Die junge Frau schloss eine Jalousie, so dass der Raum in grauem Zwielicht lag. Eine Weile fingerte sie an dem Videogerät herum, dann durchzog ein grauer Streifen das Fernsehbild. Eine Sekunde später sah Simon Winter Sophie Millstein auf dem Bildschirm.
Er lehnte sich vor und horchte gespannt. Die junge Frau setzte sich neben ihn.
Sophie Millstein stand eine Mischung aus Aufregung und Unbehagen ins Gesicht geschrieben. Winter registrierte, dass sie eines ihrer besseren Sonntagskleider trug und frisch frisiert war. Ihre Hände steckten in weißen Handschuhen und hielten sich an einer farblich darauf abgestimmten kleinen Tasche fest. Einen Augenblick lang fragte er sich, wie ihm entgangen sein konnte, dass sie eines Tages wie aus dem Ei gepellt ihre Wohnung im Sunshine Arms verlassen hatte.
»Sehe ich ordentlich aus?«, fragte sie nervös.
Eine Stimme außerhalb des Kamerawinkels antwortete: »Sie sehen gut aus.«
»Ich habe mir Gedanken gemacht«, sagte Sophie Millstein. »Ich war noch nie im Fernsehen, und ich wollte nett aussehen. Dieses Kleid …«
»Sie sehen wirklich gut aus«, wiederholte die unsichtbare Stimme. Simon Winter erkannte darin die der jungen Frau neben ihm wieder.
»Mir ist nicht ganz klar, was Sie von mir erwarten«, gestand Sophie Millstein.
»Entspannen Sie sich einfach und kümmern Sie sich nicht um die Kamera«, redete ihr die Stimme der jungen Frau gut zu.
Sophie Millstein setzte sich auf ihrem Stuhl zurecht. »Ich bin mir nicht sicher, ob das eine so gute Idee ist«, meinte sie zögerlich.
»Vergessen Sie einfach die Kamera, Sophie. Sie werden sich ganz schnell daran gewöhnen. Am Anfang ist praktisch jeder nervös.«
»Tatsächlich? Jeder?«
»Jeder.«
»Gut, das beruhigt mich. Aber ich weiß immer noch nicht, was Sie von mir hören wollen.«
»Was wollen Sie denn erzählen?«
»Eigentlich habe ich nicht viel zu berichten. Wirklich nicht.«
»Aber Sie sind hergekommen«, erwiderte die junge Frau. Ihr Ton war sanft. »Irgendetwas hat Sie bewogen, hierherzukommen, um uns etwas mitzuteilen. Was war das?«
Wieder zögerte Sophie Millstein, und Simon Winter sah, wie sie die Augen zusammenkniff, um sich zu konzentrieren.
»Sie sollten es alle erfahren«, antwortete sie.
»Wer sollte es erfahren?«
»Alle, die zu jung sind, um sich zu erinnern.«
»Was sollten sie erfahren?«, hakte die junge Frau hinter der Kamera nach.
»Was geschehen ist. Die Wahrheit. Denn es ist alles wirklich passiert.«
Sophie Millstein biss die Zähne zusammen und verschränkte die Arme über der Brust.
Nach kurzem Schweigen fragte die junge Frau in freundlich abwartendem Ton: »Wie wär’s, wenn Sie mir einfach erzählen würden, was Ihnen passiert ist? Das wäre ein guter Anfang.«
Sophie Millstein machte den Mund auf, presste jedoch augenblicklich wieder die Lippen zusammen. Winter sah, wie ihre Unterlippe kaum merklich bebte. So verharrte sie fast eine Minute lang, und das Videogerät hielt ihr Schweigen fest.
Schließlich schnappte Sophie Millstein nach Luft, als hätte sie die ganze Zeit den Atem angehalten. Ein paar Worte rutschten ihr heraus: »Das sind alles Dinge, die ich vergessen wollte, also habe ich nicht darüber geredet, nicht einmal mit Leo. Ich wünschte, er wäre jetzt hier, denn er würde mir helfen …«
»Aber er ist nicht da, und Sie müssen das alleine durchstehen.«
Sophie Millstein nickte. Ihr stiegen die Tränen in die Augen, und sie rang um Fassung. Wieder kehrte auf dem Video Stille ein, in der nur das rasselnde Geräusch zu hören war, als sie durchzuatmen versuchte.
»Allein«, sagte sie schließlich. Sie blickte in die Kamera, und Simon Winter wurde Zeuge, wie sie sich wieder in den Griff bekam. Sie biss sich auf die zitternde Lippe, straffte die Schultern und blickte geradeaus direkt in die Linse. Im selben Moment, als sie ihr Unbehagen überwunden und die panische Angst vor der Erinnerung abgeschüttelt hatte, fing sie an zu reden – die Worte und Bilder brachen wie ein Mahlstrom aus ihr hervor. Wie eine hohe Welle gingen sie auf Simon Winter nieder, und so suchte er mit beiden Händen am Sitz seines Stuhls Halt.
»Wir waren drei Tage in dem Zug. Wie Tiere eng zusammengepfercht, in unserem eigenen Kot und Dreck. Rings um uns starben Menschen, eine Frau, deren Namen ich nie erfahren habe, sie starb, und acht Stunden lang drückte sie mir mit ihrem ganzen Gewicht in den Rücken, und ich konnte nichts dagegen tun, bis der alte Mann, neben dem sie stand, ebenfalls starb und ich sie nach hinten schieben konnte, so dass die Toten gegen die Toten fielen, und ich weiß noch, wie reglos sie war, und so bleich, als hätte sie jemand aus Stein gemeißelt. Später musste ich immer wieder denken, dass ich sie vorher nach ihrem Namen hätte fragen sollen, um jemandem Bescheid zu geben. Aber das hatte ich nicht. Die Luft, ich hab immer noch den Geruch in dem Waggon in der Nase. Bis heute, jeden Morgen. Vielleicht bin ich deshalb hierher nach Florida gekommen, weil die Luft hier so sauber ist und mich nicht daran erinnert, wie es in diesen drei Tagen war. Es war wie das zusammengeballte Böse, eine dichte, dräuende Wolke, die uns wie eine Krankheit erfasste. Hansi hielt mich fest – das war mein Bruder Hans, er war vierzehn, zwei Jahre jünger als ich, aber stark. Er war immer so stark. Ich war klein, er dagegen groß, und er hielt mich fest, damit ich nicht versuchte, Mama und Papa zu helfen. Papa hustete die ganze Zeit, und er wurde so schwach, dass ich glaubte, er würde sterben, aber er winkte mir immer wieder zu und sagte: ›Mir fehlt nichts, mir geht es gut, mach dir wegen mir keine Sorgen. Es wird alles gut.‹ Aber das stimmte natürlich nicht, und ich wusste, dass er sterben würde, wenn wir erst in Auschwitz wären, aber trotzdem dachte ich, als sie die Tür aufmachten und die frische Luft hereinließen, da dachte ich, es wäre schon in Ordnung zu sterben, weil ich noch einmal frische Luft bekam, aber es kam anders, denn selbst in der Kälte war der Gestank von den Sterbenden so schlimm, dass ich kaum atmen konnte, und sie brüllten Raus! Raus!, und alle mussten schnellstens aus dem Zug. Wir hielten uns aneinander fest, um zusammenzubleiben, doch ich konnte mich nicht mehr an Hansi festhalten, weil wir uns in zwei Reihen aufstellen mussten, die Frauen auf der einen Seite, die Männer auf der anderen, und ich sah, wie er meinen Vater hielt; wo meine Mutter war, wusste ich nicht. Und sie brüllten unentwegt, wir sollten in der Reihe bleiben, dazu bellten und knurrten die Hunde, und ich sah keinen Einzigen, der versuchte, wegzurennen, wir waren alle viel zu schwach und taumelten nur zu diesem Tisch. Der SS-Mann sah einen nur an und stellte ein, zwei Fragen, aber das wissen Sie natürlich alles. Das findet man in allen Berichten, aber es ist wirklich passiert. Es ist mir passiert. Er saß da in seinem grauen Wintermantel und seiner Uniformmütze, die mit dem Totenkopfabzeichen, daran erinnere ich mich noch. Und er trug Handschuhe, so dass man nur diese schwarze Lederhand sah, die in die eine oder die andere Richtung zeigte, es ging alles so schnell. Und nur eine Sekunde lang, als meine Reihe sich vorwärtsbewegte, sah ich Hansi und meinen Vater. Mein Vater hustete, und Hansi stützte ihn, und der SS-Mann zeigte für meinen Vater nach links und für Hansi nach rechts, doch Hansi schüttelte den Kopf und half meinem Vater auf dem Weg nach links, und das war’s, mein Gott, er blieb bei ihm und ging mit ihm in den Tod. Hansi war so kräftig, dass er hätte überleben können. Es wäre möglich gewesen, das habe ich immer gedacht. Er war stark und drahtig, seine Muskeln wuchsen selbst dann, wenn wir tagelang nichts zu essen hatten. Und er hat immer gelächelt, wissen Sie? Er war so voller Leben, gerade mal vierzehn, und immer mit einem glücklichen Lächeln, selbst wenn all das Entsetzliche passierte und die Gedanken nur ums Sterben kreisten und den Tod. Und in dem kurzen Moment hat er zu mir herübergeschaut, und mir wurde schlagartig klar, er wusste, dass er Papa gehen lassen musste, aber er wollte nicht, er hielt ihn am Arm und half ihm, ebenfalls stark zu sein. Er lächelte mich an. Oh, mein Gott, er lächelte mir zu, als wollte er sagen, es ist in Ordnung zu sterben, auch wenn ich noch kein Leben gehabt habe. Vierzehn, aber er war der Stärkste. Also ging er mit, um meinen Vater zu stützen, und so starb er, und ich war für immer allein. Ach, Hansi, wieso bist du nicht nach rechts gegangen?«
Sophie Millstein liefen die Tränen über die Wangen, und Simon Winter dachte: Wie viele Tränen kann man wohl fünfzig Jahre lang stauen?
Auf dem Band fragte die Stimme der jungen Frau: »Brauchen Sie eine Pause?«
»Ja«, sagte Sophie Millstein. Dann widersprach sie: »Nein.«
Sie starrte in die Kamera.
»Ich habe gelogen«, erklärte sie plötzlich in vehementem Ton.
»Inwiefern haben Sie gelogen?«, fragte die junge Frau.
»Als ich den Tisch mit dem SS-Mann erreichte – er war Arzt! Arzt! Wie kann ein Arzt so etwas tun? Also, er fragte mich, wie alt ich sei, und ich sagte sechzehn, und er überlegte, und als er gerade die Hand heben wollte, dachte ich, er zeigt vielleicht nach links, und ich sagte hastig, aber ich bin Elektrikerin. Er sah mich an, und ich sagte, mein Vater sei Elektriker und ich seine Gehilfin, er hätte mir alles beigebracht, und so hoffte ich, dass der SS-Mann mich für nützlich hielt, und tatsächlich zeigte er nach rechts.«
»Kannten Sie sich denn …«
»Nein, ich hatte keine Ahnung. Ich habe gelogen und überlebt.«
Sophie Millstein verstummte. Nach einer Weile fuhr sie fort: »Das hat mich immer gequält, wussten Sie das? Ich meine, natürlich habe ich nichts Unrechtes getan, aber meine Mama und mein Papa – in Wirklichkeit war er Universitätsprofessor für Linguistik –, meine Eltern haben uns immer beigebracht, dass es eine Sünde sei zu lügen, und es sei wie ein kleiner dunkler Fleck auf der Seele, den man nie ganz wieder weg bekäme und es sei immer, immer, immer besser, die Wahrheit zu sagen, als diesen kleinen Schandfleck mit sich herumzutragen. Und ich hasste es, dass der SS-Mann mich dazu zwang, mein Leben durch eine Lüge zu retten. Alles, was danach geschah, hatte mit dieser Lüge zu tun. Ich hasste sie dafür und wohl auch mich selbst.«
»Aber wenn Sie die Wahrheit gesagt hätten …«
»Wäre ich gestorben.«
»Dann wurden Sie also Elektrikerin?«
Einen Moment lang zögerte Sophie Millstein, und Simon Winter sah, wie sie erneut die Augen zusammenkniff. Unter dem Ansturm der Gefühle rang sie um Worte, doch nach ein paar Sekunden sprach sie weiter.
»Nein …«, erwiderte sie langsam. »Nein. Das habe ich Leo erzählt. Und auch allen anderen, die danach fragten. Aber auch das war gelogen. Sie rasierten mir den Kopf. Sie rasierten mich am ganzen Körper. Und ich wurde eine Hure.«
Sie holte tief Luft. Ihre Stimme bebte, als sei ihr plötzlich kalt. »Und so habe ich überlebt. Als Hure.« Sophie Millstein bückte sich nach etwas, und Winter sah, wie sie ein Spitzentaschentuch aus ihrer Handtasche neben ihren Füßen zog. Sie wischte sich damit die Augen, dann blickte sie zu der jungen Frau hinter der Kamera hinüber.
»Ich glaube, ich habe mich geirrt«, meinte sie bitter. »Ich habe eine Menge zu erzählen.«
Mit tränennassen Augen blickte Sophie Millstein in die Kameralinse. Erneut holte sie tief Luft.
»Es ist mir äußerst schwer gefallen, mir selbst zu vergeben«, gestand sie leise. »Bis heute habe ich das Gefühl, als hätte ich einen fürchterlichen Fehler begangen. Ich kann dieses Gefühl nicht einfach ignorieren, als wäre es Luft.«
An dieser Stelle trat in der Videoaufnahme Schweigen ein, bis die junge Frau einwarf: »Sophie, Sie haben überlebt. Nur das zählt. Nicht wie oder wieso oder was Sie dafür machen mussten. Sie haben überlebt, und Sie sollten sich nicht schuldig fühlen.«
»Ja. Das ist wahr. Das habe ich mir all die Jahre immer wieder gesagt.«
Erneut hielt Sophie Millstein inne. Inzwischen liefen ihr die Tränen ungehindert die Wangen hinunter und verschmierten ihr das sorgfältige Make-up.
»Wahrscheinlich habe ich mich die ganze Zeit schuldig gefühlt, weil ich lebe, während so viele andere starben.«
Wieder verstummte sie.
»Kann ich etwas zu trinken haben?«, fragte sie mit einem schwachen Lächeln wie ein Kind, das zum ersten Mal ohne Hilfe ein Wort gelesen hat. »Vielleicht ein bisschen Eistee?«
Sophie Millstein verschwand mit einem Schlag vom Bildschirm, auf dem an ihrer Stelle graue Streifen erschienen, gefolgt von einer blauen Titelei mit ihrem Namen, dem Aufnahmedatum und einer Dokumentennummer.
Esther Weiss stand auf und schaltete den Fernseher aus. Dann trat sie ans Fenster. Sie zog die flache Jalousie mit einem Rascheln hoch. Das Tageslicht strömte ins Zimmer, und Simon Winter kniff die Augen zusammen. Er sah, wie die junge Frau am Fenster stehen blieb, als müsse sie sich fassen.
Sie drehte sich zu ihm um. Sie war in Jeans und einem weiten Baumwollhemd salopp gekleidet. Ihre üppige Lockenmähne, die ihr bis auf die Schulter fiel, verlieh ihrem Gesicht einen dynamischen Ausdruck.
»Wussten Sie, was für eine außergewöhnliche Frau Sophie war, Mr.Winter?«
Simon Winter hatte es selbst die Sprache verschlagen, und so schüttelte er nur stumm den Kopf.
»Eine überaus bemerkenswerte Frau. Tapferkeit, Zähigkeit, Zielstrebigkeit, Überlebenswille – das lässt sich nicht messen, das sind bloße Worte, Mr.Winter. Worte, die für etwas stehen, das in unserer heutigen Gesellschaft verlorengegangen ist und unerreichbar fern erscheint. Sämtliche Überlebenden besaßen bis zu einem gewissen Grad diese Eigenschaften, aber Sophie, Sophie war selbst unter ihnen etwas Besonderes. Wussten Sie das über ihre Nachbarin, Mr.Winter?«
Er schüttelte wieder den Kopf.
Weiss fuhr fort: »Es ist schon merkwürdig, wie sehr der Schein trügen kann. Sie sah wie eine ganz gewöhnliche kleine alte Dame aus. Vielleicht ein wenig wirr. Ein wenig exzentrisch.«
Sie blickte Simon Winter ins Gesicht.
»Die typische jüdische Großmama. Hühnersuppe und die übliche Nörgelei über dies und jenes, stimmt’s?«
Winter antwortete nicht.
»Das haben Sie doch gedacht, nicht wahr?«
Er nickte bedächtig.
»Nun ja«, sagte sie zögernd, »Sie lagen vollkommen falsch.« Jetzt sah die Frau ihn mit einem strengen Ausdruck an. »Ganz und gar falsch, verflucht noch mal.«
An dieser Stelle wischte sich die junge Frau selbst die Tränen aus den Augen. Winter sah, wie sie tief Luft holen musste.
»Das war nur die erste Aufnahme, wissen Sie. Der Anfang. Um das Eis zu brechen sozusagen. Wir hatten uns große Hoffnungen gemacht. Doch Ihrer Nachbarin war es nur noch vergönnt, ein einziges weiteres Band mit uns zu machen, bevor sie …«
Sie verstummte abrupt.
»Verdammt«, fluchte sie. »Ermordet wurde, Gottverdammt.«
Simon Winter schwieg.
»Welche Ungerechtigkeit! In was für einer Welt leben wir eigentlich, Mr.Winter? Gibt es keine Gerechtigkeit mehr?«
Winter antwortete nicht. Was soll man darauf sagen?, dachte er. Sie hat vollkommen recht.
»Hat sie viel über die Jahre in Berlin vor der Deportation gesprochen?«
Die junge Frau blickte auf ein Blatt mit irgendwelchen Notizen. Als sie den Kopf wieder hob, registrierte Simon Winter, wie ihr Blick auf seinen Unterarm fiel. Ihm war klar, dass sie nach einer Tätowierung suchte.
»Was genau führt Sie eigentlich her? Sie sind kein Überlebender, nicht wahr, Mr.Winter?«
»Nein«, erwiderte er übereilt und wurde sich im selben Moment bewusst, dass die Antwort nicht ganz der Wahrheit entsprach. »Ich war einmal bei der Polizei.«
»Weshalb interessieren Sie sich jetzt für Sophies Geschichte?«
»Weil sie etwas gesagt hat. Kurz vor ihrer Ermordung. Über den Mann, der sie ausgeliefert hatte.«
»U-Boote«, sagte Weiss.
»Wie bitte?«
»U-Boote. Das war eine der Bezeichnungen für die Menschen, die versuchten, sich in den Großstädten zu verstecken. Weil sie untertauchten. Es war ein äußerst schwieriges Leben. Ich kann Ihnen ein paar Bücher darüber geben, was diese Leute auf sich genommen haben. Wirklich bemerkenswert. Sich mitten in einem Polizeistaat zu verstecken, der sich ihrer Vernichtung verschrieben hat. Ich glaube, dass es in der Geschichte wenig Menschen gibt, die so viel Findigkeit, Einfallsreichtum, Tapferkeit und wer weiß was sonst noch an den Tag gelegt haben. Das waren außergewöhnliche Menschen, und nur so wenige von ihnen haben den Krieg überlebt und können ihre Geschichte erzählen. Deshalb waren wir alle so fasziniert, als Sophie zu uns kam und mit den Aufnahmen begann. Ich glaube, dass wir heute den Mut, den diese Menschen aufbrachten, ohne diese unmittelbaren Zeugnisse überhaupt nicht nachvollziehen können. Wie haben sie gelebt? Sie haben gehungert. Sie waren ständig in Angst. Tag und Nacht. Sie konnten sich niemals länger als ein paar Tage am selben Ort aufhalten. Sie mussten immer weiter flüchten. Und sich an Orten aufhalten, an denen sie nicht auffallen würden. Womöglich bestachen sie die Leute. Meistens mit Schmuck. Falls sie Goldmünzen besaßen, umso besser. Manchmal konnten sie sogar die Greifer bestechen und ihr Leiden damit vielleicht um ein paar Tage verlängern, bevor sie dann doch geschnappt und in den Tod geschickt wurden.«
»Das habe ich mir kürzlich erklären lassen.«
»Mit wem haben Sie gesprochen?«
»Rabbi Chaim Rubinstein. Einer Mrs.Kroner und einem Mr.Silver.«
»Die kenne ich. Sie waren U-Boote wie Sophie.«
Die junge Frau zögerte, dann schüttelte sie den Kopf. »Und dann diese Juden, die von der Gestapo eingesetzt wurden, um andere Juden zu jagen. In einer Gesellschaft, die Ironie und Verrat in gleichem Ausmaß hervorbrachte, waren sie vielleicht … ich weiß nicht – was? Moralisch abnorm.«
Sie schwieg, und Winter holte scharf Luft. Er sah, wie sie zum Fenster blickte und dem Lichtstrahl folgte, der in den Raum stach.
»Was meinen Sie? Kommt ein solcher Mensch in einen speziellen Höllenkreis, Mr.Winter?«
Er beantwortete die Frage nicht, obwohl er sie berechtigt fand. Stattdessen setzte er selbst zu einer Frage an: »Hat sie je beschrieben …«
»Das ist ein unglaublich wichtiges Thema, Mr.Winter. Eine Art moralischer Kannibalismus. Sein eigenes Volk an diese Ungeheuer zu verraten, um die eigene Haut zu retten. Über die Jahre hatten wir hier im Center übrigens schon eine Reihe bedeutender Forscher, die wegen unserer Videos kamen.«
Esther Weiss sah Simon Winter an.
»Sie hat noch eins mit uns gedreht. Ich hole es.«
Die junge Frau trat an einen Bücherschrank und suchte die Fächer mit Bändern ab. Sie fand eines und glich es mit einer Liste ab, dann wandte sie sich wieder ihrem Gast zu.
»Da ist es. Soll ich die Jalousie wieder schließen?«
Er schüttelte den Kopf. Bei hellem Tageslicht fühlte er sich vor all diesen Alpträumen, die auf den Bändern festgehalten waren, sicherer. Sie nickte und legte das Video ein.
Wieder erschien Sophie Millstein auf dem Bildschirm. Diesmal trug sie ein weniger vornehmes Kleid. Eins von ihren vielen geblümten, registrierte Winter. Während die junge Frau den Film vorspulte, um bei dem eigentlichen Gespräch zu beginnen, legten sich zunächst zwei Störstreifen über das Bild, dann lief jede kleinste Bewegung der alten Frau im Zeitraffer ab.
»Hier müsste es sein …«, meinte Weiss. Sie drückte auf einen Knopf, doch bevor Sophie Millsteins Stimme den Raum erfüllte, meldete sich unsichtbar Esther Weiss zu Wort:
»Sophie, wie kam es zu Ihrer Verhaftung?«
Sophie legte die Hand auf den Mund, als wollte sie die Worte, die ihr schon auf der Zunge lagen, mit aller Macht zurückhalten. Doch dann richtete sie sich kerzengerade auf und sprach mit der Autorität eines Augenzeugen vor Gericht:
»Ich erinnere mich noch, dass ich damals zum ersten Mal sah, wie Hansi die Angst ins Gesicht geschrieben stand, denn er kam an jenem Tag nach Hause und sagte, möglicherweise hätte ihn jemand gesehen. Er war sich nicht sicher, denn natürlich veränderten sich die Leute in jenen Jahren so rapide. Es konnte passieren, dass man jemandem in die Augen starrte, mit dem man seit Jahren vertraut war, und ihn nicht wiedererkannte. Der Krieg brachte das mit sich. Und der Hunger. Und der Bombenhagel der Alliierten. Doch Hansi war höchst beunruhigt. Dennoch ging er am nächsten Tag hinaus, um sich eine Arbeit zu suchen. Wir mussten schließlich essen, also hatten wir keine Wahl, und er hoffte, dass Herr Gutmann von der Druckerei ihm als Tageslohn ein Stück Brot geben würde, das war einfach zu wichtig. Also ging er. Aber an diesem Abend kam er erst lange nach Einbruch der Dunkelheit zurück, so dass er sich während der nächtlichen Ausgangssperre an den Wachen vorbeischleichen musste, was er noch nie getan hatte, denn würde er ohne Ausweis erwischt, wäre alles aus. Doch selbst in dem Fall, dass sie seine Papiere akzeptiert hätten, konnte so etwas das Ende bedeuten. Er kam also nach Hause, und ich sah, wie er aufgeregt und ängstlich mit Papa tuschelte, während er der Mama und mir nicht mitteilen wollte, worum es ging. Doch ich beobachtete Papa dabei, wie er zu dem Mantel ging, in den unser sämtliches Geld eingenäht war, und wie er anschließend Hansi einen Ring überreichte. Einen Goldring. Papas Ehering. Hansi nahm ihn und ging durch die Kellerfalltür wieder hinaus. Wenige Minuten später kehrte er zurück, und ich weiß noch, wie er zu Papa sagte, jetzt wäre alles gut, wenn auch nur für ein paar Tage, und so sprachen sie darüber, einen anderen Unterschlupf für uns zu finden. Ich wollte nicht weg. Der Keller war warm und bot uns während der Bombenangriffe Schutz. Vielleicht sind wir deshalb nicht so schnell weitergezogen, wie es ratsam gewesen wäre. Jedenfalls kamen sie zwei Tage später. Die Gestapo klopfte an die Tür. Sie holten uns nach draußen. Ich erinnere mich, wie zwei Soldaten links und rechts die arme Frau Wattner festhielten. Sie sah so verängstigt aus. Sie beteuerte: ›Aber das wusste ich doch nicht, ich hatte keine Ahnung, ich dachte, sie wären ausgebombt!‹ Sie drehte sich zu Papa um und spuckte ihm ins Gesicht. ›Schweinejude!‹, schimpfte sie. Wir wussten natürlich alle, dass sie das sagen musste. Trotzdem tat es weh. Der Mann von der Gestapo verfrachtete uns in einen Wagen, und als ich mich noch einmal umblickte, sah ich, wie Soldaten die arme Frau Wattner an die Hauswand stießen. Papa befahl mir, mich wieder umzudrehen, doch ich hörte die Maschinenpistole, und als ich noch einmal zurückblickte, war niemand mehr da …«
Auf dem Video kämpfte Sophie Millstein einmal mehr mit den Tränen. Sie hielt die Hand in die Höhe. »Tut mir leid, Esther«, entschuldigte sich Sophie Millstein. »Die arme Frau Wattner. Sie brachte uns Suppe, wenn wir keine hatten. Ich glaube, im Moment bin ich nicht in der Lage, von diesem Tag zu sprechen.«
»Sophie«, redete ihr die Frauenstimme hinter der Kamera gut zu, »diese Dinge sind wichtig.«
Sophie Millstein nickte in die Kamera.
»Hansi sagte nicht viel. Nicht in jener Nacht. Nachdem Mama und Papa endlich schliefen, kroch ich zu ihm unter seinen Wintermantel, denn Decken hatten wir nicht. Ich fragte ihn: ›Hansi, was ist los? Um wen geht es?‹, und zuerst wollte er nichts sagen, doch ich knuffte ihn fest mit dem Ellbogen, und schließlich hielt er die Hand so hoch, dass sie in dem schummrigen Lichtstrahl, der durch das einzige kleine Fenster drang, einen Schatten auf die Wand warf, und da wusste ich Bescheid …«
»Was wussten Sie?«, hakte die junge Frauenstimme nach.
»Ich wusste, dass er irgendwo da draußen war. Und ich wusste, dass er uns bald an die Gestapo verschachern würde. Das wusste ich einfach. Ich muss wohl zusammengezuckt sein oder nach Luft geschnappt haben oder so, denn Hansi versicherte: ›Nein, keine Sorge. Ich habe ihn bezahlt, und er wird uns in Ruhe lassen …‹ Aber das habe ich nicht geglaubt, und Hansi wohl genauso wenig.«
»Dieser Mann. Derjenige, dem er begegnet war …«
»Der uns verraten hat.«
»Ja. Woher kannte er …«
»Ich nehme an, vom Gymnasium. Kein Klassenkamerad von Hansi, sondern jemand, der vielleicht ein paar Jahre älter war als er. So musste es wohl gewesen sein, denn ganz gegen seine Gewohnheit fluchte mein Bruder, und ich weiß noch, wie er sagte, es wäre besser gewesen, er hätte niemals Schreiben und Lesen gelernt.«
Sophie Millstein schwieg einen Moment, dann fügte sie in hartem Ton hinzu: »Er wusste es. In jener Nacht im Dunkeln. Ich entsinne mich, wie einmal wieder in Tempelhof die Bomben herunterkamen. Wir hörten es zuerst aus einiger Entfernung, dann näher. Normalerweise machte mir das Angst, aber nicht in dieser Nacht. Ich weiß noch, wie ich in dieser Nacht gebetet habe, dass sie möglichst eins der britischen Kampfflugzeuge abschießen sollten, so dass es seine Ladung einfach fallen ließ und kurzen Prozess mit uns machte. Ich hatte nur noch den Wunsch, dass es endlich vorbei ist.«
Leise fuhr sie mit ihrer Erzählung fort: »Hansi wusste es, ich wusste es, und ich nehme an, auch Mama und Papa war klar, dass unser Tod praktisch besiegelt war. Wir waren in dem Moment so gut wie tot, als er Hansi wiedererkannte. In jenem Augenblick, da er meinem Bruder durch die Stadt gefolgt war, an jeder Haltestelle der Straßenbahn, mit jedem Schritt auf dem Bürgersteig – da waren wir schon tot. Jede Sekunde, die er uns ausgespäht, die er auf den richtigen Moment gewartet hatte – tot. Wir waren praktisch tot, als er meinen Bruder in einem dunklen Winkel einer Seitenstraße stellte und ihm wie eine Schlange ins Ohr zischte: ›Jud, ich kenne dich!‹ Als Hansi ihn um Nachsicht anflehte, waren wir schon tot. Als er Hansi zwang, ihn zu Frau Wattners Keller mitzunehmen und als er sein Bestechungsgeld forderte, waren wir längst tot. Wir waren schon tot, als Hansi ihm den Ring und das Geld überreichte, das wir noch hatten. Und als er ihm die große Lüge auftischte, uns zu verschonen. Nein, nein, wir waren alle schon tot, auch wenn er vorgab, unser Leben zu schonen.«
Sophie Millstein verstummte. Vor Zorn hatte sich ihr Gesicht gerötet, und sie atmete schnell.
»Aber Sie haben überlebt, Sophie«, warf Esther leise ein.
Sophie Millstein kniff die Augen zusammen, und ihre Stimme klang heiser, als sie erwiderte: »Ich hätte überlebt? Glauben Sie, wer das durchgemacht hat, der überlebt? Ach, Sie haben keine Ahnung! Innerlich sind wir alle gestorben! Mag sein, dass der Körper es überstanden hat. Mag sein, dass wir noch atmen konnten. Mag sein, dass wir weiter jeden Morgen aufwachten und das Tageslicht sahen, aber innerlich waren wir tot! Tot!«
»Sophie, das ist nicht wahr«, wandte die junge Frau behutsam ein. »Sie haben überlebt. Andere haben überlebt. Das hatte einen Sinn. Es war wichtig, dass Sie leben.«
Sophie Millstein setzte zu einer Antwort an, überlegte es sich jedoch anders. Wieder standen ihr die Tränen in den Augen. »Es tut mir so leid, Hansi«, entschuldigte sie sich langsam. »Es tut mir so leid, Mama und Papa. Für alle, die gestorben sind, tut es mir so leid.«
Sie holte tief Luft und nickte.
»Esther, Sie haben recht, ich habe das Leben geliebt. Vielleicht ist es kein perfektes Leben gewesen, vielleicht hätte ich einiges, was ich getan habe, besser nicht getan oder auch einige Dinge besser nicht ausgesprochen, aber was geschehen ist, das kann ich nicht ungeschehen machen, nicht wahr?«
»Nein, das können Sie nicht.«
Sophie Millstein wollte etwas sagen, dachte jedoch plötzlich angestrengt nach, bevor sie schließlich flüsterte: »Und wenn man bedenkt … dass er einer von uns war.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich brauche eine Pause.«
»Sophie, das ist wichtig. Was ist mit dem Mann, der Sie verraten hat? Wir müssen mehr über ihn erfahren.«
»Ich weiß, tut mir leid. Vielleicht morgen. Oder nächste Woche. Aber ich muss erst einmal an angenehmere Dinge denken, Esther. Denn manchmal habe ich das Gefühl, dass mir bei diesen Erinnerungen das Herz stehen bleibt.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann erwiderte die Stimme der jungen Frau. »Selbstverständlich, Sophie. Es hat ja keine Eile. Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen.«
Dann, bevor der Bildschirm schwarz wurde, erschien erneut eine blaue Tafel mit einem Datum und einer Dokumentennummer.
Esther Weiss schaltete den Fernseher aus und schüttelte den Kopf. »Ich habe mich geirrt«, gab sie zu. »Sie hatte keine Zeit. Verdammt.« Sie seufzte und blickte Simon Winter von der Seite an. »Das ist also alles, was wir haben. Ihr Bruder hat den Greifer bestochen – vielleicht ein früherer Schulkamerad, ein Lehrer, wer weiß? Es war nicht so, als ob die Mehrzahl der guten Deutschen Juden versteckt hat – gegen Geld. Aber es hat nicht funktioniert. Sie wurden trotzdem denunziert. Denunziert und in den Tod geschickt. Hilft Ihnen das?«
»Vielleicht.« Er dachte angestrengt nach und versuchte das, was er gehört hatte, einzuordnen. Er rief sich ins Gedächtnis zurück, was Sophie Millstein gesagt hatte, als sie am Tag ihres Todes in seine Wohnung geklopft hatte: Ich habe ihn nur diesen einen Moment gesehen. Könnte ich mich vielleicht irren … Kann man ein solches Gesicht je vergessen?, fragte er sich plötzlich. Würdest du dieses Gesicht wiedererkennen, egal, wie kurz du es an jenem Tag vor fünfzig Jahren gesehen hast, egal wie sehr es gealtert ist? Könntest du es jemals vergessen?
Die Antwort fiel nicht schwer: nein.
Dann drehte er die Gleichung in Gedanken um. Würde der Mann mit diesem Gesicht je vergessen, was er damals getan hat?
Nein.
Die junge Frau zögerte. Winter bemerkte ihren nachdenklichen Blick, als sie sagte: »Wissen Sie, was seltsam ist? Darüber wollte sie in der Nacht sprechen, in der sie ermordet wurde.«
»Was?«
»Sie hat auf dem Anrufbeantworter des Holocaust Center eine Nachricht hinterlassen. Nach Büroschluss, als niemand mehr hier war. Sie erklärte nur, sie würde vorbeikommen, um über ihre Verhaftung zu reden.«
»Was genau hat sie gesagt?«
»Nur das. Ganz kurz.«
»Haben Sie es weiter …«
»Ich habe die Polizei angerufen. Die schienen nicht sonderlich interessiert.«
Winter nickte. »Sie glauben, ein Drogensüchtiger oder so hätte sie getötet. Jemand, den sie mit einer Reihe anderer Einbrüche in der Umgebung von Sophies Wohnung in Verbindung bringen.«
»Das haben sie mir auch erzählt.«, bestätigte sie. »Aber Ihnen macht doch etwas zu schaffen, Mr.Winter – Sie glauben das nicht?«
Er schwieg. Er musste daran denken, wie Sophie Millstein plötzlich ein paar Brocken Deutsch herausgerutscht waren. Ich hatte keinen blassen Schimmer, dachte er. All die Jahre, in denen ich sie kommen und gehen sah, in denen ich ihr im Sunshine Arms direkt gegenüber wohnte, hatte ich keine Ahnung. Toller Ermittler, dachte er.
»Natürlich glaube ich ihnen«, meinte Winter gedehnt.
»Weshalb sind Sie dann hergekommen, Mr.Winter?«, wollte die junge Frau wissen.
Ihm ging es immer noch nicht aus dem Kopf, wie dumm er gewesen war. All die Jahre bei der Polizei. Tagein, tagaus jede Form von Mord und Totschlag. Und dann schleicht er sich sozusagen durch die Hintertür ins Sunshine Arms, nachdem er selbst zur Pistole gegriffen hatte, um seinem eigenen Leben ein Ende zu machen: Aus schierer Boshaftigkeit hatte der Tod sich den Falschen geholt. Nicht ihn, sondern seine Nachbarin.
»Ich bin hergekommen«, entgegnete er in schneidendem Ton, »weil jemand einen mir nahe stehenden Menschen ermordet hat.«
Er wandte den Blick hastig zum Fenster, als könnte der strahlende Sonnenschein, der durch die Scheiben drang, die Nebelschwaden in seinem Innern verdunsten. »In der Nacht, in der sie starb«, sagte er und wählte jedes Wort mit Bedacht, »als sie hier anrief … hat sie da den Begriff ›der Schattenmann‹ benutzt?«
Weiss schüttelte den Kopf. »Nein, nicht dass ich wüsste. Der Schattenmann? Nein, daran würde ich mich erinnern.«
Simon Winter biss die Zähne zusammen. »Sagt Ihnen das irgendetwas?«
»Auf Anhieb nicht. Aber …«
»… das könnte der Greifer gewesen sein.«
»Das wäre durchaus plausibel. Die hatten alle irgendwelche Pseudonyme und Decknamen. Und sie beschreibt, wie ihr Bruder die Hand hebt …«
»Hat irgendjemand von diesen Leuten den Krieg überlebt?«
»Vielleicht ein oder zwei. Eine Frau haben die Russen vor Gericht gestellt, sie kam für einige Zeit hinter Gitter, und seitdem lebt sie unbehelligt in Deutschland.«
»Und die anderen?«
»Die verschwanden in den KZs. Oder in den Trümmern. Wer weiß.«
Richtig, dachte Simon Winter. Das ist die Frage.