Die beiden Mädchen saßen Seite an Seite auf der Kante eines Einzelbetts in einem Zimmer mit einer bemerkenswerten Ansammlung von rosa Stofftieren und kleinen Teegedecken und starrten auf den Computerbildschirm. Sie waren höchstens ein paar Monate, vielleicht nur ein paar Wochen jünger als Nummer 4.
Auf dem Schreibtisch vor ihnen lag ein vernickelter Revolver Kaliber 32 mit kurzem Lauf. Im glänzenden Metall spiegelten sich die Bilder auf dem Bildschirm. Die Waffe war geladen und entsichert. Sie beschwerte einen Stoß Papiere – im Wesentlichen Ausdrucke und Scans von E-Mails, SMS-Nachrichten und MySpace-Seiten. Dazwischen befanden sich auch ein paar handschriftliche Notizen auf liniertem Schulheftpapier, das mehrfach klein gefaltet und anschließend zum Lesen wieder ausgebreitet worden war.
Eins der Mädchen hatte ein wenig Übergewicht. Das andere trug eine dicke Brille. Keines dieser Merkmale wäre von irgendeinem Belang gewesen, hätten sie nicht für diese beiden Mädchen alles oder nichts bedeutet.
Die Papiere unter der Waffe enthielten einen detaillierten Bericht über ein halbes Jahr intensives Internet-Mobbing. »Schlampe« und »Hure« gehörten noch zu den harmlosesten Beschimpfungen, die sie zu lesen bekamen. Weitaus schlimmer waren die entsetzlich peinlichen, digital zusammengefügten Fotos, die jedes der Mädchen bei diversen sexuellen Aktivitäten mit einer Reihe anonymer Jungen zeigten. Der Umstand, dass darauf Ereignisse dargestellt wurden, die nicht wirklich stattgefunden hatten, zählte nicht. Wer immer für die Collagen verantwortlich war, hatte beträchtliches Können an den Tag gelegt, so dass der Betrachter dieser Bilder schon genau hinsehen musste, um die Fälschung zu erkennen. Keiner ihrer Klassenkameraden an der Highschool hatte sich diese Mühe gemacht, da die Fotos bald per E-Mail und Handy die Runde machten. Sie wussten inzwischen, dass die Bilder erfunden waren – und es war ihnen egal.
Die beiden Mädchen schwiegen. Sie blickten wie gebannt auf den Bildschirm.
Die Waffe gehörte eigentlich der Mutter des übergewichtigen Mädchens. Sie war geschieden und machte als Chefsekretärin häufig Überstunden, so dass sie nicht selten im Dunkeln den großen Firmenparkplatz allein überqueren musste, ein Sicherheitsrisiko, das zur Anschaffung einer Waffe führte. Zuerst hatte die Mutter versucht, die Tochter mit in den Selbstverteidigungskurs zu nehmen, den sie angefangen, aber abgebrochen hatte. In diesem Moment saß die Mutter an ihrem Schreibtisch, wimmelte Anrufe ab und bereitete eine Reiseroute für die nächste Verkaufsoffensive ihres Chefs vor. Irrtümlicherweise glaubte sie, die Handfeuerwaffe befinde sich in ihrem Billigimitat einer Fendi-Handtasche und ihre Tochter im Mathematikunterricht.
Das Mädchen mit der Brille riss sich widerstrebend vom Bildschirm los. Sie blickte auf das blassgelbe Briefpapier mit dem aufwendigen Blumenranddekor, das sie in der Hand hielt. Es war ein gemeinsam verfasster Abschiedsbrief. Sie wollten sicherstellen, dass alle wussten, wer sie so erbarmungslos verhöhnt hatte. Entsprechend hatten sie eine möglichst umfassende Liste der Schuldigen zusammengestellt und trösteten sich mit der Vorstellung, dass die Leute, die sie in den Selbstmord getrieben hatten, für den Rest ihres Lebens hinter Schloss und Riegel kamen. Sie hatten keine Ahnung, wie unwahrscheinlich ein solcher Ausgang war, doch es hatte ihnen dabei geholfen, ihren Pakt zu schließen.
Was in ihrem Brief unerwähnt blieb, war die Faszination, die für sie beide von Whatcomesnext.com ausging. Niemand wusste von den vielen Stunden, die sie sich mit Nummer 4 beschäftigt hatten. Sie beschrieben nicht, wie sie das Mädchen angefleht, umschmeichelt hatten, um anschließend mit ihr zu schluchzen, wenn ihr schreckliche Dinge passiert waren.
Nummer 4 war mit ihnen verschmolzen. Als nun zwischen ihnen bei spätabendlichen, tränenreichen Handygesprächen ihre Pläne nach und nach Gestalt annahmen, hatten sie sich auf einen wichtigen Punkt geeinigt: Starb Nummer 4, dann starben auch sie.
Ihnen war klar, dass sie es besser hatten als Nummer 4. Sie standen sich gegenseitig bei, während Nummer 4 nur ihren Stoffbären hatte, und jetzt war ihr selbst der noch genommen worden, auch wenn sie beide – im Unterschied zu ihr – sehen konnten, wo die Frau ihn auf den Boden geworfen hatte.
Jetzt sahen sie, wie Nummer 4 die Waffe vom Boden ihrer Zelle aufhob. Das übergewichtige Mädchen machte es ihr nach und packte die Zweiunddreißiger am Griff. Sie waren sich nicht im Klaren, ob sie nun wollten, dass sich Nummer 4 erschoss, oder nicht. Sie wussten nur, dass sie ihrem Beispiel folgen würden. Was sie tat, bestimmte über ihr eigenes Schicksal. Dieser Entschluss verdrängte jeden Gedanken daran, ob das, was sie vorhatten, richtig oder falsch, klug oder dumm war. Das bebrillte Mädchen nahm die Hand ihrer Freundin und drückte sie zum Trost. Einen Moment fragte sie sich, wieso ihre Freundschaft nicht reichte, um trotz aller Hänselei und schamlosen Grausamkeit die Highschool durchzustehen. Sie fand auf diese Frage keine Antwort. Sie wusste nur, dass sie in den nächsten Minuten genügend andere Antworten bekommen würde.
Jennifer nahm den Revolver in die Hand und war erstaunt über sein beträchtliches Gewicht. Sie hatte noch nie eine tödliche Waffe gehalten und hätte irgendwie angenommen, dass etwas so Mörderisches federleicht sein müsse. Sie hatte keinen Schimmer, wie man damit umging, wie man die Trommel ausschwenkte, wie man sie lud oder den Hahn mit dem Daumen zurückzog. Sie wusste nicht, ob die Waffe gesichert war oder ob im Lager nur eine oder alle sechs Patronen steckten. Sie hatte genug ferngesehen, um zu wissen, dass sie vermutlich nichts weiter zu tun hatte, als sich den Lauf an die Schläfe zu setzen und so lange den Abzug zu betätigen, bis es sich erübrigte.
Eine Stimme in ihr schrie: Bring’s hinter dich! Tu’s schon! Mach dem Ganzen ein Ende! Angesichts ihrer eigenen bitteren Gefühle schnappte sie nach Luft.
Ihre Hand zitterte ein wenig, und sie glaubte, dass sie es schnell machen sollte, denn was der Mann und die Frau mit ihr anstellen würden, wenn sie zu lange zögerte, war nicht auszudenken. Irgendwie schien es logisch, sich umzubringen, damit sie ihr nicht wehtun konnten. Andererseits musste sie jede Bewegung erst einmal genau durchgehen: Nimm die Waffe in die Hand. Heb sie langsam hoch. Stopp! Als müssten die letzten Minuten des Lebens in Zeitlupe vergehen.
Sie fühlte sich vollkommen allein, obwohl sie wusste, dass sie es nicht war. Sie wusste, dass der Mann und die Frau in der Nähe waren.
Sie konnte nicht klar denken. Sie merkte, wie sie all das, was ihr passiert war, seit sie auf der Straße gekidnappt wurde, noch einmal im Kopf abspulte – wie sie wieder geschlagen, wieder vergewaltigt, wieder verspottet wurde. Zugleich stiegen Bildfetzen aus der Vergangenheit auf. Das Problem war nur, dass alle diese Erinnerungen, die guten wie die schlechten, die fröhlichen und die traurigen, immer tiefer in einen Tunnel verschwanden und kaum noch greifbar waren.
Es kam ihr vor, als hätte Jennifer endgültig den Raum verlassen und nur Nummer 4 sei noch da. Und Nummer 4 blieb eine einzige Möglichkeit. Der Schlüssel, um nach Hause zu gehen. So nannte es die Frau. Sich umzubringen war folgerichtig. Ihr fiel keine andere Lösung ein.
Und trotzdem zögerte sie immer noch. Sie wusste nicht, woher diese Mischung aus Widerstandskraft und Trotz kam, doch es war eine Anwandlung, die sich ebenfalls Gehör verschaffte, mal wütend laut, mal ängstlich leise, und sich dagegen aufbäumte, Nummer 4 hier und jetzt ein Ende zu bereiten. Sie konnte einfach nicht mehr sagen, was von beidem mutiger war, sich zu erschießen oder nicht. So verharrte sie, weil nach wie vor alles unklar schien.
Dann tat Jennifer etwas Überraschendes, das sie niemandem hätte erklären können. Sie wusste nur, dass ihr eine unabweisbare Stimme befahl, es unbedingt und unverzüglich zu tun.
Behutsam legte sie die Waffe auf ihren Schoß und hob die Hände, um sich die Haube vom Kopf zu nehmen. Auch wenn sie es nicht wusste, erinnerte die Geste an ein bekanntes melodramatisches Hollywood-Motiv, bei dem der tapfere Spion sich dem Exekutionskommando gegenübersieht und es ablehnt, eine Augenbinde zu tragen, damit er dem Tod ins Auge blicken kann.
Die Haube war festgebunden, und so musste sie sich anstrengen, die Knoten zu lösen. Der eigensinnige Gedanke, nicht übergangslos von einer Art Dunkelheit in eine andere zu wechseln, irrlichterte ihr durch den Kopf. Es war mühsam, da ihr die Hände heftig zitterten.
Linda merkte als Erste, was Nummer 4 auf einmal trieb. Sie beide saßen mit derselben Faszination, die vermutlich alle ihre Kunden in diesem Moment erfasste, vor den Monitoren und verfolgten das langsame, doch fesselnde Ende von Nummer 4. Es war unvermeidlich. Es war ein qualvoller Nervenkitzel. Die Chatrooms und SMS zum letzten Akt füllten sich rasant mit Kommentaren zum Geschehen. Es herrschte ein hektisches elektronisches Getöse. Es wimmelte von Ausrufezeichen und Kursivschrift. Die Worte strömten herein wie Wasser nach einem Dammbruch.
»Du liebe Zeit!«, sagte Linda. »Wenn sie die abnimmt …« In einer Welt, die so sehr im Zeichen der Phantasie stand, hatte Nummer 4, ohne es zu ahnen, ein reales Element eingeführt, mit dem sie zurechtkommen mussten. Linda hatte mit der Möglichkeit nicht gerechnet, und sie sah sich auf einmal mit gewaltigen Ängsten und Bedenken konfrontiert. »Ich hätte ihr nicht die Handschellen abnehmen dürfen«, sagte Linda wütend. »Ich hätte ihr klarere Anweisungen geben müssen.«
Michael rollte zur Tastatur hinüber und packte einen Joystick. Er war kurz davor, die Hauptkamera abzuschalten, doch dann hielt er inne. »Wir können die Kundschaft nicht austricksen«, sagte er. »Sie werden verlangen, ihr Gesicht zu sehen.« Er hatte schon den Aufruhr vor Augen, den es geben würde, wenn Nummer 4 ihr Gesicht zeigte und sie beide den letzten Akt mit geschickten Aufnahmetricks und Verkantungen der Kameraeinstellung zu verschleiern suchten. »Nicht gut«, murmelte Michael. »Sie werden es messerscharf haben wollen.«
»Sollen wir …«, fing Linda an, sprach jedoch nicht zu Ende. »Sie haben sie vielleicht schon einen winzigen Moment zu sehen bekommen, als sie dachte, sie könnte fliehen. Bevor die Übertragung zu der Sicht von hinten wechselte, gab es vielleicht ein, zwei Sekunden …«
»Ja. Und die Rückmeldungen waren ziemlich eindeutig. Sie hassen es, dass ihre Augen verdeckt bleiben. Sie wollten sie sehen«, erwiderte Michael.
»Aber …« Linda unterbrach sich wieder. Sie wusste, was Michaels Hinweis zu bedeuten hatte. »Das ist ein verdammt großes Risiko«, flüsterte sie. »Falls die Cops das je zu sehen kriegen, und, Michael, du weißt, das ist früher oder später der Fall, können sie das Bild anhalten. Und technisch verbessern. Dann wissen sie, wen sie vor sich haben. Und es könnte, ich sage nur, könnte, sie auf die Idee bringen, nach wem sie zu suchen haben.«
Michael war sich nur allzu sehr über das Risiko im Klaren, das sie auf sich nahmen, wenn sie die Klienten sehen ließen, wer die sterbende Nummer 4 war. Sämtliche früheren Nummern waren mehr oder weniger anonym gestorben und hatten so ihre Identität bis zum Ende der Show nie preisgegeben. Doch Michael und Linda waren sich vollkommen bewusst, was für innige Gefühle und Leidenschaften die Kundschaft Nummer 4 entgegenbrachte. Sie war ihnen unendlich mehr ans Herz gewachsen als 1 bis 3. Es stand also viel auf dem Spiel, als Nummer 4 an den Bändern zerrte, mit denen die Haube ihr am Kopf befestigt war.
»Es ist ihr nicht bewusst«, sagte Linda langsam, »aber sie könnte sie wahrscheinlich zerreißen. Das wäre schneller. Wohl auch besser, ich meine, visuell wirkungsvoller.«
»Warte, vielleicht kriegt sie’s raus. Halt dich bereit. Kann sein, dass wir die Hauptkameraübertragung ganz schnell abblocken müssen. Ich würde es nur ungern tun, aber vielleicht geht es nicht anders.«
Michaels Finger schwebten über den entsprechenden Tasten. Linda war an seiner Seite. Er überlegte, ob sie die letzte Szene im Bauernhaus vielleicht einfach nur aufzeichnen sollten, um sie erst später, nachdem sie Nummer 4 bereits entsorgt und ihre Spuren verwischt hatten, zu zeigen. Doch er wusste, dass so etwas die Subscriber in helle Wut versetzen würde. In ihrem sicheren Hort daheim vor dem Computerbildschirm wollten sie unbedingt wissen, was passierte, was gleichbedeutend damit war, es unmittelbar zu sehen. Michael merkte, wie er vor Nervosität die Muskeln anspannte. Kein Aufschub, beschloss er. Wir müssen uns eben auf die Dinge einstellen, so wie sie passieren. Die Ungewissheit elektrisierte ihn und machte ihm zugleich Angst. Er warf einen Blick auf Linda und schätzte, dass ihr mehr oder weniger dieselben Gedanken im Kopf herumspukten. Dann wandte er sich wieder Nummer 4 zu, und zusammen konzentrierten sie sich auf das, was sie sehen konnten und was sie in den Cyberspace hinausschickten.
Er holte tief Luft.
Zum allerersten Mal seit Beginn der Serie Nummer 4 waren Michael und Linda unschlüssig. Fast schien es, als holte die Ungewissheit, in der Nummer 4 während der gesamten Show gehalten worden war, am Ende sie beide ein. Ihr Selbstvertrauen kam ins Wanken, und wie nie zuvor wandten sie sich gebannt dem Bildschirm zu und wussten nicht so recht, was nun tatsächlich als Nächstes kommen würde.
Der Lehm klebte ihm an den Kleidern und bedeckte seine Hände, so dass der Griff der Neunmillimeter glitschig wurde. Adrian stieg der satte Geruch der Erde in die Nase, als er langsam und geduldig auf das Bauernhaus zukroch. Die Sonne stand hoch am Himmel, und er dachte, wenn irgendjemand aus einem Fenster blickte, musste er ihn selbst in seiner geduckten Stellung entdecken. Doch er krabbelte unverdrossen weiter und überquerte die offene Fläche so unauffällig wie möglich, ohne den Blick von seinem Ziel zu wenden. Er stand erst auf, als er die Ecke der Scheune erreichte, wo er sich hinter die Wand ducken konnte und vom Haus aus nicht zu sehen war. Er keuchte schwer, doch nicht aus Erschöpfung, sondern weil er das Gefühl hatte, sich kopfüber in einen unwiderruflichen Kampf zu stürzen, bei dem seine Krankheit mit all seinem Scheitern als Ehemann, Vater und Bruder zusammentraf. Er hätte sich gerne an seine Geister gewandt und ihnen gesagt, es tue ihm leid, doch der Rest an Intuition und Einsicht, der ihm noch verblieben war, sagte ihm, dass er weitermusste. Sie würden schon mitkommen, egal, was für alberne Reuebekundungen ihm am Herzen lagen.
Mit jeder Faser wusste er, dass die vermisste Jennifer nur wenige Meter von ihm entfernt war. Als er bis zur Scheune schlich und vorsichtig um die Ecke spähte, fragte er sich einen Moment, ob irgendein Mensch bei klarem Verstand zu demselben Schluss gekommen wäre. Er hatte die Rückseite des Bauernhauses vor sich. Es gab eine einzige Tür, die, wie er vermutete, in die Küche führte. An der Vorderseite befand sich, zumindest seinen Bildern nach, eine Eingangsveranda, auf der es wahrscheinlich irgendwann einmal eine Schaukel oder Hängematte gegeben hatte, über der sich jetzt aber nur ein weiteres leckes Dach breitete.
Es war nichts zu hören. Nirgends bewegte sich etwas. Nichts, was darauf hindeutete, dass drinnen jemand war. Ohne den alten Truck vor dem Haus hätte man es für unbewohnt gehalten.
Natürlich wären die Türen verschlossen und verriegelt. Er überlegte, ob er vielleicht mit Hilfe des Revolvergriffs irgendwo einbrechen konnte. Doch Lärm war sein Feind und lief auf einen Frontalangriff hinaus – jedenfalls hatte ihm sein Bruder schon klargemacht, dass das ein Fehler wäre. Der Gedanke, er könnte so weit gekommen sein und doch noch scheitern, machte ihm Angst. Das war ihm mit allen Menschen passiert, die er geliebt hatte, und so war er eisern entschlossen, denselben Fehler nicht noch einmal zu begehen.
Adrian inspizierte eingehend das Haus. Von der Küche führte eine wackelige Treppe mit einem offenbar zerbrochenen Geländer hinunter.
Doch direkt daneben befand sich unmittelbar über dem Boden ein kleines verschmutztes Fenster. In seinem Haus hatte er genau so eins – ein schmales Fenster mit einer einzigen Scheibe, das ein wenig Licht in den Keller ließ.
Adrian überlegte: Wenn der Mann und die Frau, die Jennifer entführt haben, wie die meisten Leute sind, denken sie daran, die Haustür und die Tür an der Rückseite abzuschließen, sie werden auch die Riegel an den Schiebefenstern im Wohnzimmer und im Esszimmer überprüfen. Doch an das Kellerfenster haben sie nicht gedacht. Hab ich auch nie; Cassie ebenso wenig. Da komm ich rein.
Durch den offenen Garten würde er rennen müssen. So schnell er konnte. Was ist mit einer Alarmanlage? Nicht in einem so alten Haus, redete er sich ein. Renn, was das Zeug hält! Dann würde er sich am Fundament des Hauses zu Boden werfen und versuchen, das Kellerfenster aufzubekommen.
Es war kein überwältigender Plan. Falls seine Rechnung nicht aufging, hatte er keinen Plan B. Er tröstete sich einfach damit, dass er sein ganzes akademisches Leben damit zugebracht hatte, die Ergebnisse von Experimenten nicht vorwegzunehmen. Ganzen Studentengenerationen hatte er gepredigt: Nehmt nie das Ergebnis vorweg, denn dann ist euch der Blick verstellt, und ihr seht nicht, was sich abspielt, und ihr werdet nie erleben, wie aufregend es ist, wenn es anders kommt als erwartet.
Er war einmal Psychologe gewesen. Und in jungen Jahren ein Läufer. Er biss die Zähne zusammen, holte tief Luft und rannte los. Adrian sprintete mit aller Macht zum Bauernhaus und zu dem kleinen, ebenerdigen Fenster.