KAPITEL 7

Zehn Minuten eiskalt zu duschen, war mehr Strafe, als ein Mann einer Frau wegen erdulden sollte. Zitternd vor Kälte drehte Phin die Dusche ab. Dabei dachte er, diese Tortur komme nicht annähernd an das heran, was er offenkundig bereit war, seinem Ich und dessen Integrität anzutun.

Einem Gast nachsteigen und sie anmachen? Bereits erledigt.

Einen Gast anmachen, der, so vermutete Phin, einige Geheimnisse verbarg? Ebenfalls erledigt.

Sich trotz allem, was auf dem Spiel stand, nicht davon abbringen lassen? Das war der Haken an der ganzen Sache.

Aber Naomi hatte etwas an sich, das ihm direkt unter die Haut ging, jeden Nerv in seinem Körper erreichte, absolut jeden. Er wollte sie mögen. Er wollte ihr helfen.

Und, das musste er sich verärgert selbst eingestehen, er wünschte sich, ihr die verfluchte Maske aus kühler Distanz vom Gesicht zu reißen.

Er wollte, dass ihre Augen dunkel würden vor Leidenschaft, nicht vor Wachsamkeit und Misstrauen. Sie, dieser Mund mit diesen Lippen, sollte seinen Namen hauchen, ihn keuchen.

»Wow«, murmelte Phin und bohrte sich die Fäuste in die Augen, bis das Pulsieren seines Schwanzes nicht mehr das Vorrangigste von all dem war, was er körperlich spürte. Keine kalte Dusche der Welt würde helfen, wenn er so weitermachte und nur Gedanken für Naomi Ishikawa hatte.

Langsam, mit den Gedanken schon beim Tagesgeschäft, schob er die Tür der Duschkabine auf und fischte nach dem Handtuch. Er kam bis zu dem Tagesordnungspunkt, was noch alles zu geschehen habe, um die Reparaturarbeiten an der Sauna abzuschließen. Genau in diesem Moment machte sich sein auf Vibrationsalarm gestelltes Com selbstständig, das er, ohne groß darüber nachzudenken, auf die Einfassung des Waschtischs geworfen hatte. Es klackerte zu Boden.

Hastig wand sich Phin, immer noch tropfnass, das Handtuch um die Hüften und versuchte das Com vom Boden zu klauben, ehe der Anrufer aufgäbe.

»Einen Augenblick, bitte!« Er fummelte am Ohrstecker der Com-Einheit herum und fluchte, als sie ihm aus den nassen Fingern flutschte. Stattdessen hielt er sich den Lautsprecher direkt ans nasse Ohr. »Phin Clarke hier. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?«

»Zunächst einmal«, Gemmas Stimme troff nur so vor Belustigung, »warst du heute Nachmittag nirgendwo aufzutreiben. Das bedeutet entweder, es ist dir gelungen, dich von einem attraktiven weiblichen Etwas einfangen zu lassen …«

Phin verzog das Gesicht. »Nein.«

»… oder du versteckst dich«, beendete Gemma den Satz mit einem Kichern. »Da die liebreizende Jordana gerade das Restaurant betritt, stimmt wahrscheinlich Letzteres.«

Phin ließ das Com in die andere Hand und zum anderen Ohr wandern, um mit der Rechten eines der Handtücher von dem ordentlichen Stapel auf dem Regal zu angeln. Er begann, sich damit das Haar trocken zu rubbeln. »Jordana würde mich mit Haut und Haaren auffressen, Mutter, und das weißt du auch.« Er seufzte. Es war ein tiefer Seufzer, wie er selbst bemerkte. »Weder noch. Ich habe mich ziemlich erschlagen gefühlt, weil ich die ganze Nacht mit den Haustechnikern durchgearbeitet habe. Also habe ich rasch geduscht, um wieder wach zu werden.«

»Mein armer Junge«, gurrte Gemma jetzt ehrlich zerknirscht. »Fühlst du dich denn ein bisschen besser?«

Phin verspürte nur einen leichten Stich Schuldgefühl, als er nichts weiter sagte als: »Immer noch ein bisschen wie in Watte gepackt, aber ansonsten okay. Mach dir meinetwegen keine Sorgen. Hast du sonst noch was auf dem Herzen, oder war’s das schon?«

»Was? Oh ja, doch, richtig!«

Ein weiterer Herzschlag verklang, und immer noch schwieg sie. Phin grinste und fuhr sich rasch mit einem Kamm durchs Haar. »Und das wäre?«

»Familienrat.«

Der Kamm entglitt seinen Fingern und schlug auf dem Waschtisch auf. Phin versuchte noch, ihn zu fassen zu bekommen, gab ihm damit stattdessen jedoch mehr Fahrt und schickte ihn ins Waschbecken hinunter. Er unterdrückte einen Fluch und konzentrierte sich wieder auf das Com. »Wann denn? Und wo?«

»Sobald du es ins Büro deiner Mutter schaffst, Liebling.«

Phin schnitt eine Grimasse. »Ich bin in zehn Minuten da.«

Gemma säuselte ein: »Bis gleich!« in den Hörer und hatte schon aufgelegt, ehe Phin das Wasser von dem kleinen Com-Display hatte wischen können.

In Windeseile zog er sich an und hinterließ seine Suite sauber und trocken. Innerhalb der versprochenen zehn Minuten schaffte er es hinunter zu den Stockwerken unter den öffentlich zugänglichen und betrat Lillians Büro.

Zwei Augenpaare richteten sich bei seinem Eintreten auf ihn und sahen ihn fragend an.

Lillian hatte sich halb auf der Kante des herrlichen Rosenholzschreibtisches niedergelassen; ihr Kostüm war schick und von schlichter Eleganz. Es war Pflaumenblau und ließ ihr blondes Haar glänzen, als sei es pures Gold. In ihren grünen Augen schimmerten Goldsprenkel. Gleich neben Lillian saß Gemma in einem Sessel, der aus demselben Holz wie der Schreibtisch war. Sie hielten sich bei der Hand.

Ganz in Hollywood-Manier hob Lillian eine Augenbraue vor Erstaunen. »Pünktlich auf die Sekunde!«

Phin schloss die Tür hinter sich und hob in einer reumütigen Geste die Hände. »Was habe ich jetzt wieder angestellt?«

»Nichts.« Gemma grinste bis über beide Grübchen, die sie ihrem Sohn weitervererbt hatte. »Glaube ich zumindest.«

»Gemma!«

Phins eine Mutter dämpfte ihr Amüsement auf Lillians leise zugeworfene Mahnung hin. Gemma räusperte sich. »Gut, kommen wir gleich zur Sache.«

»Setz dich doch, Liebling«, forderte Lillian Phin auf. Mit dem perfekt frisierten Kopf nickte sie zu einem der beiden Sessel vor ihrem Schreibtisch.

Wie ein kleiner Junge, den man vor den Schuldirektor zitiert hatte, so fühlte sich Phin. Er setzte sich. »Okay«, seufzte er, »aber das Ganze hat besser etwas mit dem Unfall zu tun. Auch wenn diese Diskussionen offenbar nicht verstummen wollen, mag ich mein Liebesleben nämlich nicht diskutieren.«

»Oder die Abwesenheit davon …« Gemma unterbrach sich sofort, als Lillian ihr warnend die Hand drückte. Phin entging das ebenso wenig wie der Seitenblick aus den wunderschönen Augen, der Gemma traf. »Es geht um den Unfall«, verbesserte sich diese daraufhin rasch.

»Ich habe deine Mutter in der Sache auf den neuesten Stand gebracht«, erklärte Lillian, ihr Tonfall war sachlich. Professionell. Klare Worte waren gefragt.

Zurück zum Geschäft also, das war doch etwas. Phin streckte den Rücken durch, straffte die Schultern. »Der Vorfall in der Sauna sieht nach einem gezielten Anschlag aus, obwohl das Ganze nicht so recht Sinn ergeben will.« In Gedanken versunken rieb sich Phin das Kinn. »Ein Unfall war das nicht, soviel steht fest. Die gute Nachricht ist, dass die Haustechnik die Schäden innerhalb von drei Tagen reparieren und dann die Sauna wieder in Betrieb genommen werden kann. Voraussetzung allerdings ist, dass alle Ersatzteile verfügbar sind oder sich in diesem Zeitraum beschaffen lassen.«

Die beiden Frauen tauschten einen Blick, in dem sich Erleichterung und Sorge die Waage hielten.

»Was?« Phin runzelte die Stirn. »Was ist los? Raus mit der Sprache!«

»Vielleicht ist es ja gar nichts«, meinte Gemma. Sie lächelte dünn, als Lillian ausführte: »Deine Mutter macht sich Sorgen.«

»Oh, nein.« Phin massierte sich den Nasenrücken. »Nein, nein, davon will ich nichts hören, auf gar keinen Fall!«

»Vielleicht steckt ja wirklich nichts dahinter«, wiegelte Gemma noch einmal ab. Doch es hielt sie nicht mehr in ihrem Sessel. Ihr fein geschwungener Mund verriet, wie sehr sie die Sache beschäftigte. Sie stand auf, stemmte die Hände in die Hüften und blickte Sohn und Ehepartnerin ernst an. Sie runzelte die Stirn. Die steile Falte auf der Stirn zwischen den Augenbrauen kannte Phin nur zu gut. »Es scheint so zufällig und kam förmlich aus dem Nichts. Ich mag nicht glauben, dass es nur um die arme Alexandra ging.«

Lillian zupfte den Ärmel ihrer Kostümjacke zurecht. Es waren knappe, exakte Bewegungen. Ein Zeichen von Frustration. Phin kannte die Signale seiner Mütter, kannte jede der beiden Frauen so gut wie sich selbst.

Beide machten sich Sorgen, waren nervös.

Mit Nachdruck fuhr sich Phin mit Zeigefinger und Daumen über die Jochbeine gleich unterhalb der Augenhöhlen. Den bohrenden Schmerz hinter seiner Stirn vermochte das nicht zu lindern. Was beschäftigte sie eigentlich alle so? Was rechtfertigte die Aufregung? Nichts. Es war nicht mehr als ein beinahe tödlich verlaufener Unfall.

Verdammt noch mal!

»Was ist mit Naomi Ishikawa?«

Mit einem Ruck hob Phin den Kopf und blickte Lillian an. Er kniff die Augen zusammen. »Was soll mit ihr sein?«

»Wer ist sie wirklich?« Mit ihren langen, nicht lackierten Nägeln trommelte sie ein nervöses Stakkato auf die Schreibtischplatte. »Was wissen wir über sie?«

»Aber, Lily, du glaubst doch nicht, sie …«

Phin sprang verärgert auf und unterbrach die beiden Frauen. »Naomi hat mit der ganzen Sache nichts zu tun!«

Lillian runzelte die Stirn; die verräterische Falte zwischen ihren sorgsam mit Augenbrauenstift nachgezogenen Brauen war tiefer als Gemmas Sorgenfalte. »Nein«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, in welcher Verbindung du zu dieser Frau stehst …«

»Ich stehe in keiner …«

»… aber du hast die ganze Angelegenheit unvoreingenommen zu betrachten, anders geht es nicht«, beendete Lillian ihren Satz, die Stimme fest, der Ton hart, als wäre Phins Widerspruch nie über seine Lippen gekommen.

Phin verbiss sich die wütende Entgegnung, die ihm schon auf der Zunge lag. Sein Mund war ein schmaler Strich, so viel Anstrengung kostete es ihn. Er wandte sich ab und studierte angelegentlich die reich gemusterte Goldtapete, die dem Büro eine warme, altmodisch anmutende Atmosphäre verlieh. Er wusste genau, dass er wie ein trotziges Kind wirken musste, das man vor dem Abendessen mit Süßigkeiten erwischt hatte.

Trotzdem war er nicht dazu bereit, zu erklären, warum für ihn Naomi aus der Sache raus war.

Warum er unbedingt wollte, dass sie aus der Sache raus war.

Sanft strich ihm eine warme Hand über die Schulter, über den Rücken. »Phin«, sagte Gemma zärtlich, »Schätzchen. Wir meinen es doch nur gut.«

»Mit dir«, fügte Lillian mit fester Stimme hinzu, »und mit dem Zeitlos. Es steht einfach zu viel auf dem Spiel, Phin, das weißt du.«

»Ja, das weiß ich.« Er seufzte, drehte sich um und legte die Arme um Gemmas Schultern. Er zog sie in eine Umarmung und legte ihr das Kinn auf den Lockenschopf. Über Gemmas Kopf hinweg traf sein Blick Lillians.

Es bereitete ihm fast schon körperlich Schmerz zu sehen, wie weich ihr Blick war. In ihren Augen stand übervoll die Wärme und Liebe zu lesen, die ihn schon sein ganzes Leben lang umgab.

Trotz der Sorgen, die er sich machte, lächelte er. »Ich weiß, Mutter, und es tut mir leid. Naomi Ishikawa«, fuhr er fort, ehe Lillian etwas sagen konnte, »ist eine Frau, die ganz dringend Gelegenheit und Zeit braucht, um sich zu entspannen. Aber ich wüsste nicht, wie sie hier hätte genug Fäden ziehen können, um dieses Ding an der Sauna zu drehen.«

»Was das angeht, gebe ich dir recht.« Gemma umfasste Phins Unterarme und schüttelte den Kopf. Ihre Locken kitzelten sein Kinn. »Sie ist nicht von der geduldigen Sorte, und ob die Sauna nun ein gezielter Anschlag war oder nicht, das vorzubereiten, hätte Geduld erfordert. Ich habe den Eindruck, Miss Ishikawa regelt die Dinge lieber von Angesicht zu Angesicht. Ihre Nase«, fügte Gemma hinzu, »ist ein deutlicher Hinweis darauf.«

»Außerdem kam sie gerade aus ihrer Suite«, unterstrich Phin, »kurz bevor die Saunageschichte passiert ist. Sie war auch noch nicht lange genug da, um selbst irgendetwas vorzubereiten.«

Die Lippen geschürzt, blickte Lillian mehrere Augenblicke lang an Sohn und Frau vorbei ins Leere.

»Lily?«

»Ich werde einfach das Gefühl nicht los, dass irgendetwas mit Miss Ishikawa nicht stimmt«, gestand Lillian tonlos. Sie stemmte die Handflächen hinter sich auf die Schreibtischplatte und lehnte sich daran. In sich zusammenzusacken, war nicht Lillians Art. Diese Geste war näher daran als alles, was Phin je bei ihr beobachtet hatte. »Ich traue ihr nicht, zumindest nicht ganz.«

»Ich traue ihr auch nicht«, unterstrich Phin in stillem Einverständnis. Es passte ihm nicht, das zugeben zu müssen. »Aber sie steckt nicht hinter der Sabotage an der Sauna.«

»Ich mag sie.« Gemma legte den Kopf gerade so weit in den Nacken, um Phin anlächeln zu können. Liebevoll tätschelte sie ihm den Arm. »Man hat sie verletzt, und ich glaube, ihr fehlt das innere Gleichgewicht, sich rund und ganz zu fühlen. Trotzdem mag ich sie.«

Ganz plötzlich fühlte sich Phin wie ein seltener Schmetterling, den ein Sammler sich an die Wand gepinnt hatte. Phin schnitt eine Grimasse. »Können wir zu dem Teil zurückkommen, der nichts mit mir zu tun hat?«

»Na, jetzt hör aber auf!«, lachte Gemma und gab ihm einen Klaps auf die Wange.

»Aber er hat recht«, warf Lillian ein. Mit ihren langgliedrigen Fingern strich sie sich über den Haarknoten und steckte Haarsträhnen zurück, die perfekt an ihrem Platz saßen. Sie war nervös.

Ernst fragte Phin: »Mutter, was sollen wir tun?«

»Ich habe das Personal gebeten, auf alles ein Auge zu haben und Auffälligkeiten zu melden«, antwortete Lillian. Sie verzog den anmutig geschwungenen Mund. »Auf meine Nachfrage hin hat der Sicherheitsdienst mit einer gründlichen Durchsicht aller hausinternen Aufzeichnungen begonnen.«

»Was ist mit den Geheimgängen?« Phin straffte die Schultern und runzelte die Stirn. »Joel weiß darüber Bescheid und das Fluchthelferteam. Aber was das Tunnelsystem betrifft, waren wir immer besonders vorsichtig.«

»Niemand sonst weiß von den Geheimgängen«, versicherte ihm Gemma. »Die Baupläne wurden kurz nach Fertigstellung des Gebäudes vernichtet.«

»Jedenfalls soweit wir wissen«, murmelte Lillian. Aber allmählich schien sie sich zu entspannen. Muskel für Muskel sozusagen. »Mr. Barker hat sich zudem stets als zuverlässig und vertrauenswürdig erwiesen. Er versteht sich auf äußerste Diskretion.«

Phin nickte. »Hat er genug Leute?«

»Ja, aber keinen von den Zeitweiligen.« Lillians Lächeln fiel halbherzig aus. »Ich weiß, Phin, du meinst es gut mit den Menschen, die du rettest. Aber die Situation momentan ist zu heikel. Niemand von außen sollte mit reingezogen werden.«

Phin zuckte zusammen. »Sie würden sich doch nie …«, setzte er zu einer Verteidigung an, aber unterbrach sich selbst, als Gemmas Griff um sein Handgelenk fester wurde. Wieder legte er ihr das Kinn aufs Haar, rieb ihr damit zärtlich den Kopf.

Sie roch nach dem Lavendel, mit dessen Aroma sie die Seifen im Spa versetzte. Der Lavendelduft beruhigte Phin so weit, dass er nachgeben und ohne Vorbehalt sagen konnte: »In Ordnung, okay. Momentan also keine Zeitweiligen. Wir haben das sowieso schon auf ein absolutes Minimum reduziert. Schließlich können wir die Flüchtlinge nicht mehr antreiben als sowieso schon. Jede noch so kleine Unregelmäßigkeit, der geringste Verdacht würde die Wächter an den Kontrollpunkten alarmieren und uns die Kirche auf den Hals hetzen – und das mit mehr Biss, als es vielleicht jetzt schon passiert ist.«

»Gut dann.« Mit steifen Fingern rieb sich Lillian den Nacken. »Was du für die Flüchtlinge tust, macht mich stolz auf dich, Phin, wir sind beide stolz auf dich. Ich möchte, dass du das weißt.«

Phin wurde warm ums Herz. Bewunderung, Dankbarkeit. Liebe.

Und Misstrauen. Lillians Gesichtsausdruck warnte Phin, dass da noch etwas war. »Aber …«, baute er ihr die Brücke, endlich mit der Sprache herauszurücken.

»Kein Aber«, mischte sich da Gemma ein. Sie löste sich aus Phins Umarmung und schüttelte den Kopf. »Das ist alles: Wir sind stolz auf dich. Es gibt ganze Familien, die nicht wären, wo sie jetzt sind, hättest du ihnen nicht geholfen. Du hast ihnen allen Hoffnung gegeben, ein neues Zuhause für sie gesucht, wo alle anderen überzeugt waren, es gäbe da draußen keine Zukunft für sie.«

»Es sind fleißige Leute«, erwiderte Phin schlicht. »Die Verfolgten, denen wir geholfen haben, sind alle willens, hart für ihre neue Zukunft zu arbeiten. Sie werden sich eine neue Heimat schaffen, ganz sicher.«

»Genau«, bekräftigte Gemma ernst. »Ich weiß es: Es geht ihnen da draußen gut, und sie sind glücklich.«

Lillian, die Kiefermuskeln angespannt, sagte nichts dazu.

Phin durchquerte den Raum. Er ignorierte ihre perfekt durchgestylte Aufmachung, nahm sie einfach in den Arm und drückte sie an sich. »Ich hab dich auch lieb.«

»Oh, Phin!« Lillian erwiderte die Umarmung, streichelte ihm den Rücken. »Sei bitte vorsichtig«, meinte sie an seiner Brust. »Gemma ist nicht die Einzige, die sich Sorgen um dich macht.«

Gemma kam dazu, legte ihre Arme um beide, und Phin löste einen Arm von Lillians Schulter, um seine andere Mutter in die Umarmung miteinzubeziehen. So hielt er sie fest, die beiden für ihn wichtigsten Frauen auf der ganzen Welt, sog das Aroma in sich auf, das sich aus den beiden Düften mischte, den jede für sich verströmte. Er fühlte sich darin und in die Wärme, die Gemmas und Lillians Liebe für ihn bedeutete, eingehüllt wie in einen schützenden Mantel. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als der Einzige zu sein, der sich die Nächte um die Ohren schlug.

Darauf, sich Sorgen zu machen, nämlich verstand sich diese Familie bestens.

Phin drückte jeder Mutter einen zärtlichen Kuss auf die Wange und versprach: »Ich bin vorsichtig, Ehrenwort. Ich werde die Augen offen halten, okay?« Er blickte hinunter in die Gesichter seiner beiden Mütter, in grüne und schokoladenbraune Augen. »Versprecht mir bitte, dass ihr auch nichts Unüberlegtes tut.«

»Na, das ist leicht«, meinte Lillian, und Erheiterung blitzte wie Goldfunken in ihren Augen. In ihren Augenwinkeln standen Lachfältchen. »Habe ich je etwas Unüberlegtes getan?«

»Nein, nie.« Phin drückte beide noch einmal an sich, ehe er sich aus der Umarmung löste und erste Schritte in Richtung Tür tat. »Ich gehe zurück an die Arbeit und mache die nächste Schleusergeschichte klar. Wenn ich gebraucht werde: Ich bin über Com erreichbar.«

Gemma lächelte schuldbewusst. »Das bist du immer. Aber bitte behalte Naomi im Auge, ja?«

Lillians Lächeln bröckelte. »Um unserer Sicherheit willen oder nur in seinem Interesse?«

»Mutter!«, stöhnte Phin und hob ergeben die Hände. »Bitte, gern, ich sehe zu, dass ich in ihrer Nähe bleibe.«

»Hört, hört: als brächte ihn das gleich um!« Phin hörte Gemma kichern, als er ihr auf dem Weg zur Tür den Rücken zuwandte.

Leicht angesäuert verließ Phin das Büro. Aber schon gleich darauf war der Ärger über seine Mütter vergessen, den sowieso Liebe und Verständnis füreinander auf Sparflamme hielten. Phins Gedanken drehten sich bereits um die logistischen Probleme, die gerade überhandnahmen. Vor allem beschlich ihn gerade das ungute Gefühl, ihm liefe die Zeit davon. Phin hatte eine Fracht Flüchtlinge mit viel zu geringem Abstand zur letzten Fuhre aus der Stadt herauszuschleusen. Das durfte an höherer Stelle auf keinen Fall zu hochgezogenen Augenbrauen führen.

Die beiden Frauen blieben zurück in Lillians Büro. Sie starrten die Tür an, die hinter Phin ins Schloss gefallen war. Eine Weile herrschte nachdenkliches Schweigen.

Dann suchte Gemma wieder Lillians Umarmung. »Niemals etwas Unüberlegtes getan…«, sagte sie und legte ihre Hände auf die Hüften ihrer Frau. »Abgesehen davon, dass du deiner Schickeria-Familie die Stirn geboten hast und durchgebrannt bist mit einem Mittelebenen-Flitt….«

Lillian legte Gemma den Finger auf den Mund und bedachte sie mit einem strengen Blick, kalt wie Stahl. »Sprich es nicht aus, wag’ es ja nicht, Gemma Clarke!«, warnte sie grimmig. »So haben die dich genannt, doch ich nicht. Niemals, und du solltest es auch nicht tun, nie!«

Um Gemmas Mund zuckte es. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, und sie hauchte einen Kuss auf Lillians Fingerspitzen. »Ich liebe dich«, flüsterte sie, »und würde das für nichts auf der Welt eintauschen.«

»Ich auch nicht, Gem.« Lillian erlaubte sich, in Gemmas Umarmung Trost und Halt zu suchen. Sie schmiegte sich an den weiblich-weichen Körper, den sie das Glück hatte, jede Nacht in den Armen zu halten. Jeden Morgen bewundern zu dürfen. »Zwei Frauen, die langsam alt werden. Was hat das Schicksal wohl noch mit uns vor?«

»Das Schicksal? Pah, was soll’s!«, meinte Gemma forsch, und Lillian lachte. »Alles wird gut, Liebste.« Sie streichelte Lillian mit einer Hand zärtlich den schmalen, schlanken Rücken und drückte sie an sich. »Wir sind hier sicher. Phin besitzt genug Kraft und innere Stärke, er bekommt alles auf die Reihe …«

»Er schlägt ja auch ganz nach seiner Mutter.«

»Nach beiden Müttern!« Gemma fasste Lillian unter das Kinn und hob ihr Gesicht zu ihrem empor. Dann lächelte sie, und in diesem Lächeln lag alles, was für Gemma so typisch war: Bewunderung, Wärme, Liebe.

Sonnenschein pur.

»Das Zeitlos wird es noch lange nach uns geben, Lily.« Gemma drückte ihrer Frau einen Kuss auf die Lippen, der so süß und sanft war wie Sonnenlicht im Sommer. Lillian war, als würde ihr diese Sonne die Haut wärmen, und ihr ging das Herz auf.

Fast hätte Gemmas strahlendes Lächeln all die Sorgen vertrieben, die ihr auf der Seele lagen. Fast.

»Und welche Bedeutung wird das Zeitlos dann haben?« Lillian hob die Hand, griff nach Gemmas, verschränkte die Finger mit denen ihrer Frau. »Wenn du nicht mehr bist, wird das Zeitlos dann noch von Bedeutung sein?«

»Ich weiß es nicht.« Gemma drückte fester zu, und ihr Lächeln wurde breiter. »Aber das herauszufinden habe ich so schnell nicht vor.«

»Gott sei Dank! Ich wüsste auch nicht, was wir ohne dich tun sollten.«