KAPITEL 20
Der Dachboden des Bauernhauses war ein schmutziger, beengter Platz, der kaum dafür gemacht schien, dass Menschen sich dort aufhielten - geschweige denn eine Königin. Doch es war der perfekte Ort, um einen ohnmächtigen Vampir als Geisel zu halten.
Die dicke Staubschicht ignorierend, die den Saum ihres hauchdünnen Kleides beschmutzte, studierte Morgana den Dämon, der an der silbernen Leine an den Dachsparren hing.
Sein dichtes dunkles Haar war zerzaust und fiel ihm um sein schönes Gesicht, und da sie Troy befohlen hatte, ihm sein Hemd auszuziehen, gab es nichts, was die fein gemeißelte Perfektion seiner bronzefarbenen Brust verbarg.
Sie konnte verstehen, weshalb Anna Randal von diesem Geschöpf fasziniert war. Alle Vampire besaßen einen mächtigen sinnlichen Reiz. Sie waren Eroberer, die ihre Sexualität dazu benutzten, ihre Beute anzulocken. Aber dieser Vampir … Er schien wie dafür geschaffen, einer Frau Vergnügen zu bereiten. Großes Vergnügen. Es war beinahe eine Schande, dass sie gezwungen sein würde, ihn zu töten.
Sie wandte ihre Aufmerksamkeit von dem ohnmächtigen Vampir ab und richtete sie auf den großen Kobold mit der feuerroten Mähne und dem wachsamen Gesichtsausdruck. »Du hast deine Aufgabe gut erledigt, Troy.«
Der Kobold kniete vor ihr nieder und senkte den Kopf. »Vielen Dank, meine Königin. Ich lebe, um zu dienen.«
Morganas Lippen verzerrten sich, als sie vortrat, um sein Kinn brutal zu umfassen und seinen Kopf hochzureißen. Dabei genoss sie die nackte Angst, die in seinen Augen aufflammte. »Oder du dienst, um zu leben, nicht wahr, mein kleiner Verräter?«
»Ich habe Euch den Vampir gebracht«, krächzte der Kobold. »Sicherlich habe ich doch damit meine Loyalität bewiesen?«
Morganas Ärger peitschte durch den Dachboden. Sie würde den Verrat des Kobolds nicht vergessen. Anna hätte bereits tot sein können, wenn dieser eingebildete Bastard sie nicht aus dem Nachtclub entführt hätte! Aber sie war weise genug, um zu wissen, dass Troy im Augenblick ein brauchbares Werkzeug war, das sie zu ihrem Vorteil nutzen konnte.
Er war der Einzige, der es vermochte, in das Versteck des Vampirs einzudringen. Und nun, da sie ihn so freundlich an den Schmerz erinnert hatte, den sie ihm zufügen konnte, war er das einzige Wesen, von dem sie sich sicher sein konnte, dass es sie nicht wieder enttäuschen würde.
Sobald sie diese unerfreuliche Angelegenheit erledigt hatte, würde sie darüber nachdenken, ob sie weiterhin dem Vergnügen frönen würde, ihn zu quälen, oder ob sie ihn einfach töten würde, um die Sache hinter sich zu bringen.
»Ich werde die Entscheidung darüber treffen, wann du deine Loyalität bewiesen hast, du Wurm«, schnarrte sie.
Der Kobold erzitterte, aber er ließ nicht zu, dass sein Blick unstet wurde.
Der Fürst der Kobolde besaß die Art von Mut, die unter dem Feenvolk viel zu selten zu finden war.Vielleicht sollte sie darüber nachdenken, sein Sperma einzufrieren, bevor sie ihn umbrachte. Mit der richtigen Ausbildung wurden aus seinen Nachkommen möglicherweise hervorragende Soldaten.
»Ja, meine Königin«, murmelte Troy, wobei er seinen Tonfall angemessen ergeben klingen ließ.
Morgana drehte sich um, sodass sie wieder den schönen Vampir betrachten konnte. »Bist du sicher, dass er gut gesichert ist?«, verlangte sie zu wissen.
»Natürlich.« Troy deutete auf das schwere Halsband um Cezars Hals. »Das Silber macht ihn handlungsunfähig, solange es seine Haut berührt.«
»Und die Elfen befinden sich an ihrem Platz?«
»Sie sind versteckt und erwarten Euren Befehl, die Eindringlinge zu töten.«
Die Königin schloss die Augen und ließ ihre Sinne nach außen strömen. »Sie sind in der Nähe. Ich kann den Gestank des Blutes meines Bruders riechen.«
»Dann sollte ich gehen und dafür sorgen …«
Morgana trat ihm in den Weg, um zu verhindern, dass der Kobold die Flucht ergriff, und drückte einen Finger gegen seine Brust. Sie grinste böse, als der Kobold vor Schmerz aufschrie. »O nein,Troy, ich will dich weit fort wissen, während ich diese unerfreuliche Aufgabe zu Ende bringe«, erwiderte sie gedehnt und überflutete seinen Körper mit einer sengenden Hitze. »Doch du sollst wissen - wenn du auch nur versuchst, deine Königin zu hintergehen, werde ich dir das Herz herausreißen und als Abendbrot verspeisen.« Sie beugte sich so dicht zu ihm, dass ihre Lippen sich in der Imitation eines Kusses berührten. »Verstehen wir uns?«
Troys Atem ging stoßweise und hallte durch den Raum. »Vollkommen.«
»Gut!« Morgana trat ein Stück zurück und griff nach einem der zahlreichen Holzpflöcke, die sie auf einem klapprigen Stuhl aufgereiht hatte. »Nimm diesen Pflock und halte ihn an sein Herz. Wenn er auch nur mit der Wimper zuckt, so will ich es wissen.«
Der Kobold, der noch immer vor Schmerzen bebte, nahm das Holzstück und presste es gegen den Brustkorb des Vampirs. »Wie Ihr befehlt, meine Königin.«
Überzeugt, dass ihre Falle mit einem geeigneten Köder versehen und bereit war, über ihrer Beute zuzuschnappen, strich Morgana mit den Händen über ihre prächtige rote Lockenmähne und wandte sich um, um die schmale Treppe hinabzusteigen.
Überall im Haus konnte sie die Elfen spüren, die in der Dunkelheit verborgen waren. Sie alle waren bereit, sie zu beschützen. Sie mochten ihre Herrscherin vielleicht nicht lieben, aber sie würden sich hüten, sie zu enttäuschen.
Im Gegensatz zu ihrem lächerlich schwachen Bruder kannte Morgana die Macht, die sich auf Furcht gründete. Weshalb sollte sie ihre Zeit damit vergeuden, für die Loyalität ihrer Untertanen zu Kreuze zu kriechen, wenn sie diese auch einfordern konnte?
Als sie endlich das Erdgeschoss erreichte, schloss Morgana erneut die Augen und ließ ihre Gedanken ausströmen. Sie runzelte die Stirn, als sie die zahlreichen Dämonen spürte, die gerade versuchten, das Bauernhaus zu umzingeln.
Natürlich waren es Vampire. Diese hatte sie erwartet. Doch da gab es auch eine Werwölfin und eine Shalott. Bei beiden handelte es sich um seltene Wesen, die selbst so gefährlich wie Vampire waren. Na und? Bewusst schob sie diese Empfindung an die Dämoninnen beiseite. Sie waren Verbündete der Vampire. Solange sie Conde Cezar in ihrer Gewalt hatte, würden sie es nicht wagen, ihr etwas anzutun. Und auch Anna Randal würde dies nicht wagen.
Die Elfenkönigin lachte selbstgefällig, als sie spürte, wie ihre Verwandte direkt vor der Tür zögerte.
Endlich. Nach Jahrhunderten, in denen sie sich in den Nebeln verborgen gehalten und ihrer Beute aus den Schatten heraus nachgestellt hatte, stand sie kurz davor, der Blutlinie ihres Bruders endgültig ein Ende zu bereiten. Und dann würde sie frei sein. Frei, mit der Welt so zu verfahren, wie es ihr seit jeher bestimmt war.
Sie ließ ihre Kräfte die Tür öffnen. Ihr Lachen wurde lauter, als sie das leise Keuchen der Überraschung aus dem Mund der schlanken Frau mit dem honigfarbenen Haar vernahm.
»Sieh einer an … meine wunderschöne Verwandte«, spottete sie. »Herzlich willkommen.«
Furcht spielte um die zarten Gesichtszüge, bevor Anna die Schultern straffte und über die Schwelle trat, dicht gefolgt von zwei mächtigen Vampiren.
Morgana ließ ihren Blick einen kurzen Augenblick über den großen, blonden Vampir wandern. Seine eiskalte Wut erfüllte die Luft mit einer finsteren Vibration von Gewalt. Er schien ein gefährlicher Dämon zu sein, der gereizt war, aber durch seine erbitterte Selbstbeherrschung gezügelt wurde. Der große, dunkle Azteke an seiner Seite war geradezu steif vor grimmiger Entschlossenheit. Seine ungeheure Macht war in jeder ihrer Poren zu spüren, und er wirkte bereit zum Angriff.
Morgana spürte, wie eine leichte Überraschung sie überkam, als sie diese Macht erkannte. Es war der Anasso, der König der Vampire. Offensichtlich hatte Conde Cezar Freunde hohen Standes. Diese Beobachtung hätte sie zu einem anderen Zeitpunkt durchaus aus der Fassung bringen können - nun allerdings war dafür gesorgt, dass Cezar auf dem Dachboden angekettet war und ein wunderbar spitzer Pflock auf sein Herz zielte. Und Vampire waren sich gegenseitig so lächerlich treu verbunden, wie es ihr Bruder einst mit seinen Leuten gewesen war. Sie würden bereitwillig ihr Leben füreinander hingeben. Dummköpfe.
Als ob sie ihre großspurige Belustigung spüre, trat Anna Randal in diesem Augenblick direkt vor sie, und in ihren haselnussbraunen Augen blitzte Verärgerung auf. »Wo ist er?«
Morgana zog bei dem scharfen Tonfall eine Augenbraue in die Höhe. »Ich weiß, dass du nicht von Trollen aufgezogen wurdest, meine Süße. Wo sind deine Manieren?«
Anna war aufgebracht über Morganas Zurechtweisung. »Du hast meine Familie abgeschlachtet, mich wie eine Psychopathin verfolgt, deine Speichellecker losgeschickt, um mich umzubringen, und den Mann gekidnappt, den ich liebe, und willst meine Manieren kritisieren? Das wäre komisch, wenn es nicht so erbärmlich wäre.«
Nun war es an Morgana, schockiert zu sein. Niemand sprach auf eine solche Weise mit ihr. Niemand!
»Ach ja, tust du das? Du abscheulicher kleiner Quälgeist! Ich bin deine Königin, und du wirst mir den Respekt erweisen, den ich verdiene«, zischte sie und trat auf Anna zu. Sie würde diese Hündin lehren, vor ihr zu kriechen, bevor sie sie tötete! »Knie nieder, wenn du mit mir sprichst!«
Sie streckte die Hand aus, aber bevor sie Anna an den Haaren packen und sie in die Knie zwingen konnte, presste sich die Spitze einer kalten Stahlklinge gegen ihren Hals.
»Keinen einzigen Schritt weiter«, grollte der dunkle Vampir, und in seinen Augen lag ein warnender Ausdruck.
Morgana ballte die Hände zu Fäusten, als sie ihrerseits ihren zornigen Blick auf den Dämon richtete, der es wagte, ihr zu drohen. »Denkst du, ich fürchte dich, Vampir?«, zischte sie.
»Das solltest du jedenfalls.«
»Mein Volk, erscheine!« Auf ihren strengen Befehl hin war ein Rascheln zu hören, als die Elfen aus den Schatten traten, die Waffen erhoben und auf die Eindringlinge richteten. »Jeder ihrer Bogen enthält einen hölzernen Pfeil. Nicht alle werden ihr Ziel verfehlen.«
Der Vampir wirkte nicht im Mindesten beeindruckt. »Kann sein, doch ich wette, ich kann dir den Kopf abschlagen, bevor auch nur einer von ihnen mein Herz trifft.«
Sie spürte einen weiteren Stich an ihrem Hals, als der hoch aufragende blonde Vampir sein Schwert nun ebenfalls gegen ihren Hals presste.
»Und wenn er es nicht tut, werde ich es tun«, knurrte er.
»Willst du mich herausfordern?«, fragte der dunkle Vampir.
Morgana schnaubte angesichts dieses testosterongeschwängerten Wortwechsels. Männer! Ihr läppischer Bruder war genauso gewesen.
»Ich glaube eher, dass ich hier die Trümpfe in der Hand halte«, entgegnete sie gedehnt. »Es sei denn, die Gerüchte über eure hochgelobte Clanloyalität sind übertrieben. Euer Bruder befindet sich auf meinem Dachboden, und ein Pflock ist auf sein Herz gerichtet. Ein einziger Schrei von mir, und Conde Cezar zerfällt zu Staub.«
Anna wurde bleich und berührte die Vampire am Arm. »Styx. Jagr.«
Mit einem leisen Knurren ließen die Dämonen ihre Schwerter sinken, und der Anasso bellte fast vor tödlichem Hass.
»Was verlangst du?«
»Was ich verlange?« Morgana lachte. »Alles,Vampir. Alles, was mir zusteht.«
»Das Einzige, was dir zusteht, ist ein langsamer, schmerzhafter Tod, Morgana«, sagte der Vampir kalt.
Mit einem Wirbeln ließ Morgana ihre Kräfte ausströmen, schleuderte den Vampir gegen die Wand und hielt ihn dort fest. »Für dich immer noch ›Eure Majestät‹«, zischte sie und verstärkte den Druck, bis die große Gestalt gekrümmt dastand und sich vor Schmerzen wand.
»Morgana, hör auf!«, rief Anna und trat zwischen sie und den Vampir. Feigenduft lag in der Luft, bevor Morgana von einer scharfen, schmerzhaften Hitzewelle getroffen wurde. »Ich habe gesagt … du sollst … aufhören«, stieß Anna hervor.
Die Macht der Elfenkönigin ließ vorübergehend nach, was dem Vampir die Gelegenheit gab, zu seiner beschützenden Position an Annas Seite zurückzukehren.
Morgana verbarg ihren unangenehmen Schock über die Erkenntnis, dass diese Frau tatsächlich imstande war, sie zu verletzen. Dieser verdammte Artus! Würde denn das mächtige Blut ihres Bruders niemals aussterben? Es sollte doch mittlerweile so verdünnt sein, dass es nicht mehr existent war, doch die Leichtigkeit, mit der Anna eben Morganas Kräfte zum Erliegen gebracht hatte, war unverkennbar.
»Sei vorsichtig,Anna«, fuhr die andere Frau sie an. »Noch so ein Unsinn, und dein Geliebter wird in der Hölle auf dich warten.«
Anna reckte das Kinn, als wisse sie nicht, dass Morgana sie mit einem einzigen Schlag töten konnte. »Hör mal, offensichtlich hast du Cezar doch entführt, um mich hierherzulocken. Jetzt bin ich hier. Warum lässt du Cezar und die anderen nicht einfach gehen?«
Morgana lachte hämisch auf. »Habe ich je auch nur das kleinste Anzeichen dafür erkennen lassen, geistig etwas zurückgeblieben zu sein, Anna?«, spottete sie. »Diese Vampire sowie die Werwölfin und die Shalott, die da draußen umherschleichen, bleiben, damit dafür gesorgt ist, dass du dich ordentlich benimmst.«
»Und was genau stellst du dir darunter vor?«, erkundigte sich Anna. »Dass ich einfach hier stehen bleibe und es zulasse, dass du mich tötest?«
Morgana schien die ganze Angelegenheit unglaublich amüsant zu finden. »Das ist genau das, was ich meine.«
Der dunkle Vampir knurrte tief in der Kehle. »Anna, denke nicht einmal daran. Es würde nicht Cezars Wunsch entsprechen.«
Morgana ließ einen Finger über Annas weiche Wange gleiten und ritzte dabei ihre Haut mit einem Fingernagel auf. »Aber die ach so süße Anna ist willens, alles zu tun, sogar sich selbst zu opfern, um ihren Geliebten zu retten, nicht wahr?«
Anna riss den Kopf nach hinten und wischte die Blutspur weg. »Weißt du was, Morgana? Mein Urahn hat mich gewarnt, dass du eine böse Frau bist. Ich fange an zu verstehen, warum er dich so gehasst hat.«
»Was hast du gerade gesagt?«
»Oh, hatte ich meinen kleinen Besuch bei deinem Bruder gar nicht erwähnt?«, fragte Anna zuckersüß.
»Das ist unmöglich.«
»Warum denn? Weil du ihn getötet hast?«
Die Elfenkönigin zitterte vor Zorn. Anna Randal log doch! Artus war tot. Tot und begraben. Sie erstarrte, als sie hörte, wie sich hinter ihr die Elfen regten.
Sie hatte die ganzen Jahrhunderte über sehr sorgfältig die Legende gestreut, dass Artus in der Schlacht gefallen sei, denn sie hatte irgendwann erkennen müssen, dass sie unfähig war, die Liebe des Volkes zu ihm auf anderem Weg zu beeinflussen. Es war empörend gewesen zu sehen, wie ihr Volk diesen Schwächling von Mann verehrt hatte.
Jetzt zu gestehen, dass sie der wahre Grund für seinen Tod gewesen war, würde nicht weniger als eine Meuterei hervorrufen.
Sie ließ ihre Hand nach vorn schnellen, aber statt den tödlichen Schlag auszuführen, nach dem sie sich sehnte, umfasste sie Annas Arm mit eisenhartem Griff. »Wir werden diese Unterhaltung unter vier Augen beenden!«
»Unter vier Augen?«
Dieses Biest besaß die Unverschämtheit, ihrem zornigen Blick ohne Furcht zu begegnen.
»Hast du etwas zu verbergen, Morgana? Wissen deine Untertanen vielleicht gar nicht, was du deinem eigenen Bruder angetan hast?«
Morgana verstärkte den Druck um Annas Arm, bis der Knochen zu zersplittern drohte. »Halte den Mund!«
Die beiden Vampire glitten mit erhobenen Schwertern auf sie zu, bereit zuzuschlagen. Nur Annas heftiges Kopfschütteln hielt sie davon ab.
»Nein, Styx. Das ist eine Sache zwischen Morgana und mir.« Mühelos entzog sich die Frau mit dem honigfarbenen Haar Morganas Griff und blickte sie unverhohlen an. »Du willst ein Privatgespräch? Okay.«
Ungläubig blickte Morgana Anna nach, die ruhigen Schrittes durch den Raum ging und die schäbige Küche betrat. Sie hatte den Kopf hoch erhoben und den Rücken durchgedrückt. Morgana blieb keine andere Wahl, als ihr zu folgen, wobei ihr Zorn eine mächtige Kraft war, die das Haus mit einer Woge prickelnder Elektrizität erfüllte.
Sobald sie den neugierigen Blicken entkommen war, streckte Morgana die Hand aus, um Anna mit einem Ruck herumzureißen und ihr ins Gesicht zu sehen. Ihr Ärger hatte definitiv die Oberhand über jede Furcht vor der geheimnisvollen Macht der anderen Frau.
»Du wertlose Göre!« Sie schüttelte Anna heftig und war auf sadistische Weise befriedigt, als sie spürte, wie sie ihr wehtat. »Wage es ja nicht, mir jemals wieder den Rücken zuzuwenden! Ich bin deine Königin!«
Wieder schaffte es Anna, sich zu befreien, aber nicht, bevor es Morgana gelungen war, ihr eine schmerzhafte Brandwunde am Arm zuzufügen. »Du gemeingefährliche Irre«, zischte Anna. »Kein Wunder, dass dein Bruder sich weigert, in seinem Grab zu bleiben, bis du tot bist.«
Mit einer abrupten Bewegung schleuderte Morgana Anna gegen die Wand. Sie hatte genug von dieser Zeitverschwendung. Sie wollte, dass diese Frau starb. Und zwar sofort.
»Du weißt rein gar nichts über meinen Bruder«, schrie sie, und ihr Selbstvertrauen kehrte allmählich zurück, als Anna schwankte und sich gegen die Wand lehnte, um ihr Gleichgewicht zu halten. In Anna Randals Adern mochte vielleicht das Blut der Uralten fließen, aber dennoch war sie ein schwacher, leicht zu vernichtender Mensch. »Das ist nichts als ein verzweifelter Trick, mit dem du versuchst, dein armseliges Leben zu retten!«
Anna drückte die Knie durch und griff in ihre Tasche.
Morgana lächelte nur und strich ruhig ihr zart gewirktes Kleid glatt. Wenn diese Zicke jetzt tatsächlich dachte, sie könne irgendeine bisher verborgene Waffe hervorziehen und damit eine mächtige Herrscherin erschrecken, würde sie gleich eine schmerzhafte Lektion lernen!
»Wirklich? Was glaubst du dann wohl, woher ich den hier habe?«, fragte Anna stattdessen und hielt Morgana den herrlich grünen Smaragd hin, der auf ihrer Handfläche schimmerte.
Morgana hatte ein verhextes Messer oder höchstens ein verzaubertes Amulett erwartet. Ihre arrogante Selbstsicherheit kam unmissverständlich ins Wanken, als sie den Edelstein erblickte, der einst die goldene Krone ihres Bruders geschmückt hatte. Nein, das konnte einfach nicht wahr sein.
Dieser Edelstein war zusammen mit ihrem Bruder tief unter der Erde begraben worden, und obgleich sie sich über all die Jahrhunderte hinweg die größte Mühe gegeben hatte, den mächtigen Smaragd zurückzubekommen, war sie ständig durch Merlins letzten und mächtigsten Zauber aufgehalten worden.
Verdammt sollte der alte Magier sein! Wenn es ihm damals nicht gelungen wäre, unbemerkt zu verschwinden, hätte Morgana ihn mit Sicherheit mit nach Avalon genommen und Jahr um Jahr damit verbracht, den Bastard die wahre Bedeutung von Schmerz zu lehren.
Ein Beben überkam ihren Körper, als die Energie des Juwels über ihre Haut brandete.
Als verleihe der Smaragd ihr Kraft, machte Anna einen Schritt von der Wand fort. »Mein Urahn hat ihn mir gegeben. Er scheint zu denken, er könnte mir dabei helfen, dich zu vernichten.« Sie schloss die Finger um den Stein. »Was meinst du? Sollen wir es mal ausprobieren?«
Instinktiv wich Morgana zurück. Bis Merlins Zauber aufgehoben war, würde der Smaragd nur ihrem Bruder gehorchen. Oder offenbar auch einer seiner Nachfahren.
»Das ist nicht … nicht möglich.«
Anna lächelte nur. »In den letzten Tagen habe ich herausgefunden, dass es nur wenige Dinge gibt, die unmöglich sind.«
»Er ist tot«, sagte Morgana ebenso sehr, um sich selbst davon zu überzeugen, wie auch den lästigen Quälgeist, der da vor ihr stand. »Ich sah zu, wie er starb!«
»Du hast ihn verraten.«
Die Elfenkönigin winkte bei dieser Anschuldigung verächtlich ab. Natürlich hatte sie ihren Bruder verraten. Sie stand schließlich über diesen langweiligen moralischen Grundsätzen, die die geringeren Lebewesen plagten. Alles, was zählte, war, dass sie überlebte und sich die Welt vor ihr verneigte!
»Artus war ein Narr«, höhnte sie und schob ihr vorübergehendes Unbehagen beiseite. Sie würde siegen, ob mit dem Smaragd oder ohne ihn! Solange der Vampir auf dem Dachboden angekettet war, würde diese Frau nichts unternehmen. Nichts, außer zu sterben. »Mit mir an seiner Seite besaß er die Macht, die Welt zu beherrschen. Niemand hätte uns herausfordern können. Niemand hätte es gewagt!«
»Vielleicht wollte er die Welt nicht beherrschen«, erwiderte Anna.
Morgana lachte. Das war wieder mal typisch. Im Blute ihres Bruders schien es irgendeinen Fehler zu geben. Eine Unfähigkeit, an der profanen Menschlichkeit vorbei auf den Ruhm zu blicken, der ihnen von Geburt an zustand. Das Schicksal hatte sie dazu bestimmt, über den Sterblichen zu stehen. Über den Dämonen. Über allen!
Und dennoch hatte Artus darauf bestanden, die Rolle des mildtätigen Herrschers zu spielen. Er war stets von irgendeiner abstrusen Vision einer besseren Welt besessen gewesen. So schwach. So dafür prädestiniert, seinen Feinden in die Hände zu fallen … Sie hatte ihm letztendlich einen Gefallen getan, indem sie seinen armseligen Träumen ein Ende gesetzt hatte.
»Man herrscht, man folgt, oder man stirbt«, erwiderte sie kalt. »Es gibt keine andere Wahl.«
»Wie weise! Hast du den Spruch aus einem Poesiealbum?«
Morgana biss sich bei dieser schnippischen Antwort auf die Zunge. Es reichte nun mit diesem kindischen Hin und Her. Sie wollte Antworten. »Sag mir, wie du diesen Smaragd fandest!«
»Das hab ich dir bereits gesagt.«
»Mein Bruder ist tot.«
»Er ist vielleicht tot, aber er hat nicht die Absicht, in Frieden zu ruhen. Nicht, bevor er Rache genommen hat.«
Morganas Blick glitt zu dem Edelstein. Artus’ Kräfte waren beachtlich gewesen, aber nicht einmal er stand über dem Tod. Dennoch war das kostbare Juwel nicht zu leugnen, das dort in Annas Handfläche glitzerte. Oder die Tatsache, dass dieses Mädchen es niemals ohne die Hilfe ihres Bruders hätte erlangen können. Auf irgendeine Weise hatte Artus’ Schatten Hilfe bei Anna gesucht.
»Er besitzt ohnehin keinerlei Kräfte.« Die Elfenkönigin hob die Hände und ließ ihre Magie durch den Raum wirbeln, wodurch die Vorhänge bewegt wurden und die hässlich gerahmten Kalenderbilder auf den staubigen Holzboden fielen. »Er kann mir nichts anhaben.«
Annas Haar wurde von Morganas Brise zerzaust, aber ihr Gesicht blieb unbeweglich. »Aber ich kann dir etwas anhaben.«
»Können und Wollen sind zwei sehr unterschiedliche Dinge, mein Kind.« Morgana trat vor. »Mach dir doch nichts vor! Du bist nicht willens, deinen geliebten Vampir zu opfern.«
»Tja, da hast du dich verkalkuliert.« Mit seltsam gequälter Miene schob Anna den Ärmel ihres Sweatshirts hoch und enthüllte das unverkennbare Mal. »Cezar hat sich mit mir verbunden, was bedeutet, dass er stirbt, wenn ich sterbe.« Sie sah Morgana mit einem Blick an, der pure Entschlossenheit beinhaltete. »Du darfst allerdings keinen Moment lang denken, dass ich dich nicht gemeinsam mit uns in den Tod reißen würde.«