7 Das Zimmer war so groß, dass man im schwachen Licht des prasselnden Kaminfeuers und der paar Kerzen seine wahre Größe kaum zu schätzen vermochte. Im Halbdunkel erzählten byzantinische Wandteppiche ringsum die Geschichte der zwölf Apostel Jesu Christi und ein mit Tiermotiven bemaltes Gewölbe spannte sich als Decke über den Raum.

Nahe am Kamin saß Königin Margarete, eingehüllt in einen langen Umhang, den Kopf auf die Hand gestützt und starrte gedankenversunken auf einen Tisch. Die Platte des Möbels hatte man kunstvoll mit den Staaten Nordeuropas bemalt, auf der Karte standen mehrere Schachfiguren aus fein geschliffenem Marmor.

Weiße Spielsteine besetzten alle Länder Skandinaviens, ihre Reiche. Auf Gotland hatte sie eine schwarze Figur positioniert, die weiße lag vor der Insel im Meer. Auf Schweden stand neben der weißen Königin noch ein schwarzer Läufer.

Es klopfte leise, aber das brachte Margarete nicht einmal zum Blinzeln. Nach ein paar Augenblicken schwang eine der vielen Türen auf und eine Hofdame kam schnellen Schrittes und gesenkten Hauptes hereingetrippelt.

»Ja?«, fragte Margarete knapp, ohne den Blick von der Karte zu nehmen. »Eure Hoheit, draußen wartet Seine Exzellenz, Bischof Lodehat, auf Euch«, berichtete die Hofdame gerade laut genug, dass Margarete es verstehen konnte. Die Königin blickte auf und lächelte. »Dann schick ihn herein, den Weg kennt er ja wohl«, erwiderte sie freundlich, aber kühl, und schon machte die Hofdame erst einen Knicks und dann sich selbst aus dem Staub.

Es dauerte nicht lang, da hörte Margarete ein Klatschen, einen kurzen, spitzen Aufschrei der Hofdame, und ein schnelles meckerndes Lachen eines Mannes. Die Königin verdrehte die Augen. Dass sich das schwere goldene Kreuz, das der Bischof immer um den Hals trug, nicht zischend in seine Brust brannte, konnte nur ein Zeichen dafür sein, dass Gott noch große Dinge mit diesem Mann vorhatte. Oder war der liebe Herrgott vielleicht ein klein wenig unaufmerksam?

Margarete würde Gott bei ihrem nächsten Gebet einen kleinen Hinweis geben. Nicht, dass Lodehat einen ernsten Rüffel verdient hätte, soweit wollte die Regentin nicht gehen, denn der Mann, der nun hereinkommen würde, war ihr wichtigster und zuverlässigster Berater.

Bischof Kanzler Peder Lodehat kam hereingesaust und war wie so häufig bester Dinge. Der Bischof war ein hochgewachsener, schlanker Mann mit graumelierten Haaren, feinen, aristokratischen Zügen, und trug feinste, eher weltliche Kleidung. Nur das besagte große Kreuz, das er an einer dicken, goldenen Kette um den Hals trug, wies ihn als kirchlichen Würdenträger aus.

Spitzbübisch tänzelnd baute er sich vor Margarete auf, verbeugte sich elegant und präsentierte der Königin dann sein grinsendes Antlitz, indem er beide Hände neben seinem Gesicht ausstreckte. Ein kleiner, sehr dünner Oberlippenbart52 war die zu präsentierende Neuigkeit.

Margarete kniff die Augen zusammen und reckte den Kopf vor. »Mein lieber Kanzler«, begann sie und Lodehat war auf der Stelle klar, dass er jetzt sehr stark würde sein müssen, »was ist das für ein Ding in Eurem Gesicht?«. Lodehats Lächeln entgleiste. »Es war einen Versuch wert, Hoheit«, sagte er merklich enttäuscht und verzichtete auf eine Rechtfertigung. Die Gotland-Katastrophe, wie man sie bei Hof kurz nannte, steckte Margarete noch sichtlich in den Knochen und der Bischof hielt es für nicht weise, die Königin an dieser Stelle mit schlauen Sprüchen zu foppen.

»Na, wenn ihr meint«, erwiderte Margarete kühl und zeigte auf einen der leeren Stühle neben dem Tisch, »setzt euch«. Der Bischof setzte sich und er musterte die vor ihm liegende Europakarte.

»Ah«, kommentierte er die Spielfiguren, »ich sehe, Ihr spielt Schach mit Europa«. »Und«, fragte er schelmisch, »wer gewinnt?«.

Margarete winkte ab und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Wisst Ihr, gerade als ich dabei war die weißen und schwarzen Figuren auf der Karte zu verteilen, Freund und Feind sozusagen, ist mir wieder bewusst geworden, dass, wer immer auch das Schachspiel erfunden haben mag - er hat die grauen Figuren vergessen«, lamentierte die Königin und hatte es plötzlich satt noch weiter auf die Karte zu schauen.

»Der Herr schafft Gutes, der Herr schafft Böses«, predigte der Bischof schmunzelnd, »aber am besten und häufigsten schafft er, was dazwischen liegt. War das eine neue Erkenntnis für Euch, Hoheit?«

Margarete sah ihn spöttisch an. »Dass die Kaufmannsliga und der Ritterorden Freund und Feind zugleich sind, nein«, bestätigte sie dem Kanzler. »Dass ein enger Vertrauter aus den eigenen Reihen mehr Feind ist, als Freund«, zischte sie so kalt und düster, dass Lodehat sicher war, die Hälfte aller Hexen in den Wäldern von hier bis Rom waren in genau diesem Augenblick tot von ihren Besen gefallen, »das allerdings ist eine bittere Erkenntnis, werter Bischof, sehr bitter«, brachte Margarete ihre Beschwörung zu Ende, und spätestens jetzt war auch die zweite Hälfte der Hexen fällig geworden, darauf hätte Lodehat einen Goldgulden gewettet.

Die Königin fixierte die schwarze Figur auf Gotland. Sven Sture. Natürlich wusste der Kanzler, dass da mehr war zwischen ihr und Sture, auch wenn sie nicht wusste, dass er es wusste. Er war ein Meister im Lesen von schmutzigen Bettlaken.

»Wie wunderbar!«, freute sich Lodehat und klatschte kindisch in die Hände, »dann gibt es ja doch noch schwarz und weiß!«. Der Bischof griff nach der weißen Figur, die vor Gotland im Wasser lag. »Wir sammeln also die unsrigen und versenken Verräter Sven Sture mit ein paar freundlichen Steinkreuzen an den Füßen in den Tiefen vor Gotland«, erklärte er seinen Plan und schnippte zur Verdeutlichung die schwarze Figur von der Karte.

»Er hat tausende von Männern«, winkte Margarete ab. »Auch wenn ich ihn nur zu gerne am Galgen zappeln sehen würde, wie kann ich das gesamte Reich ungeschützt lassen, während unsere letzten Reserven nach Gotland ziehen und einen ungewissen Sieg riskieren«. Sie schüttelte den Kopf und schloss erschöpft die Augen.

Der Bischof grinste. Das mit dem Galgen würde sie sich noch überlegen, würde Sture erst wieder in Margaretes Gemächern zappeln. Er sah sie lange an, aber sie öffnete die Augen nicht.

Vielleicht irrte er sich in ihr. Es war gefährlich auf den Gefühlen einer mächtigen Frau eine französische Galliarde53 zu tanzen. Was Sture da abgezogen hatte war genial, musste Lodehat zugeben, aber eben auch ungeheuer riskant. Was versprach sich Sture von diesem Coup? Hätte er nicht viel mehr erreichen können, als Günstling der mächtigsten Frau der Welt? Der Kanzler schnaubte leise, denn die Antwort kannte er ja schon. Die Königin war bei Weitem nicht so bigott54 wie er selbst. Die fromme Margarete war in einem Kloster der Birgittinerinnen groß geworden, und nach dem Tod ihres Mannes vor vielen Jahren, würde sie nie wieder heiraten. Nein, Sture wäre immer nur ein Günstling im Hintergrund geblieben, eine Rolle, die ihm offenbar nicht genügte.

»Nanu!«, rief Lodehat gestelzt und zeigte auf die schwarze Schachfigur in Schweden, »ein weiterer Feind im eigenen Land. Die wankelmütigen schwedischen Adligen?«.

Margarete öffnete die Augen, die nun leicht gerötet waren. »Die verstehen einfach nicht. Die Zukunft Skandinaviens liegt in der Einheit, lieber Kanzler, in der Einheit«.

Der Bischof nickte. Er kannte natürlich Margaretes Pläne zur Gründung einer großen Union unter ihrer Herrschaft. Einer Union, die viel mehr sein würde, als die bloße Summe ihrer Gründungsländer, die von einem Regenten verwaltet wurden.

»Und was machen die Schweden?«, seufzte sie. »Stellen sich quer, wo sie können, nörgeln, beharren, feilschen«. »Und fragen sich zu Recht«, warf der Bischof ein, »wie Ihr ein Reich dieser Größe regieren wollt, wenn ihr nicht mal eine Insel halten könnt«.

Die Königin sah den Bischof an und lächelte schwach. Da saß der einzige Mann in ihrem Reich, der sich solch einen Ton erlaubte, was in erster Linie daran lag, dass er sich solch einen Ton erlauben konnte. Und das wusste der Kanzler auch. Margarete holte tief Luft. »Eine Union, die groß genug ist, jeder Macht Europas kühn gegenüber zu treten«, resümierte sie und sah plötzlich gar nicht mehr so müde aus. »Und es gibt nur zwei Dinge, die unserer Union im Wege stehen, lieber Kanzler. Gotland und ein paar schwedische Adlige«.

»Na also«, freute sich der Bischof und Margarete überhörte nicht den ironischen Unterton. »Obacht Gotland, Obacht schwedische Adlige!«. Er kickte die schwarze Figur aus Schweden, wie er es zuvor in Gotland gemacht hatte. »Jetzt kommt Margarete! Fürchtet euch vor Ihrem…«, begann er und machte eine sehr lange, sehr melodramatische Pause.

»Wort!«.

52 Der würde erst in vielen Jahrhunderten tatsächlich in Mode kommen

53 Spätmittelalterlicher Springtanz

54 Scheinheilig; fromm sprechend, aber gegensätzlich handelnd