Kapitel 18
20.52 Uhr
Eine Gruppe von Mechanikern und Piloten umlagerte den Fernseher im Büro neben dem Hangar.
Diesmal war es NBC, bemerkte Bess, aber das Bildmaterial war nahezu identisch mit dem, das CNN ausgestrahlt hatte.
»Walter, wir müssen hier weg«, sagte Kaldak zu einem mittelgroßen Mann in einer roten Windjacke. »Ist der Tank voll?«
»Ja.« Der Pilot wandte den Blick nicht vom Fernseher.
»Verfluchte Scheißkerle. Haben Sie das gehört? Sechs weitere Fälle. Das CDC hat gerade erklärt, daß sie nicht genug Gegenmittel für alle haben. Es handelt sich um eine Art im Labor erzeugte Erreger.«
»Wir müssen los, Walter«, wiederholte Kaldak.
Er nickte angespannt. »Sie sollten diesen Scheißtypen bombardieren.«
»Weiß man schon, wer es war?«
»Nein, aber es kann ja wohl nur Saddam Hussein oder einer dieser anderen Verrückten gewesen sein. Sie sollten sie bombardieren. Wir hätten sie alle erledigen sollen während des Golfkriegs.«
Ein Satz, den der Pilot fallengelassen hatte, ließ Bess aufhorchen. »Sie haben eben gesagt, es wäre nicht genug Gegenmittel da. Gibt es denn ein Gegenmittel?«
»Irgendwas, das sich noch im Versuchsstadium befindet. Das CDC hat einem kleinen Mädchen, das sie vor ein paar Stunden hereingebracht haben, Blut übertragen.«
»Und es lebt?«
»Bis jetzt ja.« Er wandte sich vom Fernseher ab. »Steigen Sie schon ein, Mr. Kaldak. Ich gehe nur noch eben die Checkliste durch. Wir sind in wenigen Minuten hier weg.« Er verließ das Büro in Richtung Hangar.
»Ein Gegenmittel«, murmelte Bess.
»Kein Gegenmittel«, erwiderte Kaldak. »Es kommt mir so vor, als hätten sie die letzte Blutprobe, die du ihnen geschickt hast, dem Mädchen injiziert.«
»Wie sollte das denn gehen?«
»Sie legen von einer Blutprobe Zellkulturen an, die vermehrt und aktiviert werden, dann verändern sie diese Zellen mit den immunen Genen. Bei HIV-Patienten wurden Experimente nach derselben Methode unternommen. Donovans Team hat offensichtlich diesen Vorgang beschleunigt.«
»Und es hat funktioniert. Das kleine Mädchen lebt. Das ist doch wenigstens ein Anfang.«
Kaldak schüttelte den Kopf. »Das ist ein Propaganda-Trick.
Die Regierung wollte nicht zugeben, daß es keinerlei Gegenmittel gibt. Deshalb haben sie sich eine Wunderkur ausgedacht.«
»Es ist ein Wunder. Sie ist am Leben.«
Er musterte ihren Gesichtsausdruck. »Was denkst du?«
Sie konnte seinen Blick spüren, als sie das Flugzeug bestiegen und auf den Passagiersitzen Platz nahmen. Aber er sagte nichts, bis sie abgehoben hatten. »Nun?«
»Sag dem Piloten, er soll nach Westen fliegen.«
»Das habe ich befürchtet«, sagte Kaldak. »Collinsville?«
»Collinsville!« wiederholte Yael.
Bess nickte. »Da befindet sich das CDC-Team. Und da ist auch mein Platz.«
»Du weißt, daß der Ort unter Quarantäne steht?«
»Sie werden mich schon reinlassen.«
»Genau das befürchte ich. Du wirst Ramsey direkt in die Arme laufen.«
»Mein Blut hat das Mädchen gerettet. Vielleicht kann ich noch mehr Menschen helfen«.
»Das Schlimmste ist schon passiert. Die Gefahr des Anthrax-Erregers ist mittlerweile weithin bekanntgemacht worden, so daß niemand, der alle Sinne beisammen hat, noch weitere dieser versiegelten Geldpäckchen öffnen wird.«
»Dieses Mädchen hat eins geöffnet.«
»Hör zu, deine Blutgruppe muß übereinstimmen. Das schränkt die Möglichkeiten deutlich ein. Und was glaubst du, wieviel Blut du abzugeben hast?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Er hat recht, Bess«, sagte Yael.
»Er hat nicht recht«, gab Bess zurück. »Glauben Sie im Ernst, ich könnte mich irgendwo verstecken und zusehen, was dort vor sich geht?« Sie wandte sich Kaldak zu. »Ich fliege dahin. Und jetzt überlegst du dir gefälligst, wie ich das hinkriege, ohne Josies Sicherheit zu gefährden und ohne in einer Quarantänestation zu landen.«
»Du verlangst ja wirklich nicht viel.«
»Du bist es mir schuldig«, erwiderte sie entschlossen. »Du bist es mir für Tenajo schuldig. Jetzt bezahlst du dafür, Kaldak.«
Er sah sie sehr lange an, dann stand er auf und ging zum Cockpit. »Ich sage Walter, daß wir nach Collinsville fliegen.«
Kaldak kam erst aus dem Cockpit zurück, als die Landung auf dem Flughafen von Collinsville kurz bevorstand. Bess hatte ihn ununterbrochen über Funk sprechen gehört, aber sie hatte nicht verstehen können, was er sagte.
»Was hast du gemacht?« fragte sie.
»Schnall dich an. Wir sind in fünf Minuten am Boden.« Er setzte sich und befestigte seinen eigenen Sicherheitsgurt.
»Und mach dich auf ein Begrüßungskomitee gefaßt.«
»Wer?« fragte Bess.
»Ich habe uns beim CDC, CBS, CNN und beim St. Louis Post-Dispatch angekündigt.« Er lächelte grimmig. »Sie werden alle ganz aufgeregt warten, wenn die Reinkarnation von Mutter Teresa das Flugzeug verläßt.«
Bess runzelte die Stirn. »Mutter Teresa?«
»Das bist du«, sagte Kaldak. »Du bist gerade dabei, eine Nationalheldin zu werden. Die mutige und besorgte Frau, die bereit ist, den Gefahren der Quarantäne-Zone zu trotzen, ihr Lebensblut herzugeben und sich den Kranken zu widmen.«
»Sehr gut«, murmelte Yael.
»Und dein Opfer ist um so höher einzuschätzen, als du, um hier sein zu können, ein krankes Kind verlassen hast, ein Kind, das du vor dem Tod bewahrt hast.«
»Mein Gott, das hört sich ja an wie eine Seifenoper«, stellte Bess fest.
»Was heißt hier Seifenoper? Es ist die Wahrheit und kann von jedem unternehmungslustigen Reporter überprüft werden.«
»Hast du ihnen von Esteban erzählt?«
Er nickte. »Ich habe ihnen von Tenajo erzählt. Ich habe es so prächtig geschildert wie möglich. Den Medien gefällt ganz besonders die Vorstellung, daß eine der ihren die Heldin in diesem Stück ist.«
»Ich bin keine Heldin«, sagte sie angewidert.
»Jetzt bist du eine«, erwiderte Kaldak. »Du wirst das Mädchen aufsuchen, dem man dein Blut injiziert hat. Sie werden dich jeden Tag dabei filmen, wie dir Blut abgenommen wird. Sie werden Fotos von dir machen mit allen neuen Opfern, die eingeliefert werden. Du wirst dich in die Viertel begeben, in denen die Unruhen stattfinden, und demonstrieren, daß es möglich ist, diesen mutierten Anthrax-Erreger zu überleben.« Er hielt einen Augenblick inne. »Und du wirst Interviews über Josie und Emily und Tenajo geben.«
»Nein.«
»Doch. Es ist notwendig. Dr. Kenwood soll der berühmteste Chirurg in Amerika werden, weil er Josie operiert hat. Ich möchte, daß die Oberschwester interviewt wird. Ich möchte, daß das Krankenhaus sich gezwungen sieht, eine ganze Armee von Bewachern bereitzustellen, um die Medien von Josie fernzuhalten.«
Ihre Augen weiteten sich, als sie begriff. »Und auch Esteban fernzuhalten.«
»Ich denke, daß wir uns in dieser Hinsicht auf Ramsey verlassen können. Er wird es nicht zulassen, daß Amerikas kleinem Liebling etwas zustößt.«
»Und da Bess ständig im Licht der Öffentlichkeit steht, kann er sie nicht heimlich in irgendein Krankenhaus stecken.«
Kaldak nickte. »Das ist der Plan.«
Und ein vernünftiger dazu, dachte Bess. Es konnte funktionieren.
»Noch eins«, fügte Kaldak hinzu. »Du mußt den Medien erklären, daß das CDC näher an der Entwicklung eines wirksamen Gegenmittels dran ist, als die offiziellen Verlautbarungen vermuten lassen.«
»Warum?«
»Das wird Esteban verunsichern. Wenn er glaubt, daß Hilfe unmittelbar bevorsteht, wird er versuchen, schnell zu verhandeln und seine Verluste zu begrenzen.«
»Oder er verteilt noch eine Wagenladung Geld.«
»Nein, das wird er nicht noch einmal versuchen. Alle sind wachsam. Er hat sein Ziel erreicht und die ganze Welt zu Tode erschreckt.«
»Das kannst du aber nicht mit Sicherheit wissen.«
»Nichts kann ich mit Sicherheit wissen. Ich kann uns nur die Daumen drücken und hoffen, daß ich richtig liege. Ein Gutes hat das Ganze außerdem«, fügte er grimmig hinzu.
»Ich bezweifle, daß Esteban es riskiert, nach Collinsville zu kommen, um dir die Kehle durchzuschneiden.« Das Flugzeug machte einen Satz, als die Räder auf der Landebahn aufsetzten.
»Das dürfte selbst ihm zu heiß sein.«
»Darauf würde ich nicht wetten«, gab Yael zu bedenken.
»Er mag ja intelligent sein, aber manche seiner Taktiken sind ziemlich abstrus.«
»Dann werden wir uns eben um Bess Sicherheit kümmern müssen, nicht wahr?« Kaldak löste den Sicherheitsgurt und stand auf. Er sah aus dem Fenster. »Da sind sie ja. So viele Kameras wie bei der Oscar-Verleihung in Hollywood.«
»Mir graut davor«, sagte Bess.
»Jetzt wirst du mal sehen, wie es auf der anderen Seite der Kamera aussieht«, stichelte Kaldak. »Nun kommt schon. Die Show kann losgehen.«
Collinsville 23.07 Uhr
Die Reporter stürzten auf Bess zu, als sie die Gangway hinabstieg. Kaldak hielt sich mit Yael im Hintergrund und sah zu.
Bess mochte es ja verabscheuen, im Rampenlicht zu stehen, aber sie lächelte und beantwortete die Fragen ruhig und selbstbewußt. Kaldak hatte nichts anderes erwartet. Bess hatte bewiesen, daß sie mit nahezu jeder Situation fertig wurde, wenn es darauf ankam.
»Sie Dreckskerl.«
Als Kaldak auf die leise gezischten Worte hin herumfuhr, sah er Ramsey vor sich. »Mit Ihnen hatte ich hier gar nicht so bald gerechnet, Ramsey.«
»Ich war gerade unterwegs, als ich den Anruf vom CDC
bekam, daß Sie diese Show abziehen wollten«, murmelte Ramsey mit zusammengebissenen Zähnen. »Das werden Sie mir noch büßen, Kaldak.«
»Ich hatte Ihnen doch gesagt, daß ich Sie nicht an sie heranlassen würde.«
»Ich hätte mich von Anfang an über Sie hinwegsetzen sollen.
Bevor Sie dieses Chaos hier auslösen konnten.«
»Aha, Collinsville war allein mein Fehler? Sie haben damit gar nichts zu tun?« Daß Ramsey anderen die Schuld in die Schuhe schieben würde, hatte Kaldak erwartet. »Das wird kaum ziehen.
Ich bin bloß der Laufbursche. Sie sind der Mann am Steuer.« Er warf einen Blick auf Bess. »Und wenn ihr irgend etwas zustößt, werden Sie das Gefühl haben, als wären Sie von einem Lastwagen überfahren worden.«
»Wollen Sie mir drohen?« fragte Ramsey barsch.
»Ja.« Sein Blick wanderte wieder zu Ramsey. »Sie glauben, Ihnen steht das Wasser bis zum Hals? Sie haben keine Ahnung, was das bedeutet. Ich werde sie nicht hergeben, und Esteban wird mir nicht entkommen.«
»Esteban ist Ihnen bereits entkommen. Wir sind weit davon entfernt, ihn zu fassen. Er verwischt jede Spur, die zu ihm führen könnte. Zwei Stunden, nachdem Habins Hubschrauber in die Luft geflogen ist, gab es eine Explosion in einer Scheune in der Nähe von Waterloo, Iowa.«
Kaldak erstarrte. »Die Blütenwerkstatt?«
»Davon gehen wir aus. Unsere Spezialisten sind vor Ort und kämmen die Asche durch.«
»Ist das nicht gefährlich für sie?« wandte Yael ein. »Da sind doch bestimmt aktive Anthrax-Erreger in der Druckfarbe, die sie benutzt haben.«
»Nicht mehr, wenn das Feuer heiß genug war«, erklärte Kaldak. »Feuer ist der große Gleichmacher. Das CDC benutzt sogar Feuer, um Ebola-Erreger zu zerstören.«
»Also, es war heiß genug«, sagte Ramsey. »Alles in Sichtweite ist praktisch geschmolzen, einschließlich einiger Leute, die sich im Gebäude aufhielten. Wir werden nichts Wertvolles mehr finden.«
»Gibt’s was Neues von Cody Jeffers?«
»Er hat vor ungefähr drei Stunden seine Mutter angerufen, aber sie hat aufgelegt.«
Kaldak verstummte. »Er hat sie angerufen?«
»Er hat gebettelt und sie angefleht. Sie hat aufgelegt, bevor wir den Anruf orten konnten. Seitdem gibt es kein Lebenszeichen von ihm. Esteban hat sich sicherlich auch um diese Kleinigkeit gekümmert.«
»Wann läuft die Frist für die Geldübergabe ab?«
»Übermorgen.« Ramsey warf Yael einen säuerlichen Blick zu.
»Ihre Regierung heizt unserem Präsidenten mächtig ein. Sie liegen ihm in den Ohren, daß er bloß nicht den Forderungen der Terroristen nachgeben soll.«
»Meine Regierung hat recht«, erwiderte Yael. »Es gibt nichts Schlimmeres, als auf die Forderungen von Terroristen einzugehen.«
»Wenn Esteban verseuchtes Geld in New York City unter die Leute bringt, ist das schlimmer.«
»Droht er damit?« fragte Kaldak.
Ramsey nickte kurz. »Haben Sie eine Ahnung, wie sich ein weiterer Zwischenfall auf die Börsenkurse auswirken würde?«
»Ich weiß jedenfalls, daß ich keine Lust hätte, Esteban das Geld zu geben, um dann zuzusehen, wie er mit dem Restbestand an Anthrax-Erregern verschwindet. Was hindert ihn daran, mit einem weiteren Anschlag zu drohen?«
»Sie.« Ramsey wies mit dem Kopf auf Bess. »Und Sie haben sie mir weggenommen, Sie Dreckskerl.«
»Zu schade. Ich denke mal, Sie sollten sich darauf konzentrieren, Esteban zu finden, anstatt eine unschuldige Frau zu schikanieren.«
»Schimpft hier ein Esel den andern Langohr?«
Kaldak zuckte zusammen. »Ja, vermutlich.« Er ging vor und kämpfte sich den Weg durch die Reportermeute. »Für heute reicht’s. Ms. Grady ist sehr müde, aber Sie wird Ihnen morgen früh wieder zur Verfügung stehen. Sie muß noch zum CDC-Hauptquartier in die Stadt, um Blut zu spenden.«
Eine der Kameras schwenkte sofort auf ihn. »Und wer sind Sie?«
»Ich bin Ms. Gradys Leibwächter. Die Regierung ist sich der hervorragenden Bedeutung des Beitrags bewußt, den Ms. Grady leistet.« Er wandte sich um zu Ramsey. »Deshalb hat Mr. Ramsey, stellvertretender Leiter der CIA, mich beauftragt, dafür Sorge zu tragen, daß Ms. Grady keinerlei Unannehmlichkeiten bereitet werden. Ist das so richtig ausgedrückt?«
Ramsey warf ihm einen vernichtenden Blick zu, bevor er sich zu einem Lächeln zwang. »Selbstverständlich. Es versteht sich von selbst, daß wir Ms. Grady außergewöhnliche Aufmerksamkeit widmen.«
»Mr. Ramsey hat mir gerade berichtet, daß er schon eine Einheit zum Johns Hopkins beordert hat, um das Krankenhaus zu bewachen«, teilte Kaldak den Journalisten freundlich mit.
»Er wird Ihnen jetzt für Fragen zu seinen Beweggründen zur Verfügung stehen, während ich Ms. Grady zum CDC-Hauptquartier begleite.«
Ramsey wurde sofort von den meisten Medienleuten umringt, und Kaldak mußte Bess nur noch aus den Fängen von zwei besonders aufdringlichen Reportern befreien.
»Hier lang.« Yael war an ihrer Seite. »Das ist Mel Donovan vom CDC.«
»Wir kennen uns.« Kaldak schüttelte ihm die Hand. »Das ist Bess Grady. Mel Donovan. Er hat Eds Stelle im CDC
übernommen.«
»Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Ms. Grady.« Donovan schüttelte ihr die Hand. »Allerdings würde ich mir wünschen, es wäre nicht unter diesen Umständen. Unser Team ist im Ramada Inn in der Quarantäne-Zone untergebracht. Es liegt direkt neben dem Krankenhaus. Ich habe für Sie eine Reservierung veranlaßt.«
»Sind weitere Infizierte eingeliefert worden?« fragte Bess.
»Einer. Der Mann ist vor einer Stunde gestorben.« Donovan geleitete sie zu einem Wagen, der neben dem Flughafenterminal geparkt war. Ein Polizeiwagen aus Collinsville mit blinkendem Blaulicht stand direkt vor dem Wagen. »Sie haben mitbekommen, daß wir Ihre letzte Blutprobe für eine Transfusion benutzt haben?«
»Deshalb bin ich hier.« Sie nahm auf dem Rücksitz Platz.
»Aber offensichtlich bin ich nicht rechtzeitig gekommen. Ich hatte gehofft –« Sie schüttelte den Kopf. »Es spielt keine Rolle.
Jetzt bin ich hier. Ich werde alles tun, was mir möglich ist. Wie weit sind Sie mit der Entwicklung eines Gegenmittels?«
Donovan zuckte die Achseln. »Wir sind dabei, Eds Aufzeichnungen, die bei der Explosion zerstört wurden, neu zu erstellen, aber es dauert eine Weile.« Er setzte sich hinter das Lenkrad. »Glauben Sie mir, wir arbeiten rund um die Uhr, seit wir auf die mutierten Anthrax-Erreger gestoßen sind. Diese Katastrophe hat den Druck auf uns nur noch verstärkt. Jeder will eine Antwort, aber wir haben sie nicht.«
»Laßt uns losfahren.« Yael kletterte auf den Beifahrersitz.
»Die Reporter werden jeden Moment wieder hiersein.« Kaldak stieg hinten ein und schlug die Tür zu. »Yael und ich brauchen Fahrzeuge mit Aufklebern des CDC, damit wir uns in der Quarantäne-Zone frei bewegen können.«
»Der Bürgermeister hat uns seine Dienstwagen zur Verfügung gestellt«, antwortete Donovan. »Ich werde Ihnen die Aufkleber besorgen, sobald wir im Hotel sind.«
Er winkte dem Polizeiauto, und die Polizisten ließen den Motor an. »Aber fahren Sie nirgendwo ohne Polizeischutz hin.
Die Stadt ist zu explosiv.«
Das Miststück tischte ihnen Lügen auf und lächelte auch noch frech dabei.
Esteban saß in seinem Motelzimmer und verfolgte die Nachrichtensendungen über Collinsville. Er hatte sich gerade an der Verwüstung berauscht, die sich als so profitabel erweisen würde, als sie den Flughafen und Bess Grady einblendeten.
Sie log sie an. Das CDC stand nicht kurz vor der Entwicklung eines Gegenmittels. Dafür hatte er gesorgt, als er Katz aus dem Weg räumen ließ.
Aber wenn die Menschen ihr nun glaubten? Was wäre, wenn der Präsident so unter Druck gesetzt wurde, daß er die Zahlung verweigerte? Diese verdammten Juden kamen ihm immer wieder in die Quere.
Sie sagte es schon wieder.
Die Wut kroch in ihm hoch. »Du lügst. Halt’s Maul, du Miststück. Hör endlich auf, Blödsinn zu erzählen.«
Er hatte den Leibhaftigen losgelassen und ihnen gezeigt, daß es keine Rettung gab. Dennoch glaubten sie, diese Hure könnte sie retten. Wenn er das Spiel gewinnen wollte, mußte er ihre Angst schüren und ihren Widerstand brechen.
Er mußte ihnen jede Hoffnung nehmen.
Donovans Wagen wurde an einer Straßensperre der Nationalgarde zwei Meilen vom Flughafen entfernt aufgehalten, durfte aber passieren, als die Soldaten den Aufkleber des CDC
an der Windschutzscheibe bemerkten.
Bess hatte sich in den Ländern der Dritten Welt an den Anblick von Soldaten und Gewehren gewöhnt, aber in dieser amerikanischen Kleinstadt kamen sie ihr wie eine obszöne Absonderlichkeit vor. Esteban hatte diese Obszönität den Menschen hier aufgezwungen.
»Schließen Sie die Wagentüren ab«, sagte Donovan über die Schulter. »Das Krankenhaus liegt im Unruheviertel.«
»Kann denn die Nationalgarde nichts gegen den Aufruhr unternehmen?« fragte Bess.
»Zur Zeit sind sie damit beschäftigt, die Stadt unter Quarantäne zu halten, und der Gouverneur will keine Gewalt anwenden. Diese Leute sind ohnehin schon Opfer. Er hat alle aufgefordert, bis morgen nicht auf die Straße zu gehen, weil dann erst mehr Truppen eintreffen.«
Einige Blocks weiter erreichten sie das Unruhegebiet. Läden mit eingeschlagenen Fensterscheiben. Plünderer schleppten Fernsehgeräte und Stereoanlagen weg. Überall brannten kleine Feuer.
»Und du meinst, in dieser Umgebung soll ich meine Hilfsbereitschaft demonstrieren, Kaldak?«
»Ich kann diesen Teil des Plans ja noch mal überdenken«, erwiderte Kaldak.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, du hast recht. Das ist die perfekte Art, mich in Szene zu setzen.« Schweigend starrte sie aus dem Fenster. Plötzlich rief sie Donovan zu: »Halten Sie an.«
»Wie bitte?«
»Halten Sie an, verdammt noch mal.« Sie entriegelte die Tür und sprang hinaus. Der Polizeiwagen vor ihnen kam mit quietschenden Reifen zum Stehen.
Die alte Frau, die durch die zerbrochene Scheibe des Juwelierladens langte.
Scharf stellen.
Abdrücken.
Der heruntergekommene kleine Junge, der einen Cockerspaniel-Welpen aus einer Zoohandlung wegtrug, während die Alarmanlage schrillte.
Scharf stellen.
Abdrücken.
»Steig wieder ein.« Kaldak stand neben ihr. »Donovan bekommt noch einen Herzschlag deinetwegen.«
»Gleich.« Etwas in der Gasse auf der anderen Straßenseite hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Zwei schmale Gestalten hoben sich gegen gelb-rot züngelnde Flammen ab. Sie konnte weder ihr Geschlecht noch ihr Alter bestimmen, aber sie standen vor einem verrosteten Ölfaß wie vor einem Altar. »Was machen die da?« murmelte sie. Sie ging ein bißchen näher.
Scharf stellen.
Ab – Gott, sie verbrannten Geld.
Aber wenn es soweit ist, daß sie Geld zerreißen oder verbrennen, dann wissen wir, daß wir wirklich in Schwierigkeiten sind.
Es schien schon lange zurückzuliegen, daß Kaldak diesen Satz gesagt hatte. Damals war es unmöglich gewesen, es sich vorzustellen.
Aber es geschah tatsächlich. All das geschah tatsächlich.
Also mußte sie es fotografieren. Die Geschichte erzählen.
Scharf stellen.
Abdrücken.
Sie senkte die Kamera. »Das reicht.« Sie ging zum Wagen zurück. »Glaubst du, das war Falschgeld?«
»Offensichtlich gehen sie davon aus, aber ich hoffe es nicht.
Sie haben es mit bloßen Händen angefaßt.« Er hielt ihr die Wagentür auf. »Und du gehst jetzt nicht zurück und versuchst, sie zu retten. Sie würden dich wahrscheinlich auch in das Ölfaß stoßen.«
»Irgend jemand muß sie warnen.«
»Polizeiautos mit Lautsprechern sind herumgefahren«, sagte Donovan. »Wir sollten von hier verschwinden. Wir erregen zuviel Aufsehen.«
Sie merkte, daß er nervös war. Wahrscheinlich würde sie ebenso reagieren, wenn das, was sich vor ihren Augen abspielte, sie nicht so in seinen Bann ziehen würde. Sie nickte, und Donovan ließ erleichtert aufseufzend den Motor an.
Kaldak verriegelte die Türen und lehnte sich zurück.
»Du hattest mich gewarnt«, flüsterte sie und starrte aus dem Fenster. »Ich habe es dir einfach nicht glauben wollen.«
»Ich kann es dir nicht verübeln. Damals war ich nicht gerade ein Quell der Aufrichtigkeit.« Er hielt inne. »Aber ich habe dir immer die Wahrheit gesagt, wenn ich konnte.«
»Wenn es dir genehm war, mir die Wahrheit zu sagen.«
»Seit ich dich kennengelernt habe, ist nichts aus Annehmlichkeit geschehen. Ich weiß, daß es für dich keinen Unterschied bedeutet, aber ich verspreche dir, von nun ab werde ich dir nur noch die Wahrheit sagen.«
»Zu spät.«
»Es ist nicht zu spät. Nicht wenn –« Er atmete tief durch und schüttelte den Kopf. »Ich weiß. Das ist jetzt nicht der Zeitpunkt.
Vergiß, was ich gesagt habe.«
Sie würde versuchen, es zu vergessen. Sie hatte längst versucht, Kaldak zu vergessen. Dennoch war er an ihrer Seite, manipulierte sie, überwachte sie und kümmerte sich um ihre Bedürfnisse.
Kaldak machte es ihr sehr schwer, ihn zu vergessen.
Im Hotel gingen sie zuerst in Donovans Zimmer, damit er Bess Blut abnehmen konnte. Danach beschloß Yael, die Sicherheitsvorkehrungen im Gebäude zu überprüfen, und Kaldak begleitete Bess in ihr Zimmer.
Er entriegelte die Tür und reichte Bess den Schlüssel. »Yael bewohnt das Zimmer nebenan, und Ramseys Agenten schwirren überall herum. In dieser Etage sind nur CIA-Leute. Öffne die Tür nur, wenn du weißt, wer draußen ist.«
»Das weiß ich selbst. Das habe ich alles schon durchgemacht.
Darin bin ich mittlerweile Expertin.«
»Der Aufenthalt hier dürfte nicht ganz so gefährlich sein.
Niemand kommt ohne beglaubigte Papiere in die Stadt, und mit De Salmo brauchst du dich nicht länger zu beschäftigen.« Er grinste schief. »Und wer in Collinsville würde die neue Mutter Teresa töten wollen?«
»Der Witz ist ziemlich alt. Wir sehen uns morgen früh, Kaldak.«
»Nein, tun wir nicht.«
Sie hob eine Augenbraue.
»Ich werde nicht vor morgen abend zurück sein.« Er zögerte.
»Vielleicht dauert es noch länger.«
Sie runzelte die Stirn. »Wieso?«
»Ich fliege nach Kansas. Cody Jeffers hat heute abend seine Mutter angerufen. Sie hat aufgelegt, aber ich denke, er ruft noch mal an.«
»Warum?«
»Er hat Angst, er hat die Hosen voll, und sie soll ihm aus der Patsche helfen.«
»Dann kann Ramsey den Anruf zurückverfolgen und Jeffers schnappen.«
»Ich will nicht, daß Ramsey Jeffers schnappt. Wenn Ramsey ihn festnimmt, steht anschließend alles in der Zeitung. Esteban soll davon ausgehen, daß Jeffers noch frei herumläuft.«
»Und was willst du machen, wenn du ihn hast?«
»Das werde ich spontan entscheiden. Ich habe ein paar Ideen, aber es hängt davon ab, wieviel er weiß und zu welcher Art von Zusammenarbeit ich ihn bewegen kann.« Er setzte ein vielsagendes Lächeln auf. »Ich bin gut darin, Leute zu benutzen, erinnerst du dich?«
»Ich erinnere mich.« Sie öffnete die Tür. »Ruf mich an. Ich will wissen, was läuft. Wenn es eine Möglichkeit gibt, Estebans Spur aufzunehmen, möchte ich nicht außen vor gelassen werden.«
»Ich lasse dich nicht außen vor. Ich kann dich auch mitnehmen, wenn du willst.«
»Du weißt genau, daß ich hier nicht wegkann. Donovans Team braucht mich vielleicht.«
Er nickte. »Erinnerst du dich daran, wie ich dich gefragt habe, was du tun würdest, wenn du vor die Entscheidung gestellt würdest, Esteban zu schnappen oder Josie zu retten?«
»Das ist was völlig anderes«, erwiderte sie ohne Zögern.
»Wenn du hinter Esteban anstatt hinter Jeffers her wärst, dann würde ich mit dir kommen.« Sie wandte sich um und ging in ihr Zimmer. »Gute Nacht, Kaldak.«
Sie lehnte sich müde gegen die Tür. Kaldak war wie gewöhnlich unerbittlich auf sein Ziel konzentriert, aber ihr Leben war aus allen Fugen geraten. Sie würde Collinsville nicht verlassen, vor allem nicht, wenn ihr Bleiben irgend jemandem das Leben retten konnte. Die Hilflosigkeit, die sie in Tenajo empfunden hatte, war ihr noch zu frisch in Erinnerung. Sie würde tun, was sie hier tun konnte. Immer einen Schritt nach dem anderen.