naomi bedauerte allein den Umstand, dass sie diesen langsamen Verfall verpassen würde. Sollte die Frau doch ihr Blutgeld für Schönheitsoperationen und jedes Aufbau- und Stärkungsmittel ausgeben, das die Menschheit kannte. Sollte sie doch ruhig gegen Alter und Tod kämpfen.
Nichts könnte sie davor retten. Nichts.
Naomi würde Abigail Montgomery mit Freuden auf’s Grab spucken.
Aber das hieße, Abigail Montgomery zu überleben. Die Chancen dafür standen nicht besonders gut.
Doch, der Gedanke hat was!, dachte Naomi und rubbelte sich mit einem Handtuch trocken, das nach sonnenwarmen Gewürzen und Kaminfeuer roch. Sollte sie nicht vorher eine Kugel erwischen, würde sie auf das Begräbnis dieser Frau gehen und lachen.
Vielleicht wäre dann in ihrem Herzen Platz für etwas anderes als unbändige Wut.
Beim Anziehen kam Naomi noch ein Gedanke. Vielleicht war es die Wut, die Kummer und Bedauern in Schach hielt. Naomi stützte sich an einem Spind ab. Blicklos starrte sie die ordentlich eingravierten Nummern darauf an. Das nasse Handtuch lag ihr locker auf den Schultern. Wasser tropfte aus Naomis Haar. Ein Tropfen lief ihr in den Nacken. Ein Tropfen rann ihr die Wange hinunter.
Ein Tropfen fiel in die hellrote Pfütze zu ihren Füßen.
Naomi starrte die Pfütze an, blinzelte. Öffnete den Mund und bekam keinen Ton heraus.
Kein Fluch, nichts. Nicht dieses Mal.
Sie wusste bereits, was beziehungsweise sogar wen sie finden würde, wenn sie jetzt die Spindtür öffnete.
Sie schob den Riegel aus Metall zurück.
Aus dem engen Gefängnis purzelte Naomi die Leiche entgegen wie eine zerbrochene Puppe. Naomi konnte gerade noch ausweichen. Hellbraunes Haar floss auf die Schieferplatten, als der Schädel der Leiche mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden aufprallte. Die Schwerkraft tat den Rest, um Glieder mit grauer Haut aus dem improvisierten Metallsarg zu befreien.
Katie Landers.
Aufsteigende Hysterie sandte der Hexenjägerin einen kalten Schauer über den Rücken. Dennoch kniete sie sich mit eisiger Ruhe neben die Leiche. Als ob nicht sie die Hand ausstrecken würde, um den schlaffen Körper umzudrehen.
Als ob nicht ihre Hände das aschfahle Gesicht dem Licht entgegendrehten, den Kopf bewegten. Am Hals waren rötlich-blau verfärbt Blutergüsse zu erkennen. Das war sicher nicht angenehm gewesen.
Aber getötet hatte Katie Landers ein sehr effizient gesetzter Messerstich.
Der Geruch von Blut war Naomi immer schon metallisch vorgekommen. Einige Nuancen wärmer als der, den der saure Regen verströmte, wenn er, endlich dort angekommen, auf die Straßen der Unterstadt prasselte. Anders als der Regen roch Blut nach Fleisch, unverwechselbar in seinem Geruch. Ein Geruch, der einem bei viel Blut nicht mehr aus der Nase wollte. Nicht mehr aus dem Kopf.
Erinnerungen aufscheuchte.
Naomi träumte nicht mehr vom Blut der Toten, aber die Übelkeit war niemals ganz abgeklungen, in all den Jahren nicht. Auch jetzt kam ihr ihr Mageninhalt die Kehle hochgekrochen, als Naomi die Tür des Spinds so weit wie möglich aufstieß. Überall im Spindinneren das Blut des Mädchens, zähflüssig und schon mehr braun als rot. Auf dem Schrankboden ein ganzer See, der überfloss und sich dabei von der Feuchtigkeit der Schwimmhalle nährte. Aus diesem See tropfte das Blut auf die Fliesen des Umkleideraums. Jeder Tropfen zerbarst in unzählige weitere, als Sprenkel auf den Fliesen vor dem Spind.
Wieder jemand tot. Noch eine Leiche. Eine in der Wäscherei und nun eine hier. Okay, Naomi hatte den Hexer getötet und Carson die Leiche nur bewegt. Aber warum hatte Katie sterben müssen? Der Mord an ihr trug eindeutig die Handschrift eines Agenten der Kirche. Schnell, brutal und gründlich.
Hatte Carson Katie getötet, um etwas zu bekommen, das er brauchte?
Oder war sie ihm nur zufällig in die Quere gekommen? Hatte sie vielleicht etwas gesehen, was sie nicht hätte sehen dürfen?
Himmel, war sie vielleicht einer von Carsons Spitzeln gewesen?
Naomi stützte sich am Spindrahmen ab. Sie überlegte, wie sie bei der Durchsuchung der Räumlichkeiten, nein, des Gebäudes am besten vorginge. Sie hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gebracht, da überraschte sie etwas ganz anderes. Das Licht flackerte. Einen Atemzug später erlosch es ganz.
Vier Sekunden lang lastete endlos erscheinende Stille auf dem Zeitlos, Totenstille, die nur das wilde Pochen von Naomis Herzschlag durchbrach. Kein elektrisches Summen mehr. Kein Plätschern und Blubbern der Whirlpools mehr.
Unmöglich.
Die Nackenhaare stellten sich Naomi auf, als sie sich in der undurchdringlichen Schwärze, die auf das plötzliche Erlöschen des Lichts folgte, zwang, sich zu bewegen und aufzustehen. Der Stromausfall reichte, um neues Adrenalin durch Naomis Adern zu pumpen. Dann flackerte das Licht, Strom versuchte über Leitungen wieder dorthin zu gelangen, wo er gebraucht wurde. In den kurzen Lichtphasen durchquerte Naomi den Umkleideraum, stieß die Schwingtür auf und rannte in Richtung Eingangstüren zum Pool-Bereich los. Sie kam gerade einmal drei Schritte weit. Mit Macht entlud sich links von ihr elektrische Energie in einem Funkenregen. Um ihr Gesicht zu schützen, riss Naomi den Arm hoch, fluchte laut. Das Knistern und Zischeln offener Stromleitungen erfüllte die Luft. Hinter ihr hörte Naomi eine Frauenstimme etwas erschrocken rufen, zu schnell, um es durch das Knistern hindurch zu verstehen. Der Funkenregen legte sich, die Funken selbst zerstoben auf den Schieferplatten zu nichts. Vorsichtig umging Naomi ein dickes Leitungsbündel, das von der Decke hing.
Unter den Entladungen erwachten die Leitungen zuckend zum Leben. Das Bündel wand sich wie eine angriffslustige Schlange und gab ein dumpfes elektrisches Brummen, halb Zischen, halb Fauchen, als Warnung vor seiner Bösartigkeit von sich. Das lose Ende des Kabels schlitterte über den Boden, viel zu nah am Wasser.
»Naomi!«
Sie schrak zusammen und wirbelte im selben Atemzug herum. Sie sah, wie der Rotschopf, den Phin Cally genannt hatte, ihr hektisch Zeichen gab, von dort zu verschwinden, wo sie stand.
Das Kabel sprühte erneut Funken, gleißend weiß und eisblau regneten sie über den Boden. »Seien Sie vorsichtig, da fließt ein Wahnsinnsstrom durch!«, schrie Cally; ihre Stimme hallte schaurig von den Wänden wider. »Wenn das Ding ins Becken fällt …«
»Schon kapiert!« Naomi gab ihr mit einer Geste zu verstehen, nicht näher zu kommen. »Gehen Sie und hol… O Gott!« Mit einem Mal schlug ihr das Herz bis zum Hals. Es schnürte ihr die Kehle ab, als drücke sie ihr jemand zu. »Scheiße, oh verdammt! Holen Sie Hilfe!«
Naomi kümmerte sich nicht darum, ob der Rotschopf tat wie verlangt. Sie dachte nicht einmal mehr darüber nach, ob sie den Befehl laut herausgebrüllt hatte, es nur hatte tun wollen, oder ob die Welt nur wegen ihr mit kreischenden Bremsen voll gegen die Wand gefahren war.
Innerhalb von Sekunden sprintete Naomi über die Bodenfliesen und sprang ins Wasser. Halb erwartete Naomi, beim Kontakt mit dem Wasser gegrillt zu werden, sich in eine Masse aus kochendem Fleisch und geschmolzenen Knochen zu verwandeln. Aber die andere Hälfte tauchte mit kraftvollen Bewegungen durchs Wasser und gab alles, bis ihre Hände in kurzes blondes Haar fassten.
In aufschwimmende grüne Seide.
Naomi rang nach Atem, als sie die Wasseroberfläche durchstieß, in ihrem Arm Abigails reglosen Körper, den sie mit kräftigen Beinstößen mit sich und hinüber zum Beckenrand zerrte. Naomis Nerven vibrierten voller böser Vorahnungen, aber sie kämpfte verbissen weiter. Sie packte die reglose Frau beim Schopf, an den Kleidern, an den leblosen Armen und Beinen, und wuchtete sie, ungelenk über den Beckenrand, raus aus dem Wasser.
Naomi musste ihre ganze Kraft dafür zusammennehmen. Ihr Haar hing ihr nass in die Augen, in denen Chlor brannte. Sie fluchte und drückte und zerrte und schob. Dann tauchte sie wieder; vor ihrem geistigen Augen tanzten Bilder einer von Stromstößen verkohlten Leiche. Sie rammte die Schulter in Abigails Rücken.
Der leblose Körper kam tatsächlich in Bewegung, schien aber über Naomi hinweg wieder ins Becken stürzen zu wollen statt hinaus aufs Trockene. Naomis angestrengtes Ächzen ging in einen Schrei über und endlich ließ sich Abigail hinaufstemmen und über den Beckenrand rollen.
Reglos blieb sie liegen. Gütiger Gott, sie bewegt sich nicht, sie atmet nicht. Naomi war nicht fähig zu entscheiden, ob …
Raus! Sie musste raus aus dem Wasser.
Wieder nahm Naomi ihre ganze Kraft zusammen, stemmte sich selbst, die Hände auf dem Beckenrand, hinaus aus dem Pool. Wasser schlang sich wie eine schwere Decke um ihre Hüfte, ihre Beine, hielt sie an ihren vollgesogenen Kleidern fest, als wolle es sie hinabziehen mit sich. Naomi fluchte, keuchte und japste und schaffte es: Sie rollte sich ab und auf den Fliesenboden hinüber zu Abigail, die sich immer noch nicht rührte.
Blut rann aus einem Riss auf ihrer Wange. Das und verlaufene Wimperntusche verwandelten das wunderschöne Gesicht der Frau in eine grausam entstellte Maske.
»Notarzt«, keuchte Naomi. Sie brauchte, oh Herr im Himmel, einen Notarzt. Sie brauchte Hilfe. Sie brauchte jemanden, verflucht, sie brauchte Phin. »Hilfe!«, schrie sie, »helft mir!« Eine neuerliche Dosis Adrenalin brachte ihre erschöpften Arme und Beine wieder dazu zu gehorchen. Sie zog Abigail in ihren Schoß. Im Mund einen bitteren Geschmack, spürte Naomi wie tiefer Schrecken ihr wie eine dicke, fette Kröte im Hals saß, im Herzen.
Keine Ahnung wie, gelang es ihr, hoch auf die Füße zu kommen, mit dem reglosen Körper auf den Armen. Keine Ahnung wie, trug sie ihre Mutter vorbei an dem über den Boden peitschenden Kabel, das Funken sprühte. Fort vom Wasser, dass zischelte und zischte, als das Kabel dann doch im Pool landete. Um Naomi herum erhob sich ein elektrischer Gewittersturm, als das Wasser der Leitung alle Energie aussaugte und die Lampen an der Decke platzten. Es regnete Glassplitter und elektrische Funken.
Keine Ahnung wie, schaffte Naomi es bis zur doppelflügeligen Eingangstür. Stieß sie auf. Taumelte nach draußen.
Warme Arme umfingen sie. Hielten sie, nahmen ihr ihre Last ab, ehe Naomi unter ihr in die Knie sinken konnte. Phins Stimme. Phins Anweisungen.
Phins Kraft und Stärke.
Überall um Naomi herum Menschen, Ameisen beim Angriff auf ihren Hügel, und Naomi ließ zu, dass Phin ihr Abigail abnahm. Er trug sie, als sei die Frau federleicht. Die Kraft, die Phin ausstrahlte, besaß etwas Selbstverständliches, etwas sehr Beruhigendes. So stand er inmitten von Chaos und Lärm und gab seine Anweisungen. Er ließ eine Krankentrage holen, den Bereitschaftsdienst der Haustechnik verständigen, das Personal ausschwärmen, um nach den Gästen zu sehen.
Der Rettungswagen war schon unterwegs.
Allmählich und mühelos stellte Phin Ordnung im Chaos her.
Aber Naomi konnte nicht hinsehen. Wollte ihm nicht dabei zusehen, wie er zum Auge des Sturms wurde. Kühl, unbewegt, nicht aus der Ruhe zu bringen stand er in Oberhemd und perfekt gebügelten Anzughosen da, das Haar frisch gewaschen. Geduld, Mitgefühl, innere Stärke – alles seine Eigenschaften, alles zu sehen, während er dastand und Anweisungen erteilte.
Auf seinen Armen trug er die Frau, von der Naomi im Stich gelassen worden war.
Die Frau, der Naomi um ihrer selbst willen diesen Gefallen nicht erwidern konnte und wollte.
Naomi zitterte am ganzen Körper – vor Kälte, in verspätet einsetzender Schockreaktion. Zitternd zog sie sich aus dem Sturm, der um sie herum tobte, zurück. Sie zog sich von dem Auge des Sturms zurück, in dem eine Ruhe herrschte, die ihr zuzuwinken schien, die sie anzog wie Licht die Motten. Die hinterhältigste aller Fallen, der sich Naomi je gegenüber gesehen hatte.
Feigling.
Naomi trat den Rückzug an.
»Geh!« Lillian scheuchte Phin von der aufgeregten Geschäftigkeit um Abigails Krankentrage fort. »Ich erkenne ein Problem, wenn ich es sehe. Also verschwinde endlich!«
Auch wenn es gegen jedes Prinzip verstieß, das ein guter Chef einzuhalten hatte, hörte Phin auf seine Mutter. Er reagierte auf den drängenden Unterton in ihrer Stimme, gehorchte.
Dieselben Sorgen lagen auch ihm schwer im Magen.
Gerade eben noch war Naomi direkt neben ihm gewesen. Als er das nächste Mal den Kopf wandte, um nach ihr zu sehen, war sie weg. Wahrscheinlich war sie schon wieder dabei, sich in Schwierigkeiten zu bringen und irgendetwas Dummes zu tun. Wahrscheinlich jagte sie dem Geist hinterher, den zu finden ihre Kirche und ihr Orden von ihr verlangten. Was auch immer: Phin konnte nur raten.
Er wählte die Nummer des Sicherheitsdienstes. »Bringen Sie bitte Miss Ishikawas Aufenthaltsort für mich in Erfahrung«, verlangte er, kaum dass der Anruf entgegengenommen worden war.
Barker sparte sich weitere Förmlichkeiten und stieß ein knappes »Ja, Sir!« hervor. Es dauerte nicht länger als eine Minute, aber jede Sekunde war Folter für Phin, ein weiterer Stich Besorgnis mitten ins Herz.
Etwas stimmte nicht. Etwas stimmte ganz und gar nicht.
»Miss Ishikawa befindet sich im Fitness-Bereich«, berichtete Barker. »Genauer gesagt: in der Trainingshalle.«
»Ist jemand bei ihr?«
»Nein, Sir, sie ist allein. Sieht alles sauber aus.«
»Gut.« Phin hastete bereits durch den Atrium-Park. »Geben Sie die entsprechenden Anweisungen. Wir schließen, bis die Probleme hier beseitigt sind. Ich möchte, dass Sie jeden verfügbaren Mann darauf ansetzen.«
»Ja, Sir. Wir durchsuchen bereits jedes einzelne Stockwerk.«
»Holen Sie sich alles an Unterstützung und Personal, was geht. Es ist mir egal, wie viel Druck Sie dabei ausüben müssen und auf wen. Aber bringen Sie sie her, und dann an die Arbeit mit ihnen! Sorgen Sie dafür, dass die Zeitweiligen an einen sicheren Ort gebracht werden, sicher – haben Sie mich verstanden! Und schicken Sie das Personal nach Hause, sobald alles evakuiert ist.«
»Ja, Sir. Was Vaughn angeht, Mr. Clarke …«
»Später!« Phin stieß einen tiefen Seufzer aus. Er hastete durch die Doppeltür in den Sportbereich und eilte an den verglasten Wänden entlang ins Fitnessstudio und die kleine Trainingshalle dort.
Er hörte Naomi, bevor er sie sah.
Genau wie beim ersten Mal, wo er sie hier hatte trainieren sehen, tänzelte sie vor einem der Sandsäcke. Der schwere, robuste Sack pendelte wild an seiner Kette hin und her; bei jedem wütenden Hieb, bei jeder Schlagkombination, bei jedem Tritt klirrten die Kettenglieder aneinander.
Aber dieses Mal war es anders. Naomi war anders. Unkontrolliert. Sie hatte sich nicht einmal umgezogen. Eine Frau in Jeans, tropfnassem Pullover und hochhackigen Stiefeln, die wie besessen auf einen Sandsack einprügelte – das wollte nicht recht zusammenpassen. Aber Naomi bewegte sich, als ob sie es gewohnt wäre, in hochhackigen Schuhen zu kämpfen.
Als ob es ihr scheißegal wäre, was andere vielleicht dachten.
Sie bewegte sich wie eine Missionarin.
Und er, Phin Clarke, war ein Dummkopf, der Hexen und Hexer vor der Mission versteckte.
Gott verdammte Scheiße! Es spielte keine Rolle. Phin ging um die Glaswand herum. »Naomi!«
Mit bloßen Fäusten traktierte sie den Sandsack. Viel zu heftig. Der Sack schwang hin und her, da schlug sie schon wieder zu. Bei jedem Schlag stieß sie einen wilden, wütenden Laut aus; unkontrollierte Wut brodelte aus ihr heraus. Wieder schlug sie zu. Eine Kombination aus einem mächtigen linken Seitwärtshaken und einem gut platzierten Aufwärtshaken. Phin zuckte zusammen, als hätten die Schläge einen menschlichen Gegner getroffen. Rot tänzelte es vor der Sandsackummantelung aus Kunstleder. Nasses Haar hing in Strähnen auf Naomis Schultern herab, von den durchgeweichten Jeans und dem durchgeschwitzten roten Pullover tropfte es auf die versiegelten Bodendielen.
»Naomi«, sprach Phin sie noch einmal an. Er nahm sie bei den Schultern. Unter seinen Händen spürte er verfilztes, von Chlorwasser ruiniertes Kaschmir und Naomis Bewegungen. Geschmeidigkeit, geballte Kraft. »Hör auf, Liebes, bitte, du wirst dich noch verletzen …!«
Sie fuhr herum, angriffslustig, packte Phin am Hemd, die Knöchel aufgeschrammt und blutig. »Verzieh dich!«, fauchte sie. Ihr Gesicht war ganz nah vor seinem. Ihr Blick wirkte so gequält, doch Phin ließ sich nicht einschüchtern.
Nicht von ihr. Nicht von der Frau, der er bereits verfallen war.
Er ignorierte die Faust, die ihn gepackt hielt. Er ignorierte Naomis unbeschreibliche Wut und strich ihr mit den Fingerspitzen ganz zart und sanft über die Wange. »Alles ist gut«, sagte er besänftigend.
Der Laut, der aus Naomis Kehle drang, hätte einem menschlichen Wesen gar nicht möglich sein dürfen. Das Fauchen eines verletzten wilden Tieres, das sich in die Enge getrieben fühlt. Ein Raubtier im Käfig, gefangen, verzweifelt. Ein Laut, aus den Tiefen einer verletzten Seele. Mit einer heftigen Drehbewegung riss sich Naomi von Phin los und stieß ihn gleichzeitig von sich.
Phin taumelte ein, zwei Schritte zurück, fing sich aber. Sofort ging er wieder auf Naomi zu, die sich erneut dem Sandsack zugewandt hatte; ihre Schultern bewegten sich, während Naomi ausholte und zuschlug, ausholte und zuschlug. »Alles ist in Ordnung«, sagte Phin wieder. Er legte alle seine Zärtlichkeit in diesen Satz, als müsse er ein verletztes Kätzchen zu sich locken. Ein verängstigtes Kind.
»Hör auf damit!«
Er schüttelte den Kopf. »Alles wird wieder gut.«
»Du hast so was von keine Ahnung!«, spie sie die für ihn bestimmten Worte dem Sandsack entgegen. Als Phin wieder seine Hände auf ihre Schultern legte, verspannte sich ihr ganzer Rücken unter der Berührung.
Innerlich wappnete sich Phin gegen Naomis Zorn, bereitete sich auf alles vor für den Fall, dass sie ihrem Schmerz freien Lauf ließe. Er ließ die Hände von den Schultern ihre Arme hinuntergleiten. Naomi zuckte zusammen, aber er trat noch näher an sie heran. »He«, flüsterte er in ihr nasses, kaltes Haar, »alles ist in Ordnung.«
Wie unter Schmerzen holte Naomi mühsam Atem, zittrig; es klang wie ein Schluchzen. Es fühlte sich an, als löste sich in seinen Armen ein Teil der Anspannung. Der Damm brach. Rasch drehte er sie zu sich um. Er hatte mit mehr Widerstand gerechnet, aber sie ließ es geschehen. Er zog sie in seine Arme und hielt sie fest, während sie zitterte.
Irgendwann in naher Zukunft würde er ihr alles sagen, ihr erklären, dass das Zeitlos Menschen half und warum. Er würde ihr verständlich zu machen versuchen, dass er sie nicht hatte belügen wollen. Dass es nicht seine Absicht gewesen war, die Missionarin auszutricksen, die sie, wie er jetzt wusste, nun einmal war.
Eines Tages würde er sie davon überzeugen müssen, dass sie ihm vertrauen konnte. Aber im Hier und Jetzt genügte es, sie in den Armen zu halten. Er hielt sie fest, als sie sich gegen seine Brust fallen ließ und er ihr Gewicht spürte, das zu tragen sie jetzt seinen starken Armen überließ. Sie war groß. Aber er trainierte nicht umsonst jeden zweiten Tag im Fitnessstudio. Naomi hängte sich Phin an den Hals, umschlang seine Taille mit ihren schlanken Beinen und vergrub das Gesicht an seiner Schulter.
Alles in ihm schrie nach ihr. Er litt mit ihr und litt selbst, so sehr sehnte er sich nach ihr. Ohne ein weiteres Wort trug er sie quer durch die Halle zum Umkleideraum der Damen, zu den Duschen dort. Er hielt Naomis Kopf mit der einen Hand, barg ihn an seiner Schulter, mit der anderen drehte er in einer der Kabinen die Dusche auf. Der kräftige Wasserstrahl, den der Duschkopf ausspuckte, traf sie beide. Er durchnässte Phins Kleidung ebenso wie Naomis, hüllte sie beide in dampfende Wärme und ein stetiges Rauschen ein, das alle anderen Geräusche schluckte. Auch Naomis Schluchzen. Phin wusste, dass all diese Tränen notwendig waren.
Aber Naomi würde eher sterben, als von sich aus Tränen nachzugeben.
Seine zarte, zerbrechliche Hexenjägerin.
Er brauchte eine Hand frei. Also sorgte er für stabilen Stand, indem er sich an der Wand abstützte. Naomis Rücken an der Wand ging Phin ein kleines Stück auf Abstand zu ihr, strich ihr das nasse Haar aus dem Gesicht und blickte in ihre Augen. Sie schwammen in unterdrückten Tränen, zwei mandelförmige Seen volle Emotionen. Trauer, Furcht, finsterster Groll.
Augen, die unruhig und gehetzt wirkten.
Den Finger unter ihrem Kinn zwang er Naomi, das Gesicht in den Wasserstrahl zu heben. Das Wasser lief ihr über Stirn und Wangen, über Nase und Kinn, fiel ihr auf die Schultern, die Brust. Es wusch den unangenehmen Geruch von nasser Wolle und Chlor ab, den stechenden Geruch vom Ozon der elektrischen Entladungen, die sie beinahe getötet hätten.
»Sieh mich an!«, verlangte Phin von ihr.
Weil es Naomi war, tat sie es. Eine Herausforderung, kompromisslos und direkt. Phin ging das Herz auf. Seine Naomi. »Ich brauche keine …« Heftig sog sie Luft ein, als Phin ihr die Hand flach auf die Brust legte, gleich neben das Brustbein. Er wollte ihr Herz schlagen spüren.
»Hör mir zu«, sagte er mit sanfter Stimme. »Alles wird wieder gut.«
»Verfluchte Scheiße, ich …«
»Alles wird wieder gut«, wiederholte Phin. Sie wich seinem Blick aus; ihr Atem ging schwer, zittrig von der Anstrengung, die Tränen zurückzuhalten, die unbedingt herauswollten. Naomi musste endlich loslassen und weinen.
Wann hatte sie wohl zuletzt geweint?
Erlaubte die Mission ihren Jägern Gefühle? Scherte sie sich überhaupt darum?
Erst halbherzig, dann mit Vehemenz versuchte sich Naomi aus Phins Umarmung zu befreien. Aber er hielt sie fest. Er verschränkte die Hände hinter ihrem Rücken, benutzte sein Gewicht, um Naomi zwischen sich und der Wand einzuklemmen. Wut verzerrte ihr Gesicht zu einer zähnebleckenden Grimasse.
Das war ein Anfang.
»Du hast dein Leben riskiert … nein, Naomi, nicht!«, sagt er rau, als sie begann, um sich zu schlagen. Ihr Ellenbogen krachte in die Kacheln hinter ihr. Ihre Faust schoss haarscharf an Phins Ohr vorbei, bohrte sich in die Wand oberhalb von Phins Schulter.
Es hörte sich an, als hätte sie sich alle Knöchel gebrochen, und Phin fluchte.
»Nein!« Ihr Aufschrei hallte von den gefliesten Wänden wider. »Wag es ja nicht …«
Die Gewalt, mit der sie sich ihm und den Tränen verweigerte, brach Phin das Herz. Er schüttelte sie heftig genug, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen und Naomi, die ihn aus rotgeränderten Augen böse anfunkelte, die Worte zerbiss, statt sie ihm trotzig entgegenzuspucken. »Du hast dein Leben riskiert, um eine Frau zu retten, die du nicht ausstehen kannst«, sagte er tonlos. »Erzähl mir also jetzt nicht, dass es dich nicht kümmert!«
»Was weißt du schon?«, zischte sie ihn an. Die Wut reichte nicht, um ihrem vom Schock bleichen Gesicht wieder Farbe zu geben. Die Wut reichte auch nicht, um die Leere zu füllen, die in Naomis Seele wie ein Abgrund gähnte, ein tiefer Riss aus Schmerz. Phin konnte in Naomis Augen die Leere, die Tiefe erahnen.
»Ich weiß, dass diese Frau dir unter die Haut geht.«
»Leck mich!«
»Ich weiß, dass sie dich tief verletzt hat«, fuhr Phin unbeirrt fort. Er packte ihre Handgelenke, nagelte sie über ihrem Kopf an der Wand fest. Das gelang ihm nur, weil sie ihn ließ. Er hatte sie kämpfen sehen, hatte sie angeschossen weitermachen sehen, als wäre es nichts.
Aber sie befreite sich nicht vom ihm, schüttelte ihn nicht einfach ab wie Schnee von einem Mantel.
Irgendwo tief in ihr, inmitten der Wut, spürte sie, dass sie ihn brauchte.
»Ich weiß, dass du …«
»Sie hat mich verlassen.« Ihre Stimme brach, wurde von einem Schluchzen verschluckt. Es war ein wilder Aufschrei, der in Phins Ohren nach tiefer Trauer klang, nach einer Frau, die man verletzt hatte, aber mehr noch nach einem kleinen Mädchen, das Seelenqualen litt. Naomi wehrte sich gegen Phin, dessen Gewicht und Körperkraft sie an die Wand pressten. Die Hände hatte sie ihm schon entwunden, schlug um sich. Dann knallte sie mit voller Wucht den Hinterkopf gegen die Kacheln. Phin erschrak und versuchte, Naomi von der Wand wegzubekommen. Als er sie wegzog, verlor er das Gleichgewicht. Er rutschte aus, und sie beide schlugen lang auf den gekachelten Boden, Beine und Arme ineinander verheddert. Immer noch schlug Naomi um sich. Sie fluchte, und setzte alles daran, sich aus Phins Armen zu befreien.
Sich von ihm zu befreien. Von der Erinnerung.
Phin war sich nicht sicher, wem Naomis Kampf galt. Aber sie durfte diesen Kampf nicht gewinnen.
Sie konnte es sich nicht leisten.
Kaum dass sie sich von ihm losgerissen hatte, schnappte er sich auch schon wieder ihre Beine, zog sie daran mit einem heftigen Ruck über die Fliesen zu sich zurück, warf sich auf sie. Wieder setzte er sein ganzes Gewicht ein, um sie zu bändigen. Sie brüllte und schrie. Aber er drückte sie zu Boden, bis der Strom wilder Flüche verebbte und nur noch ihrer beider Keuchen zu hören war. Unter seinen vor Anstrengung bebenden Händen schmolz die Anspannung ihrer Muskeln dahin, und was blieb, war Erschöpfung.
Das Rauschen der Dusche, das Prasseln des Wassers auf die Fliesen ringsum, war die einzige Lautkulisse.
Immer noch atemlos schob sich Phin von Naomi herunter. Zumindest halb.
Sie drehte sich von ihm weg, rollte sich auf den Fliesen zusammen. Die Beine angezogen, wie ein Embryo, lag sie da; ihr Haar floss wie eine schwarze Welle dem Abfluss entgegen. Ihr Gesicht hatte sie von Phin abgewandt.
»Liebling«, flüsterte Phin. Mehr brachte er nicht heraus.
Ihre Schultern zuckten. »Ich war fünf Jahre alt.« Sie sprach die Worte zu den Fliesen hin, was ihre Stimme dämpfte. Aber Schmerz und Wut waren unüberhörbar.
Da ließ Phin Naomi los.
Sofort war sie in Bewegung. Katzengleich, schnell und mit fließenden Bewegungen. Aber dieses Mal wollte sie nicht mehr raus und fort. Sie rannte nicht davon. Sie flüchtete sich nur in die Ecke der ummauerten Dusche, wischte sich das Haar aus dem Gesicht und das Wasser aus den Augen.
Nein, kein Wasser.
Herr im Himmel, Tränen! Obwohl Phin gewollt hatte, dass Naomi weinte, weil er wusste, dass sie es brauchte, musste er jetzt mächtig gegen den Drang ankämpfen, sie wieder in die Arme zu schließen. Sie in seinen Armen zu wiegen, sie zu beruhigen und zu trösten, damit die Tränen wieder versiegten.
Aber das würde ihr nicht helfen.
Also hockte er sich vor sie hin. Es brauchte all seine Kraft, ruhig zu klingen, als er sagte: »Alt genug, um sich zu erinnern.«
Abgehakt sog Naomi Atemluft durch die Nase, um sie durch den Mund wieder auszustoßen, ein Laut zwischen Abscheu und Empörung. Das nächste halbe Schluchzen. »Sie ist einen Tag vor meinem fünften Geburtstag abgehauen. An dem einen Tag hat sie mit dem Personal noch eine Party geplant, und am nächsten packt sie ihren ganzen Kram, ihre Kleider, ihren Schmuck, und weg ist sie.«
Phin beobachtete Naomi. Er sagte nichts.
Er musste vorsichtig sein.
»Mein Vater hat sie angebetet. Ach, Scheiße!« Das nächste Schluchzen. Ihre Lippen bebten. »Gott allein weiß, warum, aber so war mein Vater halt. Er war nicht der erste Idiot, der sich von ihr hat einfangen lassen und sie geheiratet hat. Aber mit den Männern vorher hatte sie keine Kinder. Sie hat mich immer Püppchen genannt. Ihr Püppchen.« Ihre Hände zitterten, als sie sich mit den Fingern durchs Haar fuhr. »Ihr kleines japanisches Püppchen. Sie hat nur …« Sie spreizte die Finger, fuhr damit durch die Luft. »Sie hat nur was hübsches Kleines gewollt, um es herumzuzeigen. Aber sie wollte keine Verantwortung übernehmen.«
Sich das vorzustellen, dafür reichte Phins Fantasie nicht aus. Dass Naomi so darüber sprach, so nüchtern und sachlich, konnte es nicht verbergen. Gleich unter der Nüchternheit tobten heftige Gefühlsstürme. Und es erklärte so viel. Herrgott, Phin wollte, es wäre alles anders, er wollte es wirklich.
»Etwa drei Monate, nachdem sie weg ist, hat mein Vater die Scheidungspapiere zugestellt bekommen.« Naomis Stimme wurde rauer, härter. »Dann ist er gestorben.«
Heftig schüttelte sie den Kopf, so heftig, dass es Wassertropfen aus ihrem Haar überallhin regnete. »Niemand hat es kommen sehen.« Ihr Lachen war beißend, rau und heiser. »Er hat sich einfach so … umgebracht. In seinem Testament hat er alles ihr vermacht. Ich musste ins Waisenhaus, verstehst du?« Dieses Mal konnte sie das Schluchzen, das gegen ihre zusammengebissenen Zähne anrannte, nicht mehr hinunterschlucken. Sie konnte auch die Tränen nicht mehr zurückhalten, die ihr jetzt die geröteten Wangen hinunterliefen.
»Sie ist, verstehst du«, sagte sie in einem neuerlichen Anlauf, »mich nie holen gekommen.«
Phin konnte die Vorstellung kaum ertragen. Verlassen und vergessen worden. »Es tut mir so leid«, sagte er leise. Er wusste, dass Worte nicht reichten, niemals reichen würden.
»Nein.« Sie hob das Kinn; ihr Kampfgeist meldete sich zurück. Es war, als habe sie in ihrem Kopf einen Schalter umgelegt. Phin sah, wie Kälte und eiserne Disziplin ihren angestammten Platz zurückeroberten, Naomis Gesichtszüge beherrschten, ihren Blick. Missionarsaugen sahen ihn an. Sie taugten nicht als Spiegel der Seele. »Du hast es wissen wollen. Bitte, jetzt weißt du’s: Meine Mutter hat mich der Mission überlassen, hat mich, hat meinen Vater verlassen und ihm alles abgenommen, was er hatte. Der Scheidungsklage nach sollte sie alles bekommen, das Haus, das Geld, alles sollte ihr gehören, nur ich nicht. Witzig, nicht wahr?« Naomi schlug mit beiden Fäusten auf die Bodenfliesen. Wasser stob in zwei kleinen Fontänen auf; das Licht fing sich glitzernd in den Tropfen. »Ein verfluchter, beschissener Witz, dass sie am Ende genau das bekommen hat, was sie immer gewollt hat. Mehr Geld, mehr Häuser, und auf mich hat sie nicht einen Gedanken verschwenden müssen.«
Phin schloss die Augen. Aber das half nicht. Er sah Naomi immer noch in ihrer Ecke sitzen, zusammengekauert, so klatschnass wie eine ertränkte Katze, die Knie an die Brust gezogen. Schmerz glitzerte in ihren Augen wie die Klinge eines scharfen Messers.
Nie war er so überfordert gewesen.
Nie so voller Liebe für eine Frau.
»Tja«, sagte Naomi. Sie war jetzt die Ruhe selbst. Kühl wie der Wind im Spätherbst. »Ja, ich bin Missionarin. Ich töte Menschen, Phin, das ist mein Job. Ich habe dich vom ersten Augenblick an belogen, weil ich hier bin, um jemanden zu töten, der darauf aus ist, andere Menschen zu töten. Ergibt das einen Sinn für dich?« Ihr Lachen klang eisig und zerriss Phin das Herz. »Für mich ergibt das jede Menge Sinn. Aber eigentlich ist es egal. Ich töte Menschen. Ich bin hier, um einen Mann zu töten. Das ist, was ich tue, das ist, was ich bin …«
»Du bist Naomi Ishi…«
»Nenn mich nicht so!«
Phin schwieg, saß einfach nur da. Die unbändige Wut, die Seelenqualen, die Naomi vor seinen Augen durchlitten hatte, nagelten ihn auf dem Boden fest. Naomi hingegen stemmte sich hoch auf die Füße, schwankte. Er wollte aufspringen, ihr helfen. Bei allen Heiligen, ihr nah sein, sie halten!
Aber sie suchte an den Wänden Halt. Kam hoch auf die Füße und stand, ganz ohne Phin Clarkes Hilfe. »Mein Name ist West.« Der Name kam über harte, verkniffene Lippen wie ein Peitschenknall. »Naomi West. Ich arbeite für die Mission. Ich töte Menschen. Gott verdammt, Phin!«, fluchte sie frustriert. Sie wischte sich das Wasser aus dem Gesicht, das fortwährend darüber lief. Weiter und weiter, solange die Dusche laufen würde. »Dringt irgendwas davon zu dir durch? Ich töte Menschen. Und es kümmert mich einen Scheißdreck, wen.«
Phin kam auf die Knie, dann auf die Füße. Er machte einen raschen Schritt zu ihr hin und nahm sie bei den Händen, zog sie an seine Brust. Sie wehrte sich kurz, gab aber schnell auf. Phin nahm ihr Gesicht in beide Hände, suchte ihren Blick und zwang sich ruhig zu bleiben, um Himmels willen, nur das: ruhig zu bleiben. Nicht nach dem Köder zu schnappen, den sie ausgeworfen hatte. Nicht an Blut zu denken, obwohl es von ihren verletzten Fingerknöcheln lief und sich seinen Weg als rötlich-braune Spur zum Abfluss suchte.
Er durfte ihr nicht geben, was sie verzweifelt glaubte zu verdienen.
»Dein Name ist Naomi West«, wiederholte er sanft. Er nutzte die Chance, legte ihr den Kopf in den Nacken und streichelte ihren Mund mit seinen Lippen mit all seiner Zärtlichkeit. »Du bist Missionarin.« Seine Unterlippe liebkoste ihre. Naomi erschauerte. »Dein Beruf ist es, Menschen zu töten. Das habe ich verstanden, ja.«
»Ich …«
»Aber ich weigere mich zu glauben«, unterbrach er sie, ohne den Tonfall zu ändern; seine Stimme war so beruhigend und sanft wie zuvor, »dass es dich nicht kümmert. Ich kenne dich. Selbst in dieser kurzen Zeit habe ich dich besser kennengelernt, als du glaubst. Es kümmert dich. Es kümmert dich und frisst dich bei lebendigem Leib auf.«
Ihr Blick verdüsterte sich.
»Aber du bist nicht allein, Naomi.« Phin drückte ihr je einen Kuss auf Kinn und Wangen. Ihre Haut schmeckte salzig vor Tränen und immer noch ein wenig nach Chlor. »Du bist nicht allein, weil ich bei dir bin. Ich liebe dich.«
Sie holte Luft. Es war ein abgehackter, scharfer Laut.
»Ich werde dich nicht verlassen.« Seine Lippen kehrten zu ihrem Mund zurück, und er küsste sie. Ebenso zärtlich wie fordernd schob er ihr seine Zunge in den Mund. Alles, was er zu geben hatte, Liebe, Begierde, Trost, legte er in diesen einen Kuss.
Alles, um ihr zu zeigen, was er nicht mit Worten ausdrücken konnte.
Ihr Herzschlag geriet ins Stolpern. Phin konnte ihren schnellen Puls unter den Fingern spüren, die auf Naomis Hals lagen. Ihr Herzschlag war das Echo seines eigenen, und in seinen Ohren rauschte es.
Naomis Hände strichen über seine Wangen, fuhren ihm ins Haar. Krallten sich dort fest.
Und dann riss sie sich von seinen Lippen los, drehte abrupt das Gesicht weg. »Nein«, sagte sie rau. Sie stemmte die Hände gegen seine Schultern, stieß ihn von sich.
Phin zog sich ein Stück zurück, gab Naomi Raum. Den Raum zum Atmen. Phins Magen verkrampfte sich, als sie sich an ihm vorbeidrängte, ein einziger Aufruhr in nassem Pullover und nassen Jeans. »Ganz schön dreist, Schlitzohr. Muss ich schon sagen.«
Über die Schulter hinweg sah Phin, wie die Maske, die Naomi West perfektioniert hatte, wieder an ihren Platz rutschte und Naomis wahres Gesicht vor den Augen anderer verbarg. Auch daran, wie sie die Schultern hielt, konnte Phin es ablesen, an dem sarkastischen Zug um ihren Mund, der so gar nicht zu den vom Weinen geröteten Wangen passte.
Missionar-Modus aktiviert.
Langsam drehte Phin sich zu Naomi um. »Ach, tatsächlich?«
»Du liebst mich?« Sie schnaubte alles andere als damenhaft. Naomi pur. »Höchst unwahrscheinlich. Was für eine dämliche Erpressung soll das werden? Du kennst mich kein bisschen, Phin! Du kannst mich überhaupt nicht kennen.«
Weil Phin keine Antwort wusste und ihm die Angst die Kehle zuschnürte, wiederholte er: »Ach, tatsächlich?«
Sie machte eine so heftige Bewegung mit dem Arm in Richtung Umkleideraum, dass das Wasser, mit dem sich der Ärmel vollgesogen hatte, nur so spritzte. »Schau hin«, höhnte sie, »und dann sieh dich an! Du trägst Designer-Klamotten, die mehr kosten, als ich in einem ganzen Jahr verdiene, und du ruinierst sie unter einer Dusche, ohne nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Dieses verschissene Spa hier ist so abgeschottet von der Welt und so scheißexklusiv, dass du längst den Kontakt zur Wirklichkeit verloren hast.«
Phin trat aus der Duschkabine und blinzelte, um das Wasser aus den Augen zu bekommen, das von seinen Haaren hinuntertroff. »Ah, glaubst du, ja?«
Spöttisch verzog Naomi den Mund. »Deine Eltern sind zwei Mösenleckerinnen, Supermann.« Phin zuckte bei dem rüden Wort zusammen. »Bisher hat sie noch keiner umgebracht, und das nur, weil ihr brav hier oben lebt, wo dieser verfluchte Scheiß nicht passieren kann.«
Phin ballte die Fäuste.
Naomis Kiefermuskeln arbeiteten. »Der einzige Grund, warum ihr alle so liebreizend und unbeschwert und vor allem am Leben seid, ist, dass ihr reich seid. Die Kirche ist an eurem Geld interessiert und an sonst nichts, darauf würd’ ich mein Leben verwetten!«, fügte sie bissig hinzu. »Ihr schmiert die da oben, nicht wahr? Und ihr tut es mit einem Lächeln im Gesicht!«
»Die Steuern …«
»Sind verschissenes Schweigegeld!«
»Was möchtest du jetzt von mir hören, Naomi, was?«
Sie zerrte an ihrem Pullover in dem Versuch, sich aus dem klatschnassen Ding zu schälen und es über den Kopf zu ziehen. Kaum dass das geschafft war, warf sie ihm das ruinierte Kaschmiroberteil vor die Füße und hob angriffslustig das Kinn. Schwarze, nasse Strähnen hingen Naomi ins Gesicht und klebten an ihren Lippen. Wasser spritzte auf, als der Pullover auf den Kacheln landete.
Phin schüttelte den Kopf. »Was soll das werden?«
Mit der Hand fuhr Naomi durch die Luft, um Phin das Wort abzuscheiden. Das Muskelspiel an ihrem schlanken, durchtrainierten Arm, den das schwarze enganliegende Mieder aus Spitze, das sie unter dem roten Pullover getragen hatte, nackt ließ, war absolut sehenswert. Eine hinreißende Frau.
Die alles daran setzte, ihn wütend zu machen.
Jesus Maria, es funktionierte!
»Ach, leck mich«, sagte sie leise. Kühl und gelassen. »Für ’n Arsch, du und dein ganzes Gesülze! Ist nicht mein Problem, Scheiße noch mal!« Naomi wandte sich ab und ging mit langen Schritten in Richtung Tür. »Ich brauche eure Therapien nicht, das ganze dämliche Massage- und Yoga-Zeug! Von Anfang an hast du nur versucht, an mir rumzudoktern.«
»Natürlich gibt es hier Massage und Yoga und so ’n Zeug. Das hier ist ein Spa«, knurrte Phin.
»Du kapierst es nicht, Phin. Nimm deine Familie, packt zusammen, was ihr braucht und verschwindet hier! Sobald ich jeden liquidiert habe, den zu töten ich den Auftrag habe, könnt ihr wiederkommen und euer beschauliches kleines Leben weiterleben, euren Wellness-Tempel für Reiche führen. Und du darfst gern weiter bei irgendeinem hohlköpfigen Täubchen mit Schotter, der so ’ne fette Lüge vielleicht gefällt, vorgeben, ein One-Night-Stand bedeute gleich die große Liebe.«
»Ich habe doch gar nicht …«
Der Blick, den sie ihm über die Schulter hinweg zuschoss, war so verächtlich, so mitleidig, dass Wut in Phin hochkochte und ihm den Blick vernebelte. »Versuch’s erst gar nicht! Ich weiß, was du zu bieten hast, und, Kleiner, das war’s mit uns beiden.«
Jetzt tobte wilde Wut in Phin, vernebelte ihm nicht nur den Blick, sondern auch den Verstand. »Das ist es also, was du glaubst, ja?«, verlangte er gefährlich leise zu wissen.
In Naomis Augen blitzte es auf. »Ich glaub’ das nicht, ich weiß es. Verzieht euch! Ich lasse euch wissen, wann ihr die Leichen einsammeln könnt.«
Sie verließ den Raum ohne einen Blick zurück. Die Tür schwang hinter ihr zu. Was blieb, war das gedämpfte Dröhnen der weit entfernt laufenden Notstromaggregate, die die Energieversorgung aufrechterhielten. Und Naomis Worte, die in Phin nachhallten.
Phin starrte auf die sich einpendelnde Tür und versuchte sich einzureden, dass es keine Rolle spielte. Er log sich vor, dass Naomi ja recht habe. Dass sie ihm einen Gefallen getan, ihm Zeit und Mühen erspart habe, sich um eine Frau zu bemühen, die ihm doch nie vertrauen würde. Jetzt, so log er sich vor, müsste er ihr nichts mehr vom Untergrund erzählen.
Er müsste sich nicht mehr mit ihren Anschuldigungen herumschlagen. Mit ihren Vorwürfen.
Sie hätte ihm nie geglaubt, dass er sie liebte, log er sich vor. Sie hatte ihm jede Menge Kummer erspart, wie praktisch, log er sich vor.
Er war ein verdammt schlechter Lügner.