Kapitel 6
In dem beunruhigende Erkenntnisse übermittelt werden.
Sir Richard H. war in fortgeschrittenem Alter, recht korpulent und bevorzugte es daher, auf dem Rücken zu liegen, während die Engel der Glückseligkeit, wie er sie nannte, auf ihm sassen. Im Augenblick stöhnte er glücklich, während Lady Beatrice ihn ritt, den Blick der grauen Augen auf den Messingrahmen ihres Bettes gerichtet und den roten Mund zu einem professionellen Grinsen verzogen, das vage belustigt wirkte. Ihre Gedanken waren jedoch abgewandert; sie fragte sich, wie wohl „Die Memoiren des Junkers Barry Lyndon“ ausgehen mochten, da sie die letzte Ausgabe des Fraser’s Magazine noch nicht gesehen hatte.
Irgendwann wurden ihre Überlegungen von der Erkenntnis unterbrochen, dass Sir Richard aufgehört hatte, sich zu bewegen. Lady Beatrices Bewusstsein kehrte lange genug zu ihrem Körper zurück, um festzustellen, dass Sir Richard noch am Leben war, wenn auch schweissgebadet und schnaufend wie eine Dampflok. „Geht es Ihnen gut, mein Lieber?“, erkundigte sie sich. Sir Richard nickte energielos. Sie schwang sich elegant von ihm herunter, als sei er ein besonders weich gesatteltes Pferd, und prüfte zur Sicherheit seinen Puls. Nachdem sie sich sicher sein konnte, dass er nicht in den nächsten Minuten abtreten würde, wischte sie ihn hurtig mit einem Schwamm und Kölnischwasser ab. Als sie die Bettdecke über ihn zog, schnarchte er schon, und so ging sie nach nebenan, um zu baden.
Lady Beatrice kümmerte sich in der gleichen sachlichen Weise um ihren eigenen Körper. Ihre niederen Regionen hätten während der Runde mit Sir Richard genausogut aus der Wattefüllung einer Puppe bestehen können, wenn man nach den Empfindungen ging, die sie beim Akt verspürt hatte. Die Reibung hatte nur einen Hauch von Hautirritation hinterlassen. Sie trug Lotion auf und überlegte wieder einmal, wie absurd der Aufstand war, den jeder betrieb, wenn es um das Fleischliche ging – Angst, Scheu, Lust ... dabei war nichts davon von Bedeutung.
Sie wusste, es hatte eine Zeit gegeben, in der Sir Richards nackter Körper mit seinem dunkelroten Stiel sie in mädchenhaftem Schrecken hätte aufschreien lassen. Jetzt wirkte das arme alte Ding auf sie nicht unsittlicher als ein zusammengebrochener Karrengaul, und was waren ihre stattlichen Verehrer mehr gewesen als eine Reihe hochgezüchteter Rennpferde – bis sie blau und steif in jener Gebirgsschlucht lagen und noch weniger waren? Sie mochten strahlende Seelen gehabt haben, die gen Himmel aufstiegen, zumindest war das eine schöne Vorstellung. Körper jedoch waren kurzlebig und das Elend nicht wert.
Lady Beatrice zog sich an, kehrte ins Schlafzimmer zurück und liess sich in einem Ohrensessel nieder, aus dessen Tiefen sie eine Ausgabe von „Oliver Twist“ zog. Darin las sie ruhig, bis Sir Richard mitten in einem Schnarcher plötzlich erwachte. Er setzte sich auf und fragte benebelt, wo seine Hose sei. Lady Beatrice legte ihr Buch beiseite und half ihm, sich anzuziehen. Dann nahm sie seinen Arm und geleitete ihn an den Empfang, wo er ohne einen Blick zurück zu ihr in den Aufsteigenden Raum watschelte.
„Er hätte sich bedanken können“, bemerkte Mrs. Corvey aus ihrem Schaukelstuhl am Teetisch.
„Ein wenig durcheinander heute abend, glaube ich“, sagte Lady Beatrice und beugte sich vor, um ihren Strumpf zu richten. „Habe ich heute abend noch einen Kunden?“
„Nein. Mrs. Otley unterhält Seine Lordschaft bis Mitternacht, dann können wir alle nach Hause gehen.“
„Oh, gut. Darf ich Sie um einen Gefallen bitten? Würden Sie mich erinnern, morgen nach der neuesten Ausgabe von Fraser’s Ausschau zu halten? Die letzte Folge von ...“ Lady Beatrice unterbrach sich, und Mrs. Corvey drehte den Kopf in Richtung des Aufsteigenden Raums, da beide das Glöckchen gehört hatten, das den Aufzug und einen Fahrgast ankündigte.
„Wie eigenartig“, sagte Mrs. Corvey. „Der Speisesaal schliesst im allgemeinen um zehn.“
„Ich übernehme ihn“, sagte Lady Beatrice, setzte ihr professionelles Lächeln auf und plazierte sich auf dem Diwan.
„Wären Sie so nett? Miss Rendlesham hatte so viel aufzuwischen, nachdem der Herzog gegangen war, dass ich ihr den Rest des Abends freigegeben habe. Sehr liebenswürdig von Ihnen.“
„Es macht mir nichts aus“, beteuerte Lady Beatrice. Das Paneel glitt zur Seite, und ein Gentleman trat ein. Er trug einen Kneifer, wurde langsam kahl, wirkte wie ein höherer Bankbeamter, und er trug auch tatsächlich ein Aktenbündel unter dem Arm. Sein Blick glitt über Lady Beatrice, ohne ihr mehr als ein kleines Nicken zu schenken, und konzentrierte sich auf Mrs. Corvey.
„Ma’am“, sagte er.
„Mr. Greene?“ Mrs. Corvey erhob sich. „Welch ungeahntes Vergnügen, Sir. Wenn ich fragen darf – welches Vergnügen erwarten Sie?“
„Ich bin nicht auf eigene Rechnung hier“, sagte Mr. Greene und errötete leicht. „Wobei ich, äh, natürlich hoffe, bald Zeit zu finden, Sie zu besuchen. Informell. Sie wissen schon. Ähem. Nun, Ma’am, könnten wir uns in Ihr Büro zurückziehen? Ich habe etwas mit Ihnen zu klären.“
„Selbstverständlich“, entgegnete Mrs. Corvey.
„Es macht mir nichts aus, hierzubleiben. Soll ich nach späten Gästen Ausschau halten?“, fragte Lady Beatrice Mrs. Corvey. Mr. Greene wandte sich ihr zu und unterzog sie einer eingehenderen Musterung.
„Ah. Das neue Mitglied. Ich kannte Ihren Vater, meine Liebe. Bitte folgen Sie uns. Ich denke, Sie sollten hören, was ich zu sagen habe.“
***
Im hinteren Büro hatte Mr. Greene eine Tasse Kakao entgegengenommen, einen Schluck getrunken und sie abgestellt, ehe er sich räusperte.
„Ich nehme an, keine von Ihnen ist je Lord Basmond begegnet?“
„Nein, in der Tat nicht“, sagte Mrs. Corvey.
„Ich auch nicht“, sagte Lady Beatrice.
„Eine alte Familie. Besitztümer in Hertfordshire. Das gegenwärtige Oberhaupt, Lord Arthur Rawdon, ist sechsundzwanzig. Letzter Nachkomme. Ledig, wenig Engagement in Cambridge, lebte bis vor zwei Jahren in der Stadt. Dann kehrte er auf den Stammsitz der Familie zurück und begann, sich grosse Summen Geldes zu leihen. Spielt nicht, gibt es nicht für eine Geliebte aus, investiert es nicht. Liess verlautbaren, er wolle die Besitztümer instand setzen, wobei es ein Rätsel ist, warum er dafür derartige Mengen seltener Erden und anderer, ähnlich aussergewöhnlicher Chemikalien benötigen sollte.
Es gab Arbeiter auf dem Grundstück, die dort auch untergebracht waren, aber sie reden nicht und lassen sich auch nicht dazu bestechen. Der alte Gärtner besucht den örtlichen Pub, und man hat gehört, wie er sich aufgebracht darüber beklagte, sein Herr habe das Eibenlabyrinth zerstört. Als man nachborte, lehnte er jedoch jeden weiteren Kommentar ab.“
„Was bedeutet das, Mr. Greene?“, fragte Mrs. Corvey.
„Ja, was? Die Sache fiel uns auf, als er die seltenen Erden und die Chemikalien erwarb, denn wir beobachten den Handel mit derartigen Gütern. Wenn eine Person mehr als eine bestimmte Menge erwirbt, wollen wir wissen, warum. Macht uns nervös.
Natürlich haben wir einen Mann darauf angesetzt. Seine Berichte deuten an, Basmond sei trotz seines schwachen Auftritts an der Universität zum Erfinder geworden. Hat anscheinend eine ausserordentliche Entdeckung gemacht und beschlossen, sie relativ geheimzuhalten, und mit Sicherheit hat er vier Millionäre zu einer privaten Auktion nach Basmond Park eingeladen – drei davon sind Ausländer, möchte ich hinzufügen.“
„Er hat also vor zu verkaufen“, warf Lady Beatrice ein. „Was immer es sein mag, und er glaubt, er könne sehr viel Geld damit verdienen.“
„So ist es“, sagte Greene. „Der neueste Bericht unseres Spiones ist überfällig. Das und die Nachricht von der Versteigerung, die wir aus anderer Quelle erhielten, haben uns alarmiert. Wir müssen eingreifen. Glücklicherweise hat uns Basmond dazu eine Gelegenheit geboten. Allerdings wird ... äh ... anstössiges Benehmen erforderlich sein.“
„Darum kommen Sie zu uns“, lächelte Mrs. Corvey ironisch.
„Mut wird auch gefragt sein, und ein scharfer Verstand“, fügte Mr. Greene hinzu und errötete wieder. „Basmond hat eine Anfrage an ein bekanntes Etablissement geschickt, in der er vier ... äh ... Mädchen zur Unterhaltung seiner Gäste bestellt. Diesen Brief haben wir abgefangen. Wir benötigen vier Freiwillige aus den Reihen Ihrer Damen, Mrs. Corvey, die sich der Angelegenheit annehmen.“
„Was sollen wir denn tun, ausser die Millionäre zu bedienen?“, erkundigte sich Lady Beatrice. Greene hustete.
„Sie verstehen, es ist rein freiwillig – aber wir wollen wissen, welche Erfindung so teuer sein könnte, dass man Millionäre einladen muss. Berührt sie die nationale Sicherheit? Wir müssen ausserdem wissen, was aus unserem eingeschleusten Agenten geworden ist.“
„Wir helfen Ihnen gerne weiter“, sagte Mrs. Corvey mit einer hoheitsvollen Geste.
„Wir wären Ihnen zu Dank verpflichtet.“ Greene erhob sich, verbeugte sich und reichte ihr die Akte zu dem Fall. „Hier finden Sie alle Einzelheiten. Kontakt über die übliche Frequenz. Ich lege die Sache in Ihre kompetenten Hände.“
Er wandte sich zum Gehen und zuckte jäh wieder herum. Sein Antlitz war dunkelrot verfärbt, als er Lady Beatrices Hand ergriff und nach einem Moment der Unschlüssigkeit linkisch schüttelte.
„Gott segne Sie, meine Liebe“, platzte es aus ihm heraus. „Als erste freiwillig gemeldet. Sie machen Ihrem Vater Ehre.“ Er floh aus dem Empfangsraum, und einen Augenblick später hörten sie, wie der Aufsteigende Raum sich in Bewegung setzte.
„Muss ich davon ausgehen, dass wir in Gefahr geraten könnten?“, fragte Lady Beatrice.
„Natürlich, meine Liebe“, entgegnete Mrs. Corvey, die bereits das Schriftstückbündel aufgeschlagen hatte und den Inhalt studierte. „Aber im Ernst – welche Hure tut das nicht?“
„Arbeiten wir häufiger auf diese Weise?“
„Das tun wir.“ Mrs. Corvey blickte mit einem leisen Lächeln zu ihr auf. „Schliesslich sind wir keine gewöhnlichen Huren.“