8.

Diesmal konnte Lea sich dem Sog nicht entgegenstemmen.

Die Strömung wirbelte sie herum wie ein Bündel Lumpen, Wasser drang ihr in Nase und Mund, und es war, als würde der Druck ihr den Brustkorb zerquetschen. Mit letzter Kraft hielt sie sich an einem Felsen fest und tastete nach der Höhlung, in die sie hineintauchen musste. Als sie sie fand, streckte sie die Beine hinein, um nach einem Halt für ihre Zehen zu suchen. Sofort saugte die Strömung sie in die Tiefe und warf sie so hart gegen den Grund, dass sie glaubte, ihre Rippen müssten zerspringen. Irgendwie gelang es ihr, sich an einem größeren Stein festzuhalten und den ledernen Eimer zu sich zu ziehen, den sie mit einer Leine an der Hüfte befestigt hatte. Sie klemmte sich seinen Rand zwischen die Zähne und schaufelte mit der freien Hand das Geröll um sie herum hinein. Wenn sie heute ebenso viel Gold mit hochbrachte wie an den beiden vergangenen Tagen, würde sie ihr Leben kein weiteres Mal mehr aufs Spiel setzen. Inzwischen hatte sie verstanden, warum ihr Vater nicht mehr in dieses Loch hatte hinabtauchen wollen. Es war tatsächlich der Vorhof zur Hölle, den zu betreten nur ein Verzweifelter wagte, jemand, der wie sie keine andere Chance mehr sah, sich und seine Familie vor Elend und Tod zu bewahren.

Sie ertastete einen Brocken, der so schwer war, dass sie ihn kaum bewegen konnte. »Oh, Gott meiner Väter, lass es Gold sein. Steine haben wir schon genug herausgeholt«, flehte sie in Gedanken.

Noch während sie den Klumpen in den Eimer schob, straffte sich die Leine, die sie um ihren Leib geschlungen hatte. Anscheinend war die Zeit abgelaufen, die Ketura für vertretbar hielt. Lea zog kurz am Seil, um der Magd zu zeigen, dass alles in Ordnung war und sie noch einen Augenblick weitermachen wollte. Schnell schaufelte sie so viel zusammen, dass der Eimer voll wurde und der lederne Verschluss sich gerade noch zuziehen ließ. Halb ohnmächtig riss sie zweimal heftig an dem Seil und stieß sich mit letzter Kraft vom Boden ab, um der Magd die Arbeit zu erleichtern. Auf ihrem Weg nach oben schleuderten die wirbelnden Wasser sie gegen vorstehende Felsen und raubten ihr den letzten Atem. Sie würde heute Abend wohl kein Stück heiler Haut mehr besitzen, fuhr es ihr durch den Kopf. Dann schwanden ihr die Sinne.

Einige Zeit später kam sie auf der Felsbank über der tosenden Sarn wieder zu sich, während Ketura sich immer noch abmühte, das Wasser aus ihren Lungen herauszupressen. Lea würgte, erbrach einiges von dem, was sie geschluckt hatte, und holte dann keuchend Luft.

Ketura wischte sich den Angstschweiß von der Stirn. »Dem Gott unserer Väter sei Dank, du lebst noch. Ich habe mir schon schreckliche Vorwürfe gemacht, weil ich dachte, ich hätte zu lange gewartet.«

»Mir geht es gut«, antwortete Lea alles andere als wahrheitsgemäß. Tatsächlich war ihr übel, und sie hatte das Gefühl, keinen heilen Knochen mehr zu besitzen. Trotzdem zwang sie sich, aufzustehen, um ihre Ausbeute in Sicherheit zu bringen. Sie klammerte sich mit der einen Hand an der Felswand fest und zog mit der anderen an der Leine, an der der volle Eimer hing.

»Hilf mir bitte, ihn herauszuziehen. Wenn der Gott Israels Erbarmen mit uns hat, haben wir so viel Gold geborgen, dass ich diesen Höllenschlund niemals mehr Wiedersehen muss.«

»Höllenschlund? So nennen auch die Christen diese Stelle.« In Keturas Stimme schwang abergläubischer Schauder mit, aber auch Respekt vor ihrer jungen Herrin, die ein Wagnis eingegangen war, dem sie sich selbst unter Androhung eines grausamen Todes nicht gestellt hätte. Sie konnte Lea jedoch auf andere Weise dienen, denn als diese vor Schwäche schwankte und in den Strudel hinabzurutschen drohte, lehnte sie sie gegen die Felswand und barg allein den Eimer.

Als das Gefäß auf dem Trockenen stand, öffnete Ketura den Verschluss und starrte ungläubig auf das Gold, das ihr entgegenleuchtete. Sie holte ein paar Stücke heraus und zeigte sie Lea von allen Seiten. »Das ist mehr, als du gestern und vorgestern zusammen herausgeholt hast. Von denen hier muss jeder einige Dutzend Gulden wert sein.«

»Der hier wahrscheinlich sogar einige Hundert.« Lea deutete auf den größten Klumpen, der nicht mit Gestein verbacken war wie die meisten, die sie bei den beiden ersten Tauchgängen herausgeholt hatte und die ihr im Augenblick nicht viel nützten. Ketura schüttete den Inhalt des Eimers auf eine Decke und las die größeren Goldstücke heraus. Lea sah ihr zu, bis sie sich so weit erholt hatte, dass sie ihr helfen konnte. Die Ausbeute war mehr als erfreulich, denn jetzt besaß sie genügend reines Gold, das sie sofort verwenden konnte. Und auch die kleinen Goldkörner und der Goldstaub, dem ihr Vater seinen Beinamen verdankte, stellten für sich schon ein kleines Vermögen dar, auf das sie später für den Handel zurückgreifen konnte. Lea stapelte die Klumpen auf einen Haufen. »Hieraus können wir sofort Münzen schlagen, und wenn wir darauf achten, weniger Fehlprägungen zu machen als gestern, bekommen wir genug Hartenburger Gulden zusammen, um die Privilegien zu bezahlen.«

Ketura schob die Unterlippe vor. »Münzen sind Münzen. Jeder Kaufmann akzeptiert auch ein schlecht geprägtes Stück, wenn auch zu einem etwas geringeren Wert. Aber unser Herr tut so, als wäre jeder kleine Fehler ein unentschuldbares Verbrechen.«

»Seine Durchlaucht ist nun einmal kein Handelsmann, der jedes Stück eigenhändig prüft. Deswegen erwartet er, dass er einwandfreie Werte bekommt. Denk daran: Wenn wir sorgfältig arbeiten, kann ich dem Markgrafen die verlangte Summe hinlegen, und wir müssen nicht mehr bangen, ob Jochanan und Saul heil zurückkehren. Ich kann die Angst fast nicht mehr ertragen.«

Ketura nickte verständnisvoll und half ihr, die tauben Stücke auszulesen und in den Fluss zurückzuwerfen. Diesmal gab es kaum Abfall, dafür dankte Lea Gott, der sie in seiner Gnade mehr Gold als Steine in den Eimer hatte stecken lassen. Als sie die wertvollen Stücke in Ledersäcke gepackt hatten, wuschen sie vorsichtig den feinen Sand und den Schlamm von der Decke und wurden mit dem Anblick des Goldstaubs belohnt, der in den Fasern hängen geblieben war. Sie falteten das schwer gewordene Tuch zusammen und steckten es in einen weiteren Sack, den sie wie die anderen mit Stricken zusammenbanden, so dass sie ihn schultern konnten.

Als sie die Schlucht verließen, wankten sie bedenklich unter dem Gewicht ihrer Ausbeute. Es lagen nun zwei Stunden Weges vor ihnen, und Lea litt schon bei den ersten Schritten Höllenqualen vor Angst, jemand könnte sie beobachtet haben, denn die kurzen Haare und ihr Männerkaftan boten keinen Schutz vor einem Überfall. Vergebens sagte sie sich, dass die Markgrafschaft sehr abgeschieden lag und fremde Reisende, die sie hätten berauben können, sich nur selten hierher verirrten. Die Einheimischen, die errieten, dass sie Gold gewaschen hatten, würden sich normalerweise hüten, ihnen etwas anzutun, denn wer sich am Gold des Hoffaktors vergriff, streckte seine Hand nach dem Vermögen des Markgrafen aus, und das wagte nur einer, der in diesem Land nichts mehr zu verlieren hatte. Aber jemand, der beobachtete, wie zwei junge Juden unter ihrer Last gebeugt dahinwankten, konnte sich denken, dass sie einen Schatz geborgen hatten, für den sich jedes Risiko einzugehen lohnte.

Ketura teilte Leas Befürchtungen und sah sich selbst dann noch ängstlich um, als sie das Stadttor erreicht hatten. Lea hingegen war so erleichtert, in Sicherheit zu sein, dass sie auf die launigen Worte der Wachen einging und die Männer mit ihrer Antwort zum Lachen brachte. Als sie weitergingen, stieß einer der Soldaten den anderen in die Seite.

»Dieser Samuel ist wirklich ein hübscher Bursche. Sein Glück, dass er ein Jude ist. Sonst hätte Abt Anastasius ihn gewiss unter seine Sängerknaben aufgenommen.«

»Aber weniger um seiner Stimme willen als wegen seines wohlgestalteten Hinterteils«, antwortete sein Kamerad, ohne die Stimme zu dämpfen.

Die Vorliebe des Abtes von St. Koloman für hübsche Knaben war allgemein bekannt, wurde aber hingenommen, weil er ein Onkel des jetzigen Markgrafen war. Den Wachen bot das Treiben im Kloster und auf der Burg immer wieder genügend Stoff, um die Langeweile ihres Dienstes zu vertreiben, und so drehte sich ihr Gespräch auch jetzt wieder um den oftmals durchgekauten Skandal. Der vorsichtigere der beiden Wächter zog seinen Freund näher zu sich heran und weihte ihn in das neueste Gerücht ein.

»Mein Bruder Heiner, der oben in der Burg bedient, erzählte mir, dass die Schlampe des Markgrafen gerne zusieht, wenn der Abt es mit seinen Knaben treibt. Wenn Unsere Durchlaucht danach zu ihr kommt, soll sie besonders hitzig sein.«

»Ja, das habe ich auch schon gehört. Es heißt, sie soll Ernst Ludwig sogar mit ins Kloster genommen haben, um ihn beim Zuschauen zu umarmen.«

Während die beiden Stadtwachen sich über die in ganz Hartenburg bekannten Bettgeschichten ihres Landesherrn unterhielten, stolperten Lea und Ketura über die Schwelle ihres Zuhauses und ließen erschöpft ihre Bündel fallen. Sarah, die bereits ungeduldig auf sie gewartet hatte, schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als sie sah, wie übel Lea zugerichtet war. Sie deutete auf die frischen Abschürfungen und die Flecken, die sich in allen Schattierungen von Dunkelblau verfärbten.

»Beim Gott Israels, Kind, so geht das nicht weiter. Das war das letzte Mal, dass ich dich zur Schlucht habe gehen lassen. Merkst du denn nicht, dass du dein Leben aufs Spiel setzt? Da ist es besser, wir ziehen bettelnd von Stadt zu Stadt und nehmen Elieser im Handwagen mit uns.«

Lea zuckte zusammen, als Sarah eine blutverkrustete Schürfwunde berührte, und lächelte unter Tränen. »Keine Sorge, Sarah. Ein weiteres Mal tauche ich gewiss nicht mehr hinab. Heute habe ich genug Gold herausgeholt, um zusammen mit der Ausbeute der beiden anderen Tage alle notwendigen Privilegien erwerben zu können. Ketura und ich werden gleich in den Keller gehen und weitere Münzen prägen.«

»Heute gehst du nirgends mehr hin außer in eine Wanne mit warmem Wasser und danach ins Bett. Ich werde dir denselben Schlaftrunk bereiten, mit dem ich Elieser behandele. Er schläft danach ohne Schmerzen, und du siehst mir ebenfalls so aus, als könntest du viel Schlaf gebrauchen.«

Wenn Sarah in diesem Ton zu ihr sprach, führte Widerspruch nur zu einem unerquicklichen Streit, und Lea war viel zu glücklich für eine Auseinandersetzung. Mochte das Gold ruhig eine Nacht darauf warten, zu guten Hartenburger Zwölferstücken geschlagen werden. Spätestens am nächsten Abend würde sie dem Markgrafen die geforderte Summe überreichen können, und dann hatten sie endlich ihren Frieden.