Kapitel 8

In welchem authentische historische Kostüme diskutiert werden.

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Verdriesslich servierte man ihnen Tee in der Speisekammer und scheuchte sie dann in einen anderen niedrigen, dunklen Raum, in dem sich eine grosse Anzahl von Floristenschachteln und ein Stapel gefalteter Bettlaken befanden.

„Ihre Kostüme“, sagte Pilkins mit einem Zischen.

„Recht bescheiden, meinen Sie nicht?“, bemerkte Lady Beatrice. „Oder nicht bescheiden genug? Was sollen wir damit?“

Pilkins musterte den Fussboden. „Seine Lordschaft bittet, dass Sie ... römische Togen daraus herstellen. Die Unterhaltung soll möglichst genau einer ... ähem ... Orgie aus dem alten Rom nachempfunden werden, und Sie sollen ... nun ... Nymphen gleichen. In Togen.“

„Aber die Toga trugen Männer“, klärte Lady Beatrice ihn auf. Pilkins sah panikerfüllt auf, und Lady Beatrice fuhr fort: „Ich nehme an, seine Lordschaft meint den Chiton, den die Hetären der Antike zu tragen pflegten.“

„Wenn Sie das sagen“, stotterte Pilkins. „Mit Lorbeerkränzen und so.“

„Aber den Lorbeerkranz trugen eher ...“

Da griff Mrs. Corvey ein: „Liebe Güte, Kind. Wenn seine Lordschaft will, dass die Mädchen Lorbeerkränze tragen, dann werden sie das gerne tun. Was sollen sie sonst tun, abgesehen vom Üblichen? Tanzen? Oder was?“

„Tatsächlich sollen sie die Nachspeise hereintragen“, sagte Pilkins und nahm erneut Zuflucht zu seinem Taschentuch. „Eine sehr grosse, kunstvolle Erfrischung auf einer Platte zwischen zwei Stangen. Seine Lordschaft würde es sehr begrüssen, wenn sie eher hereintanzten.“

„Wir tun unser Bestes, Süsser“, warf Maude skeptisch ein.

„In dem Behälter mit dem roten Lederbezug sind Zimbeln. Seine Lordschaft will, dass Sie darauf spielen, wenn Sie hereinkommen.“

„Während wir tanzen und die Nachspeise tragen“, sagte Lady Beatrice.

„Vielleicht üben Sie etwas“, antwortete Pilkins. „Es ist jetzt halb eins, und das Dinner wird Punkt acht Uhr serviert.“

„Keine Sorge“, sagte Mrs. Corvey, „meine Mädchen sind vor allem eines: beweglich.“

In diesem Augenblick hörten sie eine Droschke in den Burghof einfahren. „Der erste Gast“, rief Pilkins und stürzte zur Tür, wo er innehielt, um ihnen zuzurufen: „Bitte klären Sie das mit den Verkleidungen selbst.“ Dann fiel die Tür ins Schloss.

„Delikat“, sagte Mrs. Corvey. „Jane, meine Liebe, würden Sie das Fenster aufmachen?“

Jane drehte sich um und gehorchte, wobei sie Kraft aufwenden musste, um das aufgequollene Holz des Fensterrahmens freizubekommen. Da das Fenster klein und halb von Efeu überwachsen war, wurde es kaum heller im Raum. „Soll ich versuchen, einige Blätter abzureissen?“, fragte Jane.

„Nicht nötig, Liebes.“ Mrs. Corvey trat dicht ans Fenster, nahm ihre Brille ab und fuhr ihre Optik durch das Rankengestrüpp aus.

„Was sehen Sie?“

„Ich nehme an, das ist der Russe“, sagte Mrs. Corvey. „Zumindest ist das ein russisches Wappen auf seiner Kutsche. Prinz Nakhimov war der Name. Mutter aus Preussen. Vererbte ihm mehrere Firmen, er investierte und wurde sehr reich. Nun! Da ist er.“

„Wie sieht er aus?“, fragte Maude.

„Er ist recht hochgewachsen“, berichtete Mrs. Corvey. „Trägt einen Bart. Gut gekleidet. Lakai, Kutscher, Kammerdiener. Da gehen sie hin – ich nehme an, ihn hat man zur Vordertür gebeten. Ach, und wer ist das? Eine weitere Droschke! Das muss der Türke sein. Ali Pascha.“

„Oh! Trägt er einen Turban?“

„Nein, meine Liebe, eine von diesen roten Zuckerhut-Kappen und eine reichverzierte Militäruniform. Irgendein Würdenträger, der im Dienste des Sultans ein Vermögen gemacht hat.“

„Hat er eine Kutsche voller Ehefrauen dabei?“

„Wenn er sie hätte, glaube ich kaum, dass er sie zu einem Fest dieser Art mitbrächte. Nein – wie sein Vorgänger: Lakai, Kutscher, Kammerdiener – und da ist schon der nächste! Das müsste der Franzose sein. Graf de Mortain stand in der Akte; ich nehme an, das ist sein Wappen. Millionär wie die anderen auch, da seine Familie Bonaparte einige Steine in den Garten warf, aber der Grossteil seines Vermögens liegt in seinem Grundbesitz. Nicht sehr flüssig. Ich frage mich, ob Lord Basmond das weiss ... und da kommt der letzte. Sir George Spiggott. Keine Frage, dass der Millionär ist; Töpfe voller Geld aus den Mühlen im Norden. Sieht aufbrausend aus. Nun, meine Damen, einer für jede von Ihnen; und ich bezweifle, dass Sie wählen dürfen.“

„Ich nehme an, Lord Basmond ist letztlich doch eher auf dem anderen Ufer zu Hause“, sagte Maude.

„Mag sein.“ Mrs. Corvey entfernte sich vom Fenster. „Ungeachtet dessen: Falls er sich doch eine von Ihnen aussucht, kümmern Sie sich gut um ihn und versuchen Sie, ob Sie ihm nicht etwas unterjubeln können, um seine Zunge zu lösen.“

***

Nachdem man sie sich selbst überlassen hatte, verbrachten die Damen ein oder zwei Stunden damit, aus den Bettlaken Chitons zu fertigen. Glücklicherweise hatte Jane ein kleines Nähset in ihrem Pompadour und fand darüber hinaus am Grunde ihres Schrankkoffers noch eine Spule mit knapp zehn Metern pfauenblauem Ripsband, so dass ein gewisses Mass an Schneiderei möglich war. Die Behälter des Floristen enthielten in der Tat Lorbeerblätter, ausserdem jedoch Frauenhaarfarn, Farnkraut und rosa Rosenknospen, und damit konnte Lady Beatrice Jungfernkränze winden, die ihrem Sinn für historische Authentizität besser entsprachen.

Sie plauderten angeregt über die Handlung von Dickens neuester literarischer Anstrengung, als Mrs. Duncan die Tür öffnete und zu ihnen hereinspähte.

„Ich nehme nicht an, dass sich eine von euch Damen zu einem Stück ehrlicher Arbeit hinreissen lassen könnte?“, erkundigte sie sich.

„Bitte, Madam, wie könnte unsere Arbeit denn noch ehrlicher sein?“, antwortete Lady Beatrice. „Wir verbergen absolut nichts.“

„Worum geht es denn?“, erkundigte sich Mrs. Corvey.

Mrs. Duncan zog eine Grimasse. „Die Eiscreme schlagen. Die Schwanenform ist heute morgen mit der Sonderlieferung eingetroffen und dreimal so gross, wie wir dachten, und die Mädchen und ich haben uns nahezu die Arme gebrochen bei dem Versuch, genug Eiscreme herzustellen, um das gottverfluchte Ding zu füllen.“

„Da das in direktem Zusammenhang mit der Unterhaltungsdarbietung steht, für die man uns engagiert hat, helfen meine Mädchen Ihnen gerne aus, ohne dass gesonderte Kosten entstehen“, entschied Mrs. Corvey. „Unsere Maude hebt häufiger schwere Dinge und ist ziemlich stark, stimmt doch, meine Liebe?“

„Ja, Madam“, bestätigte Maude und knickste. In Mrs. Duncans Gesicht erschien ein Hoffnungsschimmer, und sie fasste sich ein Herz: „Äh, und wenn es Ihnen nichts ausmacht – es gibt noch einige Dekorationsarbeiten mit dem Zuckerguss zu erledigen, und die Wackelpudding-Putten müssen mit sicherer Hand gestürzt werden ...“

***

Man fand Schürzen für sie, und sie zogen los, um mit dem Dessert zu helfen.

Man hatte ein gewaltiges Zinntablett auf eine aufgebockte Getreidelade montiert. Darauf befand sich bereits ein Bauwerk von einer Torte. Eine der Hausangestellten beugte sich mit Hilfe einer Stehleiter über das Backwerk und versuchte, mit Spritzbeutel und Zuckerguss eine schmückende Jakobsmuschel-Borte herzustellen. Beim Eintreten der Damen warf sie gerade den Spritzbeutel zu Boden und brach in Tränen aus.

„Oh! Schon wieder eine vergeigt! Jetzt werde ich auf alle Fälle meine Arbeitsstelle verlieren. Mrs. Duncan, ich bin keine Konditorin, und mein Arm tut so weh. Warum gehe ich nicht einfach nach draussen und ertränke mich?“

„Kein Grund zur Theatralik“, sagte Lady Beatrice und hob den Spritzbeutel auf. „Meine Damen? Auf!“

Wie sich zeigte, war noch viel mehr für das Dessert zu tun. Zuckerpaste musste in Pastillage-Formen gedrückt werden, um allerlei Dekorationselemente zu erzeugen, unter anderem einen römischen Miniaturtempel, Tauben, einen Triumphwagen sowie Pfeile und Bögen. In der Tat galt es, Putten aus Wackelpudding mit Rosengeschmack zu stürzen, was eine Menge eher gruselig aussehender kleiner Dinger produzierte, die an transparente rosa Babys erinnerten. Nachdem man sie an den vier Ecken der Torte angebracht hatten, wackelten sie, und ihre Köpfe hingen beunruhigend herunter wie bei echten Babys. Unzählige Behälter voll Sahne mit Muskadintrauben-Geschmack mussten in die Sorbetiére geleert, dort mit schweisstreibender Anstrengung geschlagen und schliesslich in die riesige Schwanenform gepresst werden. Als diese endlich voll war, mussten Maude und Dora sie gemeinschaftlich in den Eisschrank hieven.

„Dieses Ding kommt oben auf die Torte?“, erkundigte sich Lady Beatrice.

„Da soll es hin“, antwortete Mrs. Duncan unglücklich und vermied es, ihr in die Augen zu sehen.

„Klar, und wir tragen es dann rein und tanzen dazu. Na sicher!“ Jane wies mit dem Daumen auf die absurde Menge an Süssigkeiten, die ihre Tragefläche mit dem Gewicht all der Tempel, Putten, Tauben und anderer Dekorationselemente zum Knarzen brachte. Von den Rosen und Farnen, die die Tragestangen verzierten, ganz zu schweigen.

„Nun, so hat seine Lordschaft es gesagt“, antwortete Mrs. Duncan. „Sie sind doch sicher alle gesunde junge Frauen, und es ist ja nicht so, als würde er nicht gut bezahlen.“