Kapitel 3
In welchem sie ihr Leben fortsetzt.
Die Arbeit schien keineswegs so furchtbar zu sein, wie Lady Beatrice gehört hatte. Allerdings wurde ihr klar, dass ihre Perspektive ein wenig ungewöhnlich war. Sie fand nie Befriedigung durch den Akt, aber zumindest war er nicht schmerzhaft wie zuvor auf dem Chaiber-Pass. Sie achtete sorgfältig darauf, stets mehrere Lammhaut-Hüllen in ihrem Pompadour mitzuführen, und liess ihren Körper schuften wie einen Brauereigaul. Er leistete ihr gute Dienste und ermöglichte ihr anständige Mahlzeiten, einen sauberen Schlafplatz sowie Bücher. Lady Beatrice entdeckte, dass sie Bücher noch immer schätzte.
Den Männern gegenüber, die ihr Bett teilten, empfand sie nichts, im guten wie im bösen.
Lady Beatrice fand schnell heraus, welche Gegenden sich am besten für ihr Geschäft eigneten und wo sie nicht von betrunkenen Arbeitern belästigt wurde: vor Theatern, den besseren Restaurants und Weinbars. Sie entdeckte, dass ihr Aussehen und ihre Stimme ihr gegenüber den anderen leichten Mädchen einen Vorteil verschafften, denn diese setzten sich vor allem aus verzweifelten Landpomeranzen und Cockney-Frauen aus dem Londoner East End zusammen. Sie beobachtete, wie sie sich durch ihre Nächte kämpften, wie sie immer betrunkener und heiserer wurden und wie sich die blauen Flecke auf ihren Oberarmen zunehmend dunkler verfärbten.
Die anderen Frauen beäugten sie ungläubig und voller Neid, insbesondere, wenn wieder ein alternder Gentleman mit Diamant am Revers ihr aufdringliches Spalier mit unbewegter Miene durchschritt, ihre Hände abschüttelte und die Ohren gegenüber ihren schmutzigsten Lockrufen verschloss, nur um mitten im Schritt zu verharren, wenn Lady Beatrice in seinen Weg trat. „Oi! Mylady hat sich wieder einen geklaut!“, schrie dann eine. Ihr gefiel der Name.
Eines Nachts lauerten ihr drei mit Knüppeln bewaffnete Huren in einer Seitengasse des Strand auf. Sie zog ein Messer – denn sie trug stets eines bei sich –, hielt sie in Schach und erzählte ihnen, was sie den Ghilzai-Stammeskriegern angetan hatte. Sie wichen zurück und flohen. Sie verbreiteten das Gerücht, Milady sei vollkommen wahnsinnig.
Lady Beatrice war keineswegs wahnsinnig. Ja, der Schnee des Chaiber-Passes hatte sich scheinbar um ihr Herz gelegt und es für die meisten Gefühle unempfänglich gemacht. Ihr Geist jedoch war scharf und klar wie Eis. Es fiel ihr sogar schwer, die anderen Huren zu verachten, obwohl sie klar erkannte, dass die meisten nicht die hellsten waren, zu viel tranken, sich regelmässig in Männer verliebten, die sie schlugen, und sich in Selbstmitleid und Verbitterung suhlten.
Lady Beatrice trank nie. Sie lebte sparsam. Sie eröffnete ein Bankkonto und sparte das Geld, das sie verdiente, an, legte aber genug beiseite, um tadellose Kleidung und den einen oder anderen Roman erwerben zu können. Sie errechnete, was sie ansparen musste, um sich zur Ruhe setzen und ein unauffälliges Leben führen zu können. Auf dieses Ziel arbeitete sie hin. Die Mauer zwischen ihrem Körper und ihrem Geist erhielt sie sorgsam aufrecht – im einen nur nominell zu Hause, im anderen wirklich anwesend.
Eines Abends schlenderte sie über das Pflaster vor dem Britischen Museum – gemessen an den wohlhabenden Freiern, die sie hier schon gefunden hatte, ein exzellenter Ort für ihr Geschäft –, wo sie ein früherer Kunde wiedererkannte und für einen Herrenabend in der folgenden Nacht engagierte. Lady Beatrice legte für diesen Anlass ihr bestes scharlachrotes Abendkleid an und nahm eine Droschke.
Auf der Feier, die anlässlich eines sportlichen Erfolges stattfand, erkannte sie einige ihrer besser gekleideten Rivalinnen, und sie nickten einander huldvoll zu. Einer nach dem anderen taten sich die korpulenten Bankiers und Ritter Ihrer Majestät mit einer Kurtisane zusammen. Lady Beatrice dachte gerade, sie hätte gern mehr Engagements dieser Art, als sie eine leise Stimme ihren Namen rufen hörte.
Sie wandte sich um und erblickte einen alten Freund ihres Vaters, den sie einmal eine Stunde lang mit ihrem charmanten Geplauder bezaubert hatte. Schnell trat Lady Beatrice zu ihm.
„Diesen Namen benutze ich nicht mehr“, sagte sie.
„Aber mein liebes Kind, was ist dir nur geschehen?“
„Wollen Sie die Antwort wirklich hören?“
Er blickte sich verstohlen um, ergriff ihr Handgelenk, zog sie in ein Hinterzimmer und schloss die Türe hinter ihnen, was ihm lautes Gelächter von jenen Gästen eintrug, die nicht zu beschäftigt waren, es zu bemerken.
Lady Beatrice setzte sich auf einen Diwan und erzählte ihm in knappen, nüchternen Worten ihre Geschichte, während er rauchend vor ihr auf und ab ging. Als sie geendet hatte, sank er ihr gegenüber in einen Stuhl und schüttelte den Kopf.
„Du hast Besseres im Leben verdient, meine Liebe.“
„Niemand verdient ein gutes oder schlechtes Schicksal“, sagte Lady Beatrice. „Die Dinge geschehen einfach, und man steht sie durch, so gut man kann.“
„Mein Gott! Das stimmt: dein Vater pflegte das auch zu sagen. Er schreckte nie vor Unannehmlichkeiten zurück. In dieser Hinsicht kommst du ganz nach ihm. Er sagte immer, du seiest hart wie Stahl.“
Lady Beatrice vernahm das Zitat mit einer gewissen Verblüffung. Es beschwor Erinnerungen an ein lang vergangenes Leben herauf. Es war ihr, als seien diese Dinge einem anderen Mädchen passiert.
Der alte Freund betrachtete sie mit einem seltsam gemischten Ausdruck: aus Mitleid und einer gewissen Berechnung. „Um deinet und deines Vaters willen würde ich dir gerne helfen. Darf ich wissen, wo du lebst?“
Lady Beatrice nannte ihm nur allzu bereitwillig ihre Adresse. „Wobei ich Ihnen einen Besuch nicht empfehlen würde“, sagte sie. „Sollten Sie galante Regungen zu meiner Rettung verspüren, lassen Sie sie bitte fahren. Keine Dame Londons würde mich nach dem, was mir widerfahren ist, aufnehmen, das wissen Sie so gut wie ich.“
„Ich weiss, meine Liebe.“ Er erhob und verbeugte sich. „Doch es gibt wenige Frauen, die Stahl in sich tragen. Es wäre eine Schande, deine Qualitäten verschwendet zu sehen.“
„Wie reizend“, sagte Lady Beatrice.
***
Sie versprach sich nichts von der Begegnung und war daher recht überrascht, als es drei Tage später an der Tür ihrer Unterkunft klopfte.
Eher noch überraschter war sie, als sie die Tür öffnete und eine blinde Frau sah, die nach Lady Beatrice fragte. „Das bin ich“, gab sie zu.
„Darf ich dann auf ein Wort hereinkommen?“
„Auf so viele Sie wollen“, sagte Lady Beatrice. Die Blinde schwenkte ihren Gehstock vor sich hin und her, als sie eintrat. Durch eine glückliche Fügung traf sie einen Stuhl und liess sich nieder. Trotz ihrer Behinderung war sie keine Bettlerin, sondern erstaunlich gepflegt und gut gekleidet. Sie wirkte wenn schon nicht wie eine Dame der höheren Gesellschaft, so doch wie eine achtbare Mutter. Ihr Akzent wies darauf hin, dass sie der Unterschicht entstammte, doch sie sprach leise und mit präziser Diktion. Sie streifte Handschuhe und Häubchen ab und legte beides in ihren Schoss, ihr Stock lehnte in ihrem Arm.
„Danke. Ich darf mich vorstellen: Mrs. Elizabeth Corvey. Wir haben einen gemeinsamen Freund.“ Sie nannte den Namen des Herrn, der Lady Beatrice in ihrem früheren Leben gekannt hatte.
„Ah“, sagte Lady Beatrice. „Ich nehme an, Sie leiten eine Wohltätigkeitsorganisation für gefallene Frauen.“
Mrs. Corvey kicherte. „Das würde ich nicht sagen, Miss, nein.“ Sie wandte Lady Beatrice ihr Gesicht mit den Augengläsern zu. Das Rauchglas der Brille war sehr schwarz und durchaus auffällig. „Keine der Damen in meinem Etablissement bedarf der Wohltätigkeit. Sie kommen durchaus gut zurecht. Ebenso wie Sie, scheint es mir. Ihr Freund berichtete mir, was Sie gesehen und erlebt haben. Bedauerlicherweise lässt sich nichts davon ungeschehen machen. So ist der Lauf der Welt. Darf ich fragen, ob Sie daran interessiert wären, Ihre Vorzüge an einem besseren Ort als auf der Strasse einzusetzen?“
„Unterhalten Sie ein Freudenhaus, Madame?“
„Ja und nein“, sagte Mrs. Corvey. „Wäre es ein Freudenhaus, so wäre es mit Sicherheit ein erstklassiges, mit Mädchen von Ihrer Schönheit und Schläue, manche sogar mit Ihrer Herkunft. Anders als ich; ich bin im Armenhaus geboren.
Mit fünf Jahren verkaufte man mich an eine Nadelfabrik. Man braucht kleine Hände, um Nadeln zu machen, wissen Sie, und junge, scharfe Augen. Man bevorzugt kleine Mädchen als Arbeiterinnen, denn sie stellen sich wesentlich sorgfältiger an als kleine Jungen. Wir arbeiteten an einem langen Tisch, schnitten Draht, feilten die Spitzen zurecht und hämmerten die Köpfe breit. Wenn es dunkel wurde, arbeiteten wir bei Kerzenlicht, und die Vorarbeiterin las uns aus der Bibel vor. Im Alter von zwölf Jahren war ich blind, aber ich kannte die Heilige Schrift, das können Sie mir glauben.
Danach taugte ich logischerweise nur noch für eines, nicht wahr? Also wurde ich an eine Art Spezialhaus verkauft, in dem man allerhand seltsame Kerle vorfindet. Kranke, hässliche und schüchterne. Ich wurde zweimal schwanger und bekam Syphillis. Ich hoffe, ich schockiere Sie nicht. Wir sind beide herumgekommen. Jedenfalls verlor ich die Zeit aus den Augen, aber ich muss etwa siebzehn gewesen sein, als ich dort herauskam. Möchten Sie wissen, wie es mir gelang?“
„Ja, Madame, in der Tat.“
„Dieser Kerl kam, um mich zu sehen. Er zahlte extra, um mich einen Abend lang für sich allein zu haben, und ich dachte ‚oh Gott, nein‘, denn man wird es so leid mit der Zeit, und die Herren mögen es nicht, wenn man ihnen nicht seine volle Aufmerksamkeit schenkt. Aber dieser Kerl wollte nur eines: reden.
Er stellte mir allerlei persönliche Fragen – wie alt ich sei, woher ich stamme, ob ich Familie habe, warum ich blind sei. Er sagte, er gehöre zu einem Club wissenschaftlich interessierter Herren. Er sagte weiterhin, diese glaubten, einen Weg gefunden zu haben, Blindheit zu kurieren, und schliesslich sagte er, er würde mich aus dem Haus freikaufen, wenn ich die Spekulative Gesellschaft der Gentlemen ihre Methode an mir ausprobieren liesse, dafür sorgen, dass meine Pocken behandelt würden, und er würde für ein ehrliches Leben für mich aufkommen.
Er warnte mich, dass ich meine Augen einbüssen werde. Ich antwortete, das sei mir egal – sie waren ohnehin nutzlos, nicht wahr? Er erwiderte, ich könne mich verunstaltet fühlen, doch ich entgegnete, das sei mir ebenso egal – was hatte mein Aussehen mir je genützt?
Um es kurz zu machen: Ich ging mit ihm und liess es machen. Ich verlor meine Augen und wurde verunstaltet, doch ich habe es keinen Tag bereut.“
„Sie wirken nicht verunstaltet“, sagte Lady Beatrice. „Augenscheinlich konnte man Ihre Blindheit nicht heilen.“
Mrs. Corvey lächelte. „Ach nein? Die Uhr zeigt halb eins, und Ihre Augen sind von einem verblüffenden Grau – anders als meine. Sie sind aus hartem Holz geschnitzt, daher bin ich sicher, dass Sie jetzt nicht kreischen werden.“ Damit nahm sie ihre Augengläser ab und enthüllte ihre Augen.
Lady Beatrice, die aufrecht vor ihr gestanden hatte, machte einen Schritt rückwärts und umklammerte die Kante des Tisches hinter ihr.
„Ach je, Sie sind ganz blass geworden“, sagte Mrs. Corvey amüsiert. „Lässt Ihren scharlachroten Mund ganz wunderbar strahlen. House of Rimmel Rot Nummer Drei, nicht wahr? Nicht so rosa wie ihre Nummer Vier. Lassen Sie mich Ihre Bücher ansehen! Sartor Resartus, Catherine, Falkner – Ihr neuestes, oder? –, und was ist das auf Ihrem Nachttisch?“ Die Messingokulare, die in Mrs. Corveys Gesicht eingebettet waren, fuhren doch tatsächlich mit einem leisen, surrenden Geräusch aus und schwenkten in Richtung von Lady Beatrices Bett. „Nicholas Nickleby. Ja, das hat mir auch sehr gefallen.
Ich hoffe, ich habe meinen Standpunkt jetzt ausreichend verdeutlicht, Miss.“
„Wie schrecklich“, sagte Lady Beatrice leise.
„Das würde ich nicht sagen, Miss! Gegenüber der Zeit davor hat sich mein Zustand so sehr verbessert, dass ich morgens wie abends niederknien und Gott danken würde, wenn ich glauben könnte, dass er eine wie mich je wahrnehmen würde. Ich kann sehen! Ich bin gesund – die Spekulative Gesellschaft der Gentlemen hat ein ausgezeichnetes Heilmittel für die Pocken – und habe eine angenehme Arbeit. Ich bin hier, um Ihnen eine ebensolche anzubieten.“
„Müsste ich mit meinen Augen dafür bezahlen?“, erkundigte sich Lady Beatrice.
„Ach du meine Güte, nein. Es wäre ein Verbrechen, Sie zu verunstalten, insbesondere, da Ihr Aussehen so nützlich sein kann. Soweit ich es verstanden habe, sind Sie eine Soldatentochter, Miss. Was würden Sie davon halten, Ihren Ehrverlust in eine Waffe im Dienste einer guten Sache zu verwandeln?
Die Gesellschaft ist sehr alt, müssen Sie wissen. Früher musste sie ihr Tun streng geheimhalten, da die Menschen sie und ihre erstaunlichen Erfindungen sonst als Hexen und Hexenwerk verbrannt hätten. Die Geheimhaltung erwies sich auch in aufgeklärteren Zeiten als nützlich. Es gibt viele Geräte, die unser Leben erleichtern, die die Gesellschaft erfunden hat. Sie arbeitet daran, die Welt weiter zu verbessern.
Bei dieser Arbeit, Miss, hilft es ihr, Einfluss auf die Minister und Parlamentsmitglieder zu haben, und wer beeinflusst einen Mann besser als ein hübsches Mädchen? Ein Mädchen mit entsprechendem Charme kann die Zunge eines Mannes lockern und alles mögliche herausfinden, das die Gesellschaft wissen muss. Ein Mädchen mit entsprechendem Charme kann einen Mann dazu bringen, alles mögliche zu tun, das er nie tun würde, wenn es noch jemand anderes sehen könnte.
Natürlich kann ich nichts sehen, denkt er zumindest, denn ich offenbare mein Geheimnis niemals. Ein Minister ist froh, wenn die Mamsell seines Lieblingsbordells ihn vor Gericht nicht identifizieren kann. Um so leichter für uns, ihn später in die Falle zu locken. Um so leichter, ihn davon zu überzeugen, ein Gesetz zu unterschreiben oder für oder gegen etwas zu stimmen, ganz im Sinne der Spekulativen Gesellschaft.
Sie und ich, wir wissen, wie leicht man ein Mädchen ruinieren kann, während die Welt das gleiche Verhalten bei einem Mann billigt. Haben Sie nicht Lust, dieses Verhältnis umzukehren?
Sie und ich wissen, wie wenig unsere Körper wert sind, egal, welches Aufheben die Männer darum machen. Wollen Sie Ihren nicht für etwas Gutes einsetzen? Wir haben andere Mädchen wie Sie – schlaue, wohlgeborene Mädchen. Sie haben einen Fehler gemacht oder hatten – wie Sie – Pech, und die Welt stiess sie dafür in die Gosse. Doch sie stellten fest, dass sie dort nicht bleiben mussten.
Dasselbe gilt für Sie, Miss. Wir bieten Ihnen ein sauberes, ruhiges Zimmer mit Blick auf den St. James’s Park. Ich werde dieser Aussicht nie müde. Ausserdem ein ruhiges Leben, ausser, wenn Sie arbeiten. Ihnen drohen niemals Schläge oder Krankheiten. Wir werden alle gut bezahlt. Wollen Sie sich uns anschliessen?“
Lady Beatrice überlegte einen Augenblick lang.
„Ich glaube schon“, erwiderte sie.
Zur grossen Erleichterung der übrigen Bordsteinschwalben tat sie es.