Espy Martinez hielt dem Sergeant am Wachtisch kurz ihren Dienstausweis entgegen, dann folgte sie seiner stummen Geste zu den Fahrstühlen, während der Polizist kurz angebunden brummte: »Zweiter Stock. Die erwarten Sie schon …«, und sich wieder dem Taschenbuch zuwandte, das er auf einem Stapel Akten abgelegt hatte. Auf dem Cover prangte eine üppige, spärlich bekleidete Frau, die eine museumswürdige Pistole hielt und die Aufmerksamkeit des Sergeants sofort wieder gänzlich in Beschlag nahm. Espy Martinez lief mit zügigen Schritten in die gewiesene Richtung, so dass ihre Absätze im Stakkato auf dem blankpolierten Linoleumboden klackten.
Der Fahrstuhl schwebte geräuschlos in der Mitte des Gebäudes nach oben. Als sich die Türen rasselnd öffneten, trat sie hinaus und hielt nach Walter Robinson Ausschau, begegnete jedoch nur einem Detective aus dem Dezernat für Eigentumsdelikte, der vor Monaten bei einem Fall ihr Hauptzeuge gewesen war. Er sah von seinem Notizblock auf und lächelte. »Hey, Espy! Zu den Kapitalverbrechen aufgestiegen, was?« Zur Antwort zuckte sie nur mit den Achseln, und er fügte hinzu: »Die Show findet da drüben statt. Sie nehmen gerade die Kleine in die Mangel.«
Sie brauchte nicht lange, um zu begreifen, was er meinte, und bei der Aussicht musste sie grinsen. Sie folgte dem Finger des Detective und betrat einen schmalen, neonbeleuchteten Flur, der sie zu dem von der gnadenlosen Sommerhitze abgeschirmten Kern des Präsidiums brachte. Die Klimaanlage blies eisige Luft in den engen Gang, so dass sie unwillkürlich zitterte. Sie registrierte, dass in diesem Bereich ein grauer Teppichboden das Geräusch ihrer Schritte schluckte, so dass sie nur noch ihren Atem hörte. Für einen Augenblick fühlte sie sich vollkommen allein, und sie begriff, dass diese Empfindung bei den Tatverdächtigen bewusst herbeigeführt wurde.
Etwa in der Mitte des Flurs lagen zwei Türen einander gegenüber. Auf je einem Plastikschild stand VERHÖRZIMMER 1 und VERHÖRZIMMER 2. Beide Räume hatten Fenster zum Flur, so dass man die Vorgänge im Innern vom Korridor aus beobachten konnte. Espy Martinez war klar, dass es sich um Einwegglas handelte, durch das sie hinein-, die Verhörten jedoch nicht hinaussehen konnten. Ihr fiel eine kleine Sprechanlage neben dem Fenster ins Auge.
Sie blieb stehen und entdeckte in einem der Zimmer Walter Robinson. Er saß einer jungen, auffällig attraktiven schwarzen Frau gegenüber, die offenbar geweint hatte. Espy Martinez drehte sich um und sah im gegenüberliegenden Raum einen stämmigen schwarzen Mann am Tisch sitzen. Er trommelte mit den Fingern auf die Plastikfläche und starrte wütend zwei uniformierte Beamte der Kripo Miami an, die ihn geflissentlich ignorierten. Sie beobachtete, wie der Mann sich eine Zigarette anzündete und das verkohlte Streichholz wütend in einen von ausgedrückten Kippen überquellenden Aschenbecher warf. Der Mann zappelte ungeduldig auf seinem Stuhl, bis beide Polizisten ihn mit gezielten, missbilligenden Blicken dazu brachten, stillzusitzen. Danach ignorierten sie ihn wieder. Sie sah, wie er mit den Lippen einen Kraftausdruck formte, den er vermutlich in die abgestandene Luft des Raumes spuckte. Die beiden Beamten zeigten sich wenig beeindruckt.
Sie wandte sich wieder dem Zimmer mit Robinson zu und trat ein.
Als sie in der Tür erschien, stand er augenblicklich auf. »Ah, Ms. Martinez, wie schön, dass Sie kommen konnten.«
»Detective«, erwiderte sie betont förmlich.
Mit einem mäßig freundlichen Lächeln wandte sich Walter Robinson wieder der Frau zu. »Yolanda, schauen Sie sich diese Frau hier genau an.«
Die Schöne richtete den verweinten Blick auf Espy Martinez.
»Sehen Sie dieses gepflegte Kostüm, Yolanda? Und schauen Sie sich diese Absätze an. Ganz schön scharf, nicht wahr? Und die Aktentasche! Das ist echtes Leder. Kein Ramsch. Sehen Sie das alles, Yolanda?«
»Ja«, antwortete Yolanda mürrisch.
»Dann erkennen Sie auch, dass sie keine Polizistin ist, hab ich recht, Yolanda? Das sieht man doch auf den ersten Blick, nicht wahr?«
»Sie wirkt kein bisschen wie ein Cop.«
»Messerscharf kombiniert, Yolanda. Das ist nämlich die stellvertretende Staatsanwältin Esperanza Martinez. Ms. Martinez, Yolanda Wilson.«
Espy Martinez nickte der jungen Frau zu, in deren Augen nichts als Angst zu erkennen war.
»Yolanda«, fuhr Robinson in einer wohldosierten Mischung aus Drohung und Überredung fort, »Sie sollten versuchen, einen möglichst guten Eindruck zu machen, denn, na ja, wissen Sie, womit diese Dame, Ms. Martinez, ihren Lebensunterhalt verdient? Wissen Sie, was sie Tag für Tag macht? Jede Stunde, solange die Sonne scheint, Yolanda? Soll ich Ihnen verraten, was sie macht?«
»Wenn Sie wollen«, erwiderte die junge Frau und blickte zwischen Espy Martinez und dem Detective hin und her. Ab und zu betupfte sie sich die Augen mit einem zerrissenen Papiertaschentuch.
»Sie bringt Leute wie Sie hinter Gitter«, erklärte Robinson barsch. Er stand auf und deutete auf Espy Martinez. »Denken Sie gut darüber nach, Yolanda.«
Die Auskunft schien die junge Frau wie eine Ohrfeige zu treffen. »Ich will nicht in den Knast, Mr.Robinson.«
»Das weiß ich, Yolanda. Aber Sie müssen mir schon helfen, Sie da rauszuhalten. Sie müssen mir sagen, was Sie wissen.«
»Versuch ich ja, ich hab Ihnen alles gesagt.«
»Nein, Yolanda, das sehe ich anders. Und ich habe auch noch nicht erfahren, was ich wissen will. Einen Namen, Yolanda. Ich will den Namen.«
»Den kenne ich aber nicht«, beteuerte die junge Frau flehentlich. Ihre Stimme klang jetzt schrill. »Ich weiß es einfach nicht. Reggie hat mir nie irgendwelche Namen verraten.«
»So ein cleveres Mädchen wie Sie? Yolanda, das kaufe ich Ihnen nicht ab.«
Die junge Frau vergrub das Gesicht in den Händen und wiegte sich vor und zurück. Ihre Schultern bebten. Robinson schwieg, um Yolandas Panik zu verstärken, bis sie schließlich sagte:
»Ich hab keine Ahnung von irgendeinem Mord, Detective. Bitte, das müssen Sie mir glauben. Ich hatte keine Ahnung, dass dabei was Schlimmes passiert ist. Wo ist Sergeant Lion-Man? Der kann es Ihnen sagen. Bitte.«
»Sergeant Lion-Man kann Ihnen nicht helfen, Yolanda. Diese Frau hier schon. Denken Sie darüber nach. Wir sind bald wieder zurück.«
Damit führte er Espy Martinez wieder in den Flur und schlug vor der hilflos schniefenden Yolanda die Tür zu.
»Das ist der Teil, der mir gefällt«, meinte Robinson, obwohl Martinez den Eindruck hatte, dass er alle Aufgaben liebte, die der Job mit sich brachte.
»Was haben Sie denn gefunden?«, fragte sie, doch sie hatte den Satz noch nicht ganz zu Ende gesprochen, als Robinson bereits einen kleinen Plastikbeutel mit einer Goldkette darin aus der Tasche zog. Er reichte ihn Espy Martinez, die den Namen »Sophie« und zwei kleine Diamanten an der Initiale entdeckte.
»Das hat Yolanda getragen.«
»Und Sie gehen …«
»Meinen Sie, das hat einer anderen Sophie gehört?«
»Nein. Aber …«
»Na ja, die Bestätigung von der Forensik steht noch aus. Vielleicht kann der Sohn oder auch einer der Nachbarn es identifizieren. Aber es war ihres. Glauben Sie mir.«
»Meinetwegen, Walter. Und wie geht’s jetzt weiter?«
Walter Robinson grinste. »Nun, Sie haben unsere kleine Tränendrüse ja kennengelernt. Das Problem ist leider, dass sie die Wahrheit sagt. Sie weiß wirklich nicht allzu viel, auch wenn sie möglicherweise den Namen mitbekommen hat. Da bin ich mir nicht sicher. Yolanda ist schlauer, als man vielleicht denkt. Ein paar von diesen Tränen können wir wohl getrost dem sprichwörtlichen Krokodil zusprechen. Aber, na ja, wenn sie erst einmal lang genug auf diese Aktentasche gestarrt hat … mal sehen, was dann passiert. Cops sind eine Sache. Eine leibhaftige Staatsanwältin, das muss für sie eine neue Erfahrung sein, und ich wette, sie denkt im Moment fieberhaft nach. Andererseits haben wir hier drüben, hinter Tür Nummer zwei …«, fuhr Robinson grinsend fort, und Espy Martinez musste unwillkürlich darüber lachen, wie er gekonnt den Gameshow-Moderator mimte, »… Mr.Hartgesotten-ich-will-meinen-Anwalt. Der nun wieder hat die Informationen, die ich brauche. Das Verfahren ist einfach. Wir spielen den einen gegen den anderen aus.«
»Wenn er um seinen Anwalt gebeten hat, sind wir doch verpflichtet …«
Robinson verzog das Gesicht. »Espy, kommen Sie. Natürlich hat er seinen Anwalt verlangt. Er hat schon nach seinem Anwalt gebrüllt, als wir den ersten Fuß in seinen Laden setzten. Ich muss ihm nur klarmachen, welche, ähem, Auswirkungen sein Widerstand für ihn hat. Wir müssen ihm erst einmal das Licht am Ende des Tunnels zeigen. Ihm Gelegenheit geben, das Richtige zu tun. Bis jetzt haben wir ihm nicht einmal die wirklich kritischen Fragen gestellt.«
»Also …«
»Espy, so funktioniert das. Sie werden sehen.«
»Walter, ich weiß nicht, ob ich Sie recht verstehe.«
»Warten Sie ab, es dauert nicht lange, und Sie begreifen es. Wetten?«
»Warten wir’s ab. Und was soll ich bei dem Ganzen tun?«
Walter Robinson grinste. »Ich möchte, dass Sie ihm so richtig Feuer unterm Hintern machen.«
Bevor Espy Martinez antworten konnte, sie sei sich nicht sicher, ob sie irgendjemandem Angst einjagen könne, klopfte Robinson an das Fenster zum Verhörzimmer Nummer zwei. Augenblicklich erhoben sich die beiden Polizeibeamten, und der Besitzer der Pfandleihe rief: »Hey, wo wollen Sie hin?« Kaum hatten die beiden die Tür hinter sich zugeschlagen, machte Robinson sie im Flur kurz mit der stellvertretenden Staatsanwältin bekannt.
»Espy Martinez, darf ich Ihnen Juan Rodriguez und Lionel Anderson vorstellen.«
»Sergeant Lion-Man?«
»Höchst persönlich.« Ihre Hand verschwand in der riesigen Pranke des Sergeants, der sie kräftig schüttelte. »Haben Sie nicht diese Jugendlichen hinter Gitter gebracht? Wegen Hausfriedensbruch?«
»Den Orden hab ich mir verdient«, erwiderte Martinez.
»Das war gute Arbeit«, warf Juan Rodriguez ein, »die Kids waren mit Sicherheit drauf und dran, jemanden umzubringen.«
»Jetzt nicht mehr«, meinte sie.
Beide Sergeants grinsten. »Da können Sie Gift drauf nehmen«, sagte Rodriguez. »Jedenfalls nicht, bis sie wieder aus dem Bau sind.«
Lionel Anderson wandte sich an Walter Robinson. »Nächster Schritt?«
»Hört zu, Jungs«, flüsterte Robinson. »Ihr zwei geht jetzt da rein und steckt Yolanda, dass sie entschieden besser fährt, wenn sie mit uns kooperiert. Gebt ihr das Gefühl, dass ihr nichts Schlimmes passieren kann, wenn sie den Mund aufmacht. Und keine Lügen. Klar?«
»Soll uns ein Vergnügen sein, Walt, alter Kumpel.«
»Wenn es darum geht«, fügte Juan Rodriguez an Espy Martinez gewandt hinzu, »eine junge Frau in einer prekären Situation zu beruhigen, dann ist Lionel genau der richtige Mann.«
»Ich verfüge auf diesem Gebiet über eine gewisse Erfahrung, Ma’am«, bestätigte Sergeant Anderson und legte zum gespielten Salut einen Finger an die Schläfe.
Die beiden uniformierten Polizisten betraten das Verhörzimmer Nummer eins. »Warum nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden?«, kommentierte Robinson grinsend und deutete mit einer Kopfbewegung auf die zwei Kollegen. »Also, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie unserem knallharten Mr.Reginald die Furcht vor dem heiligen Zorn Gottes und des Strafjustizsystems einflößen. Danach können wir gehen.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, drängte Robinson in den Raum. Martinez musste sich beeilen, mit ihm Schritt zu halten. Reginald Johnson hob den Kopf und sah sie mit finsterer Miene an. »Haben Sie meinen Anwalt gerufen?«
»Wie war noch mal die Nummer, Reggie?«, fragte Walter Robinson.
Der Pfandleiher stöhnte nur zur Antwort. »Wer ist das denn?«, fragte er.
»Also, Reggie, jetzt bin ich aber einigermaßen überrascht. Sagen Sie bloß, Sie kennen die Dame nicht?«
»Noch nie gesehen.«
»Bestimmt?«
»Ja, bestimmt. Wer ist das?«
Robinson lächelte kurz, dann beugte er sich vor, bis ihre Gesichter sich fast berührten. Robinson wirkte wie ein Vater, dem jeden Moment die Hand ausrutschen konnte. »Also, Reggie«, zischte Robinson, »ganz bestimmt hast du die Dame schon in deinen Alpträumen gesehen, denn niemand sonst kann dir so viel Feuer unter deinem armseligen Hintern machen. Sie wird dafür sorgen, dass du für lange Zeit in den Bau wanderst, Reggie. Präzise gesagt, Raiford Prison. Vierundzwanzig Stunden Einzelhaft, und ich bin mir absolut sicher, dass dort niemand annähernd so süß wie deine Yolanda ist. Eher kannst du von Glück sagen, wenn dich dort nicht jemand zu seiner Yolanda macht …«
Der bullige Mann zuckte unter diesen Worten auf seinem Stuhl zurück. Für einen Moment beäugte er Espy Martinez.
»Dein schlimmster Alptraum, Reggie«, versicherte Walter.
»Ich habe nichts getan. Ich weiß nichts von einem Mord.«
»Ach ja?«
»Meinen Sie, ich frage jeden, der bei mir zur Tür hereinspaziert, wo er seinen Scheiß her hat? Werd mich hüten. Ich taxiere nur den Preis und stell ihnen den Pfandleihschein aus. Mit überflüssigen Fragen hab ich nichts am Hut.«
»Mag ja sein, aber du weißt, wer dir diese Halskette gebracht hat. Die Yolanda so toll fand, dass sie sie sich unbedingt um den Hals hängen musste.«
Johnson zögerte einen Moment.
»Ich kann doch meine Geschäftsgeheimnisse nicht vor der Polizei ausbreiten. Dann hätte ich bald kein Geschäft mehr«, antwortete er schließlich, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, als wollte er betonen, dies sei sein letztes Wort.
»Wenn du dich da mal nicht täuschst«, entgegnete Robinson. »Denn jetzt ist dein Geschäft auch meins, und da haben wir ein Problem.«
Johnson blickte stumm und finster geradeaus. Espy Martinez saß am Ende des Tischs und beobachtete den Detective, der hinter dem Tatverdächtigen mal hin und her lief, sich im nächsten Moment wortlos über ihn beugte, dann wieder zurücktrat und schließlich einen Stuhl dicht an ihn heranzog. Sie sah Robinson mit den Augen eines Zuschauers, der die Vorstellung eines versierten Schauspielers auf der Bühne verfolgt. Jede Bewegung, jede Geste, der Tonfall in jedem Wort war kalkuliert, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Und er verfehlte sie nicht: Mit jeder Minute wurde der Hehler unsicherer und büßte etwas von seiner halsstarrigen Arroganz ein. Fasziniert holte sie tief Luft und fragte sich, an welcher Stelle er ihren Einsatz vorgesehen hatte, und bezweifelte, dass sie annähernd über ähnliche Fähigkeiten verfügte.
Walter Robinson starrte Reginald Johnson eine Weile unverwandt mit halb zusammengekniffenen Augen an, bis der Pfandleiher sich plötzlich zur Seite drehte und eine Unflätigkeit fauchte.
»Scheeeiiiße. Keine Ahnung von irgendeinem Mord«, fügte er hinzu. Doch seine Stimme zitterte ein wenig.
Wieder schwieg sich der Detective eine Zeitlang aus. Dabei ließ er den Verdächtigen keine Sekunde aus den Augen. Dann atmete er langsam und hörbar zwischen den Zähnen aus.
»Vielleicht hab ich ja falschgelegen …«, überlegte Robinson ruhig. »Vielleicht habe ich mich in dir getäuscht, Reggie, alter Knabe.«
Johnson drehte sich wieder um, verwundert über den veränderten Ton des Detective.
»Vielleicht lag ich tatsächlich falsch. Was meinst du, Reggie, lag ich falsch?«
»Ja«, beteuerte der eifrig. »Sie lagen falsch.«
Ohne den Pfandleiher aus den Augen zu lassen, fragte Walter Robinson: »Was meinen Sie, Ms. Martinez? Glauben Sie, ich hätte mich in Reggie getäuscht?«
Espy Martinez war sich einen Moment lang unsicher, was sie antworten sollte, doch schließlich sagte sie in möglichst ausdrucklosem, kaltem Ton: »Sie irren sich nie, Detective.«
»Nein, in Bezug auf den alten Reggie war ich diesmal vielleicht doch schiefgewickelt.«
»Ich glaube nicht, Detective«, beharrte Martinez.
»Täusche ich mich, Reggie?«, fragte der Detective wieder den Pfandleiher.
»Ja, Mann, Sie täuschen sich.«
Robinson durchbohrte den Verdächtigen weiterhin mit seinem Blick. Eine ganze Weile ließ er zu, dass sich Johnson falsche Hoffnungen machte.
»Die ganze Zeit dachte ich, unser Reggie hier hat einfach nur Diebesgut vom falschen Mann angenommen. Und wissen Sie was, Ms. Martinez …« Er sah Reginald Johnson finster an. »Vielleicht liegt da der Fehler. Vielleicht gibt es überhaupt keine zweite Person, die Dienstagnacht in der Helping Hand auftauchte, die keuchend und schwitzend nichts Eiligeres im Sinn hatte, als einen kleinen Handel abzuschließen. Was, Reggie? Nein, vielleicht gab es da gar keinen anderen Mann. Da habe ich unseren Reggie vielleicht unterschätzt.«
Die Pause, die der Detective jetzt einlegte, war so bemessen, dass der Hehler die Worte langsam auf sich wirken lassen konnte.
»Nein, Reggie. Vielleicht gab es wirklich überhaupt keinen zweiten Mann. Wenn ich an die feinen Fummel denke, die du Yolanda kaufst, und diesen schnieken Wagen, den du fährst, und all die teuren Möbel, die du für das schöne neue Haus kaufst, na ja, da hast du dir wohl gedacht, du musst ein bisschen mehr harte Arbeit investieren, damit es in der Kasse klingelt. Also hast du vielleicht gar keinen zweiten Mann gebraucht. No, Sir. In Wirklichkeit bist du einfach in den alten G-75 gestiegen, nach Miami Beach rausgefahren und hast ganz einfach mit all diesen Einbrüchen losgelegt. Ist ganz gut für dich gelaufen, oder, Reggie? Bis dummerweise Dienstagnacht diese alte Frau aufwacht, und du hast plötzlich ein Problem. Ein echtes Problem. Also bringst du sie um. Stimmt’s, Reggie? Ist es so passiert?«
Blitzschnell stieß Walter Robinson dem Hehler den Zeigefinger ins Gesicht. »Du hast sie umgebracht, du Mistkerl!«
Reginald Johnson wich in Panik zurück. »Ich habe keinen umgebracht! Hab ich doch gesagt! Keinen Schimmer von irgendeinem Mord!«
Jetzt griff Robinson über den Tisch und packte Johnson an beiden Händen. Mit einem klatschenden Geräusch schlug er sie, die Innenflächen nach oben, auf den Tisch.
»Du bist stark, Reg. Hast ordentlich große Hände. Kinderspiel, damit die kleine alte Frau zu erwürgen, nicht? Bist du’s gewesen? Ob du es gewesen bist!«
»Ich hab keine Ahnung von einem Mord oder einer alten Frau, verdammt!«
Er versuchte, seine Hände zurückzuziehen, doch der Detective drückte sie auf den Tisch und zog Johnson plötzlich mit solcher Kraft nach vorn, dass der das Gleichgewicht verlor. Dabei starrte er den Verdächtigen noch strenger an.
In der plötzlich einsetzenden Stille spürte Espy Martinez, wie ihr eine heiße Woge durch den ganzen Körper ging. Die nächsten Worte, die in dem kleinen Zimmer fielen, schienen von jemand anderem zu kommen, nicht von ihr, auch wenn sie jedes einzelne deutlich hören konnte.
»Hehlerei, na ja, zwei bis fünf Jahre. Keine große Sache, bei mittlerer Sicherheitsstufe. Dazu Einbruch, fünf bis zehn. Da wird es schon ein bisschen ungemütlicher, aber bei guter Führung spart man sich ein paar Jährchen, und man sitzt vielleicht nur drei davon ab. Aber dann der Sprung zur Körperverletzung. Also, da hört der Spaß auf, Reggie. Gott, die zuständige Staatsanwältin, also, was sie wirklich hasst, ist Gewalt gegen alte Leute. Das bringt Ihnen locker zehn bis fünfzehn ein. Kann gut sein, dass der Richter es sich in dem Fall zweimal überlegt, ob er die Kommission für bedingte Haftentlassung überhaupt noch ins Spiel bringt … Also, gute Führung können Sie gleich vergessen.«
Espy Martinez sah, wie am anderen Ende des Tischs der Pfandleiher um Fassung rang. Jedes Wort und jede Zahl, die in ihrem Vortrag gefallen waren, schienen ihm die Brust enger zu schnüren.
Während sie noch leiser und noch schärfer den Faden wieder aufnahm, war ihr in irgendeinem Winkel ihres Bewusstseins klar, dass sie sich köstlich amüsierte.
»… aber das Nächste ist dann wirklich nicht mehr lustig, Reggie. Beihilfe zum Mord, fünfzehn Jahre bis lebenslänglich. Wobei aber niemand mit fünfzehn davonkommt. Schon gar nicht, wenn das Opfer eine kleine alte Frau ist. Kein schönes Leben übrigens im Bau …«
Sie sah ihn ungerührt an.
»Und danach kommt auch schon die Endstation: vorsätzlicher Mord. Na ja, Reggie, was in diesem Bundesstaat darauf steht, ist Ihnen sicher bekannt. Zweitausendzweihundert Volt.« Sie formte mit der Hand eine Pistole und schloss ihren Vortrag mit den Worten: »Zack. Aus und vorbei.«
Johnson, dessen Hände Robinson immer noch im Schraubstock hatte, versuchte, sich in seinem Stuhl zu Martinez umzudrehen.
»Was reden Sie da?! Todesstrafe! Ich sag doch, ich hab keinen Mord begangen!«
Espy Martinez beugte sich vor. »Ich hab aber genug in der Hand, um Anklage gegen Sie zu erheben. Mehr als genug. Außerdem ist es im Grunde egal, wie viele Beweise ich hab …«
»Wie meinen Sie das?«, fragte der Pfandleiher verzweifelt.
»Eine kleine alte Dame. Hat keiner Fliege was zuleide getan. Was meinen Sie, Reggie? Was glauben Sie, was wird ein Haufen weißer, gutsituierter Bürger von Miami sagen, wenn sie Sie in den Gerichtssaal kommen sehen, schwarz und wütend und grob. Meinen Sie, die kümmern sich einen Dreck um irgendeinen Beweis? Mit Sicherheit nicht. Jedenfalls nicht, nachdem ich aufgestanden bin und all diesen netten Weißen erzählt habe, dass Sie ihr den Hals umgedreht haben. Dass Ihre Finger ihr so lange die Luft abgedrückt haben, bis sie tot war. Sie werden nur daran denken, dass es ihre Mutter oder ihre Tante Mable hätte sein können. Glauben Sie wirklich, dass sie noch einen Pfifferling auf irgendwelche Indizien geben, nachdem sie sich das angehört haben? Sie haben ganz bestimmt nur noch den einen Wunsch, dass Ihr Arsch für immer verschwindet. Also, was werden diese weißen Geschworenen Ihrer Meinung nach wohl sagen?«
»Ich war’s nicht!«
»Schuldig. Schuldig im Sinne der Anklage.«
Sie legte eine Pause ein und beobachtete, wie der Pfandleiher unter jedem ihrer Worte weiter in sich zusammengesackt war.
»Und der Richter? Reggie, was wird Ihrer Meinung nach dieser gutsituierte, weiße Richter sagen? Jemand, der darauf hofft, dass ihn all diese Leute nächstes oder übernächstes Jahr wieder wählen?«
»Ich war’s aber nicht!«
»All diese weißen Bürger, Reggie. Was glaubst du?«
Wieder herrschte eisiges Schweigen im Raum.
Espy Martinez holte tief Luft und zeigte mit dem Finger auf Reginald Johnson. »Zack«, machte sie erneut. »Leb wohl, Reggie.«
Endlich ließ Walter Robinson die Arme des Pfandleihers los. Martinez stand auf. Sie legte alle Verächtlichkeit, die sie aufbieten konnte, in den Blick, mit dem sie Reginald Johnson von oben herab betrachtete.
»Detective, leisten Sie diesem Abschaum Gesellschaft. Ich denke, ich rede unterdessen ein paar Takte mit Yolanda. Wir beide, na ja, ich finde, wir verstehen uns sehr viel besser, und wenn ich schon jemandem einen netten kleinen Deal anbiete, bei dem jemand heute Abend wieder nach Hause spazieren und einfach weiterleben kann, als wär nichts gewesen, dann wohl entschieden eher dieser hübschen jungen Frau. Außerdem steht fest, dass Sergeant Lion-Man lieber bei dem Mädchen ein Auge zudrücken würde, als bei diesem Mistkerl hier …«
»Sie können Yolanda keinen Deal vorschlagen! Sie weiß doch gar nichts!«
»Ich wette, dass Sie sich die Augen reiben würden, wenn Sie wüssten, was das Mädel so alles aufgeschnappt hat. Wir haben uns bestimmt eine Menge zu erzählen.«
»Sie hat keine Ahnung …«
»Aber sie ist diejenige, die als freie Frau hier rausspaziert.« Das verkündete sie in eisigem Ton.
Walter Robinson grinste und nickte. Es juckte ihm in den Fingern, Applaus zu klatschen, und er konnte sich nur mühsam beherrschen. Reginald Johnson schien sich in Panik seine Situation vor Augen zu führen, dann platzte er heraus: »Ich weiß nicht, woher der Scheiß kam! Der Kerl ruft mich mitten in der Nacht an, will mich im Laden treffen, hat mir Ware anzubieten, na ja, ich hatte keine Ahnung! Hab keine Fragen gestellt! Bin einfach nur hingegangen und hab ihn draußen getroffen. Da wartete er schon. Das ist die Wahrheit! Von ’nem Mord wusste ich nichts.«
»Wer, Reggie?«, fragte Walter Robinson.
»Wenn ich Ihnen sage, wer, müssen Sie mir versprechen …«
»Wer! Gottverdammt! Ich verspreche dir gar nichts, du Haufen Dreck! Wer?«, brüllte Robinson dem Pfandleiher ins Gesicht.
Wie ein Schwimmer, über dem eine Welle zusammenschlägt, versuchte Reginald, sich über Wasser zu halten. Schließlich sackte er in sich zusammen und sagte:
»Der Mann heißt Leroy Jefferson.«
»Ist er ein Junkie?«
»Er raucht gerne Gras, hab ich mir sagen lassen.«
»Ist er ein regelmäßiger Kunde von dir?«
»Letzten Monat oder so ist er ziemlich häufig vorbeigekommen.«
»Hat er einen Spitznamen?«
»Schon. Die nennen ihn Hightops, weil er immer diese teuren Basketballschuhe trägt.«
»Und wo wohnt Hightops?«
»King Apartments. Ich glaube, Nummer dreizehn.«
»Bringt Unglück«, meinte Walter Robinson, während er sich vom Tisch erhob und den Pfandleiher, der den Kopf in den Händen vergraben hatte, seinem Kummer überließ.