8.

Etwa zu derselben Zeit, in der Lea und Pablo das Kloster verließen, starrte Alvaro de Arandela fassungslos auf einen schmalen Streifen Papier, den er gerade einer Brieftaube abgenommen hatte. Die Nachricht stammte von seinem Bruder Diego und besagte nicht weniger, als dass der Teufelsknecht Orlando Terasa endlich in die Hände der Verteidiger des wahren Glaubens gefallen war. Für Don Alvaro bedeutete die Nachricht, dass er seinen Posten in diesem von Gott verlassenen Winkel Spaniens bald würde räumen dürfen. Er musste an sich halten, um seine Erleichterung nicht hinauszuschreien, denn er sah sich schon an der Seite seines Herrn in die letzte Schlacht um Granada reiten und großen Ruhm erwerben. Arandelas Blick schweifte zum Kloster hinüber, das mit seinen grauen Mauern mehr einer Festung als einem Bauwerk zur Ehre Gottes glich. Dicht neben den Klostermauern lag das kleine Vorwerk, in dem die Weiber Baramostas und seiner Ketzerbrut Zuflucht gefunden hatten. Jetzt, wo der Fuchs gefangen war, brauchte man den Köder nicht mehr, sagte er sich und beschloss, die Frauen noch am gleichen Tag gefangen nehmen zu lassen und die Männer mit ihnen zu erpressen, damit sie freiwillig herauskamen.

Vorher aber wollte er seinen Männern die gute Nachricht mitteilen, und so schickte er seinen Stellvertreter Vasco los, um alle zusammenzurufen. Es waren insgesamt vierzig Krieger, die er persönlich aus der Garde des Herzogs ausgewählt hatte. Sie würden ihm in die Hölle folgen und notfalls auch in ein Kloster, um es von den Feinden Spaniens zu befreien. Als die Soldaten erwartungsvoll auf dem Platz vor der Fonda Aufstellung genommen hatten, konnte Alvaro sich ein triumphierendes Lachen nicht verkneifen. »Der Zweck unserer Wache ist erfüllt. Orlando Terasa wurde gefangen genommen.«

Zuerst herrschte ungläubiges Schweigen, dann fluchte einer der Männer. »Verdammt noch mal, ich wollte, wir hätten ihn erwischt und nicht irgendwelche anderen Kerle.«

Arandela war mit dieser Reaktion zufrieden. Selbst nach den ermüdenden Monaten, die sie hier auf der Lauer gelegen hatten, gierten seine Männer noch nach Taten. Vielleicht sollte er ihnen zum Dank die Weiber der Conversos überlassen. Dem Teufel war es schließlich egal, wenn sie benutzt bei ihm ankamen.

»Auch wenn andere den Schuft gefangen haben, ist es doch ein Grund zu feiern«, brüllte einer der Soldaten von hinten.

»Womit denn? Mit Wasser?«, fragte einer seiner Kameraden bissig. »Der Keller der Fonda ist so trocken wie meine Kehle, und in den anderen Häusern ist auch nichts mehr zu holen. Die Einzigen, die noch zum Saufen haben, sind die Weißkittel im Kloster, und die wollen uns ja nichts abgeben.«

»Man sollte den Mönchen die Bude ausräumen«, forderte ein Dritter seine Kameraden auf.

Für einen Augenblick sah es so aus, als würden die Männer auf der Stelle zum Kloster marschieren, um dort ihre Wut an den ungastlichen Bernhardinermönchen auszulassen, und Arandela machte sich schon bereit, einzugreifen. Doch da lenkte sein Stellvertreter Vasco den Zorn der Männer auf ein anderes Opfer. Er wies auf die Fonda. »Schauen wir lieber nach, ob der Wirt nicht doch noch ein Fässchen Wein vor uns versteckt hält, um es selbst zu saufen. Der Kerl hat mir ein zu großes Schurkengesicht.«

Dieser Vorschlag wurde mit Jubel aufgenommen. Drei, vier Soldaten eilten in die Fonda und stiegen in den Weinkeller hinab. Man hörte von draußen durch das winzige Schachtfenster, wie sie darin herumrumorten. Kurz darauf kehrten sie mit einem Fässchen zurück.

»Der Kerl hat uns tatsächlich belogen. Dafür bezahlen wir diesen Wein auch nicht«, riefen sie den Wartenden zu. Der Wirt folgte ihnen händeringend. »Nicht doch, Señores. Dieser Wein ist nur noch als Essig zu verwenden.«

Vasco funkelte ihn spöttisch an. »Das werden wir ja sehen, du Schuft. Wenn der Wein zu trinken ist, erhältst du eine Tracht Prügel, die dich lehren wird, in Zukunft ehrlich zu sein.« Er schlug das Spundloch mit dem Knauf seines Schwertes ein, goss den hellroten Wein in einen Becher und nahm einen Schluck. Sofort lief sein Gesicht hochrot an, und er spie die Flüssigkeit mit einer Geste des Abscheus aus.

»Terrible! Das Zeug ist wirklich nicht zu trinken.«

»Verdammt, wir wollen Wein!«, brüllte ein Soldat den Wirt an.

»Also schaff welchen her, und wenn du ihn den Mönchen aus der Nase ziehst. Wir wollen feiern.«

Der Wirt eilte hastig davon und klopfte an mehrere Häuser, von denen er hoffte, dass ihre Besitzer ihm doch noch einmal helfen würden. Zu seinem Schrecken schüttelten jedoch alle bedauernd die Köpfe, Sie hatten den meisten Wein schon an die Soldaten abgegeben und wollten das wenige, das ihnen geblieben war, für sich behalten. Als der Wirt sich gerade schweren Herzens zum Kloster aufmachen wollte, gellte ein scharfer Pfiff durch das Dorf. Ein Soldat deutete auf eine Frau, die einen schreiend bunten Rock trug und mit einem Esel am Zügel den Hügel herunterkam. Die beiden Fässchen auf dem Packsattel des Tieres ließen die Soldaten aufjubeln.

»Da kommt genau das, was wir brauchen.« Vasco eilte Lea entgegen und hielt ihr fordernd seinen Becher hin. »Schenk ein, Weib, ich habe Durst.«

Der Empfang überrollte Lea. Ihre Ängste hatten ihr schon vorgegaukelt, dass man ihr den mit Mohnsaft versetzten und daher nicht besonders gut schmeckenden Wein über den Kopf schütten und ihr schlimmstenfalls sogar aus Ärger über das schlechte Gesöff Gewalt antun würde. Doch die Soldaten umringten sie und rissen ihr vor Gier beinahe die Fässer vom Esel. Sie konnte gar nicht so schnell einschenken, wie man ihr die Becher entgegenstreckte. Selbst der in grünem Samt und schimmernden Stahl gekleidete Edelmann mit dem scharf geschnittenen Gesicht und den krausen, schwarzen Haaren, der nur Alvaro de Arandela sein konnte, trank in großen Schlucken. Er war auch der Einzige, der ihr eine Münze zuwarf. Die anderen tranken, ohne zu bezahlen. Lea warf dem Anführer einen auffordernden Blick zu, so als wollte sie hinterher bei ihm kassieren, dankte aber innerlich dem Gott ihrer Väter, weil er die Feinde in ihre Hand gegeben hatte.

Gerade, als sie den letzten Tropfen in einen Becher rinnen ließ, begannen die ersten Soldaten zu gähnen. Lea warf einen raschen Blick in die Runde, und stellte fest, dass die Männer, die lachend und singend am Boden saßen, einer nach dem anderen in sich zusammensanken. Nun wurde es höchste Zeit zu verschwinden. Zu ihrer Erleichterung hielt sie niemand auf. Während hinter ihr die trunkenen Stimmen der Soldaten erlahmten, zerrte sie den Esel hinter sich her, um so bald wie möglich die Stelle zu erreichen, an der Pablo und einer seiner Mitbrüder vom Meierhof auf sie warteten. Als Lea die Mönche vor sich auftauchen sah, schlang sie die Mantilla enger um sich, um ihren von keinem Band gehaltenen Busen zu verbergen.

»Wie ist es gelaufen?«, fragte Pablo, der ihr aufgeregt entgegenkam.

Über Leas Gesicht huschte ein Lächeln. »Excelente, Brüder. Die Soldaten haben den Wein getrunken, als hätten sie eben die Wüste durchquert. Baramosta und die Seinen können aufbrechen.«

Der andere Mönch gab einen Seufzer von sich, als wäre alle Last der Welt von seinem Herzen genommen. »Dann wird endlich wieder Ruhe in unserem Tal einkehren.«

»Wollen wir es hoffen.« Pablo nahm Lea die Zügel aus der Hand und reichte sie seinem Mitbruder. »Du weißt, was du zu tun hast?«

»Ich muss den Esel und die Fässchen verschwinden lassen. Das ist wohl die leichtere Aufgabe. Gott befohlen, Brüder, und lasst Euch nicht erwischen.«

»Ich gewiss nicht, und unser junger Bruder wird ebenso gut auf sich aufpassen«, antwortete Pablo lachend.

Er hatte den Mönchen im Meierhof erklärt, sein Begleiter sei ein Mitbruder aus einem befreundeten Kloster, und sie hatten seine Worte nicht in Zweifel gezogen. Sollte ein Teil der Wahrheit durchsickern, wollte der Abt versuchen, jeden Verdacht von dem burgundischen Edelmann Léon de Saint Jacques abzulenken. Lea war froh über die weise Voraussicht, denn aus dem gleichen Grund hatte sie vor, in die Höhle des Löwen, also zu dem bei Granada versammelten Hof zurückzukehren. Sie bedankte sich noch einmal bei dem Mönch aus dem Meierhof und streichelte zum Abschied den Esel, der brav mitgemacht hatte. Als der Mann gegangen war, wandte sie sich besorgt an Pablo. »Soll ich nicht doch besser bis Cullerà mitkommen?«

Der Mönch winkte ab. »Nein, nein, das schaffe ich allein. Schließlich kenne ich Ristelli von Don Orlandos letztem Streich her. Sei unbesorgt, lieber Bruder Léon, ich bringe Baramosta und die Seinen sicher zum Schiff. Ihr solltet Euch beeilen, um nicht zu spät auf de Llorzas Gut anzukommen. Wenn alles vorbei ist, werde ich Euch dort aufsuchen und Euch berichten, wie es gelaufen ist.«

Lea schüttelte zweifelnd den Kopf. »Ich weiß nicht … Ich habe das Gefühl, meine Aufgabe ist noch nicht erfüllt.«

Pablo legte ihr die Hand auf die Schulter und zog sie an sich, was etwas eigenartig aussah, da Lea noch in Frauenkleidern steckte und er seine Mönchskutte trug. »Beruhigt Euch, Don Léon. Ihr habt mehr als genug getan. Würde man Euch jetzt bei den Flüchtlingen sehen, könntet Ihr die Aufmerksamkeit unserer Feinde auf Euch ziehen.«

»Also gut, Pablo. Ich lege das Schicksal Baramostas und der Seinen in deine Hände. Aber geh jetzt, denn ihr dürft keine Zeit verlieren. Und pass auf, dass Montoyas Spione im Kloster nicht noch alles verderben.«

»Die haben derzeit anderes zu tun. Als ich in der Klosterapotheke war, um den Schlafsaft zu holen, fiel mir ein starkes Abführmittel in die Hände. Das habe ich als Gottes Zeichen angesehen und es in den Kessel mit dem Morgentrunk eingerührt. Ich fürchte, die Latrinen des Klosters werden schon überfüllt sein. Meine wahren Mitbrüder werden mir vergeben, und Montoyas Spione haben es verdient. Doch nun Gott befohlen. Grüßt Don Orlando und besonders seinen Vater von mir.« Pablo schniefte, wischte sich eine Träne von der Wange und stiefelte mit langen Schritten auf das Kloster zu.

Lea sah ihm noch einen Augenblick nach, dann eilte sie zu dem Pinienwäldchen, in dem sie ihre Sachen versteckt hatte, und verließ es kurz darauf wieder in der Tracht eines kastilischen Edelmannes, die sie für ihren weiteren Weg behalten wollte. Das Frauenkleid und die Mönchskutte hatte sie fest eingepackt, damit man nicht erkennen konnte, was sie unter dem Arm trug. Eine gute Stunde später erreichte sie die Osteria, in der Cereza untergestellt war.

»Buenos dias, Señor. Wir haben uns bereits Sorgen um Euch gemacht«, begrüßte der Wirt sie.

Lea neigte ihr Haupt und setzte eine verklärte Miene auf. »Ich habe die Nacht und einen Teil des Vormittags betend am Altar der heiligen Jungfrau verbracht und fühle mich nun wunderbar getröstet.«

»Dann dürftet Ihr müde sein und schlafen wollen«, schloss der Wirt aus ihren Worten.

»Aber nein! Gott hat mich mit neuer Kraft erfüllt. Packt mir etwas Brot, ein Stück Lammbraten und eine Kürbisflasche mit Wein ein und sagt, was Ihr von mir bekommt. Ein Knecht soll meine Stute satteln, denn ich will gleich aufbrechen.«

Keine halbe Stunde später blieb der kleine Ort hinter Lea zurück. Am nächsten Kreuzweg verließ sie den Fahrweg und ritt den steilen Hang hoch, der das Tal des Rio Grande an dieser Stelle begrenzte. Oben angekommen lag eine leicht gewellte Hochebene vor ihr. Nachdem die Stute sich ein wenig vom Aufstieg erholt hatte, ließ Lea sie rasch ausgreifen. Sie schnitt den Bogen ab, den der Fluss machte, und erreichte den Rio Grande erst wieder nach gut zwei Léguas. Während sie Cereza zügelte, beobachtete sie die beiden Boote, die sich unten auf dem Fluss näherten. Zusammen mit Baramosta befanden sich fünfzehn Personen darin, dazu kam noch Pablo, der am Heck des vorderen Bootes saß und das Steuer hielt. Gerade als sie ihn auf sich aufmerksam machen wollte, blickte er auf und winkte ihr zu.

Lea winkte zurück, nahm dann das Bündel mit der Kutte und dem verräterischen Kleid und schleuderte es über den Steilhang hinab ins Wasser. Einer von Baramostas jungen Begleitern holte es mit einer Stange ins Boot und verstaute es unter seinem Sitzbrett. Auf diesem Weg würden die Sachen wieder in Ristellis Besitz kommen. Das schien Lea sicherer, als die Kleidung irgendwo unterwegs zu vergraben oder sie bei sich zu behalten.

»Muchas gracias«, rief Orlandos Onkel zu ihr hoch. Seine Frau stand neben ihm und betete, während die drei jungen Frauen, bei denen es sich um die Töchter und die Schwiegertochter des Paares handeln musste, ihrem Retter Kusshände zuwarfen.

»Fahrt mit Gott«, flüsterte Lea erleichtert und besorgt zugleich, Pablo hatte Recht. Sie konnte jetzt nicht mehr für die Flüchtlinge tun, als ihnen ihre besten Wünsche mitzugeben. Sie selbst musste zu Frans van Grovius und den Burgundern zurückkehren, um deren Gesicht vor dem spanischen Königspaar und deren Höflingen zu wahren und aus dem unbestimmten Gefühl heraus, dass sie in diesem Land noch eine Aufgabe zu erfüllen hatte.