4.

Lea wusste nicht, ob sie Roland Fischkopf dankbar sein sollte oder misstrauisch bleiben musste, denn sie erwartete halb und halb, einem weiteren unangenehmen Scherz des Christen zum Opfer zu fallen. »Was habt Ihr mit mir zu besprechen?«

Darüber dachte Orlando gerade angestrengt nach. Er hatte ihr geholfen, ohne an die Konsequenzen zu denken. Am liebsten hätte er ja nichts mehr mit diesem schnippischen Frauenzimmer zu tun gehabt, davon war er zumindest im Augenblick fest überzeugt.

»Ich wollte dir nur noch einmal versichern, dass ich mir dein Gold nicht als Belohnung für eure Rettung angeeignet habe. Ich sehe es als ganz normales Geschäftsdarlehen an, das ich zu den üblichen Konditionen nehmen und mit Zins und Gewinnanteil zurückzahlen werde. Du wirst die Abrechnung und eine Bankanweisung bekommen, wie du es gewohnt bist.«

»Wann wird das sein? Wenn der Kaiser den ersten Juden zu seinem Kanzler ernannt hat?«

Ihr Hinweis auf den Kaiser brachte Orlando auf die erlösende Idee. Doch er konnte sich eine beißende Bemerkung nicht verkneifen. »Ich verstehe nicht, wie du einerseits wie ein ausgefuchster Geschäftsmann handeln kannst und dich andererseits wie ein kleines Mädchen benimmst, dem man seine Glasperlenkette weggenommen hat. Nein, mein lieber beschnittener Freund, niemand kann mir nachsagen, ein unzuverlässiger Geschäftspartner zu sein. Was mich dazu bringt, dir einen weiteren Handel anzubieten.«

Seine ständigen Anspielungen auf Samuels Beschneidung brachten Lea so in Wut, dass sie ihre Abneigung diesem Mann gegenüber kaum noch im Zaum halten konnte. »Für wie dumm haltet Ihr mich eigentlich?«

»Vielleicht sogar für klüger als mich, denn ich kann mit den Schuldverschreibungen Alban von Rittlages nichts anfangen, während du sie offensichtlich sammelst. Zufällig sind drei von ihnen in meinem Besitz, ausgestellt auf je einhundert Gulden. Ich könnte sie dir billig verkaufen, sagen wir mit zwanzig Prozent Gewinn für mich.«

Fassungslos über so viel Frechheit begann Lea zu lachen. »Ihr verlangt einen stolzen Preis für ein paar wertlose Papiere. Wie kommt Ihr darauf, dass ich nur einen Heller dafür ausgeben würde? Rittlage denkt nicht daran, seine Schulden bei uns Juden zu bezahlen, und dazu zwingen können wir ihn nicht.«

»Du könntest eine Petition beim Kaiser einreichen«, schlug Orlando hilfreich vor.

Lea fragte sich, ob der Mann noch alle fünf Sinne beisammen hatte. Als Handelsagent, oder was er in Wirklichkeit sein mochte, musste er über die Verhältnisse im Reich ebenso gut Bescheid wissen wie sie. »Kaiser Friedrich III. mag ein ehrenwerter Mann sein, der meinem Wunsch nicht abgeneigt wäre, aber man nennt ihn zu Recht ›des Reiches Erzschlafmütze‹. Wenn ich eine Bittschrift an den Hof sende, werden vielleicht einmal meine Enkel eine Antwort darauf erhalten.«

»So darf Ruben ben Makkabi also doch Hoffnungen hegen?«

Diese Spitze konnte Orlando sich nicht verkneifen. Lea starrte ihn verwirrt an. »Wie meint Ihr das?«

»Aus deinen Worten entnehme ich, dass du einer baldigen Heirat mit Hannah und der deiner Schwester Lea mit dem jungen Jiftach nicht abgeneigt bist.« Leas Mienenspiel amüsierte Orlando so sehr, dass er sein Lachen mit einem Hustenanfall kaschieren musste und es ihm Mühe bereitete, mit normaler Stimme weiterzusprechen.

»Was Rittlages Schuldbriefe betrifft, so hoffte ich, dass du mir sie aus Dankbarkeit für den Gefallen, den ich dir eben getan habe, abkaufen würdest. Es war doch deutlich zu sehen, wie wenig dir daran gelegen war, unserem neugierigen Gastgeber und seinen Freunden die Verwachsungen zwischen deinen Beinen zur Schau stellen zu müssen.«

»Verwachsungen?« Leas Stimme klang schrill, aber sie nahm sich schnell wieder zusammen. Wenn sie sich jetzt gehen ließ und ihrer Abscheu für diesen Mann Ausdruck gab, verriet sie sich noch. Nimm diesen Fischkopf nicht ernst, mahnte sie sich, denn er wiederholt ja doch nur die Vermutungen eines alten Narren wie Kaleb ben Manoach.

»Die Verwachsungen, wie Ihr es nennt, sind Narben von Verletzungen, die mir Christen wie Ihr zugefügt haben! Aber gut, ich gebe zu, es ist mir unangenehm, sie anstarren zu lassen, und ich will nicht undankbar sein. Also kaufe ich Euch die Schuldbriefe ab, aber nur mit zehn Prozent Aufschlag.« In dem Augenblick, in dem sie ihr Angebot abgab, tat es ihr körperlich weh, gutes Geld zum Fenster hinauswerfen zu müssen. Doch sie hoffte, diesen aufdringlichen Menschen auf diese Weise loswerden zu können.

»Der ist ja hartnäckiger als eine Schmeißfliege«, murmelte sie fast unhörbar vor sich hin.

Orlando verstand es trotzdem und musste sich wieder ein Lachen verbeißen. Gleichzeitig empfand er Mitleid mit der jungen Frau. Es war gewiss nicht leicht für sie gewesen, als Sechzehnjährige in die Rolle eines Toten zu schlüpfen und sich auf dem Platz eines durch vielerlei Erfahrungen abgehärteten Hofjuden zu behaupten. Er schüttelte diesen Gedanken jedoch sofort wieder ab, denn zu viel Mitgefühl trübte die Sinne. »Dann sind wir uns einig, mein beschnittener Freund. Ich schicke dir die Schuldbriefe und behalte dafür dreihundertdreißig Gulden von unserem ersten gemeinsamen Gewinn ein.«

Lea atmete auf. Wenigstens musste sie ihrem verlorenen Gold nicht auch noch gutes Geld hinterherwerfen. Sie nickte zustimmend und rang sich, als Orlando sich verabschiedete, ein paar höfliche Worte ab. Während der junge Mann fröhlich vor sich hin pfeifend Ruben ben Makkabis Haus verließ, lief Lea zur Kellertür und horchte. Drinnen war es still. Also hatten die anderen Männer das Schachtbad schon verlassen. Trotzdem näherte sie sich so vorsichtig, dass sie sich rasch wieder hätte zurückziehen können. Doch drinnen wartete nur Jochanan auf sie. Sein verletztes Gesicht verschwand fast ganz unter einem sauberen Verband, und seine Stimme klang noch undeutlicher als vorher.

»Ich bin schon fertig, also kannst du jetzt hinein. Die anderen sind bereits in die Synagoge gegangen. Beeil dich, denn das Gebet fängt gleich an.« Er reichte Lea frische Kleidung und stellte sich neben dem Eingang des Schachtbades auf, um sie zu warnen, falls jemand kommen würde.

Lea schlüpfte aus ihren Kleidern und stieg in das eiskalte Wasser. Obwohl die Zeit drängte, wusch sie sich mit aller Sorgfalt. Samuel durfte nicht in den Ruf kommen, seine Pflichten als getreuer Aschkenasi nachlässig zu erfüllen. Als Jochanan kurze Zeit später warnend hüstelte, schoss sie aus dem Bad, trocknete sich rasch ab und schlüpfte fast gleichzeitig in Hemd und Kaftan. Es war keine Sekunde zu früh, denn beinahe im gleichen Augenblick steckte ihr Gastgeber den Kopf zur Tür herein. Ruben ben Makkabi hatte gehofft, Samuel überraschen zu können, und ärgerte sich sichtlich, dass er seine Gäste zur Synagoge begleitet hatte, anstatt auf seinen Wunschschwiegersohn zu warten.

Lea schlang ein Tuch um ihre feuchten Haare, warf den Gebetsmantel über und ließ sich von Jochanan helfen, den Gebetsriemen anzulegen. Dann wandte sie sich mit einem freundlichen Lächeln an ihren Gastgeber. »Ich bin bereit.«