1.

Lea starrte Roland Fischkopf fassungslos an. Diesen Vorschlag konnte er nicht ernst gemeint haben. Aber sein flehender Blick und seine angespannte Miene verrieten ihr, dass seine Frage kein schlechter Witz gewesen war. So gab es nur eine andere Erklärung: Der Mann musste verrückt geworden sein!

Sie hatte sich schon gewundert, als ein Bote bei ihr erschienen war, um ihr mitzuteilen, dass Roland Fischkopf an der Grenze der Hartenburger Markgrafschaft in einer Kutsche auf sie wartete. Sein Auftauchen war ihr gerade recht gekommen, denn sie hatte weder eine Nachricht erhalten, wie das flandrische Weinmonopol sich entwickelte, noch wusste sie, ob Fischkopfs Gewährsleute Peter Pfeiffer als ihren Beauftragten akzeptiert hatten. Aus diesem Grund hatte sie sich wieder in Samuel verwandelt und war dem Boten gefolgt.

Jetzt saß sie in einer engen, schmalen Kutsche, die nur wenig Ähnlichkeit mit dem großen, bequemen Reisewagen hatte, den der Herzog von Burgund benutzte, sondern auf Schnelligkeit getrimmt war. Die vier angespannten Pferde waren so temperamentvoll, dass sie keinen Augenblick ruhig standen und der Kutscher und sein Knecht alle Mühe hatten, sie zu bändigen.

Lea musterte ihr Gegenüber, um Spuren beginnenden Wahnsinns zu entdecken, aber der Handelsagent wirkte nur müde und abgespannt wie nach zu vielen durchwachten Nächten.

»Könntet Ihr noch einmal wiederholen, was Ihr da eben gesagt habt, Herr Fischkopf?«

»Ich bitte dich, an meiner Stelle nach Kastilien zu reisen – und zwar als Christ verkleidet.« Orlandos Stimme klang schroff, doch sein Unmut galt nicht Lea, sondern sich selbst. Er verachtete sich, weil er keine andere Lösung gefunden hatte, als einer jungen Frau etwas zuzumuten, für das nur er allein sich in Gefahr hätte begeben dürfen.

»Beim Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, hat ein Dämon Eure Sinne befallen? Da kann ich mich ja gleich freiwillig auf einen Scheiterhaufen binden lassen!«

Orlando ballte die Fäuste. »Glaubst du, ich würde dich darum bitten, wenn ich die Angelegenheit selbst erledigen könnte? Ich versichere dir, dass man dich kaum beachten wird, weil gewisse Herrschaften nach mir Ausschau halten.«

»Geht es wieder um eines Eurer Schurkenstücke?«

»Wenn es ein Schurkenstück ist, unschuldige Menschen vor einem grässlichen Tod zu retten, dann ja.« Orlando ärgerte sich über Leas Kratzbürstigkeit, die sie nur ihm gegenüber an den Tag zu legen schien, und hätte sie am liebsten gleich wieder nach Hause geschickt. Doch sie war der einzige Mensch, dem er zutraute, seinen Onkel Rodrigo samt seinen Angehörigen aus der Falle herauszuholen, in der sie den Köder für ihn spielen mussten. So holte er tief Luft und erklärte ihr die Situation in aller Ruhe.

»Es sind doch Leute deines Volkes, die deiner Hilfe bedürfen«, schloss er seinen Bericht.

Lea winkte verächtlich ab. »Es sind Konvertiten, die sich vom Glauben der Erzväter abgewandt haben.«

»Sie sind nicht freiwillig Christen geworden!«

Lea rümpfte die Nase. »Pah!«

Orlando packte sie an den Oberarmen, hob sie halb von ihrem Sitz und schüttelte sie. »Jetzt höre mir gut zu, mein beschnittener Freund! Ich kenne da jemand, der eine Riesenportion Schweinefleisch vertilgt und ein Ferkel geküsst hat, um nicht von einer grölenden Rotte ins Feuer geworfen zu werden. Also rede nicht schlecht von Menschen deines Glaubens, die nichts anderes wollten, als in Frieden leben und ihren Geschäften nachgehen.«

Lea fühlte, wie sie gegen ihren Willen rot wurde. Roland Fischkopf hatte ihr damals das Leben gerettet, und wenn sie sich nun weigerte, seine Bitte zu erfüllen, würde sie sich den Rest ihres Lebens wie ein Schwein vorkommen.

»Es fängt schon mit der Frage an, unter welchem Vorwand ich nach Bereja reisen soll. Soviel ich weiß, ist man sowohl in Frankreich als auch in Aragon und Kastilien sehr argwöhnisch, was fremde Reisende betrifft.«

Orlando lächelte bitter, denn einerseits war er froh, dass Lea angebissen hatte, andererseits aber vertiefte ihre Zustimmung seinen Zwiespalt.

»Es ist kein Vorwand nötig. Herzog Maximilian von Burgund rüstet eine Gesandtschaft aus, die in die Spanischen Königreiche reisen soll, denn er will seine Tochter Margarete mit dem Infanten Juan, dem Erben der Kronen Kastiliens und Aragons, vermählen und seinen Sohn Philipp mit dessen Schwester Juana. Maximilian wünscht, dass ein christlicher Bankier diese Gesandtschaft begleitet, um den Botschafter bei den finanziellen Transaktionen zu beraten, die die zu erwartenden Vereinbarungen mit sich bringen, und ist dabei auf mich verfallen. Ich kann mich jedoch nicht mehr jenseits der Pyrenäen sehen lassen, weder offiziell noch heimlich. Dir wird man als Mitglied der Delegation keinen zweiten Blick schenken. Dazu müssen wir aber einen Christen aus dir machen. Hast du den Geleitbrief des Herzogs mitgebracht?«

Lea klopfte gegen ihren Bauch, auf dem eine unter ihrem Kaftan verborgene Ledertasche hing. »Er ist hier.«

»Sehr gut. Zuerst müssen wir uns einen christlichen Namen für dich ausdenken. Ich hatte zunächst an einen deutschen Namen gedacht, doch ein französischer Name scheint mir unverfänglicher zu sein. Was kann man aus Samuel ben Jakob, genannt Goldstaub, machen? Den Goldstaub lassen wir weg. Ben Jakob?

Hmm …«

Orlando kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Warum nicht?

Wir nennen dich de Saint Jacques, das hat auch für Spanier einen guten Klang. Der Vorname Samuel passt allerdings nicht dazu. Nehmen wir doch den deiner Schwester. Sie heißt Lea, nicht wahr? Daraus machen wir einen Léon de Saint Jacques. Bei einem so heiligen Namen werden nicht einmal die Herren der heiligen Inquisition misstrauisch werden.«

Orlando grinste Lea dabei an, als erwarte er ein Lob. Lea ging das Ganze zu schnell. Doch bevor sie Einwände machen konnte, sprach er weiter.

»Wie steht es mit deinen Spanischkenntnissen?« Er warf ihr ein paar Sätze hin und fluchte, als Lea ihren Sinn nicht sofort begriff. »Hatte ich dir nicht gesagt, du solltest jeden Tag üben?«

»Ich habe geübt, sooft ich konnte«, fuhr Lea auf. »Aber ich habe nur Jochanan, mit dem ich spanisch reden kann, und er hat beinahe alles wieder vergessen.«

»Dann wirst du auf der Reise nach Antwerpen, wo du auf den Rest der Gesandtschaft triffst, viel üben müssen. Ich werde dich bis dorthin begleiten und dir alles beibringen, was du wissen musst, auch die Namen der Menschen, die dir weiterhelfen werden. Erwarte aber nicht zu viel von ihnen. Man wird dir Obdach gewähren, Ratschläge erteilen und dir mit Geld aushelfen, falls du welches brauchst. Der Auftrag wird sich übrigens für dich lohnen. Wenn du Baramosta und die Seinen in Sicherheit bringen kannst, erhältst du von ihnen mindestens fünftausend Gulden, vielleicht sogar mehr, je nachdem, wer sich noch bei der Gruppe befindet.«

»Baramosta? Ich hatte einen Geschäftspartner namens Rodrigo Varjentes de Baramosta. Reden wir von demselben Mann?«

»Ja! Das trifft sich doch gut. Wenn du ihn herausholst, gewinnst du einen treuen Gewährsmann in einer der Hafenstädte in Flandern oder im Norden des Reiches, je nachdem, wo er sich niederlassen wird.«

Lea nickte. Mit fünftausend Gulden würde sie sich in jeder Stadt des Heiligen Römischen Reiches, in der Juden leben durften, einkaufen können, ohne ihr Geschäftskapital angreifen zu müssen, und mit Baramosta hatte sie bisher nur die besten Erfahrungen gemacht. Also war sie geradezu gezwungen, sich auf dieses verrückte Unternehmen einzulassen. Sie legte die Hände an die Wangen und sackte ein wenig nach vorne, so als wäre ihre Kraft zum Widerstand aufgezehrt.

»Also gut, ich mache mit.«