Kapitel 5
In welchem wir geniale Geräte kennenlernen.
Der Empfangsraum war um einiges grösser als ein Privatgemach, mit edler, alter, dunkler Wandvertäfelung aus Holz und einem dicken Teppich. Weitere De-la-Rue-Lampen hinter gefärbten Glasscheiben beleuchteten ihn. Ein Herr mittleren Alters hatte bereits Hut und Mantel abgelegt und aufgehängt sowie seine Hemdsärmel hochgerollt. Er sass auf der Kante eines Diwans und wühlte mit vorgebeugtem Oberkörper in einem offenen, kleinen Koffer. Als sie eintraten, sprang er auf.
„Mr. Felmouth“, sagte Mrs. Corvey und streckte ihm die Hand entgegen.
„Mrs. Corvey!“ Mr. Felmouth verbeugte sich, ergriff die dargebotene Hand und küsste sie.
„Darf ich unsere neue Schwester vorstellen? Lady Beatrice. Lady Beatrice, das ist Mr. Felmouth von der Spekulativen Gesellschaft. Er ist einer ihrer geschicktesten Handwerker.“
„Wie ist das werte Befinden?“
„Erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Ma’am“, sagte Mr. Felmouth leicht stammelnd. Er hustete, errötete und zupfte unsicher an seinen hochgekrempelten Ärmeln. „Ich hoffe, Sie werden meinen Aufzug entschuldigen, meine Liebe – man verliert sich so schnell in seiner Arbeit.“
„Bitte setzen Sie sich“, sagte Mrs. Corvey und liess sich nieder. In diesem Moment erklang ein Glöckchen, und eine bisher unsichtbare Tür in den Wandpaneelen schwang auf. Ein Paar züchtig gekleideter Dienstmädchen brachte den Tee und den Imbiss und richtete beides auf einem Tischchen neben Mrs. Corveys Stuhl an, ehe es sich durch dieselbe Tür wieder zurückzog. Man goss Tee ein und machte höfliche Konversation über Alltagsthemen, während Mr. Felmouths Blick immer wieder von Lady Beatrice über sein offenes Köfferchen am Boden zu Mrs. Corvey und wieder zurück wanderte.
Schliesslich stellte er seine Tasse und Untertasse zur Seite. „Köstliche Stärkung. Meine Empfehlung an Ihr Personal, Ma’am. Nun muss ich fragen – wie kommen Sie mit der momentanen Optik zurecht, meine Liebe?“
„Sehr gut“, sagte Mrs. Corvey. „Ich habe ganz besondere Freude an der Teleskopfunktion. Sehr nützlich am Meer, wobei man natürlich aufpassen muss, nicht beobachtet zu werden.“
„Natürlich. Ist das Implantat weiterhin bequem? Keine Reizung?“
„In letzter Zeit nicht, Mr. Felmouth.“
„Sehr gut. Freut mich zu hören.“ Felmouth rieb sich die Hände. „Ich habe jedoch mit der einen oder anderen Verbesserung experimentiert ... darf ich es Ihnen vorführen?“
„Aber ja, Mr. Felmouth.“
Er stürzte sich sofort in sein Köfferchen und zog ein lederüberzogenes Kästchen hervor, das in etwa die Grösse eines Brillenetuis hatte. Mit grosser Geste öffnete er es. Lady Beatrice sah ein Paar optischer Geräte vor sich, das jenem glich, das zum Vorschein kam, wenn Mrs. Corvey die Augengläser abnahm, was sie nun auch tat. Unwillkürlich wandte Lady Beatrice den Blick ab, sah aber wieder hin, als Felmouth Mrs. Corvey das Kästchen reichte.
„Sie werden merken, Ma’am, die hier sind um einiges leichter. Mr. Stubblefield in der Herstellung hat eine neue Legierung entdeckt“, sagte Mr. Felmouth, während er eine Tasche mit kleinem Werkzeugen aufrollte. Mrs. Corveys Optik fuhr mit einem Sirren aus, als sie das neue Modell untersuchte.
„Ja, in der Tat, Mr. Felmouth, sie sind leichter und wirken komplizierter.“
„Ah! Das liegt daran, dass ... wenn ich kurz ...“ Felmouth beugte sich vor, setzte einen kleinen Schraubenzieher an Mrs. Corveys alte Optik und ging gedankenversunken ans Werk. Lady Beatrice brachte es nicht über sich, zuzusehen, wie er die optischen Geräte ausbaute. „Es liegt daran, dass wir sie deutlich verbessert haben, zumindest hoffe ich das. Nun ... entschuldigen Sie bitte, Ma’am, die Blindheit ist nur kurzfristig ... ich werde schnell das neue Paar einsetzen und hoffe, das Ergebnis gefällt Ihnen.“
Lady Beatrice zwang sich aufzublicken und sah, wie Mrs. Corvey geduldig wartete, während Felmouth die neue Optik in ihr Gesicht einsetzte.
„Da“, sagte Mrs. Corvey schliesslich, „ich kann wieder sehen.“
„Famos“, sagte Felmouth, während er die letzte Schraube festzog. Er lehnte sich zurück. „Ich hoffe, Sie finden sie bequem?“
„Durchaus“, sagte Mrs. Corvey und drehte den Kopf hin und her. „Oh!“ Die Teleskopoptik fuhr aus, gut fünf Zentimeter weiter als das vorherige Modell und mit einem deutlich leiseren Sirren. „Oh ja, das ist deutlich besser!“
„Ich dachte, Sie könnten so tun, als handle es sich um ein Opernglas, wenn Sie die Hände bei voller Ausnutzung des Teleskops darum legen“, sagte Felmouth. „Bitte lassen Sie mich jedoch die eigentliche Verbesserung vorführen.“
Er erhob sich, ging zur nächstgelegenen Lampe und schaltete sie durch die Drehung eines Schlüssels an ihrem Fuss aus. Dies wiederholte er mit allen Lampen im Raum. Nach der letzten befanden sie sich in geradezu stygischer Finsternis. Felmouth Stimme erklang aus dem Dunkel.
„Ma’am, wenn Sie nun die linke Linsenhalterung um drei Viertels drehen würden?“
Lady Beatrice hörte ein leises Klicken und dann einen entzückten Aufschrei Mrs. Corveys.
„Mein Gott, der Raum ist ja ganz hell! Auch wenn alles irgendwie so grün aussieht. Muss es das?“
„Das ist die Auswirkung des Filters“, sagte Felmouth zufrieden, während er die Lampe wieder anschaltete. „Aber ich denke, es war hell genug, um lesen zu können? Ja, das war meine Absicht. Wir werden es natürlich weiter verbessern, aber schon jetzt kann ich mit Fug und Recht versichern, dass Sie keinen Augenblick mehr in Finsternis ausharren müssen, es sei denn, Sie wollen es.“
„Das wird uns so nützlich sein“, freute sich Mrs. Corvey. „Kompliment, Mr. Felmouth – und bitte geben Sie meinen Dank an die anderen Herren in der Herstellung weiter.“
„Natürlich. Wie der Zufall so will, habe ich noch ein, zwei andere Gegenstände dabei“, sagte Felmouth, während er der Reihe nach alle Lampen wieder anschaltete. Er setzte sich erneut, griff in seinen Koffer und zog etwas hervor, das wie ein Medaillon aussah. „Da haben wir es schon!“
Er hielt es hoch, so dass sie es ansehen konnten. „Nun, meine Damen, würden Sie nicht auch sagen, dass es sich um ein ganz normales Schmuckstück handelt?“ Lady Beatrice sah es sich aus nächster Nähe an. Mrs. Corvey fuhr nur ihre Teleskopaugen aus.
„Da würde ich zustimmen“, sagte Lady Beatrice. Felmouth hob den Zeigefinger, so dass sie das kleine Loch an der Seite des Medaillons und gut einen Zentimeter darunter eine Wölbung erkennen konnten.
„In der Tat nicht, meine Damen. Dies ist vielmehr zweifellos das letzte Wort in Sachen Miniaturisierung. Sehen Sie.“ Er öffnete es und zeigte ein winziges Portrait darin. Mr. Felmouth öffnete mit dem Daumen eine Verriegelung, und das Portrait klappte auf, so dass man das Fach darunter sehen konnte, in dem sich ein winziges Stahlrohr mit Abzugsmechanismus befand. „Eine Pistole! Der Abzug ist diese Erhöhung unter dem Lauf. Halten Sie sie so – zielen und Feuer. Allerdings empfehle ich für durchschlagende Ergebnisse einen Schuss aus nächster Nähe, wenn es denn geht.“
„Genial, muss ich sagen“, sagte Mrs. Corvey. Leicht entschuldigend fügte sie an Lady Beatrice gewandt hinzu: „Gelegentlich kommen wir in die Lage, uns selbst verteidigen zu müssen, wissen Sie.“
„Aber die Kugel ist doch zu klein, um nennenswerten Schaden anrichten zu können“, warf diese ein.
„Sollte man glauben“, entgegnete Felmouth. Er zog eine Munitionsschachtel von der Grösse einer Pillendose heraus und öffnete sie, so dass man das Dutzend winziger Patronen sehen konnte; daneben lag eine Pinzette zum Laden. „Nicht grösser als Fliegen, nicht wahr? Jedoch ... sie explodieren eins Komma drei Sekunden, nachdem sie getroffen haben. Die Kraft liegt bei unter einem Viertel eines Knallfroschs zur Guy-Fawkes-Nacht, aber wenn sich die Kugel zu diesem Zeitpunkt in Hirn oder Herz befindet, sollte sie den Angreifer fällen.“
„Ich würde meinem Angreifer ins Ohr schiessen“, überlegte Lady Beatrice. „Es gäbe keine Eintrittswunde, und jeder würde glauben, der Mann sei einem Hirnschlag zum Opfer gefallen.“
Mrs. Corvey und Mr. Felmouth starrten sie an. „Ich sehe, meine Liebe, Sie neigen nicht zur Mimosenhaftigkeit“, sagte Mrs. Corvey schliesslich. „Sie werden hervorragend zurechtkommen.“
Die Misses Devere kamen traurig in den Empfangsraum spaziert. Sie waren als Puppe, der Gestiefelte Kater und ein Harlekin verkleidet. „Unser Vier-Uhr-Herr hat eine Nachricht geschickt, in der er mitteilt, er sei unabkömmlich und könne erst morgen kommen“, sagte Jane, „und wir bekommen den Haken am Rücken von Doras Kostüm nicht auf. Lady Beatrice, würden Sie mal schauen, was Sie ausrichten können? Oh! Hallo, Mr. Felmouth!” Jane hüpfte durch den Raum und setzte sich auf Mr. Felmouths Knie. „Hast du uns Spielzeug mitgebracht, lieber Weihnachtsmann?“
Mr. Felmouth, der sehr rot angelaufen war, brauchte einen Augenblick, ehe es ihm gelang zu stammeln: „Äh ... ja, zufällig habe ich noch ein oder zwei weitere Stücke. Ähem! Wenn Sie erlauben ...“ Er zog sein Köfferchen heran und entnahm ihm zwei Pappscheiben mit Knöpfen darauf, wie man sie aus dem Kurzwarenladen kennt. Jedes Kartonstück trug etwa ein Dutzend Knöpfe. Die einen wirkten wie aus Perlmutt, die anderen wie bernsteinfarbenes Glas.
„Das Mittel der Wahl bei unangenehmen Kunden.“ Mr. Felmouth hob die Perlmuttknöpfe hoch. „Nähen Sie sie an ein Kleidungsstück, und sie unterscheiden sich nicht von normalen Knöpfen. Allerdings handelt es sich in Wahrheit um ein starkes Betäubungsmittel in einer Zuckerhülle. Lassen Sie einen in ein Glas Portwein oder ein anderes Getränk fallen, und er löst sich binnen Sekunden auf. Jeder Herr, der das Glas austrinkt, fällt innerhalb von Minuten in einen tiefen Schlaf.“
„Was ist mit den Bernsteinknöpfen?“, wollte Lady Beatrice wissen, während sie den Verschluss am Rücken des Gestiefelten Katers bearbeitete.
„Ah! Die sind wirklich nützlich. Ein Knopf, aufgelöst im Getränk eines Mannes, verursacht einen Zustand treudoofer Redseligkeit. Wenn Sie ihn sanft befragen, wird er Ihnen alles sagen, was Sie wissen wollen. Nicht immer die Wahrheit, aber ich vertraue auf Ihr Urteilsvermögen. Wenn die Wirkung der Droge nachlässt, hat er keinerlei Erinnerungen mehr an das Ereignis.“ Felmouth reichte Mrs. Corvey die Pappen.
„Brillant!” sagte diese.
„Oh, würden die bernsteinfarbenen nicht entzückend auf meinem gelben Satinkleid aussehen?” rief Dora, just als das Oberteil ihres Kostüms aufsprang, da Lady Beatrice endlich ihr Haar aus dem Verschluss befreit hatte. Felmouth hustete und wandte den Blick ab.
„Das würden sie, meine Liebe, aber sie sollten wirklich an Miss Rendlesham gehen. Sie kann am meisten damit erreichen“, widersprach Mrs. Corvey. Dora schmollte.
„Lieber Mr. Felmouth, können Sie noch weitere davon in verschiedenen Farben herstellen? Miss Rendlesham trägt nie gelb.“ Dora beugte sich vor und kraulte Mr. Felmouth mit ihrer tatzenbehandschuhten Hand unterm Kinn. „Bitte, Mr. Felmouth? Die Mieze fängt Ihnen auch einen schönen Fisch.”
„Das – äh – sollte durchaus möglich sein“, antwortete Mr. Felmouth, der etwas ausser Atem war. „Ich bin sicher, nichts wäre leichter als das. Ja. Sie können auf mich zählen.“
„Wie immer, Mr. Felmouth“, sagte Mrs. Corvey.