Von Schneeweiß bis Pechschwarz: Der Farbfächer
Goethe betonte in seiner Farbenlehre, dass Farben im Gegensatz zum Licht »jederzeit spezifisch, charakteristisch, bedeutend sind«. Jeder Farbton hat demnach seine »persönliche Seele«. Rot hat eine andere Aussage als Blau, aber auch Gelb ist nicht gleich Gelb. Zwischen einem grellen Zitronengelb, das stechend wirkt und bei längerem Hinsehen in den Augen schmerzt, und einem buttrigen Goldgelb, das eher Assoziationen von Üppigkeit weckt, liegen Welten – sowohl in der direkten Wirkung als auch in der Interpretation. Genauso ist ein sanftes Apricot nicht zu vergleichen mit einem frechen Orange, selbst wenn beide zur selben Farbfamilie gehören. Wie groß der Unterschied zwischen einzelnen Farbtönen ist, brachte Yves Klein auf den Punkt: »Für mich ist jede Nuance einer Farbe ein Individuum, ein Lebewesen von derselben Art wie die Grundfarbe, das aber einen Charakter hat und eine persönliche Seele besitzt.« Und wie wichtig es ist, zwischen einzelnen Nuancen zu unterscheiden, fasst Johannes Itten zusammen: »In der Kunst der Farbe sind nicht nur exakte Tonstufen, sondern oft unmerkbare Übergänge, dem Glissando in der Musik vergleichbar, wichtige Träger eines bestimmten Ausdruckes.«
Damit man die Nuancen miteinander vergleichen und so die Unterschiede zwischen – vor allem auch verwandten – Farbtönen auf einen Blick erkennen kann, sind im ersten Teil des Wörterbuchs die Aussagen der gängigsten Farbtöne aufgelistet als eine Art Grund- und Aufbauwortschatz zum Nachschlagen: »Farbe – Deutsch«.
Der Übersichtlichkeit zuliebe sind für jede Farbfamilie nur die bekanntesten Farbtöne aufgeführt sowie drei Metallictöne. Und da sich erst durch das Aufhellen mit Weiß beziehungsweise das Abdunkeln mit Schwarz die breite Palette der Farbtöne auffächern lässt, wäre das Wörterbuch ohne diese beiden Pole unvollständig, weswegen sie Anfang und Ende bilden. Daraus ergibt sich, dass auch die Mischungen aus Schwarz und Weiß, die gängigsten Grauabstufungen, nicht fehlen dürfen.
Für die mittleren Ausprägungen der Farben – wie beispielsweise Sonnengelb für ein Mittelgelb oder Amethyst für ein klares Violett – habe ich die als neutral wahrgenommenen Farbtöne gewählt. Doch streng genommen ist ein warmes Sonnengelb durch seinen leichten Rotstich kein Reingelb. Dasselbe gilt für Marienblau: Es ist kein reines Blau, das weder Rötliches noch Gelbliches in sich hätte, und auch ein Amethystton hält nicht wirklich die Waage zwischen Rot und Blau, sondern tendiert bereits zu den blauvioletten Tönen. Dennoch habe ich diese Farbtöne bewusst gewählt, da sie den meisten bekannt sind und gleich eine Vorstellung der Farbe wecken, was bei »Neutralviolett« oder »Reingelb« sicherlich nicht unbedingt der Fall gewesen wäre.
Ähnlich verhält es sich bei den hellen und dunklen Nuancen. Sie sind nicht immer die bloße Aufhellung oder Abdunklung der Vollfarbe; so wird man beispielsweise ein Terrakotta nicht allein durch das Beimischen von Schwarz zu Orange erreichen. Die dunklen und hellen Töne, die gewählt wurden, sind vielmehr ebenfalls besonders charakteristische Nuancen ihrer Farbfamilien, mit denen die meisten eine genaue Vorstellung verknüpfen.
Von himmlischem Marienblau bis zu irdischem Erdrot: Die Wahl der Farbnamen
Genauso wie die Farbtöne selbst wurden auch die Namen der Farben so gewählt, dass man möglichst ein Gefühl für die Farbqualität bekommt; es sollen Assoziationen wachgerufen werden, die der Farbwirkung entsprechen. So nimmt Himmelblau bereits den Eindruck von luftiger Weite vorweg, die ein Merkmal der Farbe ist. Sonnengelb impliziert das warme Strahlen von reinem Gelb, Apricot für ein Hellorange weist schon im Namen auf die fruchtige Milde des Farbtons hin, und bei Tanne denkt man automatisch an ruhige, undurchdringliche Wälder – die genauso still und dicht sind wie dunkles Grün.
Pariser Rot, Caprigelb und Russischgrün, Rittersporn, Mauve und Cerise. Ab einem gewissen Punkt bei der Arbeit an diesem Buch habe ich jede Nacht in Multicolor geträumt. Und tagsüber habe ich mich dann bemüht, möglichst alle gängigen Namen, die ich in Farbkarten, Büchern über historische Farben, auf den Tuben von Ölfarben oder Ähnlichem finden konnte, aufzulisten. In den Wörterbucheinträgen finden Sie daher zahlreiche verwandte Farbtöne zu den einzelnen Nuancen, die das Bild der Farbe noch einmal schärfer stellen, Ihnen die Einordnung der Farben erleichtern und Ihren »Vokabelschatz« erweitern sollen.
Ich habe allerdings bewusst nur diejenigen aufgenommen, die wohl die meisten zumindest schon einmal gehört haben. Exotischere Farbbezeichnungen wie »Sizilianisches Feigenkraut« oder auch die vielen Abwandlungen von beispielsweise Phthaloblau sind daher nicht enthalten. Genauso habe ich die unzähligen Farbnamen für Autolacke, neue Wandfarben oder die Farbbezeichnungen aus dem Textilbereich außen vor gelassen, da sich Bezeichnungen wie »Haferflocke« und »Joghurt« für ein gebrochenes Weiß oder »Sturmwettergrau« für bedrohliches Dunkelgrau jedem selbst erschließen. Andere, vor allem historische Farbbezeichnungen, sind dagegen oftmals nur schwer zuzuordnen, und ein Name wie »Lancasterpink« könnte vom tiefsten Dunkelrot bis hin zu einem koketten Pink ziemlich alles sein. Durch die Zuordnung der Farbnamen zu einem Farbton kann man allerdings ablesen, wo welche Nuance zumindest grob hingehört – historisches Lancasterpink, ein lichtes Terrakotta, ist zum Beispiel bei dunklem Orange zu finden.
Von Apfelgrün bis Zinkweiß: Die Farbdeutung
Mit dem Grund- und Aufbauwortschatz sind Sie, obwohl nicht alle Zwischentöne aufgelistet sind, in der Lage, auch deren Qualitäten zu bestimmen, da sie sich aus den beschriebenen Farben zusammensetzen oder von ihnen ableiten lassen. Denn mischt man zwei Farben miteinander, verbinden sich auch die Deutungen dieser beiden; die Aussage der Mischfarbe lässt sich also aus den Aussagen der Ausgangsfarben ableiten. Gelb und Blau beispielsweise ergeben Grün, das heißt, nach vorne drängendes Gelb und sich zurückziehendes Blau prallen aufeinander und neutralisieren sich gegenseitig – und Grün als Mischung beider Farben ist demnach Stillstand.
Nach demselben Muster können Sie selbst eine eher schwierige Farbe wie Limonengrün, das sich überwiegend aus Blattgrün mit einem kräftigen Schuss Gelb mischen lässt, leicht interpretieren: Der aktive gelbe Impuls bringt das ausgeglichene Grün aus der Balance, rüttelt es auf und regt es zu mehr Aktivität an. Bei der Deutung sollten Sie allerdings auch stets das Mischungsverhältnis im Auge behalten, um erkennen zu können, welche Farbe dominierend ist und somit im wahrsten Sinne des Wortes den »Ton angibt«. Im Fall von Limonengrün behält das ruhende Grün die Zügel in der Hand. Lediglich die Richtung, in die es sich gewendet hat, ist durch das nach vorne drängende Gelb nun vorgegeben. Da der grüne Anteil aber dominierend bleibt, wirkt ein Limonengrün nur mäßig spritzig und lebhaft; das leichte Gelb hat das phlegmatische Grün zwar zum Aufstehen bewegt, aber mehr auch noch nicht.
Neben solchen allgemeinen Beobachtungen hat jede Nuance jedoch immer auch ihre eigene unverwechselbare Persönlichkeit, die sich nur bedingt nach starren Regeln ableiten lässt, sondern vielmehr erfühlt werden muss.
Rote Eins und lavendelfarbener Jugendstil: Die Parallelismen
Der zweite Teil des Wörterbuchs – das Synonymwörterbuch – umfasst denkbare Parallelismen aller vorgestellten Farbtöne, um ein facettenreicheres Bild von der jeweiligen Farbe zu zeichnen. Anhand der relativ breiten Auflistungen zu einer Nuance kann man zudem gut ablesen, wie vielschichtig eine Farbe ist, wie viele Wörter nötig sind, um einen einzelnen Farbton auch nur ansatzweise zu beschreiben. Denn die Farbsprache ist eine multidimensionale Sprache.
Die Übersicht verdeutlicht, dass jeder Farbton durch das Aufhellen auf eine ätherische Ebene gehoben wird, die sich dem Zugriff immer mehr zu entziehen scheint. Durch den hohen Weißanteil haftet diesen lichten Nuancen wie Himmelblau und Lavendel etwas Leichtes, Fragiles und Hehres an, das sich in ebenso leichten, zarten, transparenten Materialien, hellen, flüchtigen Düften oder luftigen Raumlösungen wiederfindet. Auch in den Übersetzungen entsprechen den zarten Farben pure, reine Stilrichtungen, die – wie der Farbton selbst – durchlässig und fein sind. Genauso spiegeln diese Farben auch alle leisen Töne wider, da sie sich mit der Annäherung an das hehre Weiß immer weiter von der greif- und hörbaren Ebene entfernen.
Pastellnuancen bilden neben dieser »Erhöhung« durch Weiß auch einen Entwicklungsschritt ab: Aus einer höheren Warte heraus sind sie bereit, sich mit dem Grundthema ihrer Ausgangsfarbe auseinanderzusetzen. So lebt zum Beispiel Rosa die sehr irdische Sinnlichkeit von Rot als eine leidenschafts- und bedingungslose Liebe.
Mit dem Abdunkeln erfährt eine Farbe dagegen eine schwere, geerdete Qualität, alles Schnelle oder Laute fällt von ihr ab. So hat beispielsweise ein tiefes Dunkelrot zusammen mit einem Teil seiner Leuchtkraft die wilde Dynamik von Blutrot aufgegeben, allerdings zugunsten einer ungleich ruhigeren, besonneneren Note. Die unerschütterliche Präsenz, die Essenz von Rot, ist jedoch nach wie vor gegeben und wird sogar noch verstärkt durch die etablierte, schwere Wirkung von tiefem Rot. Dunkle Farben vermitteln generell den Eindruck, mächtiger, komplexer zu sein. Sie verlangen nach Stilen, die fast überladen wirken und sich mit griffigen, dicht gewebten Materialien schmücken, um ihre eigene Dichte abzubilden. Die Komplexität dunkler Farben umschreiben zudem vielschichtige und teils aufwendige, additive Stile oder schwere, erdige Duftnoten, die ein Parfüm festigen.
In einigen Farbportraits sind die Verbindungen von Farb- und Zahlensymbolik bereits angeklungen. Im Synonymwörterbuch sind nun für alle Vollfarben die entsprechenden Zahlen aufgelistet. Die folgende kurze Erläuterung zu den Zuordnungen stützt sich weitgehend auf Hajo Banzhafs Symbolik und Bedeutung der Zahlen.
Rot trägt demnach die Qualität der Eins, des Beginns in sich, da aktives Rot die Urkraft ist, aus der sich alles entwickelt. Den Gegenpol zu substanziellem Rot bildet passives, geistiges Blau – die Zwei, die Zahl des Weiblichen. Aus männlichem Rot und weiblichem Blau – aus 1 und 2 – ergibt sich die Drei: Gelb, das sich zwischen irdischem Rot und himmlischem Blau bewegt und unter anderem den Menschen verkörpert. Der ruhende Gegenpol zu kraftvollem Rot findet sich in Grün, dessen statische Ruhe sich in der Vier ausdrückt, die Ausgewogenheit sowie die vier Elemente symbolisiert. In Orange und der Fünf wird die grüne Ruhe durchbrochen, und der Mensch will sich in der Welt erleben, anschaulich dargestellt am Beispiel von da Vincis Proportionsstudie: Die vier Gliedmaßen entsprechen den vier Elementen, der Kopf dem fünften, der quinta essentia. Mit der letzten Farbe ist der Zyklus schließlich abgeschlossen: Violett hat alle Farbimpulse durchlebt und in sich vereint. Dementsprechend findet es sich in der Sechs wieder, die für Vollkommenheit steht.