KAPITEL 2

Naomi wartete nicht ab, was dieser Lackaffe von Phin Clarke zu tun beschlösse. Sie dachte auch keinen Augenblick darüber nach, was man in einem solchen Fall wohl von einer nicht minder geschniegelten reichen Erbin erwartete. Kaum dass der erste Schrei im Dämmerlicht des Atriums verhallt war, wirbelte Naomi auf dem Absatz herum und rannte in Richtung Schwimmbad.

Es ehrte Phin, dass er gerade einmal eine Sekunde länger brauchte als Naomi selbst und direkt hinter ihr war.

Er hatte vorhin nur von einem Pool- und Fitnessbereich gesprochen. Keine weiteren Details. Daher wusste Naomi nicht, was sie erwartete, als sie durch den Ausgang aus dem Atrium schoss, durch dieselbe Art Flügeltür wie die anderen auch. Wasser jedenfalls, und wahrscheinlich einen Schwimmer, der in Not geraten war. Naomi liebte das nasse Element nicht sonderlich. Aber sie wappnete sich, falls nötig, in jede Art von Gewässer einzutauchen.

Jeder Schrei, der ihnen entgegenhallte, klang mehr nach panischem Kreischen, das schauerlich über die weite Wasserfläche hallte. Ein rascher Blick genügte, um Naomis Annahme zu bestätigen: Es war wirklich ein riesiger Poolbereich! Es gab gleich zwei 25-Meter-Becken und daneben acht weitere kleine Pools, die den Platz zwischen den großen Becken füllten. Jeder Pool war mit weißem goldgeäderten Marmor eingefasst. In einigen sprudelte es munter, andere taten sich durch künstliche Wasserfälle hervor, über wieder anderen hing einladend der Dampf von Thermalquellen. Die Wände schmückten importierte Bambuspaneele, und überall gab es Türen, die den erlauchten Gast in geheimnisvolle Räume entführten, die Privatsphäre versprachen.

Naomi ließ sich vom Ambiente nicht lange ablenken. Sie konzentrierte sich sofort auf eine Blondine Mitte zwanzig in einem pinkfarbenen Bikini – so pinkfarben, dass er sicher im Dunkeln geleuchtet hätte. Die Bikiniträgerin hämmerte auf eine der Türen ein und kreischte und schrie zusammenhangloses Zeug.

Naomi rannte los. Auf dem rötlichen Schieferboden, der in einem schönen Kontrast zum Weiß und Gold des Marmors dem Ambiente zusätzlich Eleganz verlieh, war das mit ihren hohen Absätzen keine ungefährliche Angelegenheit. Phin löste sich aus Naomis Windschatten und knallte die Hand auf die Einschalttaste einer Sprechanlage neben der Tür, die Naomi selbst nicht aufgefallen war. Sie blieb nicht stehen, um mitzubekommen, was er sagte. Zweimal rutschte sie aus und hätte sich beinahe unschön auf die Nase gelegt. Es gelang ihr gerade so, den Sturz abzufangen, ohne im gechlorten Wasser eines der Schwimmbecken zu landen.

Zusammen mit dem Übelkeit erregenden Gefühl, dass die Zeit drängte, kochte Adrenalin in Naomis Blut hoch. Ein beherzter Griff nach dem Türrahmen, und sie kam schlitternd am Ort des Geschehens zu stehen: eine Saunakabine. Mittig in die Tür war eine Glasscheibe eingelassen. Mit beiden Händen schirmte Naomi die Augen ab, als sie durch die beschlagene Scheibe hineinzublicken versuchte.

Das Blondchen neben ihr zupfte nervös mit vor Angst steifen Fingern an Strähnen ihres nassen Haars. »O Gott, bitte, beeilen Sie sich!«, flehte sie. »Sie bewegt sich nicht mehr!«

Weißer, dichter Dampf waberte vor dem Fenster des hermetisch abgedichteten Raums, viel zu verflucht dicht, um irgendetwas erkennen zu können. »Wie lange ist sie denn schon da drin?«, wollte Naomi wissen.

»Keine Ahnung!«

Naomi packte den Türgriff und rüttelte mit aller Kraft daran. Das vermaledeite Ding rührte sich nicht. »Wo befindet sich die Steuereinheit, die die Tür schließt?«, fragte sie.

»Es ist eine mechanische Tür, keine automatische.« Phins Stimme gleich hinter ihr klang grimmig. »Techniker von der Wartungsabteilung sind schon unterwegs.«

Naomi stieß sich von der Tür ab. Unauffällig warf sie einen Blick auf das golden glänzende Tableau mit den Anzeigen von Temperatur und Luftfeuchtigkeit, die in der Saunakabine herrschten. Die Anzeigen lagen alle im roten Bereich.

Der Blondschopf warf sich gegen die Tür. »Grandma!«

»Cally!« Phins Stimme, bestimmt und von unmerklicher, aber dennoch unüberhörbarer Autorität, schallte über dass Wasser der Schwimmbecken hinweg und brach sich an der gegenüberliegenden Wand. Er wirkte ruhig und gefasst, obwohl er den Namen brüllte. Und obwohl er recht blass um die Nase war. »Barbara, bitte gehen Sie mit Cally.«

»Aber …«

»Wir holen Ihre Großmutter da raus, versprochen, okay? Aber jetzt gehen Sie mit Cally dort hinüber! Dort ist es sicherer für Sie.« Phin nahm die Blondine beim Arm und führte sie mit sanfter Gewalt auf die kleine Gruppe von Gästen und Personal zu, die sich in einigem Abstand angesammelt hatte. »Es kommt alles in Ordnung. Cally wird Sie begleiten und in Sicherheit bringen.«

Ein hübscher Rotschopf in der grünen Zeitlos-Uniform beeilte sich, Barbara in Empfang zu nehmen. Sie legte ihr einen Arm um die Schultern und sagte leise und in beruhigendem Ton: »Kommen Sie bitte mit. Alles wird gut.«

Naomi wusste nicht, ob das tatsächlich bedeutete, dass Hilfe nahte. Es spielte auch keine Rolle. Nur ein paar Minuten länger noch, und jeder, der in der Sauna eingesperrt war, würde geschmolzener Butter Konkurrenz machen.

Was zum Henker ging in diesem Wellness-Tempel nur vor sich?

»Geben Sie mir Ihr Jackett!«, verlangte Naomi von Phin, ihr Tonfall drängend.

»Wie? Was …«

»Geben Sie mir verflucht noch mal Ihr Jackett!«

Phin schlüpfte aus der maßgeschneiderten Anzugjacke. Naomi riss sie ihm aus der Hand, schüttelte sie aus und wickelte sie sich fest um den rechten Arm.

Das würde jetzt verdammt wehtun.

Mit einem Schulterstoß beförderte Naomi Phin Clarke beiseite und achtete nicht auf seinen überraschten Protest. Sie drückte den Rücken gegen die Tür und wandte das Gesicht ab. Schmerzen auszuhalten war das kleinste ihrer Probleme.

Mit Wucht stieß Naomi den durch den Stoff geschützten Ellenbogen in das Fenster. Die dicke isolierende Scheibe zersplitterte. Unter wildem Zischen schoss ein heißer Luftstrom aus der überhitzten Sauna, pfiff an Naomis Ohr vorbei. Die Druckwelle, mit der der mörderisch heiße Dampf sich den Weg aus seinem Gefängnis bahnte, setzte sich in Wellen aus Schmerz in Naomis Schulter fort.

Der einmalige Einsatz des Ellenbogens reichte nicht.

Immer noch zischte Dampf aus dem Loch, das Naomi ins Glas gestoßen hatte. Sie spürte ihn sengend heiß an der Wange. Davon unbeirrt hielt sie die Luft an, holte aus und ließ den Ellenbogen ein weiteres Mal gegen die Scheibe donnern. Risse zogen sich durch das Glas wie durch Eis, kurz bevor es bricht.

Noch ein Ellenbogencheck, und der Druck, den der heiße Dampf in der Saunakabine aufgebaut hatte, tat sein Übriges. In einem Schauer aus Splittern detonierte die Scheibe. Wie glitzernde Diamanten regneten winzige Scherben auf den erlesenen Schieferboden. Die Menge der Schaulustigen schrak zurück, kreischte.

Naomi ignorierte die Menschen um sich herum. Hustend wedelte sie mit der Hand, um die heiße Luft von ihrem Gesicht fernzuhalten. Der nächste Adrenalinstoß, der ihr Blut in Wallung brachte, ließ sie nach dem Rahmen des Fensters greifen.

Phin packte sie am Arm. »Naomi, Sie können doch nicht …!«

Ihr Blick traf ihn. Sie bemerkte den harten Zug um seinen Mund. Sie schüttelte den Kopf, ein einziges kurzes Mal, rollte die Schulter nach hinten. Mit einer Leichtigkeit, als hätte seine Hand nie auf ihrer Schulter gelegen, schüttelte sie ihn ab. Eine fließende Bewegung, und Naomi zog sich an der Fensterkante hoch und glitt durch die schmale Öffnung in die Sauna hinein. Mit einem der Absätze blieb sie an einem Rest Fensterscheibe hängen, verrenkte sich den Knöchel und landete unter hervorgehusteten Flüchen auf dem Boden.

Sie bekam keine Luft. Wie eine Faust schlug ihr heiße, suppig-dicke Luft auf die Brust. Naomi war, als ersticke sie unter einem heißen Handtuch, als ertrinke sie in flüssiger Lava. Hustend zwang sie sich hoch auf Hände und Knie. »Hallo?«, krächzte sie.

Gedämpft drangen Stimmen durch das geborstene Fenster, wurden von der drückenden Hitze verschluckt. Naomi lauschte angestrengt in die Stille der Dampfhölle hinein. Alles, was sie hörte, waren leise, ferne Maschinengeräusche und das Zischen von Dampf.

Scheiße. Das war nicht gut. Gar nicht gut.

»Falls Sie mich hören können: Hilfe ist unterwegs!« Naomi kroch auf allen vieren vorwärts, kniff die Augen zusammen, strengte sich an, im dichten Dampf etwas auszumachen. Er drang in ihre Lunge, schnürte ihr die Kehle zu, während sich Pullover, Hose und Unterwäsche in Sekundenschnelle mit Feuchtigkeit und Hitze vollsogen. So gut wie blind stieß Naomi den nächsten Schwall Flüche aus, als sich ihr Fuß irgendwo verfing und sie zu Boden fiel. Platt wie eine Flunder lag sie da. Noch ein Fluch. Aber da stießen ihre Hände auf heiße Haut und das nasse Elastan eines Badeanzugs. Auf feuchtes, strähniges Haar.

Erleichterung keimte in Naomi auf. »Ich habe sie gefunden!«, rief sie.

Aber war die alte Dame noch am Leben?

Das Licht über der verschlossenen Tür flackerte.

Es knisterte elektrisch; ein Lichtbogen sprang über und detonierte in einem Funkenregen.

Mit einem Schmatzen öffneten sich die Türdichtungen, und die Verriegelung gab nach. Die Tür sprang auf.

Unter dem Druck der unterschiedlichen Temperaturverhältnisse drinnen und draußen wurde die Tür aufgeschleudert. Herrlich kühle Luft rollte hinter Phin herein und legte sich sanft wie ein Segensspruch auf Naomis verschwitzte Haut. Dampf und Schweiß hatten sie bis auf die Knochen durchnässt. Gierig sog Naomi Sauerstoff in ihre Lungen, während sie sich damit abmühte, die alte Dame in eine sitzende Position zu bringen. Das Gewicht des reglosen Körpers kostete sie fast das Gleichgewicht.

»Verfluchter Mist …!«

»Nur die Ruhe.« Phin war neben ihr, fasste die alte Dame unter, drängte Naomi beiseite. Ihm war vollkommen egal, dass ihr vollgesogener Pullover auf seinem Designer-Hemd nasse Flecken hinterließ. Seine Gesichtszüge wirkten hart, entschieden, der Ton war barsch. »Sie können sie jetzt loslassen«, verlangte Phin ruhig. »Ich habe sie.«

»Sie atmet nicht.« Naomi beachtete seine Anweisung nicht. Sie beugte sich vor, nahm die Knie der Frau. »Nehmen Sie sie bei den Schultern, und lassen Sie sie bloß nicht fallen.«

»Ich kann sie doch …«

»Tun Sie einfach, was ich sage!«, fauchte Naomi. Er klappte den Mund zu, presste die Lippen aufeinander. Sein Mund war eine harte, dünne Linie. Aber er stritt nicht länger mit Naomi. Zusammen manövrierten sie die Frau durch die Tür, hinaus in erquickend frische, kühle und sauerstoffreiche Luft.

»Hierhin!«, keuchte Naomi und atmete so tief durch, wie sie nur konnte. »Schnell!«

Gleichzeitig knieten Phin und sie sich auf die Schieferplatten, um die reglose Frau mit der gebotenen Vorsicht auf den Boden zu betten. Naomi hatte keinen Blick für Phin neben sich. Auch das hysterische Schluchzen, das von irgendwoher aus der kleinen Gruppe von Menschen zu ihr drang, verbannte sie aus ihrer Wahrnehmung. Sie beugte sich über das Gesicht der Frau.

Die alte Dame war so schmal und wirkte so verflucht zerbrechlich in ihrem Badeanzug. Die geradezu schon unanständig schrille Farbigkeit des Einteilers betonte die mageren, knochigen Beine und Arme besonders, die daraus hervorstakten. Die Haut der alten Dame war puterrot. Naomi suchte am dürren Hals nach der Schlagader. Es dauerte lange, bis sie sie fand.

Naomi fühlte einen Puls.

Gott sei Dank!

Antrainiertes Verhalten stellte sich mit der gleichen Selbstverständlichkeit ein wie Atemholen. Eine rasche Überprüfung erbrachte, dass die oberen Luftwege frei waren. Naomi überstreckte den Kopf der alten Dame und platzierte den linken Handballen auf der richtigen Stelle des Brustbeins. Sie setzte den Handballen der Rechten auf die Linke und pumpte zwei Dutzend Male kurz und kräftig. Dann hielt sie der Frau die Nase zu, legte die Lippen dicht um den Mund der Bewusstlosen und blies ihr gleichmäßig Atemluft ein, bis sich der Brustkorb hob. Dass es ihr vor Augen zu flimmern begann und ihre Lungen protestieren, ignorierte Naomi.

Ganz nach Vorschrift beatmete sie die Frau ein weiteres Mal.

Nichts.

Sie nahm die Herzmassage wieder auf. »Nun komm schon!«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus. »Dreiundzwanzig, vierundzwanzig … komm schon!«

Ehe sie die Beatmung wiederaufnahm, würgte die alte Dame und hustete dann heftig.

Phin zog die Frau in eine aufrechte Sitzposition, stützte sie. Sie hustete, würgte, rang nach Luft, keuchte und stieß dabei unverständliche Laute aus. Über ihren Kopf hinweg suchte Phin Naomis Blick.

In seinem Blick stand unverfälschte, reine Dankbarkeit. Anerkennung.

Der Blick enthielt viel mehr Wertschätzung, als Naomi angenehm war. Sie hockte sich auf die Fersen und strich strähniges, feuchtes Haar zurück. Bewusst tat sie so, als sei sie damit und mit sich selbst beschäftigt und blickte in eine andere Richtung. Phin Clarkes Dankbarkeit war nichts, was sie gebrauchen konnte.

Und sie war sich verflucht sicher, dass sie die Fragen nicht beantworten wollte, die hinter dem wortlos gezeigten Respekt bereits lauerten.

Sie sah zu, dass sie etwas Abstand zwischen sich und Phin legte und dabei möglichst gleichgültig wirkte. Einfach nur erleichtert. Nur eine Erbin wie alle anderen auch, Nullachtfünfzehn also, die ihre gute Tat für den heutigen Tag bereits hinter sich hatte. Rot angelaufen und schweißnass, wie sie war, zog sie ihren Pullover aus und knüllte ihn in den Händen zu einem Ball zusammen. Unterdessen übernahm Phin die Initiative, leichthin und mit natürlicher Autorität erteilte er Anweisungen.

Selbst so, ausgepumpt und verschwitzt wie er war, das Gesicht mit einem Schweißfilm bedeckt, das hellgraue Hemd fleckig von Schweiß, gehorchte man ihm. Als die Helfer mit der Trage endlich den Poolbereich erreichten und die alte Dame darauf gebettet lag, wandte sich Phin an die kleine Gruppe Menschen, die Zeugen des Vorfalls geworden waren. Er versprach, den Unfallhergang genau zu untersuchen, und erntete ernstes zustimmendes Nicken. Mit demselben Vertrauen in ihn nahmen sie auch seine Ankündigung auf, man werde sämtliche Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, die nötig erschienen, und alle automatischen Systeme im Resort überprüfen. Dass er sich um alles kümmern würde, stand in sein Gesicht geschrieben, als wäre es mit Druckerschwärze irgendwo schwarz auf weiß festgehalten. Er war die personifizierte Verlässlichkeit.

Blabla, Scheißblabla. Naomi riss den Blick von seinen breiten Schultern los und musterte stattdessen die im Poolbereich versammelten Leute.

Vier Gäste. Sieben Mann Personal; ein paar in der salbeigrünen Livree, die auch der Hexer getragen hatte, die anderen in elegantem Schwarz und Weiß.

Steckte einer von denen hier mit Joe Carson unter einer Decke? Oder mit dem unbekannten Hexer?

Oder war das Ganze doch nicht mehr als ein Unfall?

Naomi erinnerte sich an den Funkenregen über der Tür, sah ihn noch einmal vor sich. Nachdenklich kaute sie an ihrer Unterlippe. Ihr dröhnte der Schädel, Folge der Überanstrengung und der Beule an ihrem Hinterkopf. Für ein paar Schmerztabletten wäre sie glatt bereit gewesen, jemand x-beliebigem hier die Eier abzuschneiden.

Stattdessen inhalierte sie den stechenden Geruch von erhitztem Chlor und trocknendem Schweiß und beobachtete, wie die kleine Gruppe Zeugen sich zerstreute. Morgen würden alle darüber reden. Es würde Gerüchte geben.

Man würde Fragen stellen.

Naomi rieb sich den Nacken und musterte mit zusammengekniffenen Augen zwei Frauen, die im Poolbereich blieben. Geschäftig räumten sie das Chaos aus Handtüchern und zerbrochenem Glas auf. Beide trugen dieselbe hellgrüne Uniform: Kleidung, für genau die Arbeit gemacht, die sich Naomi unter Aufgaben für Hotelpersonal so vorstellte. Saubermachen, Wäsche waschen, bügeln, legen und der ganze alberne Kram. Sie wusste gar nicht so genau, was an Arbeit in einem Resort und Spa wie diesem eigentlich anfiel.

Die beiden Putzmäuse wirkten nervös. Beunruhigt. Immer wieder sahen sie zu ihrem Boss hinüber, als ob sie an seiner Reaktion auf die Ereignisse abschätzen könnten, wie sie selbst zu reagieren hätten. Vielleicht warteten sie auch einfach nur darauf, dass er ein paar Worte der Beruhigung für sie fände.

Phin Clarke dirigierte die Handvoll Menschen hinüber zu der breiten Flügeltür. Naomi blickte ihnen hinterher, als sie durch die Tür defilierten und sich dahinter auffächerten und zerstreuten. Angesichts eines beinahe tödlich verlaufenen Unfalls waren sie ungewöhnlich still. Keiner von ihnen sah aus wie jemand, der Beihilfe zu einem versuchten Mord geleistet hatte. Aber danach sahen Mittäter ja auch nur höchst selten aus.

Mit der gebotenen Vorsicht war Naomi aufgestanden, hatte die Knie durchgedrückt, damit sie bloß nicht unter ihr nachgäben und sie wieder auf ihrem Hintern landete. Obwohl ihr in dem Mieder, das ihr nass am Körper klebte, nicht kalt war, überzog Gänsehaut ihre Arme.

Tod durch heißen Dampf. Wirklich keine schöne Art, um abzutreten.

Naomi räusperte sich. »Hat schon jemand Notarzt und Rettungswagen gerufen?«

Phin fuhr sich mit der Hand durchs Haar, dass ihm die nassen Locken zu Berge standen. »Nein.« Seine markanten Gesichtszüge wirkten angespannt. Er sah besorgt aus. In seinem Gesicht standen tausend Fragen, als er Naomi musterte.

Sie wandte sich um. »Dann rufe ich …«

»Nein«, wiederholte er. »Sie wird in unsere hauseigene Klinik gebracht. Wir haben eine hervorragende Ärztin und gut ausgebildetes medizinisches Personal im Haus. Das Unfallopfer ist in den besten Händen. Es gibt keinen Grund, sich um sie zu sorgen.«

Naomis Blick zuckte zurück zu Phins Gesicht. Als sie ihm direkt in die Augen sah, las sie dort eiserne Entschlossenheit. Naomi hob die Augenbrauen. »Sind Sie ganz sicher?«

»Ja. Unsere medizinischen Einrichtungen sind auf dem neuesten Stand der Technik.«

»Die Frau wäre fast gestorben«, meinte Naomi ihn erinnern zu müssen. Sie sagte es leise, in ruhigem Tonfall. »Sie gehört in eine Notaufnahme.«

»Man kümmert sich bestens um sie.« Offenkundig meinte er tatsächlich, was er sagte. Verblüfft starrte Naomi ihn an, bis er den Blick abwandte und diesen über ihre Schulter hinweg zur offen stehenden Saunatür mit der zerbrochenen Fensterscheibe wandern ließ. »Ein bedauerlicher Unfall, ja, aber nur ein Unfall …«

»Ach, fahr zur Hölle«, murmelte sie. Vor ihren Augen tanzten haufenweise kleine, explodierende Sterne, immer schön im Rhythmus mit dem Pochen hinter ihrer Stirn. Plötzlich kochte Wut in ihr hoch, und sie ballte die Fäuste, behielt aber die Arme schön brav unten. Phins Blick schoss zurück zu ihr.

Er kniff die Augen zusammen. »Wie bitte?«, fragte er gefährlich ruhig.

Naomi schürzte die Lippen. »Sie sind bereit, das Leben dieser Frau zu riskieren, nur weil Sie keine schlechte Presse haben wollen?«

Er zuckte zusammen, mit einer Hand zerschnitt er die Luft. »Mir sind die Hände gebunden. Alexandra legt sehr viel Wert auf Privatsphäre.«

»Mich interessiert nicht …«

»Es ist ihre Entscheidung«, schnitt Phin Naomi das Wort ab. Er sagte es in demselben ruhigen, bewusst vernünftigen Tonfall, der Naomi wahnsinnig machte: Am liebsten hätte sie dem Kerl voll eins in seine verdammt hübsche Fresse gegeben. »Sie selbst besteht darauf, dass man ihr ein Maß an Privatsphäre ermöglicht, das ganz sicher keine Besuche von Notärzten und Rettungssanitätern miteinschließt.«

»Schwachsinn! Das ist doch …«

»… genau das Maß an Privatsphäre, das aufrechtzuerhalten wir vertraglich verpflichtet sind«, fuhr Phin fort, ohne sie ausreden zu lassen. Sein Tonfall verriet, dass er in dieser Sache genauso unnachgiebig und hart war wie der Schieferboden unter seinen Füßen. »Und jetzt sollten Sie Ihren Arm in der Klinik untersuchen lassen.«

»Meinem Arm geht’s prächtig!« Wütend spuckte sie Phin Clarke die Worte entgegen. »Diese Frau …«

»Das ist selbstverständlich ganz Ihre Entscheidung, Miss Ishikawa.«

Volltreffer. Naomi biss die Zähne zusammen. Besser ihr rutschte nicht etwas heraus, was Frauen mit der richtigen, vor Geld stinkenden Kinderstube sicherlich nicht über die Lippen brächten. Schon gar nicht in Gegenwart eines so tollen Hechts wie Phinneas Clarke.

Clarke behielt sein Pokergesicht. Ungerührt und unangreifbar. »Da Sie eine medizinische Versorgung nicht wünschen, wird Ihnen der Zimmerservice einen Eisbeutel bringen, damit, sofern möglich, keine hässlichen Blutergüsse entstehen. Wenn Sie mich dann jetzt entschuldigen wollen.« Ohne ein weiteres Wort wandte Clarke sich von ihr ab und ging.

Naomi schluckte jedes Wort hinunter, das ihr die Kehle hinaufschoss, und unterdrückte Wut und Empörung.

Verfluchter Scheißkerl! Sie wusste genau: Sein Verstand war jetzt schon vollauf damit beschäftigt, all die geschliffenen Plattitüden hervorzukramen, die geeignet wären, Gäste, Personal und alle, die sonst noch Wind von der Sache bekämen, einzuwickeln.

Der Kerl war nicht nur mit dem sprichwörtlichen Silberlöffel geboren, nein, dem hatten sie das Ding gleich tief in die Kehle gerammt! Kein Wunder, dass jedes Wort, das er herausbrachte, hochglanzpoliert wie Silberbesteck war. Phin Clarke war ein aalglatter Kerl, so schlüpfrig wie eine Schlange.

Aber wie weit trug dieser Vergleich?

Zuerst der Hexer in Naomis Suite. Dann die alte Dame in der Sauna. Wusste Phinneas Clarke mehr, als er auszuspucken bereit war?

Nein. Vorhin in der Sauna, da war nackte Angst in seinem Blick gewesen. Als sie gemeinsam die bewusstlose Frau aus der Todesfalle herausbugsiert hatten, zu der die Saunakabine für sie beinahe geworden wäre, hatte er Angst gehabt, ganz klar. Das konnte nicht gespielt gewesen sein.

Oder doch?

Ach, Scheiße.

Und dann war da immer noch der Hexer in der Hoteluniform, der Naomi Ishikawa oder vielleicht doch Naomi West in ihrer Suite überfallen hatte.

»Mist, verdammter!«, fauchte Naomi. Die überraschten Blicke, die ihr die beiden Putzmäuschen zuwarfen, übersah sie geflissentlich. Die beiden waren immer noch damit beschäftigt, die Scherben wegzuräumen, die Naomi im Poolbereich hinterlassen hatte.

Gab es im Zeitlos Magiebesessene? Beherbergte das Nobel-Resort etwa Hexen und Hexer?

Damit wäre ihr Tag absolut perfekt.