Kapitel 15
Tag eins
Atlanta 6.05 Uhr
»Du gehst also heute abend nicht zu Alisons Bar-Mizwa-Feier.«
Marta Katz verzog das Gesicht. »Bloß, weil du dir keinen Anzug und keine Krawatte anziehen willst.«
»Klar, ich habe Kaldak gebeten, mir diesen Schlamassel anzudrehen, damit ich nicht auf ein Fest gehen muß.«
»Bloß, weil du meine Schwester nicht leiden kannst, ist das noch kein Grund, ihre Tochter mies zu behandeln.«
»Ich werde Alison ein tolles Geschenk überreichen.«
»Aber es stimmt doch, daß du meine Schwester nicht leiden kannst, oder?«
Ed war zu müde, um es zu leugnen. »Leslie ist eine eingebildete Gans. Sie glaubt, du hättest unter deinem Stand geheiratet. Was bedeutet, daß sie außerdem auch noch dumm ist.«
»Vielleicht. In Zeiten wie diesen kommen mir allmählich Zweifel. Du bist schon drei Tage lang nicht mehr zu Hause gewesen.«
Er grinste sie an. »Aber heute nacht bin ich doch hiergewesen.«
»Vier Stunden, und das auch nur, weil ich gerade meinen Eisprung habe.«
Er stand auf und küßte sie auf die Nase. »Ich glaube, das war der goldene Schuß. Sag schon, daß ich wie ein prächtiger Zuchthengst war. In neun Monaten werden wir Windeln wechseln.«
» Ich werde Windeln wechseln. Da sitzt du wahrscheinlich immer noch im CDC und spielst mit deinen fiesen kleinen Tierchen.« Sie runzelte die Stirn, während er seinen Aktenkoffer nahm und zur Tür ging. »Sieh dich doch an. Hättest du deine Arbeit nicht mal für die kurze Zeit, wo du zu Hause warst, vergessen können?«
»Tut mir leid. Ich wollte einige Ergebnisse während der Rückfahrt im Auto überprüfen.«
»Dann komm doch wenigstens auf eine Stunde zur Bar-Mizwa.«
»Liebling, es geht nicht. Ich bin zu nah am Ziel.«
»Und was ist mit Donovan? Kann er nicht ohne dich weitermachen?«
»Vielleicht. Aber gerade jetzt ist es wichtig, schnell zu sein.
Du weißt doch, ich würde Alisons Fest nicht versäumen, wenn es nicht nötig wäre.«
Sie nickte resigniert und begleitete ihn zur Tür. »Na gut, ich werde dich entschuldigen.« Sie hielt ihn auf, als er zur Tür hinauswollte. »Komm noch mal her.« Sie nahm sein Gesicht sanft in die Hände. »Klar warst du wie ein Zuchthengst.« Sie küßte ihn. »Und arbeite nicht so verflucht viel. Ich möchte nicht, daß du einen Hirnschlag erleidest, bevor das Baby da ist.«
»Keine Bange. Wir sind fast am Ziel .« Er umarmte sie und ging die Verandastufen hinab. »So Gott will, kann ich vielleicht noch zur Feier kommen.«
»Wer’s glaubt, wird selig.« Sie zog die Brauen zusammen, als sie den grauen Ford am Bordstein bemerkte. »Ich wollte eigentlich den Polizisten einen Kaffee bringen. Habe ich ganz vergessen.«
»Wir können unterwegs bei McDonald’s anhalten. Paul steht auf ihre Fritten.«
»Paul ist der Fahrer, stimmt’s?«
»Jim fährt. Paul ist sein Partner.«
»Warum brauchst du Polizeibegleitung, Ed? Warum fährst du nicht selbst? Geht’s um Ebola oder so was Ähnliches?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe dir doch erzählt, daß ich ein ganz wichtiger Mann bin. Der Präsident, der Bürgermeister und ich, wir alle brauchen Polizeischutz.« Er zwinkerte ihr zu.
»Wenn das alles vorbei ist, dann müssen wir das unbedingt deiner Schwester erzählen.«
Sie lächelte. »Leslie ist in Ordnung. Sie versteht es einfach nicht.«
»Geh lieber wieder rein. Es ist kühl hier draußen.«
»Mein Morgenmantel ist warm. Die frische Luft tut mir gut.«
Ed spürte, wie sie ihm auf dem Weg zum Wagen mit ihren Blicken folgte. Er hätte ihr besser nicht gesagt, daß er vielleicht noch zur Bar-Mizwa kommen würde, aber er hatte ein schlechtes Gewissen gehabt. Marta mußte viel verkraften.
Vielleicht konnte er nächsten Monat mit ihr Urlaub machen. Mit ein bißchen Glück würden die Antikörper in weniger als einer Woche entwickelt sein. Der letzte Test war sehr vielversprechend verlaufen. Vielversprechend war vielleicht nicht der richtige Ausdruck, es hatte ihn völlig umgehauen. Es passierte nicht so häufig, daß einem Wissenschaftler die Chance geboten wurde, eine Seuche aufzuhalten, nachdem sie bereits ausgebrochen war.
»Hallo, Jungs.« Er sprang auf den Rücksitz und schlug die Tür zu. »Wir müssen bei McDonald’s anhalten. Ich habe vergessen, Euch Kaffee zu bringen. Marta war –«
Keine Reaktion. Jim und Paul hatten beide den Blick starr geradeaus gerichtet. Eine schmale Blutspur kroch langsam an Pauls Hemdkragen hinab.
»Mein Gott.«
Ed langte nach dem Türgriff.
Martas Schrei hörte er nicht mehr.
»Sind Sie sicher?«
Bess erstarrte in ihrem Sessel. Sie hatte bei Kaldak noch nie einen so gequälten Gesichtsausdruck erlebt.
»Okay, ich fahre hin. Sie haben recht. Das ist meine Angelegenheit.« Er legte den Hörer auf.
»Ramsey?«
Er nickte. »Ich muß nach Atlanta.«
»Warum?«
»Ed Katz ist tot.«
»Was?« flüsterte sie.
»Sein Wagen ist in die Luft geflogen. Er und zwei Polizeibeamte wurden bei der Explosion getötet.« Er schlug mit der Faust auf die Sessellehne. »Dieser Hurensohn.«
»Er war dein Freund.«
»Wir sind zusammen zur Uni gegangen. Ich war bei seiner Hochzeit. Ja, ja, ein schöner Freund bin ich«, sagte er verbittert.
»Ich habe ihn in dieses Projekt reingezogen. Ich hätte nicht gedacht, daß ich ihn damit in Gefahr bringen würde. Zumal Ramsey für seine Sicherheit zuständig war.«
»De Salmo?«
»Ich weiß es nicht. Er bevorzugt Messer, aber er hat auch schon mit Sprengstoff gearbeitet. Es könnte De Salmo gewesen sein, aber auch einer von Habins Leuten.«
»Was bedeutet das für die Forschungsarbeit?«
»Die wird zurückgeworfen. Daran arbeitet zwar ein ganzes Team, aber Ed war der Leiter.« Er stand auf. »Also hat Esteban doch noch seine Verzögerung erreicht. Der Scheißkerl konnte deiner nicht habhaft werden, deshalb mußte Ed dran glauben.«
Sie zuckte zusammen. »Ich wünschte, ich könnte irgend etwas tun. Es tut mir leid, Kaldak.«
»Daß du noch lebst? Keine Sorge, ich bin sicher, daß Esteban plant, das zu ändern. Gut, er wird dich nicht kriegen. Ich werde heute abend wieder hier sein. Ich muß mich um die Untersuchungen kümmern und Eds Frau aufsuchen. Ramsey hat Yael angerufen, er wird in fünf Minuten hier sein. Ich werde unten auf ihn warten, ich gehe erst weg, wenn er da ist.«
»Du kannst ruhig schon gehen. Es sind ja nur ein paar Minuten.«
»Sie haben weniger als eine Minute dafür gebraucht, Ed zu verbrennen.« Er blickte über die Schulter. »Wenn du mir helfen möchtest, dann bleib heute in der Wohnung.«
Sie nickte. »Alles, was du willst.«
»Ja, natürlich. Alles, was ich will.« Die Tür schloß sich hinter ihm.
Sie war Ed Katz nur einmal begegnet, aber sie hatte eine lebhafte Erinnerung daran, wie sie ihn auf dem Parkplatz im Regen hatte stehen sehen. Er hatte Angst gehabt, aber das hatte ihn nicht aufgehalten.
Und jetzt war er tot. Esteban hatte ihn getötet, genauso wie er Emily und all die anderen getötet hatte – Es klopfte.
»Einen Moment.« Sie erhob sich und ging zur Tür. Sie legte die Hand auf die Türklinke. »Yael?«
»Ramsey.«
Na, wunderbar. Jedesmal, wenn etwas Schlimmes passierte, schien er wie ein Geier über ihr zu schweben. Sie öffnete.
»Wo ist Yael?«
Er lächelte. »Er muß gleich hier sein. Ich habe ihn abgefangen und ihn gebeten, unten zu warten, während wir miteinander reden.«
»Ich habe keine Lust zu reden. Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich zu sagen hatte.«
Er kam in die Wohnung und schloß die Tür. »Der Tod von Katz bringt das Faß zum Überlaufen. Wir können nicht länger warten. Sie müssen darauf vertrauen, daß ich auf Sie aufpassen werde.«
»Ich muß überhaupt gar nichts. Ich traue Ihnen nicht. Ich vertraue mir selbst.«
»Und Kaldak.«
Sie sah ihm direkt in die Augen. »Und Kaldak.«
»Sie fühlen sich bei ihm sicher?«
»Würden Sie bitte gehen, Mr. Ramsey?«
»Es wäre besser, wenn Sie sich nicht so sicher fühlten. Er ist ein gefährlicher Mann. Er benutzt Sie. Er hat Ed Katz benutzt, und Sie sehen ja, was dabei herausgekommen ist.«
»Ich kann mich nicht erinnern, daß Sie etwas dagegen gehabt hätten, daß er Ed Katz benutzt.«
»Aber der Mann ist fanatisch. Er kommt mir manchmal ziemlich labil vor.«
»Wir passen gut zusammen. Ich bin genauso fanatisch.«
»Dann lassen Sie mich Ihnen helfen. Sie brauchen Kaldak nicht. Glauben Sie mir, Sie wollen ihn gar nicht.« Er lächelte anbiedernd und trat näher. »Haben Sie einfach ein bißchen Geduld und lassen Sie mich ausreden.«
»Ich habe ihm zugesetzt«, flüsterte Marta. »Ich wollte, daß er zu einer Bar-Mizwa-Feier geht. Obwohl ich spürte, wie müde er war, ließ ich ihm keine Ruhe.«
Kaldak umfaßte ihre Hand.
»Ich dachte, es wäre wichtig.« Ihr liefen die Tränen herunter.
»Ich habe wirklich geglaubt, eine verdammte Bar-Mizwa wäre wichtig.«
»Das war auch wichtig«, sagte Kaldak weich.
»Ich hätte – Oh, Mist.« Sie barg ihr Gesicht an seiner Brust.
»Warum habe ich nicht den Mund gehalten?«
Herrgott, das machte ihn fertig. »Ihr hattet sechzehn gute Jahre miteinander. Ed hat dich geliebt. Es war ihm egal, daß –«
»Ich wollte ein Kind. Deshalb ist er gestern abend nach Hause gekommen. Ich hatte meinen Eisprung. Er hätte im Forschungszentrum bleiben sollen. Da wäre er in Sicherheit gewesen.« Sie hob den Kopf. »Es ist verrückt. Es ergibt alles keinen Sinn. Er war Wissenschaftler. Niemand ermordet einen Wissenschaftler. Das passiert nur Politikern, Predigern oder Mafia-Bossen. Aber nicht Männern wie Ed.«
»Hat schon jemand deiner Familie Bescheid gesagt?«
»Ich habe meine Schwester gebeten, nicht zu kommen. Sie hat sich mit Ed nicht verstanden.«
»Und sonst jemand?«
»Meine Mutter kommt mit dem Flugzeug von Rhode Island.«
Sie schob ihn weg und richtete sich auf. »Es tut mir leid, daß ich dich in Verlegenheit bringe. Du weißt nicht, was du machen sollst. Ich weiß verdammt noch mal selbst nicht, was ich machen soll.«
»Du bringst mich nicht in Verlegenheit.«
»Doch. Du wußtest nie, wie du damit umgehen sollst, daß –«
Sie zögerte. »Das, woran er gearbeitet hat, war der Grund, stimmt’s? Ging es um das Zeug, das er für dich untersuchen sollte?«
»Ja.«
»Und deswegen wurde er getötet?«
»Ja.«
»Er war dein Freund«, flüsterte sie. »Warum?«
»Es war wichtig.«
»Wichtig genug, um dafür zu sterben?«
Jedes ihrer Worte war wie ein Peitschenhieb. »Ich dachte, er wäre in Sicherheit, Marta.«
»Er war nicht in Sicherheit.« Sie wiegte sich vor und zurück.
»Er war nicht in Sicherheit. Es war ein Fehler. Du hast einen Fehler gemacht.«
»Ich weiß«, sagte er mit belegter Stimme. »Du hast recht.«
»Und ich auch. Ich habe einen furchtbaren Fehler gemacht.«
»Du hast keinen Fehler gemacht. Daß du ihn gebeten hast, mit zur Bar-Mizwa zu gehen, hat er bestimmt nicht als Nörgelei empfunden.«
»Nein, das ist es nicht. Es ist wegen dem Baby. O Gott, was ist, wenn ich jetzt ein Baby bekomme?« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ich könnte es nicht ertragen«, flüsterte sie.
»Es würde mich umbringen. Ich könnte es nicht ertragen, ein Baby zu bekommen, ohne daß Ed da ist.«
»Was ist jetzt mit dem Projekt?« fragte Ramsey, als Kaldak auf dem Weg zum Flughafen von Atlanta seinen Anruf entgegennahm.
»Das Team hat einen Schock erlitten, aber sie geben sich größte Mühe, sich neu zu organisieren. Donovan wird die Leitung übernehmen, aber einige Papiere wurden bei dem Anschlag mit vernichtet.«
»Wie weit sind sie zurückgeworfen worden?«
»Ich weiß es nicht. Aber Donovan ist ein fähiger Mann, und er wirkt zuversichtlich.«
Er wünschte, er hätte etwas Positiveres zu vermelden.
Damit hatte Ramsey den Schlüssel gefunden, mit dem er Bess dazu bewegen konnte umzuziehen, und Kaldak wappnete sich für die Auseinandersetzung.
Keine Auseinandersetzung. Ramsey wechselte das Thema.
»Ich habe Neuigkeiten von unserem Mann, der Morrisey auf der Spur ist. Vor einer Woche hat das Majestic Hotel in Cheyenne seine Kreditkarte überprüft. Wir haben bei dem Hotel nachgefragt; ein John Morrisey ist immer noch registriert.«
Die Information ließ Kaldaks Puls höher schlagen.
»Sie könnten direkt von Atlanta aus hinfliegen«, fuhr Ramsey fort. »Ich dachte, Sie würden ihn sich vielleicht persönlich schnappen wollen.«
Er wollte wirklich fliegen. Verdammt, er konnte es kaum abwarten. Morrisey könnte der Schlüssel zu Esteban sein, und er befürchtete, daß er Ramseys Leuten durch die Lappen gehen könnte.
Aber das würde bedeuten, daß Bess …
»Ich kann Bess zur Zeit nicht alleine lassen. Wenn ich wieder in New Orleans bin, werde ich Yael bitten, sich Morrisey vorzuknöpfen.«
In der Leitung herrschte Schweigen. »Also gut, falls Sie Ihre Meinung ändern, dann lassen Sie es mich wissen.«
»Ich werde meine Meinung nicht ändern.« Er legte den Hörer auf. Ramseys Nachgiebigkeit machte ihn stutzig. Normalerweise war Kaldak in der Lage, Ramseys Reaktionen vorherzusehen, aber diesmal hatte Ramsey ihn überrascht.
Das gefiel Kaldak überhaupt nicht.
18.15 Uhr
»Du siehst ja völlig mitgenommen aus«, bemerkte Yael, als Kaldak zur Tür hereinkam. »Ist es so schlimm?«
»Es könnte schlimmer sein.«
»Du weißt, wie leid es mir tut.«
Ja, das wußte er. Der ganzen Welt tat es leid, aber das machte Ed auch nicht wieder lebendig. Kaldaks Blick wanderte zum Schlafzimmer. »Wo ist Bess? Ist sie in ihrem Zimmer?«
Yael schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, sie wäre da. Sie ist in ihrer Dunkelkammer, seit ich in der Wohnung bin.«
»In ihrer Dunkelkammer? Arbeitet sie die ganze Zeit?«
Yael schüttelte wieder den Kopf. »Das glaube ich nicht.
Ramsey war hier.«
Kaldak erstarrte. »Und hat er sie eingeschüchtert?«
»Was immer er ihr gesagt hat, es muß sie aus der Fassung gebracht haben.«
Dort fühle ich mich sicher.
Er erinnerte sich daran, was sie über ihre Dunkelkammer gesagt hatte. Was immer ihr Ramsey erzählt haben mochte, es hatte dazu geführt, daß sie dort Schutz suchte.
Er hätte damit rechnen müssen. Ramsey war gekommen, als er seine Chance gewittert hatte. Um Kaldak herum stürzte alles zusammen. Warum nicht das auch noch?
»Soll ich besser gehen?« fragte Yael.
»Nein, bleib.« Er betrat den Flur. »Ich werde mit ihr reden.«
Er blieb vor der Dunkelkammer stehen. Tu es. Stell dich ihr.
Er gab sich einen Ruck und klopfte an die Tür. »Kann ich hereinkommen, Bess? Wir müssen miteinander reden.«
»Darauf kannst du Gift nehmen.« Sie riß die Tür auf. Mit vor Wut funkelnden Augen hob sie ihre Hand und schlug ihn. »Du Scheißkerl.«
»Bess, ich wollte nicht –«
»Ich scheiß drauf, was du wolltest.« Sie schlug ihn wieder.
»Du Hurensohn.« Tränen liefen ihr plötzlich über die Wangen.
»Du bist Schuld daran. All das hätte nicht passieren müssen.
Emily hätte nicht sterben müssen.« Sie schlug ihn noch einmal.
»Warum hast du uns nicht einfach in Ruhe gelassen?«
»Es tut mir leid«, antwortete Kaldak. »Ich hatte nie vor, dir weh zu tun. Ich dachte, es würde funktionieren.«
»Du hast mich nach Tenajo geschickt. Du hast zugelassen, daß ich meine Schwester mitgenommen habe. Hast du eine Ahnung, wie schuldig ich mich fühle, seit sie gestorben ist? Du bist an allem schuld!« Sie schluchzte so heftig, daß sie die Worte kaum herausbrachte. »Emily ist gestorben …«
»Es war nicht vorgesehen, daß sie mitfuhr. Du hattest einen Auftrag. Es war vorgesehen, daß du allein fährst.«
»Und du hast das alles in die Wege geleitet. Ramsey hat gesagt, du hast den Plan in allen Einzelheiten festgelegt und dann dafür gesorgt, daß das Magazin mir den Auftrag gibt. Du wolltest, daß ich nach Tenajo fahre.«
Ein Muskel zuckte in seiner linken Wange. »Ja.«
»Warum?«
»Hat Ramsey dir das nicht gesagt?«
»Er hat von nichts anderem geredet, daß du mich reingelegt hast und daß ich nur noch ihm vertrauen soll.« Sie trat näher an ihn heran und fauchte: »Los, sag’s mir jetzt, Kaldak. Sag mir, warum du meinen Tod wolltest.«
»Ich wollte deinen Tod nicht. Ich wußte, daß du große Chancen hattest, es zu überleben.«
»Du konntest doch gar nicht wissen, daß ich –« Ihre Augen weiteten sich. »Du hast es gewußt. Mein Gott, du hast gewußt, daß ich immun bin. Wie konntest du das wissen?«
»Danzar.«
Sie starrte ihn verblüfft an.
»Du hast in Danzar eine sehr geringe Dosis des mutierten Anthrax-Erregers abbekommen. Diese war viel schwächer als der Erregertyp, der von Esteban in Tenajo benutzt wurde.
Aber«, fügte er grimmig hinzu, »er war dennoch stark genug, um alle Einwohner des Dorfes zu töten.«
»Willst du damit sagen, daß Danzar auch ein Testgebiet war?«
»Das erste. In Danzar waren die Bedingungen perfekt für Esteban. Er lieferte der Guerilla die Bakterien, und sie schmuggelten sie mit einer Lebensmittelladung ins Dorf.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das ist nicht wahr. Alle wurden abgeschlachtet. Ich war da. Ich habe es gesehen.«
»Es war Teil der Vereinbarung. Die Guerilleros kamen später und ließen es wie ein Massaker aussehen.«
»Es war ein Massaker.«
Er schüttelte den Kopf.
»Hast du das gewußt?« flüsterte sie. »Wußtest du von den Babys?«
»Nein, zu der Zeit war ich bei Habin. Danzar war ganz allein Estebans Veranstaltung. Aber ich habe es später herausgefunden.«
»Und du hast nichts unternommen?«
»Was willst du von mir hören?« fragte er barsch. »Also gut, ich habe nichts unternommen. Genauso, wie ich nach Nakoa nichts unternommen hatte. Weil es keine Beweise gab.« Er hielt einen Moment inne. »Aber nach Danzar dachte ich, wir hätten wenigstens einen Ansatzpunkt. Als du im Krankenhaus von Sarajevo lagst, ließ ich dein Blut testen. Du hattest Antikörper gegen die schwächere Art von Anthrax entwickelt, die Esteban in Danzar benutzt hat.«
»Du warst damals im Krankenhaus von Sarajevo?«
»Ich mußte es wissen. Ich brauchte Gewißheit.«
»Du bist die ganze Zeit dort gewesen?«
»Ja.«
»Mein Fahrer hat aber auch überlebt.«
»Ihn haben wir ebenso überprüft. Er hatte keine Antikörper.
Du mußt stärker mit den Bakterien in Berührung gekommen sein, als du im Waisenhaus von Zimmer zu Zimmer gegangen bist. Du warst unsere einzige Hoffnung.«
»Wenn du wußtest, daß ich immun bin, warum hast du dann nicht irgend etwas unternommen? Warum verdammt noch mal hast du mir nicht Blut abgenommen und versucht, Tenajo zu retten?«
»Esteban betrachtete Danzar als Fehlschlag und arbeitete weiter an der Mutation der Bakterien. Aber wir wußten nicht, was das für Mutationen waren. Insofern wäre es nutzlos gewesen, vorab Antikörper zu entwickeln.«
»Also hast du mich nach Tenajo geschickt.«
»Wir mußten dich dem Anthrax aussetzen. Ich mußte mich vergewissern, daß du wirklich immun warst.«
»Und eine Tote mehr hätte auch keinen Unterschied gemacht.«
»Doch, sicher, es machte einen Unterschied. Aber ich konnte mich davon nicht aufhalten lassen.«
»Du hast Emily getötet.«
»Es war vorgesehen, daß nur du nach Tenajo fuhrst.
Verdammt noch mal, ich hatte nicht die Absicht, deine Schwester dem Zeug auszusetzen.«
»Du hast sie getötet.«
»Also gut, ich habe sie getötet. Es war mein Fehler.«
»Du hast sie getötet und mich belogen und mich dann auch noch gefickt.« Sie starrte ihn angewidert an. »Und ich habe es zugelassen. All das habe ich zugelassen.«
»Ich habe dich nicht gefickt. Ich habe mit dir Liebe gemacht.«
Er machte einen Schritt auf sie zu. »Bess, es war nicht –«
»Wag es nicht, mich anzufassen. « Sie wich zurück. »Kein Wunder, daß du immer so fürsorglich und freundlich zu mir warst. Du hattest ein schlechtes Gewissen. Gott, ich könnte dich umbringen. Ich möchte dir am liebsten das Herz herausreißen.«
»Da mußt du dich aber in der Schlange hinten anstellen«, erwiderte er müde.
»Verschwinde aus meiner Wohnung, du Scheißkerl.«
»De Salmo ist immer noch da draußen.«
»Das ist mir egal.«
»Mir nicht.« Er schwieg. »Bist du jetzt einverstanden, daß Ramsey dich in das sichere –«
»Ramsey wird mich nirgendwo hinbringen. Ich traue ihm kein bißchen mehr als dir. Raus hier.« Ihr Stimme zitterte.
»Ich kann deinen Anblick nicht mehr ertragen.«
»Bess, genau darauf warten De Salmo und Esteban doch nur.«
»Raus hier.«
Sie schlug ihm die Tür der Dunkelkammer vor der Nase zu. Er ballte die Hände zu Fäusten. Er hatte damit gerechnet. Es war ihm immer klar gewesen, daß sie es herausfinden könnte. Aber er hatte nicht geahnt, daß es so weh tun würde.
Er ging wieder ins Wohnzimmer.
»Hat Ramsey ausgepackt?« fragte Yael. »Weiß sie, was läuft?«
»Sie weiß alles. Sie will, daß ich verschwinde.« Er ging ins Gästezimmer und nahm seinen Koffer. »Das bedeutet, du bleibst hier. Man kann sie nicht alleine lassen.«
Yael folgte ihm. »Ich habe dir nicht versprochen, daß ich hier auf Dauer bleiben werde, Kaldak.«
Kaldak warf seine Kleider in den Koffer. »Willst du, daß sie getötet wird?«
»Ramsey wird –«
»Du wirst Ramsey von ihr fernhalten. Er sollte Ed Katz beschützen, und jetzt ist Ed tot. Glaubst du etwa, er kann für ihre Sicherheit mehr tun?«
»Was wirst du machen?«
»Das einzige, was mir zu tun bleibt.« Er warf den Kofferdeckel zu. »Ich fahre nach Cheyenne und suche Morrisey.
Ramsey hat es endlich geschafft, ihn aufzuspüren. Ruf Ramsey an und sag ihm, daß ich unterwegs bin.« Nicht daß man ihm das unbedingt sagen mußte. Ramsey wußte genau, daß Bess Kaldak nicht mehr näher als eine Meile an sich heranlassen würde, nach allem, was er ihr erzählt hatte. »Ich kann nur hoffen, daß ich nicht einem Phantom nachjage.« Er zögerte. »Wirst du bleiben, Yael? Wirst du dich um sie kümmern? Wir brauchen sie. Sie ist
… unersetzlich.«
»In mehr als einer Hinsicht, wie man merkt.« Yael nickte langsam. »Ich werde mich um sie kümmern.«
Gott, es tat so weh.
Bess kauerte sich in die Ecke ihrer Dunkelkammer und schlang die Arme um sich.
Warum hatte sie ihm bloß vertraut? Sie wußte, daß er sich bei seiner Jagd nach Esteban um nichts und niemanden scherte. Er hatte sie sogar davor gewarnt, ihm zu vertrauen.
Aber sie hatte ja nicht hören wollen. Und sie hatte es zugelassen, daß er sie benutzte, wie er überhaupt jeden benutzte.