43
 
»Der arme Henry, so schnell abreisen zu müssen. Ich finde es sehr selbstsüchtig von Pamela, darauf zu bestehen, dass er seine Ferien abbricht«, ereiferte sich Beth in missbilligendem Tonfall, doch Amber sagte kein Wort.
Ihr war vollkommen gleichgültig, welchen Grund Henry seiner Schwester für seine überstürzte Abreise genannt hatte, sie war einfach froh, dass er weg war.
»Ich gehe jetzt besser«, sagte Beth gerade und erhob sich. Sie hatten sich auf der Terrasse eines exklusiven Hotels in Juan-les-Pins zum Mittagessen getroffen.
Einige Männer – Franzosen und Deutsche, der Sprache nach zu urteilen – wurden gerade an einen Tisch in der Nähe geführt. Sie warfen Amber bewundernde Blicke zu.
Ihr Kleid war aus einem selbst entworfenen Seidenstoff geschneidert, der eigentlich als Möbelstoff gedacht war. Es war rückenfrei, hatte eine schmale Taille und einen weiten Rock, auf dem das kühne tintenblau-weiße grafische Muster auf hellblauem Grund gut zur Geltung kam. Ein passendes Band hielt ihr Haar aus dem Gesicht, und ihre weißen Handschuhe bildeten einen schönen Kontrast zu ihrer goldenen Sonnenbräune.
Doch Amber wusste, dass es weder ihr Kleid noch die Sommerbräune waren, welche die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zogen. Es war etwas anderes, etwas, das für das menschliche Auge zwar unsichtbar, von anderen Sinnen aber leicht wahrnehmbar war: das Selbstvertrauen und die Freude, endlich wieder sie selbst zu sein, die Jean-Philippe ihr geschenkt hatte.
Seit er sie vor vier Nächten vor Henry gerettet hatte, hatte sie ihn nicht mehr gesehen, und merkwürdigerweise verspürte sie auch kein großes Bedürfnis danach. Wenn sie an ihn dachte, dann mit Zuneigung und Dankbarkeit und einer beinahe leuchtenden, stillen Freude. Gemeinsam mit ihm hatte sie einen Teil ihrer selbst wiederentdeckt, der ihr gefehlt hatte. Sie hatte ihre Sexualität wiedergefunden.
Wohin sie das letztlich führen würde, war nicht wichtig.Was zählte, war die Tatsache, dass sie Frieden mit ihr geschlossen hatte und sie sie nicht länger zu verdrängen und zu fürchten brauchte.
Sie spürte, wie das männliche Interesse ihr folgte, als sie und Beth die Terrasse verließen.Vor dem Hotel küssten sie sich zum Abschied, und dann ging jede ihrer Wege.
Es war ein heißer Tag, die Hitze lag wie ein lebendiger Dunst über allem, strich einem über die Haut und raunte einem sinnliche Botschaften zu. Man konnte ihr nicht entrinnen, sie durchdrang alle Sinne und bemächtigte sich sämtlicher Gedanken.
Amber ging hinunter zum Hafen, wo Roberts Jacht bewegungslos vor Anker lag, denn ihr war eingefallen, dass sie in ihrer Kabine an Bord ein Buch liegen gelassen hatte, das sie zu Ende lesen wollte. Sie ging die Gangway hinauf und betrat das Schiff. Das Deck lag verlassen. Robert hatte davon gesprochen, dass er der Crew freigeben wollte, und so ging sie den Niedergang hinunter unter Deck.
Roberts und ihre Kabine lagen nebeneinander und waren durch eine Tür miteinander verbunden. Die Tür stand offen, deswegen hörte sie die Laute, die aus Roberts Kabine drangen – ein qualvolles, keuchendes Schluchzen. Sie war zur Tür geeilt, ehe sie die Laute eingeordnet hatte.
Der Anblick, der sich ihr bot, ließ sie zurückschrecken: Robert kauerte nackt auf dem Bett, während Otto ihn von hinten mit einem Dildo bearbeitete und dabei offenbar so heftig zustieß, dass Robert vor Schmerz aufschrie.
Es stand nicht zu befürchten, dass sie entdeckt wurde, denn die beiden hatten nur Augen für das, was sie miteinander trieben. Trotzdem trat sie sofort zurück und eilte zurück an Deck. Wie konnte Robert sich nur so behandeln lassen? Da es so rasch auf die freudige Wiederentdeckung ihrer eigenen Sexualität gefolgt war, kam ihr dieses Schauspiel besonders brutal und abstoßend vor.
Irgendwie hatte sie angenommen, Männer wünschten sich bei ihrem Liebesspiel dieselbe Zärtlichkeit und gegenseitige Rücksichtnahme, auf die sie solchen Wert legte. Es war kaum vorstellbar, dass Robert mit seinem Charme, seiner Eleganz, seinem guten Aussehen und seinem freundlichen Naturell eine sexuelle Beziehung einging, in der er grausam behandelt und erniedrigt wurde. Allein die Vorstellung tat ihr weh. Zwar brachte sie ihm keine erotischen Gefühle mehr entgegen, doch sie liebte ihn mit zärtlicher Fürsorglichkeit.
Otto habe sich verändert, hatte Robert behauptet, als Amber ihn gebeten hatte, sich vorzusehen und Ottos früheres Verhalten nicht zu vergessen. Sie war geneigt gewesen, Robert zuzustimmen. Während ihres Aufenthalts in Südfrankreich hatte sein Verhalten Robert gegenüber in der Öffentlichkeit in nichts auf die Brutalität hingedeutet, deren Zeugin sie eben geworden war
Und Robert war weder gefesselt noch irgendwo festgebunden gewesen, was ja wohl bedeutete, dass er sich Ottos Misshandlungen freiwillig unterwarf.
Amber stand an Deck der Jacht im warmen Sonnenschein und schauderte; sie dachte an Henrys gewalttätigen Übergriff. Kalter Schweiß stand ihr auf der Haut, und sie fröstelte. Während sie unsicher die Gangway hinuntertaumelte, erfasste sie ein heftiger Schwindel, als könnte sie jeden Augenblick in Ohnmacht fallen.
»Amber, geht es dir gut?«
»Jean-Philippe.«
Er hatte sie vom Hafen aus gesehen, wo er in einer schattigen Bar bei einem Glas Pernod gesessen und entspannt hatte, nachdem er die letzten vier Tage mit einer bis dato unbekannten Intensität und Besessenheit gemalt hatte. Irene war fuchsteufelswild gewesen, als er nach vier Tagen Abwesenheit zurückgekehrt war, und hatte angedroht, ihn hinauszuwerfen. Das würde sie natürlich nicht tun, doch diesmal hatte er die Zeit nicht wie sonst mit einer anderen Frau verbracht. Nachdem er Amber verlassen hatte, war er direkt nach Mougins gefahren und hatte einen seiner Freunde dort gebeten, sein Atelier benutzen zu dürfen, und dann hatte er gearbeitet, als wäre ihm Gevatter Tod höchstpersönlich auf den Fersen.
Die Tochter des Seidenhändlers hatte das väterliche Gewerbe inzwischen erobert, war Geliebte und Meisterin der Seide geworden. Keine war ohne die andere vollkommen, doch gemeinsam erschufen sie eine Aura machtvoller Sinnlichkeit. Er hatte sie von schimmerndem goldenem Licht umgeben gemalt, das durch ein Fenster hinter ihr hereinströmte, ihre Schönheit zum Leuchten brachte und den bernsteinfarbenen Stoff über ihrem Herzen streichelte. Gleichzeitig strahlte Licht aus ihrem Herzen und goss seinen Zauber über den Stoff. Während sie durch die Reinheit und Schönheit ihres Herzens auf die bernsteinfarbene Seide blickte und sie zum Leuchten brachte, lauerte im Schatten eine düstere Gestalt. Dort, wo ihr Blick auf den Seidenstoff traf, wirkte er leblos, matt und stumpf.
Nur ein menschliches Herz, das zu lieben verstand, konnte die Seide erstrahlen lassen und zum Leben erwecken.
Dies war das beste Bild, das er jemals gemalt hatte. Besser noch als seine geliebte Tochter des Seidenhändlers.
»Was ist los?«, fragte er Amber.
»Nichts«, begann sie und unterbrach sich dann. »Robert ist mit Otto auf der Jacht.«
Sie wusste nicht, warum sie es Jean-Philippe gegenüber erwähnte, doch seine Miene sagte ihr, dass er verstand, was sie meinte. »Komm, ich bringe dich zurück zur Villa.«
»Ich hatte ja keine Ahnung«, sagte sie unsicher.
»Was mit deinem Mann los ist?«
»Nein, das weiß ich natürlich, aber ich habe nicht gewusst … mir war nicht klar … ich hätte nicht gedacht, dass er sich so behandeln lässt.«
Sie zitterte so heftig, dass sie sich nicht wehrte, als Jean-Philippe stützend den Arm um sie legte.
»Otto hat ihm wehgetan, Jean-Phi lippe, richtig wehgetan.« Natürlich hätte sie weder mit Jean-Philippe noch mit sonst jemandem darüber reden dürfen, aber sie konnte die Worte einfach nicht zurückhalten.
»Manche Leute brauchen genau das – Männer wie Frauen«, erklärte er ihr ruhig.
»Aber körperlichen Schmerz empfinden zu wollen …«
Jean-Philippes Miene verriet, dass er ihre Erschütterung nicht teilte. Amber musste sich eingestehen, dass sie wohl naiver war, als sie gedacht hatte.
»Komm«, sagte Jean-Philippe und zog sie fester an sich. »Wenn du erst einmal aus der Sonne bist, fühlst du dich bestimmt bald besser.«
 
Im Haus war es kühl und still. Gladys hatte Luc zu einer Geburtstagsfeier gebracht, welche für das kleine französische Mädchen veranstaltet wurde, das er am Strand kennengelernt hatte.
»Vielleicht kommt es dir besonders schlimm vor, weil es dich daran erinnert, was Henry dir antun wollte.«
»Ja«, stimmte Amber ihm zu und nippte an der Weinschorle, die Jean-Philippe ihr gereicht hatte.
Sie saßen im Salon, doch als Jean-Philippe sie leichthin fragte: »Möchtest du, dass ich bleibe?«, wusste sie genau, was er damit meinte. Sie nickte rasch und zitterte, als er ihr das Weinglas abnahm und die Tür öffnete.
Diesmal gingen sie zusammen die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer. Diesmal entkleidete sie auch ihn, während er sie entkleidete. Diesmal war ihr Körper willig und bereit. Diesmal übernahm sie selbst Verantwortung für ihr Vergnügen, statt es sich von ihm schenken zu lassen.
Und diesmal war die Freude nicht so überschäumend und dankbar, sondern gedämpfter.
Diesmal war es das letzte Mal, das wusste Amber, denn diesmal hatte sie Jay im Kopf. Sein am Morgen eingetroffener Brief war voller ungesagter Dinge gewesen, die dennoch den Weg in ihr Herz gefunden hatten.
Amber sah Jean-Philippe an, der neben ihr im Bett lag. Die Nachmittagssonne malte Streifen auf seinen nackten Körper.
Jean-Philippe hatte sie mit großer Zärtlichkeit und Leidenschaft geliebt. Körperlich hatte er sie befriedigt, sie fühlte sich träge und vom Liebesspiel gesättigt, doch ihre Seele hatten die intimen Berührungen nicht befriedigen können. Was sie miteinander getan hatten, war nicht machtvoll genug gewesen, um sie die schmerzliche Sehnsucht nach Jay und die tiefe innere Einsamkeit, die mit ihrer Liebe zu ihm Hand in Hand ging, vergessen zu lassen.
Sie war jetzt eine Frau, mit den komplexen emotionalen Ansprüchen einer Frau. Sie war aus der jungmädchenhaften Vorstellung herausgewachsen, einen Mann zu begehren bedeutete, ihn zu lieben.
Sie konnte sich auch nicht mehr einreden, sie könnte die Sehnsucht nach einem Mann mit körperlicher Leidenschaft für einen anderen Mann überdecken. Wenn sie sich durch Zauberhand in Jays Gegenwart hätte versetzen können, hätte eine winzige Berührung oder ein Lächeln ihre Sinne und Gefühle weitaus machtvoller erregen können als sämtliche mit Jean-Philippe geteilten Intimitäten. Auch wenn ihr Körper Befriedigung gefunden hatte, im Herzen dürstete es sie nach etwas, das sie nicht bekommen konnte.
»Amber, ich muss dir etwas sagen.«
Auch der Klang von Jean-Phi lippes Stimme erinnerte sie daran, wonach ihr Herz sich sehnte. »Dein Ehemann ist in großer Gefahr.«
In der Nacht zuvor hatte er zufällig eine Bemerkung zwischen Irenes Schwager und den anderen Deutschen aufgeschnappt, woraufhin er die ganze Unterhaltung belauscht hatte. Er hatte nicht unbedingt vorgehabt, es Amber zu erzählen; andererseits war seine Wahl auf eine Bar gefallen, die der Jacht ihres Gatten gegenüberlag, was bedeutete, dass er Amber höchstwahrscheinlich sehen würde und dann moralisch verpflichtet wäre, sie zu warnen.
Als sie Jean-Philippes Worte hörte, so unerwartet und erschreckend, begann Ambers Herz unbehaglich laut zu klopfen.
»Ich habe selbst gesehen, dass …«
»Non!«, unterbrach Jean-Philippe sie scharf. »Darum geht es nicht. Oder zumindest nicht so … Die Deutschen haben Robert eine Falle gestellt, und er ist direkt hineingetappt.«
»Die Deutschen? Das verstehe ich nicht.«
»Momentan führen die Deutschen einen Propagandafeldzug gegen alle, die ihren Plänen entgegentreten. In deinem Land gibt es Leute, die gegen diese Pläne sind.«
»Ja, allerdings«, stimmte Amber zu.
»Hitler verabscheut die Homosexualität«, fuhr Jean-Philippe fort. »Seiner Meinung nach ist sie das dekadenteste aller Laster und sollte hart bestraft werden. Sie wollen Roberts Homosexualität einsetzen, um ihn in Verruf zu bringen, und durch ihn auch dein Land und die herrschende Gesellschaftsschicht.«
Amber war besorgt. »Was meinst du damit?«
»Otto ist nicht homosexuell, aber man hat ihm gesagt, er müsse Robert in dem Glauben wiegen, er sei es. Dieses Wochenende will Otto Robert sagen, dass er nach Deutschland zurückmuss. Dein Mann wird ihn natürlich anflehen zu bleiben. Otto soll dann sagen, das ginge nicht, deinen Mann aber einladen, ihn nach Berlin zu begleiten. Robert ist so vernarrt in ihn, dass er sich das sicher nicht zweimal sagen lässt.«
Amber schluckte ihren Protest hinunter, schließlich hatte Jean-Philippe recht.
»Sobald Robert in Deutschland ist, wird man ihn mit Otto in einer kompromittierenden Situation erwischen und ihm mit Bloßstellung und Verurteilung vor einem deutschen Gericht drohen, ihm dann aber die Möglichkeit bieten, den Hals aus der Schlinge zu ziehen, indem er als deutscher Spion nach England zurückkehrt. Wenn Robert sich weigert, wird Hitler davon profitieren, indem er Robert als Homosexuellen bloßstellt, was bei euch ja auch strafbar ist. Und wenn Robert sich einverstanden erklärt, für Deutschland zu spionieren, dann …«
»Das würde Robert niemals tun!«
»Wenn Robert sich einverstanden erklärt und für Deutschland spioniert, kann Hitler ihn immer noch als Mitglied der britischen Aristokratie bloßstellen, das bereit war, sein Land zu verraten.«
»Woher willst du das alles wissen?«, fragte Amber. Das Ganze kam ihr so weit hergeholt und theatralisch vor, und doch verrieten Jean-Philippes Stimme und Miene, dass alles, was er erzählte, wahr war.
»Wie gesagt, durch Irene und ihren Schwager. Heinrich empfängt seine SS-Kumpane in der Villa. Ich soll von ihren Unterredungen natürlich nichts mitbekommen, aber Heinrich trinkt zu viel und ist indiskret.
Dein Ehemann wird in falscher Sicherheit gewiegt. Er glaubt, Otto erwidere seine Gefühle. Und sobald sie in Deutschland sind, wird Robert in eine intime Situation gelockt, und dann werden Hitlers Schergen zuschlagen, und dein Mann landet im Gefängnis.«
»Du setzt dein Leben aufs Spiel, um mir das zu erzählen.«
»Und du bist dir nicht sicher, ob du mir glauben und vertrauen kannst oder ob das, was ich dir erzähle, womöglich auch zu einem ausgeklügelten Komplott gehört?«, meinte Jean-Philippe.
»Schon gut«, beruhigte er sie, als er Ambers unbehaglichen Blick sah. »Du hast jedes Recht, dich das zu fragen, ich an deiner Stelle würde das auch tun. Eigentlich wollte ich es dir auch gar nicht erzählen, um da nicht mit hineingezogen zu werden, aber jetzt hat sich mein Gewissen geregt. Weißt du, ich mache mir etwas aus dir, auch wenn uns das beiden ungelegen kommt. Und dass ich mich in Gefahr bringe …«, er zuckte die Schultern, »… nun ja, in wenigen Tagen breche ich nach Spanien auf, um mich dort dem Freiheitskampf anzuschließen, mit dem Gedanken spiele ich schon eine ganze Weile.«
Und nach einem Drink mit dem Freund, dessen Atelier er hatte benutzen dürfen, hatte er sich am vorangegangenen Nachmittag endgültig dazu entschlossen.
»Wirklich? Du willst in den Bürgerkrieg ziehen?«
»Ja. Ein paar Freunde von mir sind schon dort, und es ist nur recht und billig, dass ich an ihrer Seite kämpfe.«
Amber sah, dass es ihm ernst war. Zudem hatte sie nicht das Recht, ihn von seinem Vorhaben abzuhalten. Oder gar nicht den Wunsch? Sie musste sich erst einmal um Robert kümmern. Robert, der laut Jean-Phi lippe in größter Gefahr schwebte.
»Das glaubt Robert doch nie, wenn ich ihm erzähle, was du mir gesagt hast. Er ist vollkommen vernarrt in Otto.«
»Deswegen musst du ihn umgehend von hier fortschaffen und nach England bringen, ohne Heinrich merken zu lassen, dass du von den Plänen erfahren hast.«
»Ich wüsste nicht, wie ich das anstellen sollte.«
»Dein Mann hat eine Jacht im Hafen liegen. Ich würde dir raten, ihn unter irgendeinemVorwand an Bord zu locken und dann den Kapitän anzuweisen, sofort nach England aufzubrechen.«
Wie um alles in der Welt sollte ihr das gelingen? Robert würde doch jede Anweisung von ihr sofort rückgängig machen.
Vielleicht konnte sie Beth und Alistair um Hilfe bitten? Würden sie ihr glauben? Nein, das war zu riskant, außerdem bezweifelte Amber, dass sie ihr helfen würden. An wen konnte sie sich wenden, der die Gefahr, in der Robert schwebte, nicht nur verstand, sondern auch gleich auf Abhilfe sinnen würde?
Sie konnte sich unmöglich offiziell an die Botschaft wenden. Homosexualität war strafbar, egal wie oft ein Auge zugedrückt wurde.
»Wenn du willst, helfe ich dir.«
Amber war erstaunt. »Du? Warum?«
»Weil ich es so will. Ich habe bei dir einiges wiedergutzumachen.«
Amber blickte ihn an und sah, dass es ihm ernst war. Sie konnte es sich nicht leisten, die angebotene Hilfe auszuschlagen.
»Also dann, ja, bitte. Ich möchte, dass du mir hilfst.«
»Bien. Dann lass uns mal überlegen. Je eher wir etwas unternehmen, desto besser.Vermutlich gehst du heute Abend auf die Gesellschaft des Maharadschas von Jaipur?«
Amber nickte.
»Sehr schön. Alors, leider wird es Robert im Verlauf des heutigen Abends dort schwindelig werden, was auf etwas zurückzuführen sein wird, was ich in seinen Drink gebe.«
Als er Ambers Miene sah, versicherte er ihr: »Keine Sorge, es wird ihm nicht weiter schaden. Ihm wird davon nur übel.«
»Aber woher weißt du das? Was willst du ihm denn …«
»Das darfst du getrost mir überlassen. Man bewegt sich nicht jahrelang in meinen Kreisen, ohne zumindest ein wenig von den Schattenseiten des Lebens mitzubekommen. Besteh du nur heute Abend darauf, dass ein Arzt gerufen wird. Zum Glück wird ein anderer Gast sich als genau das präsentieren – ich habe einen Freund in Mougins. Die Details sind nicht wichtig, nur so viel: Manche Künstler brauchen diese Substanzen, um ihre Kreativität zu beflügeln, und manche Ärzte sind bereit, sie ihnen zu besorgen, diskret und zu einem beträchtlichen Preis. Dieser Arzt wird auch die Ursache von Roberts Unwohlsein beisteuern.«
»Drogen?«, protestierte Amber ängstlich. »Ist das nicht gefährlich?«
»Nicht, wenn ein guter Arzt sie verabreicht. Du musst mir da einfach vertrauen, Amber. Der Arzt wird darauf bestehen, dass dein Ehemann in die Villa zurückkehrt, um zu ruhen. Er wird behaupten, dass Robert vermutlich zu viel Sonne abbekommen oder vielleicht etwas Unverträgliches gegessen hat.«
»Und wenn Robert sich weigert mitzukommen?«
»Das wird er nicht«, erwiderte Jean-Phi lippe schlicht und abschließend. »Der Arzt wird euch zum Wagen begleiten, der offiziell auf euch wartet, um euch zurück zur Villa zu bringen. Sobald ihr im Auto sitzt, wird der gute Doktor deinem Ehemann ein Sedativum verabreichen. Auch das wird ihm nicht schaden, er wird einfach nur einschlafen.
Auf der Jacht rufst du dann nach Hilfe, um deinen Mann an Bord tragen zu lassen. Du wirst dem Kapitän sagen, der Arzt hätte Anweisung gegeben, Robert nach Hause zurückzubringen. Während die Mannschaft die Jacht startklar macht, hast du genügend Zeit, zur Villa zu fahren und deinen Sohn zu holen.«
»Bist du dir sicher, dass Robert dabei nichts passiert? Ich will nicht …«
»Wenn er aufwacht, wird er schlimme Kopfschmerzen haben und vermutlich ziemlich wütend sein. Natürlich könntest du ihn auch seinem Schicksal überlassen und einfach allein abreisen.«
»Nein, das könnte ich niemals.« Nach allem, was sie Robert zu verdanken hatte, war das einfach undenkbar; außerdem musste sie an Luc denken, der seinen Vater anbetete. »Die Deutschen werden wissen, dass du uns geholfen hast.«
»Das spielt keine Rolle. Ich habe schon alle Vorkehrungen für meine Abreise nach Spanien getroffen.« Jean-Philippe unterbrach sich und sagte dann düster: »Ich bin überzeugt, dass Hitler sich nicht besänftigen lässt und dass die, die es versuchen, es hinterher bereuen.«
Konnte sie ein solches Ränkespiel einfädeln? Wollte sie das Wagnis eingehen? Es war ein großes Risiko. So viel konnte schiefgehen. Aber wenn sie nichts tat und Jean-Philippe recht hatte, würde es für Robert schreckliche Konsequenzen haben.
»Also schön«, sagte sie zu Jean-Philippe. »Du wirst Geld brauchen – für den Arzt.«
Jetzt, da sie sich entschieden hatte, konzentrierte sie sich ganz auf die praktischen Aspekte. Sie würde dafür sorgen müssen, dass die Jacht genügend Vorräte mitführte – vielleicht konnte sie sowohl Robert als auch dem Kapitän sagen, sie überlege, für ein paar Freunde eine kleine Kreuzfahrt zu veranstalten. Auf die Art konnte sie auch Anweisung geben, dass zumindest ein Teil von ihren und Lucs Kleidern zusammengepackt wurde.
Wenn sie erst einmal in England waren, konnte sie die Dienstboten damit beauftragen, das Haus zu schließen und ihnen nach England zu folgen.
»Und bei dem Arzt bist du dir ganz sicher?«, fragte sie Jean-Philippe noch einmal.
»Ja.« Jean-Philippe umfasste ihre Oberarme, und seine Hände hoben sich dunkel von ihrer zart getönten Haut ab. Sein Griff war fest und beruhigend. »Du musst mir in diesem Punkt einfach vertrauen, Amber.«
 
Robert war in einem Rausch der Wollust. Nach den langen Stunden, Tagen und Wochen, in denen er Otto seine Liebe zu Füßen gelegt hatte, erlaubte sein junger Geliebter ihm nun endlich, ihn in die Freuden der Liebe einzuweihen.
Sie lagen nackt auf dem großen Doppelbett in Roberts Kabine, während die Jacht sacht im Hafen schaukelte. Robert streckte den Arm aus und wagte kaum zu atmen. Die linke Hand schob er unter Ottos Hodensack und hob ihn an, während sich die Finger der Rechten um Ottos Glied schlossen. Er wusste, welchen Genuss dies einem Mann bereiten konnte.
»Ja …«, flüsterte Robert heiser, »und wenn du erst meine Zunge zu spüren bekommst, wird es für uns beide schier unerträglich, das verspreche ich dir.« Sein eigener Körper platzte schier vor Begierde. Er bewegte die Hände rascher, massierte Ottos Glied mit festen, rhythmischen Bewegungen.
Ottos harscher, keuchender Atem klang ihm wie jubelnde Musik in den Ohren. Der geliebte Mann gab sich ihm endlich hin und erlaubte ihm, ihm Genuss zu verschaffen.
Er hörte Otto aufschreien – ein gequälter, wilder Schrei, der seine eigene Erregung steigerte. Robert gab Ottos Hoden frei und schob ihm einen, dann zwei Finger in den Anus.
Otto stöhnte, schlug um sich, drängte Roberts Fingern entgegen, sein pralles Glied immer noch in Roberts Händen. Robert hörte, wie Otto aufkeuchte und die Muskeln anspannte, und beugte sich über ihn, um seinen Samen zu empfangen. Sein Geliebter, sein Liebhaber. Jetzt und immerdar.Wenn nötig, würde er Otto bis ans Ende der Welt folgen und noch weiter.
 
Amber fühlte sich schrecklich. Robert war prächtiger Stimmung, war anscheinend nicht im Mindesten verstört von dem Akt, den sie zufällig beobachtet hatte. Als sie abends die Treppe herunterkam, drehte er sich mit einem heiteren und gelösten Lächeln zu ihr um. Tat sie das Richtige? Vielleicht täuschte Jean-Philippe sich? Vielleicht sollte sie noch abwarten, nur um sicherzugehen.Was war, wenn Jean-Phi lippe sie absichtlich belogen hatte? Konnte sie ihm wirklich trauen?
»Wen willst du denn auf deine kleine Kreuzfahrt einladen?«, erkundigte Robert sich, als sie das Haus verließen.
»Die Gästeliste steht noch nicht endgültig fest.«
Ob er merkte, wie unbehaglich ihr zumute war? War er misstrauisch? Amber klopfte das Herz bis zum Hals. Die ganze Sache widerstrebte ihr zutiefst.Wäre doch noch jemand anders da gewesen, mit dem sie darüber hätte sprechen können. Doch Cecil hatte Frankreich schon verlassen.
Es war ein herrlicher Abend, die Luft war lau und weich, doch als sie aus dem Wagen stiegen, begann Amber zu zittern. Zum Glück fiel es Robert nicht weiter auf.
Sobald sie die offizielle Begrüßung hinter sich hatten, gesellte Robert sich schnurstracks der Gruppe um die von Ribbentrops zu.
Amber atmete erleichtert auf, als sie sah, dass Jean-Phi lippe bereits da war, obwohl er nicht versuchte, sie zu begrüßen. Stattdessen unterhielt er sich mit der Frau eines deutschen Botschaftsvertreters. Alles musste nach Plan laufen.
 
Robert sah sich besorgt nach Otto um. Eigentlich hatte er ihn hier erwartet. Die Deutschen kamen immer ziemlich früh.
»Sie suchen nach von Brecht?«, fragte Heinrich, Gräfin Irenes Schwager.
»Normalerweise gehört er zu Ihrem Kreis«, erwiderte Robert betont lässig.
»Ja, in der Tat. Aber heute Abend hat er sich entschuldigen lassen.« Heinrich blinzelte Robert zu. »Er hat keinen Grund genannt, aber ich habe den Verdacht, dass da ein Fräulein im Spiel ist, schließlich ist er ein junger Mann.«
Schmerzhaft bohrte sich die Eifersucht in Roberts Herz; je mehr er sich dagegen wehrte, desto schlimmer quälte sie ihn. Vor seinem inneren Auge sah er Otto, wie er nackt bei jemand anderem lag. Ihn überkam ein brennendes Verlangen. Wo war Otto? Wo er auch war, Robert würde ihn finden und ihn anflehen, ihn zu lieben, nur ihn, niemanden sonst.
Er stellte das leere Glas ab und nahm sich von dem Tablett eines Kellners ein neues.
»Otto ist nicht da. Ich muss ihn suchen gehen«, sagte er leise zu Amber.
Robert wollte weggehen? Panisch sah Amber sich nach Jean-Philippe um. Er war immer noch mit der Deutschen ins Gespräch vertieft. Verzweiflung ergriff sie. In diesem Moment blickte Jean-Philippe auf, als hätte er ihre Angst gespürt.
»Bitte entschuldigen Sie uns«, Amber rang sich ein Lächeln ab und hoffte, dass ihre Worte Jean-Philippe erreichen würden, »aber Robert und ich müssen gehen.«
Robert war nicht im Geringsten erfreut. »Für dich besteht kein Anlass, schon zu gehen, Amber.« Er hatte sein Glas auf einem Tisch abgestellt, und Jean-Philippe war so schnell und geschickt, dass Amber sich nicht einmal sicher war, ob er das Pulver tatsächlich in Roberts Glas geschüttet hatte.
Robert wandte sich von ihr ab. Er wollte aufbrechen, ohne sein Glas ausgetrunken zu haben. Amber hielt es ihm hin.Wortlos nahm er ihr das Glas aus der Hand, stürzte den Inhalt hinunter und wandte sich zum Gehen.
Er kam nicht einmal bis zur Tür. Abrupt hielt er inne, schwankte und drehte sich zu ihr um.
Jean-Philippe war als Erster bei ihm und fragte laut: »Ist ein Arzt anwesend?«, während Robert sich schon krümmte. Sein Gesicht war grau und schweißnass, doch er beharrte darauf, es ginge ihm gut.
Ein kleiner, rundlicher Mann mit schütterem Haar, rosinendunklen Augen und fahlem Teint war herbeigeeilt und schnalzte kopfschüttelnd mit der Zunge.
»Hat er Muscheln gegessen, Madame, wissen Sie das? Wir hatten diese Woche schon einige Fälle von Lebensmittelvergiftung.«
»Oh … ja, ich glaube schon«, bestätigte Amber, während Robert zu protestieren versuchte, er habe keine Muscheln gegessen.
»Ich lasse Ihren Wagen vorfahren«, erbot sich Jean-Phi lippe.
»Würden Sie uns begleiten, Doktor?«, fragte Amber, bemüht, sich an ihre Rolle zu halten. »Ich mache mir solche Sorgen um meinen Gatten. Er sieht wirklich krank aus.«
Das zumindest entsprach der Wahrheit.
»Mais oui, Madame«, versicherte der Arzt ihr.
»Es tut mir schrecklich leid.« Amber trat zu den von Ribbentrops, um sich zu entschuldigen. »Der Arzt scheint zu glauben, dass Robert an einer Art Lebensmittelvergiftung leidet. Ich bringe ihn zur Villa zurück. Zum Glück meint der Arzt, dass es nichts Langwieriges sein wird.«
»Wenn einer von uns Sie begleiten soll …«, bot Heinrich an.
Bildete sie es sich nur ein, oder wirkte er wirklich misstrauisch?
»Das ist sehr nett von Ihnen, aber es ist nicht nötig. Der Arzt begleitet uns.«
Gräfin Irene kam ihr ganz unerwartet zu Hilfe. »Meine Güte, Heinrich, nun verdirb doch nicht allen den Abend. Es ist nichts als eine kleine Lebensmittelvergiftung.«
Robert wollte nicht, dass der Arzt sie begleitete. Er wollte, wie er Amber unmissverständlich klarmachte, in Ruhe gelassen werden, damit er Otto suchen gehen konnte.
Irgendwann, bevor man ihm in den Wagen geholfen hatte, hatte man Robert die Smokingjacke ausgezogen. Zweifellos Jean-Philippes Werk, dachte Amber. Der Arzt ignorierte Roberts Proteste und bat Amber, einen Manschettenknopf zu entfernen, während er Roberts Arm festhielt.
Sie fühlte sich schrecklich, aber es war schließlich zu Roberts Bestem – oder?
»Und wenn Sie mir jetzt noch hierbei helfen würden …«
Robert wollte sich wehren, doch die Droge in seinem Drink hatte ihn so geschwächt, dass er nicht viel ausrichten konnte. Und so band ihm der Arzt den Oberarm ab und bat Amber dann, ihn festzuhalten.
»Monsieur, ich fürchte, dass Sie heute Abend gar nichts mehr tun werden«, meinte der Arzt munter, holte eine Spritze aus seiner Tasche und stach sie ihm in den Arm.
»Was zum Teu…«
»Hervorragend!« Der Arzt strahlte, als Robert das Bewusstsein verlor, bevor er den Satz vollenden konnte, und fügte fröhlich hinzu: »Und da wären wir auch schon am Kai.«
»Es wird ihm doch gut gehen … wenn er wieder zu sich kommt, meine ich?«
»Bis auf Kopfschmerzen wird ihm nichts fehlen, Madame.«
Der Arzt verabschiedete sich und verschmolz mit der Dunkelheit. Amber eilte zur Jacht und fragte nach dem Kapitän. Ein Brite, zum Glück, und durchtrainiert.
»Ich fürchte, meinem Mann geht es gar nicht gut. Wir müssen ihn an Bord tragen und in seine Kabine bringen. Es ist nichts Ansteckendes, sagen Sie das Ihren Männern, aber er muss unbedingt nach Hause zum Arzt. Wir setzen Segel, sobald ich unseren Sohn geholt habe.«
»Sehr wohl, Euer Gnaden.«
Luc fand es aufregend, mitten in der Nacht geweckt zu werden und gesagt zu bekommen, sie gingen jetzt zur Jacht. Gladys hingegen war weniger erfreut.
»Seine Gnaden schien bei guter Gesundheit, als er heute Abend das Haus verlassen hat«, meinte sie.
»Ja, es hat ihn ganz plötzlich erwischt. Zum Glück war auf der Gesellschaft ein Arzt zugegen. Er hat gesagt, der Herzog müsse sich unbedingt zu Hause in England Hilfe holen.«
»Nun, ich muss sagen, unsere englischen Ärzte sind auch einmalig«, erklärte Gladys besänftigt.
Endlich war alles geschafft. Die Koffer waren an Bord, Amber und Luc ebenfalls, und das Ufer wich langsam zurück, während das Schiff Richtung England Fahrt aufnahm.
Robert lag bewusstlos in seiner Koje und atmete röchelnd.
Amber ließ sich auf einem Stuhl nieder. Sie hatte Angst, Robert könnte übel werden und er würde womöglich an seinem Erbrochenen ersticken, wenn man ihn allein ließ.
Sie betete nur, dass sie das Richtige getan hatte.