Mittelviolett/Amethyst: Psychische Stärke
Verschmelzung von Rot und Blau Alle Mischfarben haben einen vielschichtigen Charakter und eine weniger eindeutige Botschaft als die Primärfarben. Doch besonders Violett, aus der Verbindung von Rot und Blau entstanden, ist eine Farbe mit einer sehr komplexen Persönlichkeit. Ihre beiden absolut gegenpoligen Ausgangsfarben finden nicht leicht zueinander: Geistiges Blau ist die Antithese zu stofflichem Rot. Violett verbindet beide, indem es einen großen Bogen spannt zwischen den weit entfernten Sphären von himmlischem Blau und dem tief in der Erde verwurzelten Rot. Die Spannung zwischen beiden Kräften ist daher ungleich größer als bei den beiden anderen Mischfarben: In Violett prallen Körper und Geist aufeinander, Erde und Himmel, das Statische und das Flüchtige, das Greifbare und das Immaterielle, Männliches und Weibliches.
Geisteskraft Aus der alchemistischen Verbindung beider entsteht jedoch etwas gänzlich Neues: psychische Stärke – geboren aus der Kraft von Rot, die sich mit der seelischen Ausgeglichenheit und Vertiefung von Blau vereint. Violett ist »über-sinnlich« im wahrsten Sinne des Wortes: Das sinnliche Rot wird überwunden und gleichsam – mit Blau, »dem Himmel so nah« – der Erde enthoben für anwendbare, spirituelle Einsichten. Umgekehrt ist Violett auch körperbewusster Geist, da das schwere Rot das flüchtige Blau zumindest teilweise im Hier und Jetzt verankert und an die reale Welt erinnert.
Unter dem Einfluss von Violett steht man so beständig in Verbindung mit etwas außerhalb dieser Welt, ohne dabei aber die Bodenhaftung zu verlieren. Und die inneren Einsichten von Blau erhalten durch Rot die Kraft, sie auch in die Tat umzusetzen: Violett ist die Verbindung von Geist und Kraft – Geisteskraft.
Transformation und Weisheit Violett vereint durch die Verbindung von Rot und Blau zudem das typisch Männliche mit dem typisch Weiblichen. Das ist ein Grund, weswegen die Feministinnen die Farbe für ihre Sache gewählt haben: Die Vermählung von männlichem Rot und weiblichem Blau soll die Gleichberechtigung der Geschlechter zum Ausdruck bringen, wie auch Harald Braem betont.
Beide Farben treffen sich in Violett tatsächlich wie Mann und Frau, um neues Leben hervorzubringen. Doch das Kind von Rot und Blau kommt bereits erwachsen zur Welt, und es vereint die besten Eigenschaften seiner Eltern in sich. Mit Violett ist man auf dem Weg zum »kompletten Menschen«, der sich zwar noch im Entwicklungsprozess befindet, aber – mit Violett als letzter Farbe im Spektrum – bereits die letzte Stufe davon erreicht hat. Violett ist die kraftvolle Farbe der Transformation, mit der man sich neu ordnen, weiterentwickeln und auch Umbruchphasen im Leben bewältigen kann. Am Ende steht der gereifte Mensch, der alle Ebenen zwischen Erde und Himmel durchlaufen und Weisheit erlangt hat.
Farbe der Trauer Gerade die transformatorische Qualität von Violett hat jedoch eine Schattenseite: Mit dem Übergang zu etwas Neuem bleibt auch immer etwas Altes zurück, von dem man sich verabschieden muss. Violett erinnert daran und verbreitet eine bedrückende Traurigkeit.
Es ist eine Farbe ohne Lebendigkeit. Das Feuer von Rot ist in Violett durch Blau gelöscht worden, es glimmt nur noch schwach, und Violett wirkt gedämpft und freudlos. Es ist das Erloschene, das sich müde verabschiedet, weswegen Trauer und Übergang zum Vokabular der Farbe gehören. Der letzte Aspekt lässt sich auch verstehen, wenn man das Gegenstück von Violett betrachtet. Denn während lebhaftes Zitronengelb, das Idee und geistige Struktur verkörpert, noch darauf wartet, sich weiter verdichten und in greifbaren Umsetzungen zeigen zu können, hat sein Komplementär Violett bereits alles durchlebt und verabschiedet sich von der Bühne.
Isolation und Einsamkeit Anders als bei der Mischung aus Gelb und Rot, die sich in Orange wiederfinden und sich in kreativen Schöpfungen ausdrücken, wendet sich Violett, die Mischung aus Blau und Rot, weitgehend von der Welt ab. Violett haftet eine schwer zu kontrollierende Einsamkeit und Isolation an, weshalb die Farbe auch als beklemmend oder bedrückend wahrgenommen wird. Gerade aus dieser Isolation heraus resultieren jedoch die für Violett typischen, fast übersinnlichen Einsichten, die den Schritt auf eine neue Stufe des Lebens ermöglichen.
Pattsituation Es gibt viele Menschen, die besonders Violett nicht zu ihren Lieblingsfarben zählen, da sie das beklemmende Gefühl, das die Farbe weckt, als unangenehm empfinden. Wenn sich Rot und Blau genau die Waage halten, fühlt man sich tatsächlich einerseits schwermütig, andererseits aber auch sehr rastlos. Man hat das Gefühl, die Verwandlung zu Violett dauere noch an. Es ist, als würden die beiden Ausgangsfarben noch miteinander um die Vorherrschaft ringen. Doch es ist kein lebhafter Kampf, denn beide sind geschwächt. Die rote Kraft ist geknebelt. Auf der anderen Seite wird das flüchtige Blau unfreiwillig in der groben Materie verankert, was der Farbe eine gequälte, unfreie Prägung gibt. In einer ausgewogenen Verteilung der roten und blauen Anteile treffen diese beiden sehr unterschiedlichen Kräfte so in einer Pattsituation aufeinander. Beide Pole werden dadurch zur Kompromissbereitschaft gezwungen. Weil sich keine der beiden Farben damit abfinden kann, steht das Neue, das Violett hervorbringt, unter Spannung – und die Farbe wirkt unruhig und aufwühlend.
Rotviolett Ein Violettton wird als deutlich weniger aufwühlend empfunden, wenn die Waage eindeutig zu einer Seite hin ausschlägt. Neigt sie sich eher zur roten Seite, zeigen sich die faszinierenden Rotvioletttöne wie Purpur. Dass es früher eine der teuersten Farben war und nur sehr begüterte Menschen sich ihre Kleidung in diesem Violettton einfärben lassen konnten, ist ein Grund, weswegen es als »Farbe der Könige« galt. Doch die Rotviolettnuancen strahlen auch aus sich selbst heraus etwas Intensives, Glamouröses, Sinnliches und Luxuriöses aus, da mit der Dominanz von Rot das Prächtige und Machtvolle in den Vordergrund tritt. Die Aggressivität sowie das rote Ego werden allerdings durch Blau im Zaum gehalten, was Purpur seine würdevolle Wirkung verleiht. Diese erhabene Ausstrahlung der Rotviolettnuancen haben sich auch geistliche Würdenträger, die purpurne Färbungen bevorzugen, zunutze gemacht. »Im Purpurrot (…) vereinigt sich weltliche und geistliche Macht«, wie Johannes Itten festhielt, und es ist – wie alle Violetttöne – die Verbindung von Erde (Rot) und Himmel (Blau), die Überhöhung und Durchgeistigung des Irdischen – und damit die ideale Farbe für die Kirche.
Blauviolett Neigt sich die Waage eher zur blauen Seite, schaffen die blauvioletten Nuancen eine leicht melancholische, aber auch ausgesprochen beruhigende Atmosphäre, die der vorherrschenden Qualität von Blau entspricht, das nach innen strebt. Alle blaustichigen Violettschattierungen strahlen eine ruhige, überlegte Stärke aus, die keinerlei Bedürfnis hat, nach außen zu treten. Es ist vielmehr die Farbe der Schatten, ein irrealer Ton, der jede Materialität bereits fast komplett aufgegeben hat und nicht mehr greifbar, sondern nur noch als flüchtiges Abbild erkennbar ist. Das Blau hat die Stofflichkeit von Rot schon so weit durchdrungen, dass sie nurmehr stark durchbrochen wie ein fragiles Netz bestehen bleibt – und der Auflösungsprozess dauert an, bis sich alle feste Materie im immateriellen Blau aufgelöst hat. Das negative Vorzeichen, das das kühle Blau vor das Rot gesetzt hat, kann nicht mehr aufgehoben werden. Insbesondere an den blauvioletten Farbtönen klebt daher etwas Verzweifeltes, Endgültiges. Violett wirkt hier durch den dominierenden nach innen gerichteten Impuls von Blau aber auch mystisch, geheimnisvoll und in gewisser Weise streng, ernsthaft und extrem nüchtern. In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass sich der Name »Amethyst« vom griechischen »methyein« ableitet, was so viel bedeutet wie »betrunken sein«; in »A-methyst« ist der nüchterne, bewusste Zustand wiederhergestellt.
Violette Ellipse und violetter Sechsstern Aus der Kombination von rotem Quadrat und blauem Kreis leitete Johannes Itten die Ellipse als Form für Violett ab. Daneben greift aber auch der Sechsstern den Charakter von Violett als letzter Farbe auf, denn zum einen schwingt in der Sechs als Zahl der Vollkommenheit – nach sechs Tagen war beispielsweise die Schöpfung abgeschlossen – die weise Qualität von Violett mit, das alle übrigen Farbqualitäten durchlaufen hat. Zum anderen durchdringen sich, wie Hajo Banzhaf anschaulich darlegt, im Sechsstern die Symbole für Feuer (Dreieck, dessen Spitze nach oben zeigt) und Wasser (die Spitze des Dreiecks deutet nach unten) genauso, wie sich Rot und Blau in Violett vereinen.
Parallelen zur Gotik Will man Violett eine Stilrichtung zuordnen, bietet sich die Gotik an. Denn analog zur Entwicklung von Violett aus Rot und Blau kann man die Gotik als Weiterentwicklung der wehrhaften roten Romanik begreifen, die durch blaue geistige Einflüsse verfeinert wurde. Wie in Violett vereint sich in der Gotik zudem das Irdische mit dem Himmlischen, wenn aus massivem Stein (Rot) Bauwerke geschaffen werden, deren Formen sich der Schwerkraft zu widersetzen und gen Himmel (Blau) zu fließen scheinen, indem sie alle horizontalen Linien durchbrechen und durch Spitzbögen, Pfeiler und Dienste die Vertikale betonen. Auch in der den Himmel symbolisierenden Kuppel über der quadratischen Vierung, die für das Irdische steht, vereinen sich beide Ausgangsqualitäten. Insbesondere beim Bau gotischer Kathedralen wurden zudem die vormals noch wehrhaften Steinmauern regelrecht aufgelöst, sodass nurmehr ein filigranes Netz aus kunstvollen Verzierungen die Fassade bildet – was der sich in Auflösung befindlichen Stofflichkeit in Violett entspricht. Die Analogie zu diesem sakralen Bau unterstreicht zudem den religiös-spirituellen Charakter von Violett – besonders in seinen blaustichigen Nuancen, die sich der Sogwirkung von Blau ergeben und sich immer weiter von der (roten) Erde entfernen. Zum sakralen Charakter von Violett passt auch die tiefgläubige Gesinnung der gotischen Gesellschaft: Jeder brachte sich ein, um mit irdischer Materie (Rot) und dem klaren Geist (Blau) der Bauleiter etwas Neues (Violett) zu schaffen.
Vokabeln
Intuitiv, übersinnlich, spirituell, weise, medial, sensitiv, vergeistigt, geheimnisvoll, mystisch, beklemmend, spannungsreich, streng, ernsthaft, nüchtern, kühl, leblos, traurig, sakral, würdevoll, androgyn, Geisteskraft, ambivalent, Vereinigung von Gegensätzen, grenzüberschreitend, Transformation, Übergang, Abschied, Isolation, Einsamkeit, dienend, aufopfernd.
Raumgestaltung – eigenwillige Extravaganz
Violett ist trotz seiner gestiegenen Popularität nach wie vor eine exzentrische Einrichtungsfarbe, die ungewöhnlich wirkt. Je nachdem, ob die Nuance eher ins Rot- oder Blaustichige tendiert, schafft man eine glamouröse oder sehr ernsthafte Atmosphäre. Die rötlichen Töne von Purpur, Traube oder Aubergine entfalten ihre ganze Pracht als Hintergrund für außergewöhnliche, repräsentative Eingangsbereiche oder luxuriöse Esszimmer, wo sie Assoziationen wecken von reifen Beeren und opulenten Rotweinen. Die blaustichigen Nuancen dämpfen dagegen den Appetit und sind in Schlafräumen besser aufgehoben, wo sie beruhigend wirken. Unabhängig vom Farbton geht man sogar davon aus, dass violette Farbakzente in verschiedenen Wohnbereichen die Umsetzung persönlicher Pläne und Ziele aktiv unterstützen können.
Gerade bei Violett ist es jedoch schwierig, den richtigen Ton zu treffen, und schnell erinnert die Farbe an Kirche sowie die Buß- und Fastenzeit – nicht die beste Voraussetzung für aufregende Liebesnächte. Insbesondere die blaugetönten Nuancen wirken daneben oft streng, trist und – ist der komplette Raum in der Farbe gestrichen – sogar klaustrophobisch. Da man Räume in Blauviolett zugleich als kühl empfindet und die Violetttöne zu den dunklen Farben zählen und, großflächig verwendet, Räume optisch verkleinern können, bietet es sich an, auf einige Entsprechungen der Farbe zurückzugreifen für ein violettes Raumgefühl.
Das Ambivalente der Farbe auf ihrem Balanceakt zwischen irdischem Rot und himmlischem Blau zeigt sich in einer Einrichtung, die sich scheinbar nicht entscheiden kann zwischen ihrer durchaus handfesten bis offensiven Seite aus der Verwandtschaft mit dem Roten und der zurückweichenden, dezenten Haltung der anderen Hälfte, des Blauen. Daraus entsteht ein seltsam eigenwilliger Stil, der beispielsweise in pompösen Samtsofas schwelgt, die jedoch entweder einen ansonsten eher kargen Raum aufwerten oder von ausgesprochen schlichten Beistelltischen flankiert werden. Beide Aspekte, das selbstbewusste Rot und das zurückhaltende Blau, sollten in einer »violetten« Raumgestaltung in einem ausgewogenen Verhältnis vertreten sein, um in ihrer Kombination zu einer ganz neuen Art von Harmonie zu finden. Damit wirkt selbst das Aufeinanderprallen der teilweise sehr gegensätzlichen Einrichtungsgegenstände stimmig – so wie Rot und Blau in Violett, die zu einer neuen, faszinierenden Einheit verschmelzen.
Violett prägt Räume, die eine fast sakrale Ruhe ausstrahlen. Doch an der einen oder anderen Stelle im Raum blitzt auch seine Extravaganz auf, und so könnten sich zum Beispiel gotische Buntglasfenster, einzelne ausrangierte Betbänke oder Heiligenstatuen in die Gestaltung mischen. Allein schon der ungewöhnliche Gebrauch der Stücke passt zum eigenwilligen Stil von Violett; sie bilden aber auch die große Affinität der Farbe, die nach Alexander Theroux »jede Menge Kirche« in sich hat, zu religiösen Themen ab.
Die restlichen Möbelstücke sprechen in ihrer massiven, kantigen Form auf den ersten Blick vielleicht eine rote Sprache. Doch sie sind durch beispielsweise die (im Hintergrund wirkenden, blauen) Holzverbindungen und die von Flachschnitzereien (typisch violett) durchbrochenen Flächen nicht mehr grob, sondern deutlich eleganter und kunstfertiger. Nach oben fließende Linien und die Betonung der Vertikalen durch hohe, schmale Schränke, Längsstreifen auf Vorhängen und Wänden oder schlanke Skulpturen tragen ebenfalls violette Züge.
In Violett dämpft Blau die Leuchtkraft von Rot, weswegen ihm alle nur matt glänzenden Materialien entsprechen wie Samt in zurückhaltenden Farbtönen. Er wird dem Rot in Violett durch seinen Pomp und die dichte Webart gerecht, das Blau zeigt sich in einer dezenten Farbgebung, und beide verbinden sich zu kühl-sinnlichem Violett. Kühl und sinnlich ist auch Seide, und für einzelne Möbelstücke kann man an farbloses Acryl denken: Die körperlose Transparenz ist blau, Rot steuert die feste Form bei.
Mode – komplexe Individualität
Violett hatte lange Zeit einen schlechten Ruf. Goethe sah in Violett »abgelebtes Alter«, und Kandinsky erkannte in ihm »etwas Krankhaftes, Erlöschtes, (…) etwas Trauriges«. Vor noch nicht allzu langer Zeit verband man mit Violett passend dazu eher die altjüngferliche Tante, die aussah, als wäre sie direkt einem Nonnenkloster entsprungen und müsse sich mit verkniffenen Mundwinkeln erst einmal den Staub aus dem Häubchen schütteln. Gerade in den letzten Jahren gab es allerdings kaum mehr eine Modelinie, die keine extravaganten Violetttöne in ihrer Kollektion gehabt hätte. Niemand wird bei violetten Kleidungsstücken mehr daran denken, dass es die Farbe der Demut und Buße sowie die des Feminismus ist, und die Farbe rundweg ablehnen. Violett soll in schwierigen Phasen des Lebens sogar dabei helfen, sich neu zu orientieren. Das Problem mit Violett liegt vielmehr darin, den passenden Farbton für sich zu finden, der einen nicht kränklich oder allzu blass aussehen lässt. Gelingt es, können die rotstichigen Nuancen – früher die Farbe der Könige – jedem Kleidungsstück eine würdevolle, glamouröse Note geben. Blauviolett dagegen wirkt geheimnisvoll und magisch. Wer jedoch meint, violette Stoffe seien nur an Bischöfen gut aufgehoben, muss trotzdem nicht auf den wirklich außergewöhnlichen Effekt der Farbe verzichten, sondern kann auf ihre Übersetzungen zurückgreifen.
Die Violetttöne ähneln dunklem Blau in vielen Punkten. Aber ein Violett mit seinem dynamischen Rotanteil, der gerne im Mittelpunkt steht, verliert die Welt im Außen nicht ganz aus den Augen und zeigt sich in teilweise leicht exzentrischen Kreationen. Im Kleidungsstil verbinden sich rote und blaue, auffällige und dezente, provokative und schlichte, maskuline und feminine Elemente zu einem extravaganten Mix. Figurbetonte Oberteile werden zu weiten, fließenden Röcken kombiniert oder strenge, enge Hosen zu weich fallenden, schlichten Tuniken. Ein Zusammenspiel aus Leder und fließender Seide oder grober Wolle mit feinstem, dünnem Leinen intensiviert die Wirkung noch zusätzlich. Das für Violett typische Potenzial zur Verwandlung beschreiben auch wandelbare Kleidungsstücke, die mehrere Tragemöglichkeiten zulassen. Dem irdisch-sinnlichen roten Anteil verdanken sich eine Betonung der Taille, Mieder oder starre Korsagen sowie generell körperbetonte Schnitte. Dazu werden dünne, weich fließende (blaue) Stoffe wie Chiffon oder Charmeuse kombiniert, die die starren Formen – typisch blau – verwässern und aufweichen. Typisch violett wäre außerdem ein Modell aus (rotem) Leder mit Einsätzen aus fließender (blauer) gefältelter Seide. Verschmolzen finden sich beide Einflüsse in aufgerauter Seide oder fließenden Wollstoffen.
Violett ist ein, um einen Ausdruck von Kandinsky zu leihen, »abgekühltes Rot« und drückt eine kühle bis unterkühlte Sinnlichkeit aus, weswegen zu ihm auch der androgyne Garçonne-Stil der 1920er-Jahre passt. In ihm halten sich zudem rote und blaue Anteile die Waage: Die zurückgenommene Schlichtheit der taillenlosen Hängerkleider und die fließenden Stoffe dieses Stils tragen eine blaue Handschrift. Die gekürzte Rocklänge, die auffälligen Stickereien, der leuchtende Lippenstift, der überdimensionierte (Mode-)Schmuck sowie die Tatsache, dass diesen Stil nur Frauen trugen, die »maskulin« auftraten und ihr Leben selbstbewusst in die Hand nahmen, sprechen eine rote Sprache. Allein schon, dass sich Frauen mit den damals beliebten Bubiköpfen maskuline Haarschnitte zulegten und ihre weiblichen Reize weitgehend verbargen, ergibt einen violetten Stil, der sich immer aus maskulinen und femininen Elementen zusammensetzt und oft genug androgyn wirkt. Die gewisse Exzentrik des Garçonne-Stils, der in Teilen auch heute noch getragen wird, prädestiniert ihn dazu, als violett eingestuft zu werden.
Was für Materialien in der Raumgestaltung gilt, ist selbstverständlich auch auf Kleidungsstücke mit »violettem Appeal« übertragbar. Zu Samt gesellen sich schimmernde Seiden oder Lurexgewebe, die durch ihren unsteten Schimmer den Transformationsprozess von Violett imitieren. Der extravagante Charakter von »violetter« Mode ist allerdings nie mit dem innovativen, modernen Stil von Orange vergleichbar, das schnell auf Trends reagiert oder sie sogar selbst kreiert. Bei Violett ist es ein deutlich langsameres Wachsen aus hartem, unbeweglichem Rot unter Zugabe von schwachem, flüchtigem Blau zu einer Mischform aus beiden. Sie zeigt sich zum Beispiel in durchbrochenen Stoffen wie Cutwork oder Spitze, die vormals zwar griffig und stark waren, doch durch das netzartige Muster nun der sich auflösenden Körperlichkeit von Violett entsprechen.
Wie Mosaiksteinchen setzen auch die Accessoires immer abwechselnd rote und blaue Akzente: »rote« auffällige Ringe, Lederarmbänder oder große Uhren neben »blauen« hauchdünnen schlichten Armreifen oder fließenden, dünnen Schals.
Von weitem mag man allerdings – ganz genau wie bei reinem Violett – den Kampf zwischen Rot und Blau nicht erkennen, der unter der Oberfläche ausgefochten wird. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass mal die eine, mal die andere Seite die Oberhand hat; mal fällt ein rotes, mal ein blaues Element ins Blickfeld. Doch durch den schnellen Wechsel verbinden sie sich zu ewig changierendem Violett und einem faszinierenden, sehr individuellen Stil.
Übersicht
Raumgestaltung kurz und knapp:
Ein eigenwilliger, komplexer Stil mit einem Verschmelzen von gegensätzlichen Elementen, die eine zwar spannungsreiche, aber oberflächlich ruhige Atmosphäre schaffen. Religiöse Themen, verschwimmende Trennlinien und die Betonung der Vertikalen sind typisch violett. Sinnlich-haptische Stoffe, kombiniert mit kühlen, fließenden Materialien mit mattem Glanz, sprechen ebenso eine violette Sprache wie die durchbrochenen Flächen bei Flachschnitzereien oder netzartigen Geweben.
Mode kurz und knapp:
In der Mode prägt Violett einen eigenwilligen, komplexen Stil mit einem Mix aus maskulinen und femininen Elementen, beispielsweise bei Leder zu Chiffon oder engen Korsagen über weiten, fließenden Röcken. Auch wandelbare Modelle mit mehreren Tragemöglichkeiten, die extravagant sind, oder der Garçonne-Stil der 1920er entsprechen dem violetten Stil, der sich außerdem in netzartigen Materialien wie grobmaschigem Strick oder Cutwork wiederfindet.
Hellviolett/Lavendel: Träumerische Nostalgie
Ende und Abkehr Am Abendhimmel läuten die hellen Violett- und Mauvetöne das Ende des Tages und den Übergang zur Nacht ein, und zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt passend dazu gerade blasses Violett als Farbe der sentimentalen Erinnerung und der Trauer. Auch melancholisches Lavendel wirkt auffällig müde und fragil, und zwei seiner Codewörter sind Auflösung und Abkehr. Ein blasses Violett, am Ende des Farbspektrums angekommen und mit einem Fuß bereits in der ätherischen Ebene von Weiß, kehrt der Welt den Rücken zu.
Die Spirale dreht sich weiter Lavendel bedeutet aber nicht nur Abschied und Abkehr, sondern auch den Übergang zu einer neuen, höheren Ebene: In seiner aufgehellten Form setzt Violett nicht einfach nur zu einem neuen Zyklus an über Purpur zum Rot, sondern Hellviolett bewegt sich wie auf einer Spirale eine Stufe höher, eine Stufe näher zum Weiß. Lavendel ist auch in der Reihe der Violetttöne selbst der Abschluss einer Reise, die im tiefen, noch unbewussten Nachtviolett begonnen hat. Tiefem Violett wohnt allein der Impuls zur Veränderung inne, und es zeigt die beginnende Umwandlung an. Es mündet in reines Violett, das den Höhepunkt des Verwandlungsprozesses der Farbe markiert; etwas Neues ist entstanden. In Lavendel nun hat die Auflösung hin zu Weiß begonnen, und je mehr sich das helle Violett dem Weiß nähert, desto weiter schreitet die Zersetzung fort und desto fragiler, durchscheinender und ätherischer wird es.
Fragil und fein Der sanfte, etwas müde Farbton vereint in sich die Zartheit von Rosa, ohne ins Süßliche abzugleiten, und die romantische Anmut von Flieder, ergänzt um eine rauchige, leicht melancholische Komponente, die jedoch immer nur erahnt wird und das Sanfte der Farbe nie dominiert. Aufgelockert durch schwereloses Weiß schwebt zartes Lavendel in einer Zwischenwelt zwischen roter Wirklichkeit und blauer Überhöhung und hält sich selten in Boden- und damit in Realitätsnähe auf. Feinsinniges Lavendel reagiert ohnehin empfindlich auf Grobheiten und alles Ungehobelte, das seinem zarten Charakter widerspricht. Es hängt lieber Tagträumen nach und baut fragile Gedankengebilde, statt sich mit der teils rohen Wirklichkeit auseinanderzusetzen.
Parallelen zum Jugendstil Versucht man, das aufgehellte Violett einer Stilrichtung zuzuordnen, bietet sich die Arts-and-Crafts-Bewegung oder der davon beeinflusste Jugendstil an. Dessen Abkehr von historischen Stilen drückt den sanft transformatorischen Impuls von Blassviolett aus, das ebenfalls eine neue Ära einläutet. Der Wunsch, die alten Formen aufzulösen, entspricht genauso wie die grundlegend elegante, feine Formensprache des Jugendstils dem ätherischen Charakter von Lavendel. Die teils schwülstigen Formen des Historismus wurden überführt in die weitläufigen, Rankpflanzen nachempfundenen Ornamente, die sowohl in ihrer Eleganz als auch in ihrer Natürlichkeit die Qualität von Lavendel ausdrücken. Daher ist es nicht verwunderlich, dass gerade dieser Farbton im Jugendstil einer der beliebtesten war.24
Nostalgie Der nostalgische Charakter von Lavendel mag auf den ersten Blick überraschen, da es die aufgehellte Nuance von Violett ist, das mit dem Übergang zu etwas Neuem verbunden wird. Doch genau daraus entwickelt sich die rückwärtsgewandte Haltung der Lavendeltöne, die mit einem Fuß zwar bereits in einer neuen Welt angekommen sind, aber trotzdem noch wehmütig zurückblicken auf das, was sie hinter sich lassen.
Alexander Theroux bettet ein Gedicht von Robert Frost über eine wilde violette Orchidee, The Quest of the Purple-Fringed, in seine Interpretation der Violettnuancen als fragile, am Übergang stehende Farbtöne. Der Erzähler befindet sich darin auf einer Wanderung – einer Pilgerreise gleich – an einem kühlen Herbsttag, als er schließlich unter einem alten Baum eine zartviolette Blüte findet, »blass wie ein Geist«. Auch aus blassem Lavendel scheint bereits fast alle Farbe geflossen zu sein, es ist nurmehr ein Hauch, der letzte Abglanz des ohnehin letzten Farbtons im Spektrum. Der Erzähler von Frosts Gedicht kniet nieder und betrachtet jedes einzelne Blütenblatt, bevor er sich still und ruhig auf den Heimweg macht. Diese übernatürliche Ruhe und der letzte Blick zurück, in dem Wissen, dass alles erledigt ist, zurückgelassen werden muss und der Weg weitergeht, gibt die Energie von Lavendel wieder.
Wo Rosa, als Mitglied der ersten, roten Farbfamilie, daher immer etwas Kindliches, Blutjunges anhaftet, ist ein Lavendel, das alle Stufen bereits durchlaufen hat, im Vergleich dazu uralt. Ein blasses Violett ist dennoch beständig auf der Suche nach Verfeinerung, um nur noch einen letzten Blick zurückwerfen zu müssen – auch wenn dabei leicht melancholische Gefühle aufkommen.
Die Vokabeln
Nostalgisch, sentimental, melancholisch, träumerisch, empfindsam, feinsinnig, fragil, anmutig, vornehm, bezaubernd, zart, fein, leicht, filigran, delikat, feminin, elegant, romantisch, pergamenten, unaufdringlich, leicht kühlend, natürlich, Auflösung, Abkehr.
Raumgestaltung – Charme der Vergangenheit
Die zerbrechlichen Farben von Lavendel, Flieder und Mauve bilden den Rahmen für einen Raum, in dem man längst vergangenen, sentimentalen Erinnerungen nachhängen kann. Verschleiertes Blassviolett schafft ein unwirkliches Traumreich, in dem man der harten Realität für eine gewisse Zeit entfliehen kann. Mit Lavendel als Hintergrundstimmung können sogar Stress und Hektik leichter überwunden werden. Der Stil von Lavendel lässt sich, ganz seinem nostalgischen Charakter entsprechend, mit »Charme der Vergangenheit« umschreiben.
Über diesen Räumen hängt eine irreale Atmosphäre. Sie wirken zart wie eine verblasste Erinnerung – als sei die Zeit stehen geblieben. Diese zerbrechliche wie auch rückwärtsgewandte Qualität von Lavendel geben Möbelstücke mit Abnutzungsspuren wieder, denen man ihr Alter ansehen soll, wie beim Vintagestil oder Shabby Chic. Doch nicht nur der Charme der Vergangenheit, sondern gleichzeitig auch der Prozess der Auflösung, das große Thema bei Lavendel, zeigt sich hier in abblätternden Lackschichten an Kommoden oder verblichenen Polsterstoffen. Die Einrichtungsgegenstände haben wie altes Lavendel eine Geschichte, Vergangenheit. Der Stil wirkt insgesamt fragil und brüchig wie altes Pergament.
Generell sind Räume, die der Qualität von hellen, ätherischen Farben entsprechen, ohnehin nur mit wenigen Möbeln bestückt, damit der Raum eine luftige und schwerelose Atmosphäre behält – auch blasses Violett ist hier keine Ausnahme. Die wenigen Stücke sind dabei genauso anmutig und delikat wie Lavendel selbst. Typisch sind feminine, filigrane Möbelstücke wie verschnörkelte Eisenbettgestelle, in matten Pastellfarben lackierte Jugendstilmöbel und zarte Glasaccessoires. Alles verfeinert Nostalgische spricht die Sprache von Lavendel: fragil erscheinende Stühle mit anmutig gedrechselten Beinen, zerbrechliche Bone-China-Tassen mit feinem Blumendekor, zarte, altmodische Spitzendecken oder alte, gebundene Tagebücher und gerahmte Briefe auf brüchigem, vergilbtem Papier, die das romantisch-melancholische Flair eines »lavendelfarbenen« Zimmers unterstreichen.
Pastellfarbene, transparente Stoffe halten den Raum freundlich und hell, dürfen dabei aber nie in einen mädchenhaften, süßlichen Stil abgleiten – sie sind vielmehr verhalten romantisch, doch dabei immer elegant und dezent. Vollkommen fehl am Platz wäre bei dieser Farbe auch grobe Wolle, die viel zu rustikal wirkt und das genaue Gegenteil zu fragilem Lavendel bildet. Damit sich der zarte Stil ausbreiten kann, passt daneben kein raues Leder oder erdige, schwere Farben, keine allzu überladene Dekoration, keine dicht an dicht gestellten Fronten. »Lavendelfarben« sind vielmehr florale William-Morris-Tapeten in zarten Farben, Streublümchendrucke, eine Sammlung nostalgischer Glasflakons, ein verblichenes Chintzsofa, in Pastellfarben gehaltene leichte Korbsessel oder patinierte Kommoden in anmutigen Formen.
Zum sanften Schimmer von zarten Kristallvasen passen altsilberne Bilderrahmen, mit Perlmuttlack überzogene Oberflächen, ein mit matt glänzendem Stoff bezogener Sessel oder das schwach im Licht glimmende Wildleder einer Récamière – alle übersetzen mit ihren schimmernden, changierenden Oberflächen den veränderlichen Charakter von blassem Violett. Abgerundet wird der Raum durch feminine, aber sparsam bestickte Kissen in pastelligen Farben und einen hellen Teppichboden, der die Leichtigkeit des Raumes betont und gleichzeitig zu laute Geräusche schluckt, die die ruhige Atmosphäre von Lavendel stören würden.
Sträuße aus brüchigen getrockneten Blumen und eine grau verschleierte, müde Farbpalette mit Schilfgrün, hellem Taupe, Mauve und Altrosé rufen noch einmal in Erinnerung, dass der Glanz erloschen und es für helles Violett Zeit zum Abschied ist, auch wenn sich die Ranken der Jugendstildrucke oder des verschnörkelten Bettgestells noch festzuklammern scheinen.
Mode – sublime Eleganz
Nach ihrem ersten Hoch im viktorianischen England waren die blassen Violetttöne lange Zeit in Vergessenheit geraten. Erst in den letzten Jahren hat man die anmutigen Nuancen wiederentdeckt für die Mode – und das obwohl über dunstigem Lavendel, anders als bei einem sorglosen, frühlingshaften Rosa, schon wieder der erste Grauschleier der kargen Wintertage zu liegen scheint, der den Farbton leicht melancholisch wirken lässt. Trotzdem strahlen Lavendeltöne immer etwas Apartes, Graziles und Feminines aus, eine ruhige Eleganz, die ins Altmodische abdriften kann. Aber gerade das gibt lavendelfarbenen Kleidungsstücken ihre besondere nostalgische Note. Übersetzt in Mode entsprechen Lavendel zarte, nostalgische Designs in angegrauten, fahlen Tönen, um die zerbrechliche und verbrauchte Energie der Farbe nachzubilden. Die wässrigen Violetttöne sind zwar ästhetisch, jedoch ohne Lebendigkeit, weswegen ihnen keine fröhlich wippenden Kleider entsprechen, sondern eher müde hängende Stoffe, allenfalls mit natürlich gerundeten Formen. Wie beim Einrichtungsstil findet sich Lavendel in grundlegend femininen Formen und Stilen, da der Blasslilaton nicht genau die Waage hält zwischen roten und blauen Anteilen, sondern eine Tendenz zum weiblichen Blau aufweist. Daher passen Röcke und Kleider, insbesondere im romantischen französischen Stil: zarte Chiffonkleider mit Blütendrucken in rauchigen Pastelltönen, die kombiniert werden mit kurzen Cardigans aus dünnem Strick und Mary-Janes.
Typisch für Lavendel sind auch die S-förmigen Entwürfe der Belle Epoque25, die schon in der geschwungenen Silhouette die Wellen- und Rankformen des Jugendstils nachbilden. Die fragile Eleganz, die ein Lavendel auszeichnet, kann man an einem Modell von etwa 1908 aus der Sammlung des Kyoto Costume Institutes bewundern: ein langärmliges Stehkragenkleid, komplett aus irischer Häkelspitze – also einem sehr delikaten, durchbrochenen Gewebe – mit romantischem Blumenmotiv.26 Typisch »lavendelfarbener« Jugendstil ist auch hier wieder die S-Form des Kleides, die sich in den Ornamenten und Rankmotiven der Spitze fortsetzt.
In den Materialien findet sich Blassviolett neben Spitze in sämtlichen durchbrochenen Stoffen mit delikaten Musterungen wieder, die möglichst leicht und dünn gewebt sein sollten, um der feinen, delikaten Qualität von Lavendel gerecht zu werden. Netzware mit aufwendigen, glitzernden Perlenstickereien beispielsweise, die ebenfalls in den 1910/20er-Jahren sehr populär waren, oder Schimmerstoffe wie Silberlamé eignen sich. Besonders die glänzenden Laméstoffe unterstreichen noch einmal einen wichtigen Aspekt von Lavendel: die Auflösung. Durch die changierende Oberfläche scheint sich auch die Struktur des Stoffes optisch aufzulösen.
Genauso filigran und zerbrechlich präsentiert sich der Schmuck zu einem lavendelfarbenen Stil; ergänzt werden die zarten Ketten und Armbänder durch alte Vintagebroschen, schimmernde Perlen oder nostalgische Amulette an feinen, schimmernden Satinbändern.
Übersicht
Raumgestaltung kurz und knapp:
»Lavendelfarbene« Räume wirken sehr feminin und sind sparsam möbliert mit verschnörkelten Eisengestellen, leichten Korbsesseln und verblichenen Chintzsofas. Dazu gesellen sich Jugendstilmöbel oder bewusst abgenutzt aussehende Stücke wie patinierte Kommoden. Sie werden ergänzt durch nostalgische Dekorationen mit alten Spitzendecken, zarten Glasaccessoires, brüchigen Trockenblumen oder Streublümchendrucken auf Vorhängen und Bezügen. Auch Perlmuttrahmen, handbestickte Überwürfe, Waschschüsseln, Duftkissen und müde, angegraute Pastelltöne in geringen Kontrasten entsprechen hellem Violett.
Mode kurz und knapp:
An die Rankformen des Jugendstils angelehnt ist die S-Form der Kleider, die ebenso eine lavendelfarbene Sprache spricht wie die romantische französische Mode. Feine Netzware, (Häkel-)Spitze, Perlenstickereien, Satinbänder, Vintagebroschen, filigraner Schmuck und dunstige Pastelltöne in geringen Kontrasten komplettieren den Stil.
Dunkelviolett/Nachtviolett: Hypnotische Tiefe
Unterschwelliges Brodeln Dunkles Blau ist über Kontemplation und intuitive Einsichten bei sich selbst angekommen und damit zufrieden, in seiner Abgeschiedenheit zu leben. Tiefes Violett dagegen ist der Welt durch seinen Rotanteil weit mehr verhaftet. Es lockt entweder das Außen in seine undurchdringlichen Tiefen, oder es bemüht sich, die Oberfläche seiner düsteren Gewässer zu durchbrechen, um selbst am Leben teilzuhaben. Nachtviolett greift mit einer Hand aus den dichten, dunklen Tiefen nach oben. In den getrübten, aber nur scheinbar stillen Abgründen knüpft es die Verbindungsleinen zur Oberfläche. Ein unterschwelliges Vibrieren kräuselt sie bereits …
Mystische Einsichten Wenn sich Nachtviolett hingegen bis auf den Grund hinabsinken lässt, gewinnt es fast mystische Erkenntnisse in seinen Tiefen. Doch anders als ein dunkles Blau, das seine Einsichten für sich behält, versuchen die roten, aktiven Anteile in dunklem Violett, die Eingebungen nach oben, nach außen zu tragen.
Traurigkeit und unbewusstes Leiden Dabei kämpft dunkles Violett mit wortwörtlich schweren Bedingungen, es ist ein zäher Prozess. Das Potenzial zur Aktion ist gegeben, doch der aktive, rote Impuls gewinnt nur ab und an die Oberhand. Rot und Blau winden sich meist eher träge umeinander, und die roten Anteile sind nicht dominant genug gegenüber dem zurückhaltenden Blau und dem dämpfenden Schwarz, um eine Veränderung einzuleiten. Denn das Blaue steht seinem Wesen nach nah am Schatten, am Schwarzen, weswegen es, je dunkler es wird, immer mehr an Stärke und Souveränität gewinnt. Das Rote dagegen muss leiden unter der unterkühlten und distanzierten Beziehung mit Blau, und es kann in den dunklen Tiefen von Nachtviolett meist nur verlieren – eine gewisse Traurigkeit kann man daher keinem Violettton absprechen. In tiefem Nachtviolett ist es wohl sogar ein unbewusstes Leiden, dem sich der Grund dafür noch nicht erschlossen hat.
Verhüllte Macht Auf seiner Stufe zwischen schwarzer Tiefe und reiner Farbe ist mystisches Nachtviolett mit seiner schwachen Leuchtkraft nicht leicht einzuordnen. Es wirkt geheimnisvoll und schwer fassbar. Undurchdringlich wie eine mondlose Nacht. Unheimlich und anziehend zugleich. Doch ab und an streift die Farbe ihren düsteren Umhang ab, flammt in ihren roten Anteilen auf und strahlt für kurze Zeit eine mächtige, charismatische Kraft aus. Die pure Urkraft von Rot ist hier nur mit Schwarz ummantelt und verborgen, durch Blau nur gedämpft – doch immer noch von einem machtvollen Wesen.
Vokabeln
Undurchdringlich, geheimnisvoll, mystisch, düster, tiefgründig, abgründig, geknebelt, absorbierend, hypnotisch, magisch, dramatisch, extravagant, dominant, intensiv, mächtig, sinnlich, intim, samtig, komplex.
Raumgestaltung – das Boudoir
Viele schwelgen gerne in den dramatischen, dunklen Farbtönen von Nachtviolett, Aubergine und Dunkelpurpur, die einen glamourösen Auftritt garantieren – zum Beispiel als sinnlicher Rahmen für ein behagliches und luxuriöses Schlafzimmer mit Samtsesseln, auf denen die satten Beerentöne ihren ganzen Charme ausspielen können. Doch an dunklem Violett klebt noch eine Menge Schwarz. Räume in dieser Farbe können daher zwar atmosphärisch-dicht, mystisch und glamourös wirken, wie geschaffen für eine Diva. Für mehr als ein Boudoir oder ein extravagantes Schlaf-, Ankleide- oder Badezimmer eignet sich Nachtviolett mit seiner immer auch düsteren Aura allerdings kaum.
Doch auch ohne dramatische Violetttöne an den Wänden kann man einem Raum eine »nachtviolette« Färbung geben. Dunkler Samt passt beispielsweise hervorragend zur geheimnisvollen Ausstrahlung von Nachtviolett, dessen Sinnlichkeit erst auf den zweiten Blick offensichtlich wird. Durch den Einsatz unterschiedlicher Texturen, zum Beispiel das Nebeneinander von Samt, Seide, Satin und einem Stoff mit einer körnigen Oberfläche, entsteht ein raffinierter, ebenfalls erst auf den zweiten Blick erkennbarer Variantenreichtum, der die an sich ruhige Farbpalette auf dezente, aber interessante Art belebt – und das unterschwellige Brodeln von Nachtviolett nachbildet.
Das Streben der roten Anteile, an die Oberfläche zu gelangen und im Mittelpunkt zu stehen, umschreiben einzelne auffällige Objekte oder über den Raum verteilte Glanzpunkte. Überdimensionierte, üppig gepolsterte Samtsessel, übertrieben große Bilder oder eine auffällige Plastik lassen das Aufbegehren der roten Aspekte erkennen. Die blauen Anteile kommen in fast asketisch schlichten Stücken zum Ausdruck oder aber in kargen, zurücktretenden Wänden in kühlen Tönen, ausgesprochen schlichten Tischformen oder ruhigen Bildthemen in großformatigen, »roten« Rahmen. Gemeinsam ergeben beide Einflüsse in Nachtviolett ein exzentrisches Konglomerat, das zusammen mit der Enge der überladenen Räume auch die Dichte der Farbe umschreibt. Eine indirekte Beleuchtung und Kerzen spenden nur gedämpfte Helligkeit und lassen die Raumecken in diffusem Licht versinken.
Mode – samtige Verführung
Stellen Sie sich ein bodenlanges Abendkleid mit gerüschtem Ausschnitt vor, in einem Ton zwischen Rosa und Pink. Das Kleid wirkt verspielt, girliehaft und jung, vielleicht sogar etwas unpassend. Färben Sie das Ganze jetzt in tiefes Nachtviolett … und das Kleid wirkt erwachsen, magisch und extravagant.
Die dunklen Violetttöne strahlen eine untergründige Erotik aus, die weder kühn ist wie die von Rot noch allzu offenkundig wie der teils provokative Flirt von Pink. Wie gemacht für Abendkleider, wirkt dunkelviolette Mode am Tag jedoch sehr düster. Da sie viele zudem unnatürlich blass aussehen lässt, ist es eine der Farben, bei denen man sich tagsüber besser auf Accessoires beschränkt oder die man in ihre Entsprechungen übersetzt.
Nachtviolett trägt in seinen samtigen Abgründen eine verhüllte rote Kraft in sich, für die es allerdings schwierig ist, ihre Macht auszuspielen und in den Mittelpunkt zu treten. Dieser beschwerliche Weg von Rot durch das dunkle Chaos spiegelt sich gut in der schier überbordenden Spitzen- und Dekorationsfülle, die charakteristisch ist für die Mode der viktorianischen Ära. Die hochgeschlossenen Kleider der damaligen Zeit unterdrückten zudem alle rote Sinn- und Körperlichkeit, um die weibliche Figur, die ohnehin vom Kinn bis zu den Fußspitzen verhüllt war, nur noch erahnen zu lassen unter all den Raffungen und Schärpen – ganz ähnlich wie Rot in den Tiefen von Nachtviolett beinahe untergeht, in dem nur eine »geknebelte« Sinnlichkeit lebt.
Der grundlegend unterkühlte Charme des Kleidungsstils entspricht den blauen Anteilen des Farbtons. Die Strenge viktorianischer Mode im Ganzen ist dagegen typisch violett, und ihre verschwenderische Stofffülle greift gut die schiere Dichte von Nachtviolett auf, die extreme Form des Tournürenstils umschreibt seine Extravaganz. In der Gothic-Szene wurde der viktorianische Stil im Übrigen wieder aufgegriffen, was das Mystische, das ihn umweht und das so gut zu tiefem Nachtviolett passt, unterstreicht. Denn wenn Tagträumereien Lavendel sind, dann entsprechen dem tiefen Violett düstere Fantasien.
Ein dunkles Violett lässt sich daneben in auf den ersten Blick sehr zugeknöpfte Kombinationen aus zum Beispiel Maxirock, Stiefeln und hochgeschlossener, altmodischer Bluse übersetzen. Der Rock wird allerdings sehr figurbetont sein, die Stiefel haben hohe Absätze, und die Bluse ist leicht transparent. Auch Elemente wie mondäne Kragenlösungen oder hohe Gehschlitze an ansonsten schlichten, langen Mänteln übersetzen tiefes Violett in Mode, bei dem der rote Anteil beständig versucht, Aufmerksamkeit zu erregen. Allerdings wird es bei dem Versuch bleiben, da das zurückhaltende Blau und das verhüllende Schwarz in geheimnisvollem Nachtviolett die Oberhand behalten.
Bei den Materialien passen schwerer, dunkler Samt und generell dichte Stoffe mit unruhiger Struktur, die das nur oberflächlich ruhige, aber unterschwellig brodelnde Nachtviolett nachbilden. Spitze, in ihrer durchbrochenen Struktur typisch violett, ziert Ausschnitte oder Armabschlüsse in üppigen Kaskaden.
Übersicht
Raumgestaltung kurz und knapp:
Die intime, dramatische Atmosphäre von Nachtviolett fängt unter anderem der Boudoirstil ein, der opulent umgesetzt sein sollte mit einer Vielzahl an Dekorationsgegenständen, einer Fülle an Stoff und auffälligen Einzelstücken in einer ansonsten betont zurückgenommenen Gestaltung. Indirekte Beleuchtung und Kerzen lassen die subtilen Variationen in den Texturen nur erahnen, die düstere Farbpalette schenkt dem Raum eine mystische Aura.
Mode kurz und knapp:
Die viktorianische Ära mit ihrem extravaganten Tournürenstil ist ebenso geeignet, um Nachtviolett zu umschreiben, wie eine auf den ersten Blick biedere, hochgeschlossene Mode mit aufreizenden Details. Typisch sind außerdem mondäne Einflüsse an ansonsten schlichten Kleidungsstücken und eine verschwenderische Stofffülle, unruhige und sinnliche Oberflächenstrukturen sowie schwere, dunkle Stoffe.