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Die drei Nächte und zwei Tage, die Brad Miller im Knast von Ventura County verbrachte, wurden die längsten seines Lebens.
Durch seine Wut über den ursprünglichen Zwischenfall auf der Straße, der zu seiner Inhaftierung geführt hatte, konnte er in der ersten Nacht kaum schlafen, und als er erfuhr, dass Lisa verschwunden war, spielten seine Nerven endgültig verrückt. Unablässig lief er in seiner Zelle auf und ab, während seine Mutter danebenstand und hilflos mit ansehen musste, wie er tiefer und tiefer in Besorgnis versank. »Das gefällt mir nicht, Ma. Das sieht ihr überhaupt nicht ähnlich. Das gefällt mir überhaupt nicht, warum unternimmt denn niemand etwas?«
An jenem ersten Tag gelang es Frank Miller, mit Officer Chris Lansing zu sprechen, dem Streifenpolizisten, der Brad am Freitag festgenommen hatte. Als er Lansing mitteilte, dass Lisa aus ihrem Motelzimmer verschwunden war und niemand eine Ahnung hatte, wohin, zeigte sich der Beamte besorgt. »Und ihr Ehemann hat sie seit seiner Verhaftung nicht mehr gesehen?«
»Richtig«, bestätigte Frank. Er hatte den Beamten abgefangen, bevor dieser seine von zwei Uhr nachmittags bis Mitternacht dauernde Schicht antreten konnte. »Und jeder, mit dem ich in diesem verdammten Gebäude geredet habe, hat mir gesagt, man könne nichts unternehmen, weil sie offiziell noch nicht als vermisst gilt!« Er spie den Satz mit unüberhörbarer Verachtung hervor. »Wenn Sie mich fragen, ist das verfluchter Bullshit!«
»Kommen Sie mal kurz mit«, forderte ihn Officer Lansing auf. Er führte Frank durch den Raum zu einem Schreibtisch, an dem ein junger Beamter mit Bürstenhaarschnitt vor einem Computer saß. »Kann ich mir mal einen Moment deinen Rechner leihen, Doug?«
»Klar.« Doug entfernte sich vom Schreibtisch und Officer Lansing nahm vor dem Bildschirm Platz.
»In meiner rechten Schublade ist ein Verhaftungsbericht über eine Jedermann-Festnahme durch einen Mr. Caleb Smith. Kannst du mir den mal bringen?«
Doug holte die Akte, und Officer Lansing blätterte sie durch. Er gab Smiths Namen und Anschrift in das System ein, drückte eine Taste und wartete. Kurze darauf wurde eine Meldung auf dem Monitor angezeigt: KEINE DATENSÄTZE GEFUNDEN.
»Scheiße.« Officer Lansing gab die Daten erneut ein. Frank spähte dabei über seine Schulter zum Bildschirm. Dieselbe Meldung erschien noch einmal.
Lansing drehte sich zu Frank um. »Das System ist mit der zentralen Datenbank der Zulassungsbehörde verbunden. Ich hätte die Daten über Smiths Fahrzeug erhalten sollen, in denen auch offene Strafmandate oder Ähnliches gestanden hätten, aber da ist nichts.«
Frank sah den Polizisten an. »Wollen Sie damit sagen, dass der Typ eine falsche Adresse angegeben hat?«
»Ich will damit noch gar nichts sagen.« Lansing reichte seinem Kollegen Doug die Akte. »Führ eine vollständige Überprüfung dieses Mr. Caleb Smith und dann eine Zulassungssuche nach seinem Fahrzeug durch. Wenn du fertig bist, bringst du mir die Ausdrucke bitte. Ich bin in Kens Büro.« Damit erhob er sich vom Schreibtisch und setzte sich in Richtung des hinteren Teils des Gebäudes in Bewegung. »Ich melde mich bei Ihnen, Mr. Miller. Würden Sie inzwischen bitte im Warteraum Platz nehmen?«
Es wurde die längste Wartezeit in Franks Leben. Als Officer Lansing zurückkam, begleitete ihn ein gewisser Lieutenant Young. Der Lieutenant schien ungefähr in Franks Alter zu sein, hatte grau melierte Haare und rötliche Züge. »Wir schicken sofort zwei Ermittler zum Day’s Inn und einen weiteren zu Ihrem Sohn, um ihn zu befragen.«
Frank war bereits bei der Ankunft der beiden Beamten aufgestanden. »Heißt das, Sie können meinen Sohn gehen lassen?«
Zum ersten Mal fiel ihm auf, dass Officer Lansing entschieden verlegen wirkte. Lieutenant Young bedachte Lansing mit einem flüchtigen Blick, bevor er wieder Frank ansah. »Da an Ihrem Sohn eine Jedermann-Festnahme infolge einer Straftat vorgenommen wurde, können wir ihn vor Montagmorgen nicht entlassen.«
»Herrgott noch mal!« Frank fuhr sich mit der Hand durch die lichter werdenden Haare.
»Wir tun, was wir können, um Lisa Miller zu finden«, versicherte ihm Lieutenant Young und versuchte, ein optimistisches Lächeln aufzusetzen. »Wir finden sie. Machen Sie sich keine Sorgen.«
All das teilte Frank seinem Sohn am Nachmittag mit und bemühte sich dabei, ihm die Neuigkeiten so schonend wie möglich beizubringen. Brad hörte ihm mit einem wachsenden Gefühl der Beklommenheit zu; er wusste nicht, wie, aber irgendwie hatte dieser Mr. Smith etwas mit dem Verschwinden seiner Frau zu tun. Sein Bauchgefühl verriet es ihm.
Brads Eltern blieben bis fünf Uhr nachmittags bei ihm im Gefängnis. Bis dahin war das Motelzimmer gründlich durchsucht worden, allerdings hatte man keinerlei Anzeichen auf ein Verbrechen entdeckt. Officer Lansing war im Revier geblieben, um die Millers auf dem Laufenden zu halten und das System nach irgendwelchen Informationen über den geheimnisvollen Mr. Smith zu durchsuchen. Kurz vor fünf Uhr teilte er den Millers die Ergebnisse der bisherigen Ermittlungen mit. »Ihr ist etwas zugestoßen«, stieß Brad mit belegter, heiserer Stimme hervor. »Finden Sie diesen Mr. Smith und ...«
»Wir arbeiten daran«, fiel ihm Lieutenant Young ins Wort. »Glauben Sie mir, wir wollen diesen Kerl genauso sehr finden wie Sie.«
»Was wissen Sie bisher über ihn?«, fragte Frank. »Haben Sie sein Autokennzeichen überprüft? War das auch gefälscht?«
Officer Lansing schaute verkniffen drein. »Die Abfrage im System der Zulassungsbehörde hat ergeben, dass sein Kennzeichen vor sechs Monaten als gestohlen gemeldet wurde. Es gehört zu einem Chevy Suburban in San Diego. Bei Ihrer Verhaftung habe ich Mr. Smiths Fahrzeug nicht überprüft, weil ... nun ja ...«
»Weil gestern noch ich der Verbrecher war, nicht er«, sagte Brad und spürte, wie die Flutwelle blanker Wut zurückkehrte.
Officer Lansing überging die Äußerung. Allerdings wirkte er ziemlich verlegen. »Jede Abfrage, die wir im System der Zulassungsbehörde eingegeben haben, war eine Sackgasse. Ich lasse gerade von einem Phantomzeichner eine Skizze anfertigen, die wir heute Abend rausschicken. Keine Sorge, wir schnappen ihn.«
»Und was wird bis dahin unternommen?«, wollte Brad wissen. Seine Augen waren blutunterlaufen, und er wirkte erschöpft.
Officer Lansing seufzte. Seine Züge sahen ausgelaugt und gehetzt aus. »Wir können nur eins tun – abwarten und beten.«