43
»Der arme Henry, so
schnell abreisen zu müssen. Ich finde es sehr selbstsüchtig von
Pamela, darauf zu bestehen, dass er seine Ferien abbricht«,
ereiferte sich Beth in missbilligendem Tonfall, doch Amber sagte
kein Wort.
Ihr war vollkommen
gleichgültig, welchen Grund Henry seiner Schwester für seine
überstürzte Abreise genannt hatte, sie war einfach froh, dass er
weg war.
»Ich gehe jetzt
besser«, sagte Beth gerade und erhob sich. Sie hatten sich auf der
Terrasse eines exklusiven Hotels in Juan-les-Pins zum Mittagessen
getroffen.
Einige Männer –
Franzosen und Deutsche, der Sprache nach zu urteilen – wurden
gerade an einen Tisch in der Nähe geführt. Sie warfen Amber
bewundernde Blicke zu.
Ihr Kleid war aus
einem selbst entworfenen Seidenstoff geschneidert, der eigentlich
als Möbelstoff gedacht war. Es war rückenfrei, hatte eine schmale
Taille und einen weiten Rock, auf dem das kühne tintenblau-weiße
grafische Muster auf hellblauem Grund gut zur Geltung kam. Ein
passendes Band hielt ihr Haar aus dem Gesicht, und ihre weißen
Handschuhe bildeten einen schönen Kontrast zu ihrer goldenen
Sonnenbräune.
Doch Amber wusste,
dass es weder ihr Kleid noch die Sommerbräune waren, welche die
Aufmerksamkeit der Männer auf sich zogen. Es war etwas anderes,
etwas, das für das menschliche Auge zwar unsichtbar, von anderen
Sinnen aber leicht wahrnehmbar war: das Selbstvertrauen und die
Freude, endlich wieder sie selbst zu sein, die Jean-Philippe ihr
geschenkt hatte.
Seit er sie vor vier
Nächten vor Henry gerettet hatte, hatte sie ihn nicht mehr gesehen,
und merkwürdigerweise verspürte sie auch kein großes Bedürfnis
danach. Wenn sie an ihn dachte, dann mit Zuneigung und Dankbarkeit
und einer beinahe leuchtenden, stillen Freude. Gemeinsam mit ihm
hatte sie einen Teil ihrer selbst wiederentdeckt, der ihr gefehlt
hatte. Sie hatte ihre Sexualität wiedergefunden.
Wohin sie das
letztlich führen würde, war nicht wichtig.Was zählte, war die
Tatsache, dass sie Frieden mit ihr geschlossen hatte und sie sie
nicht länger zu verdrängen und zu fürchten brauchte.
Sie spürte, wie das
männliche Interesse ihr folgte, als sie und Beth die Terrasse
verließen.Vor dem Hotel küssten sie sich zum Abschied, und dann
ging jede ihrer Wege.
Es war ein heißer
Tag, die Hitze lag wie ein lebendiger Dunst über allem, strich
einem über die Haut und raunte einem sinnliche Botschaften zu. Man
konnte ihr nicht entrinnen, sie durchdrang alle Sinne und
bemächtigte sich sämtlicher Gedanken.
Amber ging hinunter
zum Hafen, wo Roberts Jacht bewegungslos vor Anker lag, denn ihr
war eingefallen, dass sie in ihrer Kabine an Bord ein Buch liegen
gelassen hatte, das sie zu Ende lesen wollte. Sie ging die Gangway
hinauf und betrat das Schiff. Das Deck lag verlassen. Robert hatte
davon gesprochen, dass er der Crew freigeben wollte, und so ging
sie den Niedergang hinunter unter Deck.
Roberts und ihre
Kabine lagen nebeneinander und waren durch eine Tür miteinander
verbunden. Die Tür stand offen, deswegen hörte sie die Laute, die
aus Roberts Kabine drangen – ein qualvolles, keuchendes Schluchzen.
Sie war zur Tür geeilt, ehe sie die Laute eingeordnet
hatte.
Der Anblick, der
sich ihr bot, ließ sie zurückschrecken: Robert kauerte nackt auf
dem Bett, während Otto ihn von hinten mit einem Dildo bearbeitete
und dabei offenbar so heftig zustieß, dass Robert vor Schmerz
aufschrie.
Es stand nicht zu
befürchten, dass sie entdeckt wurde, denn die beiden hatten nur
Augen für das, was sie miteinander trieben. Trotzdem trat sie
sofort zurück und eilte zurück an Deck. Wie konnte Robert sich nur
so behandeln lassen? Da es so rasch auf die freudige
Wiederentdeckung ihrer eigenen Sexualität gefolgt war, kam ihr
dieses Schauspiel besonders brutal und abstoßend vor.
Irgendwie hatte sie
angenommen, Männer wünschten sich bei ihrem Liebesspiel dieselbe
Zärtlichkeit und gegenseitige Rücksichtnahme, auf die sie solchen
Wert legte. Es war kaum vorstellbar, dass Robert mit seinem Charme,
seiner Eleganz, seinem guten Aussehen und seinem freundlichen
Naturell eine sexuelle Beziehung einging, in der er grausam
behandelt und erniedrigt wurde. Allein die Vorstellung tat ihr weh.
Zwar brachte sie ihm keine erotischen Gefühle mehr entgegen, doch
sie liebte ihn mit zärtlicher Fürsorglichkeit.
Otto habe sich
verändert, hatte Robert behauptet, als Amber ihn gebeten hatte,
sich vorzusehen und Ottos früheres Verhalten nicht zu vergessen.
Sie war geneigt gewesen, Robert zuzustimmen. Während ihres
Aufenthalts in Südfrankreich hatte sein Verhalten Robert gegenüber
in der Öffentlichkeit in nichts auf die Brutalität hingedeutet,
deren Zeugin sie eben geworden war
Und Robert war weder
gefesselt noch irgendwo festgebunden gewesen, was ja wohl
bedeutete, dass er sich Ottos Misshandlungen freiwillig
unterwarf.
Amber stand an Deck
der Jacht im warmen Sonnenschein und schauderte; sie dachte an
Henrys gewalttätigen Übergriff. Kalter Schweiß stand ihr auf der
Haut, und sie fröstelte. Während sie unsicher die Gangway
hinuntertaumelte, erfasste sie ein heftiger Schwindel, als könnte
sie jeden Augenblick in Ohnmacht fallen.
»Amber, geht es dir
gut?«
»Jean-Philippe.«
Er hatte sie vom
Hafen aus gesehen, wo er in einer schattigen Bar bei einem Glas
Pernod gesessen und entspannt hatte, nachdem er die letzten vier
Tage mit einer bis dato unbekannten Intensität und Besessenheit
gemalt hatte. Irene war fuchsteufelswild gewesen, als er nach vier
Tagen Abwesenheit zurückgekehrt war, und hatte angedroht, ihn
hinauszuwerfen. Das würde sie natürlich nicht tun, doch diesmal
hatte er die Zeit nicht wie sonst mit einer anderen Frau verbracht.
Nachdem er Amber verlassen hatte, war er direkt nach Mougins
gefahren und hatte einen seiner Freunde dort gebeten, sein Atelier
benutzen zu dürfen, und dann hatte er gearbeitet, als wäre ihm
Gevatter Tod höchstpersönlich auf den Fersen.
Die Tochter des
Seidenhändlers hatte das väterliche Gewerbe inzwischen erobert, war
Geliebte und Meisterin der Seide geworden. Keine war ohne die
andere vollkommen, doch gemeinsam erschufen sie eine Aura
machtvoller Sinnlichkeit. Er hatte sie von schimmerndem goldenem
Licht umgeben gemalt, das durch ein Fenster hinter ihr
hereinströmte, ihre Schönheit zum Leuchten brachte und den
bernsteinfarbenen Stoff über ihrem Herzen streichelte. Gleichzeitig
strahlte Licht aus ihrem Herzen und goss seinen Zauber über den
Stoff. Während sie durch die Reinheit und Schönheit ihres Herzens
auf die bernsteinfarbene Seide blickte und sie zum Leuchten
brachte, lauerte im Schatten eine düstere Gestalt. Dort, wo ihr
Blick auf den Seidenstoff traf, wirkte er leblos, matt und
stumpf.
Nur ein menschliches
Herz, das zu lieben verstand, konnte die Seide erstrahlen lassen
und zum Leben erwecken.
Dies war das beste
Bild, das er jemals gemalt hatte. Besser noch als seine geliebte
Tochter des
Seidenhändlers.
»Was ist los?«,
fragte er Amber.
»Nichts«, begann sie
und unterbrach sich dann. »Robert ist mit Otto auf der
Jacht.«
Sie wusste nicht,
warum sie es Jean-Philippe gegenüber erwähnte, doch seine Miene
sagte ihr, dass er verstand, was sie meinte. »Komm, ich bringe dich
zurück zur Villa.«
»Ich hatte ja keine
Ahnung«, sagte sie unsicher.
»Was mit deinem Mann
los ist?«
»Nein, das weiß ich
natürlich, aber ich habe nicht gewusst … mir war nicht klar … ich
hätte nicht gedacht, dass er sich so behandeln lässt.«
Sie zitterte so
heftig, dass sie sich nicht wehrte, als Jean-Philippe stützend den
Arm um sie legte.
»Otto hat ihm
wehgetan, Jean-Phi lippe, richtig wehgetan.« Natürlich hätte sie
weder mit Jean-Philippe noch mit sonst jemandem darüber reden
dürfen, aber sie konnte die Worte einfach nicht
zurückhalten.
»Manche Leute
brauchen genau das – Männer wie Frauen«, erklärte er ihr
ruhig.
»Aber körperlichen
Schmerz empfinden zu wollen …«
Jean-Philippes Miene
verriet, dass er ihre Erschütterung nicht teilte. Amber musste sich
eingestehen, dass sie wohl naiver war, als sie gedacht
hatte.
»Komm«, sagte
Jean-Philippe und zog sie fester an sich. »Wenn du erst einmal aus
der Sonne bist, fühlst du dich bestimmt bald besser.«
Im Haus war es kühl
und still. Gladys hatte Luc zu einer Geburtstagsfeier gebracht,
welche für das kleine französische Mädchen veranstaltet wurde, das
er am Strand kennengelernt hatte.
»Vielleicht kommt es
dir besonders schlimm vor, weil es dich daran erinnert, was Henry
dir antun wollte.«
»Ja«, stimmte Amber
ihm zu und nippte an der Weinschorle, die Jean-Philippe ihr
gereicht hatte.
Sie saßen im Salon,
doch als Jean-Philippe sie leichthin fragte: »Möchtest du, dass ich
bleibe?«, wusste sie genau, was er damit meinte. Sie nickte rasch
und zitterte, als er ihr das Weinglas abnahm und die Tür
öffnete.
Diesmal gingen sie
zusammen die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer. Diesmal entkleidete
sie auch ihn, während er sie entkleidete. Diesmal war ihr Körper
willig und bereit. Diesmal übernahm sie selbst Verantwortung für
ihr Vergnügen, statt es sich von ihm schenken zu
lassen.
Und diesmal war die
Freude nicht so überschäumend und dankbar, sondern
gedämpfter.
Diesmal war es das
letzte Mal, das wusste Amber, denn diesmal hatte sie Jay im Kopf.
Sein am Morgen eingetroffener Brief war voller ungesagter Dinge
gewesen, die dennoch den Weg in ihr Herz gefunden
hatten.
Amber sah
Jean-Philippe an, der neben ihr im Bett lag. Die Nachmittagssonne
malte Streifen auf seinen nackten Körper.
Jean-Philippe hatte
sie mit großer Zärtlichkeit und Leidenschaft geliebt. Körperlich
hatte er sie befriedigt, sie fühlte sich träge und vom Liebesspiel
gesättigt, doch ihre Seele hatten die intimen Berührungen nicht
befriedigen können. Was sie miteinander getan hatten, war nicht
machtvoll genug gewesen, um sie die schmerzliche Sehnsucht nach Jay
und die tiefe innere Einsamkeit, die mit ihrer Liebe zu ihm Hand in
Hand ging, vergessen zu lassen.
Sie war jetzt eine
Frau, mit den komplexen emotionalen Ansprüchen einer Frau. Sie war
aus der jungmädchenhaften Vorstellung herausgewachsen, einen Mann
zu begehren bedeutete, ihn zu lieben.
Sie konnte sich auch
nicht mehr einreden, sie könnte die Sehnsucht nach einem Mann mit
körperlicher Leidenschaft für einen anderen Mann überdecken. Wenn
sie sich durch Zauberhand in Jays Gegenwart hätte versetzen können,
hätte eine winzige Berührung oder ein Lächeln ihre Sinne und
Gefühle weitaus machtvoller erregen können als sämtliche mit
Jean-Philippe geteilten Intimitäten. Auch wenn ihr Körper
Befriedigung gefunden hatte, im Herzen dürstete es sie nach etwas,
das sie nicht bekommen konnte.
»Amber, ich muss dir
etwas sagen.«
Auch der Klang von
Jean-Phi lippes Stimme erinnerte sie daran, wonach ihr Herz sich
sehnte. »Dein Ehemann ist in großer Gefahr.«
In der Nacht zuvor
hatte er zufällig eine Bemerkung zwischen Irenes Schwager und den
anderen Deutschen aufgeschnappt, woraufhin er die ganze
Unterhaltung belauscht hatte. Er hatte nicht unbedingt vorgehabt,
es Amber zu erzählen; andererseits war seine Wahl auf eine Bar
gefallen, die der Jacht ihres Gatten gegenüberlag, was bedeutete,
dass er Amber höchstwahrscheinlich sehen würde und dann moralisch
verpflichtet wäre, sie zu warnen.
Als sie
Jean-Philippes Worte hörte, so unerwartet und erschreckend, begann
Ambers Herz unbehaglich laut zu klopfen.
»Ich habe selbst
gesehen, dass …«
»Non!«, unterbrach Jean-Philippe sie scharf. »Darum
geht es nicht. Oder zumindest nicht so … Die Deutschen haben Robert
eine Falle gestellt, und er ist direkt hineingetappt.«
»Die Deutschen? Das
verstehe ich nicht.«
»Momentan führen die
Deutschen einen Propagandafeldzug gegen alle, die ihren Plänen
entgegentreten. In deinem Land gibt es Leute, die gegen diese Pläne
sind.«
»Ja, allerdings«,
stimmte Amber zu.
»Hitler verabscheut
die Homosexualität«, fuhr Jean-Philippe fort. »Seiner Meinung nach
ist sie das dekadenteste aller Laster und sollte hart bestraft
werden. Sie wollen Roberts Homosexualität einsetzen, um ihn in
Verruf zu bringen, und durch ihn auch dein Land und die herrschende
Gesellschaftsschicht.«
Amber war besorgt.
»Was meinst du damit?«
»Otto ist nicht
homosexuell, aber man hat ihm gesagt, er müsse Robert in dem
Glauben wiegen, er sei es. Dieses Wochenende will Otto Robert
sagen, dass er nach Deutschland zurückmuss. Dein Mann wird ihn
natürlich anflehen zu bleiben. Otto soll dann sagen, das ginge
nicht, deinen Mann aber einladen, ihn nach Berlin zu begleiten.
Robert ist so vernarrt in ihn, dass er sich das sicher nicht
zweimal sagen lässt.«
Amber schluckte
ihren Protest hinunter, schließlich hatte Jean-Philippe
recht.
»Sobald Robert in
Deutschland ist, wird man ihn mit Otto in einer kompromittierenden
Situation erwischen und ihm mit Bloßstellung und Verurteilung vor
einem deutschen Gericht drohen, ihm dann aber die Möglichkeit
bieten, den Hals aus der Schlinge zu ziehen, indem er als deutscher
Spion nach England zurückkehrt. Wenn Robert sich weigert, wird
Hitler davon profitieren, indem er Robert als Homosexuellen
bloßstellt, was bei euch ja auch strafbar ist. Und wenn Robert sich
einverstanden erklärt, für Deutschland zu spionieren, dann
…«
»Das würde Robert
niemals tun!«
»Wenn Robert sich
einverstanden erklärt und für Deutschland spioniert, kann Hitler
ihn immer noch als Mitglied der britischen Aristokratie
bloßstellen, das bereit war, sein Land zu verraten.«
»Woher willst du das
alles wissen?«, fragte Amber. Das Ganze kam ihr so weit hergeholt
und theatralisch vor, und doch verrieten Jean-Philippes Stimme und
Miene, dass alles, was er erzählte, wahr war.
»Wie gesagt, durch
Irene und ihren Schwager. Heinrich empfängt seine SS-Kumpane in der
Villa. Ich soll von ihren Unterredungen natürlich nichts
mitbekommen, aber Heinrich trinkt zu viel und ist
indiskret.
Dein Ehemann wird in
falscher Sicherheit gewiegt. Er glaubt, Otto erwidere seine
Gefühle. Und sobald sie in Deutschland sind, wird Robert in eine
intime Situation gelockt, und dann werden Hitlers Schergen
zuschlagen, und dein Mann landet im Gefängnis.«
»Du setzt dein Leben
aufs Spiel, um mir das zu erzählen.«
»Und du bist dir
nicht sicher, ob du mir glauben und vertrauen kannst oder ob das,
was ich dir erzähle, womöglich auch zu einem ausgeklügelten
Komplott gehört?«, meinte Jean-Philippe.
»Schon gut«,
beruhigte er sie, als er Ambers unbehaglichen Blick sah. »Du hast
jedes Recht, dich das zu fragen, ich an deiner Stelle würde das
auch tun. Eigentlich wollte ich es dir auch gar nicht erzählen, um
da nicht mit hineingezogen zu werden, aber jetzt hat sich mein
Gewissen geregt. Weißt du, ich mache mir etwas aus dir, auch wenn
uns das beiden ungelegen kommt. Und dass ich mich in Gefahr bringe
…«, er zuckte die Schultern, »… nun ja, in wenigen Tagen breche ich
nach Spanien auf, um mich dort dem Freiheitskampf anzuschließen,
mit dem Gedanken spiele ich schon eine ganze Weile.«
Und nach einem Drink
mit dem Freund, dessen Atelier er hatte benutzen dürfen, hatte er
sich am vorangegangenen Nachmittag endgültig dazu
entschlossen.
»Wirklich? Du willst
in den Bürgerkrieg ziehen?«
»Ja. Ein paar
Freunde von mir sind schon dort, und es ist nur recht und billig,
dass ich an ihrer Seite kämpfe.«
Amber sah, dass es
ihm ernst war. Zudem hatte sie nicht das Recht, ihn von seinem
Vorhaben abzuhalten. Oder gar nicht den Wunsch? Sie musste sich
erst einmal um Robert kümmern. Robert, der laut Jean-Phi lippe in
größter Gefahr schwebte.
»Das glaubt Robert
doch nie, wenn ich ihm erzähle, was du mir gesagt hast. Er ist
vollkommen vernarrt in Otto.«
»Deswegen musst du
ihn umgehend von hier fortschaffen und nach England bringen, ohne
Heinrich merken zu lassen, dass du von den Plänen erfahren
hast.«
»Ich wüsste nicht,
wie ich das anstellen sollte.«
»Dein Mann hat eine
Jacht im Hafen liegen. Ich würde dir raten, ihn unter
irgendeinemVorwand an Bord zu locken und dann den Kapitän
anzuweisen, sofort nach England aufzubrechen.«
Wie um alles in der
Welt sollte ihr das gelingen? Robert würde doch jede Anweisung von
ihr sofort rückgängig machen.
Vielleicht konnte
sie Beth und Alistair um Hilfe bitten? Würden sie ihr glauben?
Nein, das war zu riskant, außerdem bezweifelte Amber, dass sie ihr
helfen würden. An wen konnte sie sich wenden, der die Gefahr, in
der Robert schwebte, nicht nur verstand, sondern auch gleich auf
Abhilfe sinnen würde?
Sie konnte sich
unmöglich offiziell an die Botschaft wenden. Homosexualität war
strafbar, egal wie oft ein Auge zugedrückt wurde.
»Wenn du willst,
helfe ich dir.«
Amber war erstaunt.
»Du? Warum?«
»Weil ich es so
will. Ich habe bei dir einiges wiedergutzumachen.«
Amber blickte ihn an
und sah, dass es ihm ernst war. Sie konnte es sich nicht leisten,
die angebotene Hilfe auszuschlagen.
»Also dann, ja,
bitte. Ich möchte, dass du mir hilfst.«
»Bien. Dann lass uns mal überlegen. Je eher wir
etwas unternehmen, desto besser.Vermutlich gehst du heute Abend auf
die Gesellschaft des Maharadschas von Jaipur?«
Amber
nickte.
»Sehr schön.
Alors, leider wird es Robert im Verlauf
des heutigen Abends dort schwindelig werden, was auf etwas
zurückzuführen sein wird, was ich in seinen Drink
gebe.«
Als er Ambers Miene
sah, versicherte er ihr: »Keine Sorge, es wird ihm nicht weiter
schaden. Ihm wird davon nur übel.«
»Aber woher weißt du
das? Was willst du ihm denn …«
»Das darfst du
getrost mir überlassen. Man bewegt sich nicht jahrelang in meinen
Kreisen, ohne zumindest ein wenig von den Schattenseiten des Lebens
mitzubekommen. Besteh du nur heute Abend darauf, dass ein Arzt
gerufen wird. Zum Glück wird ein anderer Gast sich als genau das
präsentieren – ich habe einen Freund in Mougins. Die Details sind
nicht wichtig, nur so viel: Manche Künstler brauchen diese
Substanzen, um ihre Kreativität zu beflügeln, und manche Ärzte sind
bereit, sie ihnen zu besorgen, diskret und zu einem beträchtlichen
Preis. Dieser Arzt wird auch die Ursache von Roberts Unwohlsein
beisteuern.«
»Drogen?«,
protestierte Amber ängstlich. »Ist das nicht
gefährlich?«
»Nicht, wenn ein
guter Arzt sie verabreicht. Du musst mir da einfach vertrauen,
Amber. Der Arzt wird darauf bestehen, dass dein Ehemann in die
Villa zurückkehrt, um zu ruhen. Er wird behaupten, dass Robert
vermutlich zu viel Sonne abbekommen oder vielleicht etwas
Unverträgliches gegessen hat.«
»Und wenn Robert
sich weigert mitzukommen?«
»Das wird er nicht«,
erwiderte Jean-Phi lippe schlicht und abschließend. »Der Arzt wird
euch zum Wagen begleiten, der offiziell auf euch wartet, um euch
zurück zur Villa zu bringen. Sobald ihr im Auto sitzt, wird der
gute Doktor deinem Ehemann ein Sedativum verabreichen. Auch das
wird ihm nicht schaden, er wird einfach nur
einschlafen.
Auf der Jacht rufst
du dann nach Hilfe, um deinen Mann an Bord tragen zu lassen. Du
wirst dem Kapitän sagen, der Arzt hätte Anweisung gegeben, Robert
nach Hause zurückzubringen. Während die Mannschaft die Jacht
startklar macht, hast du genügend Zeit, zur Villa zu fahren und
deinen Sohn zu holen.«
»Bist du dir sicher,
dass Robert dabei nichts passiert? Ich will nicht …«
»Wenn er aufwacht,
wird er schlimme Kopfschmerzen haben und vermutlich ziemlich wütend
sein. Natürlich könntest du ihn auch seinem Schicksal überlassen
und einfach allein abreisen.«
»Nein, das könnte
ich niemals.« Nach allem, was sie Robert zu verdanken hatte, war
das einfach undenkbar; außerdem musste sie an Luc denken, der
seinen Vater anbetete. »Die Deutschen werden wissen, dass du uns
geholfen hast.«
»Das spielt keine
Rolle. Ich habe schon alle Vorkehrungen für meine Abreise nach
Spanien getroffen.« Jean-Philippe unterbrach sich und sagte dann
düster: »Ich bin überzeugt, dass Hitler sich nicht besänftigen
lässt und dass die, die es versuchen, es hinterher
bereuen.«
Konnte sie ein
solches Ränkespiel einfädeln? Wollte sie das Wagnis eingehen? Es
war ein großes Risiko. So viel konnte schiefgehen. Aber wenn sie
nichts tat und Jean-Philippe recht hatte, würde es für Robert
schreckliche Konsequenzen haben.
»Also schön«, sagte
sie zu Jean-Philippe. »Du wirst Geld brauchen – für den
Arzt.«
Jetzt, da sie sich
entschieden hatte, konzentrierte sie sich ganz auf die praktischen
Aspekte. Sie würde dafür sorgen müssen, dass die Jacht genügend
Vorräte mitführte – vielleicht konnte sie sowohl Robert als auch
dem Kapitän sagen, sie überlege, für ein paar Freunde eine kleine
Kreuzfahrt zu veranstalten. Auf die Art konnte sie auch Anweisung
geben, dass zumindest ein Teil von ihren und Lucs Kleidern
zusammengepackt wurde.
Wenn sie erst einmal
in England waren, konnte sie die Dienstboten damit beauftragen, das
Haus zu schließen und ihnen nach England zu folgen.
»Und bei dem Arzt
bist du dir ganz sicher?«, fragte sie Jean-Philippe noch
einmal.
»Ja.« Jean-Philippe
umfasste ihre Oberarme, und seine Hände hoben sich dunkel von ihrer
zart getönten Haut ab. Sein Griff war fest und beruhigend. »Du
musst mir in diesem Punkt einfach vertrauen, Amber.«
Robert war in einem
Rausch der Wollust. Nach den langen Stunden, Tagen und Wochen, in
denen er Otto seine Liebe zu Füßen gelegt hatte, erlaubte sein
junger Geliebter ihm nun endlich, ihn in die Freuden der Liebe
einzuweihen.
Sie lagen nackt auf
dem großen Doppelbett in Roberts Kabine, während die Jacht sacht im
Hafen schaukelte. Robert streckte den Arm aus und wagte kaum zu
atmen. Die linke Hand schob er unter Ottos Hodensack und hob ihn
an, während sich die Finger der Rechten um Ottos Glied schlossen.
Er wusste, welchen Genuss dies einem Mann bereiten
konnte.
»Ja …«, flüsterte
Robert heiser, »und wenn du erst meine Zunge zu spüren bekommst,
wird es für uns beide schier unerträglich, das verspreche ich dir.«
Sein eigener Körper platzte schier vor Begierde. Er bewegte die
Hände rascher, massierte Ottos Glied mit festen, rhythmischen
Bewegungen.
Ottos harscher,
keuchender Atem klang ihm wie jubelnde Musik in den Ohren. Der
geliebte Mann gab sich ihm endlich hin und erlaubte ihm, ihm Genuss
zu verschaffen.
Er hörte Otto
aufschreien – ein gequälter, wilder Schrei, der seine eigene
Erregung steigerte. Robert gab Ottos Hoden frei und schob ihm
einen, dann zwei Finger in den Anus.
Otto stöhnte, schlug
um sich, drängte Roberts Fingern entgegen, sein pralles Glied immer
noch in Roberts Händen. Robert hörte, wie Otto aufkeuchte und die
Muskeln anspannte, und beugte sich über ihn, um seinen Samen zu
empfangen. Sein Geliebter, sein Liebhaber. Jetzt und immerdar.Wenn
nötig, würde er Otto bis ans Ende der Welt folgen und noch
weiter.
Amber fühlte sich
schrecklich. Robert war prächtiger Stimmung, war anscheinend nicht
im Mindesten verstört von dem Akt, den sie zufällig beobachtet
hatte. Als sie abends die Treppe herunterkam, drehte er sich mit
einem heiteren und gelösten Lächeln zu ihr um. Tat sie das
Richtige? Vielleicht täuschte Jean-Philippe sich? Vielleicht sollte
sie noch abwarten, nur um sicherzugehen.Was war, wenn Jean-Phi
lippe sie absichtlich belogen hatte? Konnte sie ihm wirklich
trauen?
»Wen willst du denn
auf deine kleine Kreuzfahrt einladen?«, erkundigte Robert sich, als
sie das Haus verließen.
»Die Gästeliste
steht noch nicht endgültig fest.«
Ob er merkte, wie
unbehaglich ihr zumute war? War er misstrauisch? Amber klopfte das
Herz bis zum Hals. Die ganze Sache widerstrebte ihr zutiefst.Wäre
doch noch jemand anders da gewesen, mit dem sie darüber hätte
sprechen können. Doch Cecil hatte Frankreich schon
verlassen.
Es war ein
herrlicher Abend, die Luft war lau und weich, doch als sie aus dem
Wagen stiegen, begann Amber zu zittern. Zum Glück fiel es Robert
nicht weiter auf.
Sobald sie die
offizielle Begrüßung hinter sich hatten, gesellte Robert sich
schnurstracks der Gruppe um die von Ribbentrops zu.
Amber atmete
erleichtert auf, als sie sah, dass Jean-Phi lippe bereits da war,
obwohl er nicht versuchte, sie zu begrüßen. Stattdessen unterhielt
er sich mit der Frau eines deutschen Botschaftsvertreters. Alles
musste nach Plan laufen.
Robert sah sich
besorgt nach Otto um. Eigentlich hatte er ihn hier erwartet. Die
Deutschen kamen immer ziemlich früh.
»Sie suchen nach von
Brecht?«, fragte Heinrich, Gräfin Irenes Schwager.
»Normalerweise
gehört er zu Ihrem Kreis«, erwiderte Robert betont
lässig.
»Ja, in der Tat.
Aber heute Abend hat er sich entschuldigen lassen.« Heinrich
blinzelte Robert zu. »Er hat keinen Grund genannt, aber ich habe
den Verdacht, dass da ein Fräulein im Spiel ist, schließlich ist er
ein junger Mann.«
Schmerzhaft bohrte
sich die Eifersucht in Roberts Herz; je mehr er sich dagegen
wehrte, desto schlimmer quälte sie ihn. Vor seinem inneren Auge sah
er Otto, wie er nackt bei jemand anderem lag. Ihn überkam ein
brennendes Verlangen. Wo war Otto? Wo er auch war, Robert würde ihn
finden und ihn anflehen, ihn zu lieben, nur ihn, niemanden
sonst.
Er stellte das leere
Glas ab und nahm sich von dem Tablett eines Kellners ein
neues.
»Otto ist nicht da.
Ich muss ihn suchen gehen«, sagte er leise zu Amber.
Robert wollte
weggehen? Panisch sah Amber sich nach Jean-Philippe um. Er war
immer noch mit der Deutschen ins Gespräch vertieft. Verzweiflung
ergriff sie. In diesem Moment blickte Jean-Philippe auf, als hätte
er ihre Angst gespürt.
»Bitte entschuldigen
Sie uns«, Amber rang sich ein Lächeln ab und hoffte, dass ihre
Worte Jean-Philippe erreichen würden, »aber Robert und ich müssen
gehen.«
Robert war nicht im
Geringsten erfreut. »Für dich besteht kein Anlass, schon zu gehen,
Amber.« Er hatte sein Glas auf einem Tisch abgestellt, und
Jean-Philippe war so schnell und geschickt, dass Amber sich nicht
einmal sicher war, ob er das Pulver tatsächlich in Roberts Glas
geschüttet hatte.
Robert wandte sich
von ihr ab. Er wollte aufbrechen, ohne sein Glas ausgetrunken zu
haben. Amber hielt es ihm hin.Wortlos nahm er ihr das Glas aus der
Hand, stürzte den Inhalt hinunter und wandte sich zum
Gehen.
Er kam nicht einmal
bis zur Tür. Abrupt hielt er inne, schwankte und drehte sich zu ihr
um.
Jean-Philippe war
als Erster bei ihm und fragte laut: »Ist ein Arzt anwesend?«,
während Robert sich schon krümmte. Sein Gesicht war grau und
schweißnass, doch er beharrte darauf, es ginge ihm
gut.
Ein kleiner,
rundlicher Mann mit schütterem Haar, rosinendunklen Augen und
fahlem Teint war herbeigeeilt und schnalzte kopfschüttelnd mit der
Zunge.
»Hat er Muscheln
gegessen, Madame, wissen Sie das? Wir hatten diese Woche schon
einige Fälle von Lebensmittelvergiftung.«
»Oh … ja, ich glaube
schon«, bestätigte Amber, während Robert zu protestieren versuchte,
er habe keine Muscheln gegessen.
»Ich lasse Ihren
Wagen vorfahren«, erbot sich Jean-Phi lippe.
»Würden Sie uns
begleiten, Doktor?«, fragte Amber, bemüht, sich an ihre Rolle zu
halten. »Ich mache mir solche Sorgen um meinen Gatten. Er sieht
wirklich krank aus.«
Das zumindest
entsprach der Wahrheit.
»Mais oui, Madame«,
versicherte der Arzt ihr.
»Es tut mir
schrecklich leid.« Amber trat zu den von Ribbentrops, um sich zu
entschuldigen. »Der Arzt scheint zu glauben, dass Robert an einer
Art Lebensmittelvergiftung leidet. Ich bringe ihn zur Villa zurück.
Zum Glück meint der Arzt, dass es nichts Langwieriges sein
wird.«
»Wenn einer von uns
Sie begleiten soll …«, bot Heinrich an.
Bildete sie es sich
nur ein, oder wirkte er wirklich misstrauisch?
»Das ist sehr nett
von Ihnen, aber es ist nicht nötig. Der Arzt begleitet
uns.«
Gräfin Irene kam ihr
ganz unerwartet zu Hilfe. »Meine Güte, Heinrich, nun verdirb doch
nicht allen den Abend. Es ist nichts als eine kleine
Lebensmittelvergiftung.«
Robert wollte nicht,
dass der Arzt sie begleitete. Er wollte, wie er Amber
unmissverständlich klarmachte, in Ruhe gelassen werden, damit er
Otto suchen gehen konnte.
Irgendwann, bevor
man ihm in den Wagen geholfen hatte, hatte man Robert die
Smokingjacke ausgezogen. Zweifellos Jean-Philippes Werk, dachte
Amber. Der Arzt ignorierte Roberts Proteste und bat Amber, einen
Manschettenknopf zu entfernen, während er Roberts Arm
festhielt.
Sie fühlte sich
schrecklich, aber es war schließlich zu Roberts Bestem –
oder?
»Und wenn Sie mir
jetzt noch hierbei helfen würden …«
Robert wollte sich
wehren, doch die Droge in seinem Drink hatte ihn so geschwächt,
dass er nicht viel ausrichten konnte. Und so band ihm der Arzt den
Oberarm ab und bat Amber dann, ihn festzuhalten.
»Monsieur, ich
fürchte, dass Sie heute Abend gar nichts mehr tun werden«, meinte
der Arzt munter, holte eine Spritze aus seiner Tasche und stach sie
ihm in den Arm.
»Was zum
Teu…«
»Hervorragend!« Der
Arzt strahlte, als Robert das Bewusstsein verlor, bevor er den Satz
vollenden konnte, und fügte fröhlich hinzu: »Und da wären wir auch
schon am Kai.«
»Es wird ihm doch
gut gehen … wenn er wieder zu sich kommt, meine ich?«
»Bis auf
Kopfschmerzen wird ihm nichts fehlen, Madame.«
Der Arzt
verabschiedete sich und verschmolz mit der Dunkelheit. Amber eilte
zur Jacht und fragte nach dem Kapitän. Ein Brite, zum Glück, und
durchtrainiert.
»Ich fürchte, meinem
Mann geht es gar nicht gut. Wir müssen ihn an Bord tragen und in
seine Kabine bringen. Es ist nichts Ansteckendes, sagen Sie das
Ihren Männern, aber er muss unbedingt nach Hause zum Arzt. Wir
setzen Segel, sobald ich unseren Sohn geholt habe.«
»Sehr wohl, Euer
Gnaden.«
Luc fand es
aufregend, mitten in der Nacht geweckt zu werden und gesagt zu
bekommen, sie gingen jetzt zur Jacht. Gladys hingegen war weniger
erfreut.
»Seine Gnaden schien
bei guter Gesundheit, als er heute Abend das Haus verlassen hat«,
meinte sie.
»Ja, es hat ihn ganz
plötzlich erwischt. Zum Glück war auf der Gesellschaft ein Arzt
zugegen. Er hat gesagt, der Herzog müsse sich unbedingt zu Hause in
England Hilfe holen.«
»Nun, ich muss
sagen, unsere englischen Ärzte sind auch einmalig«, erklärte Gladys
besänftigt.
Endlich war alles
geschafft. Die Koffer waren an Bord, Amber und Luc ebenfalls, und
das Ufer wich langsam zurück, während das Schiff Richtung England
Fahrt aufnahm.
Robert lag
bewusstlos in seiner Koje und atmete röchelnd.
Amber ließ sich auf
einem Stuhl nieder. Sie hatte Angst, Robert könnte übel werden und
er würde womöglich an seinem Erbrochenen ersticken, wenn man ihn
allein ließ.
Sie betete nur, dass
sie das Richtige getan hatte.