KAPITEL 18
Cezar sah, wie bei seinen rätselhaften Worten Verwirrung in Annas Augen trat.
Das war nicht weiter verwunderlich. Aber trotz Annas hart erkämpften Vertrauens in ihre Fähigkeiten fand er es bemerkenswert, wie sehr sie sich der Tatsache verweigerte, dass sie etwas Besonderes war.
Die Orakel jedoch wussten sehr genau, dass Annas Gaben mehr umfassten als ihre Fertigkeit, die Elemente zu beherrschen, und für Cezar selbst bestand ihre Macht vor allem in ihrer unerschütterlichen Integrität. Anna war keine Frau, die sich durch Gier, Ärger oder Furcht beeinflussen ließ. Sie würde das tun, was sie in ihrem Herzen für richtig hielt.
Er hatte eine gute Wahl getroffen, dachte er mit aufflackerndem Stolz.
»Ist das wieder einer deiner mysteriösen Kommentare, die du mir nicht erklären willst?«, fragte sie nun in scharfem Ton.
Cezar lenkte ab. »Ich denke, wir sollten uns lieber wichtigeren Angelegenheiten widmen.«
»Wie zum Beispiel Morgana le Fay?«
»Si.« Er nahm sie in den Arm. Dios. Er würde sein Leben hergeben, um sie von dieser Schlacht fernzuhalten. Als ihr Gefährte war es seine heilige Verpflichtung, sie zu beschützen. Aber obgleich sein Instinkt danach schrie, sie unverzüglich weit fort von Chicago zu schicken, damit er sich auf die Jagd nach Morgana begeben konnte, sagte ihm sein Verstand, dass sein Märtyrertod nichts weiter ausrichten würde, als dass Anna allein zurückbliebe und sich der Elfenkönigin ohne seine Hilfe stellen müsste. Er war nicht in der Lage, Morgana le Fay zu töten. Alles, was er tun konnte, war, Anna beizustehen und alles in seiner Macht Stehende zu tun, um dafür zu sorgen, dass sie diese Hexe besiegte.
»Morgana le Fay, du sagst es - und wie zum Teufel sollen wir sie finden?«
Ohne Vorwarnung befreite Anna sich aus seinem festen Griff und drehte sich auf dem Bett um, um ihn anzusehen.
»Was ist?«, fragte er.
»Ich erinnere mich an etwas.« Sie legte die Stirn in Falten. »Clara hat da irgendwas gesagt.«
»Über Morgana?«
Anna nickte langsam. »Sie hat irgendwas davon gefaselt, wie sie mich gefunden hat, und dann hat sie gesagt, dass das so lange gedauert hätte, weil der Stall fast vor Morganas Haustür wäre.«
Cezar ballte seine Hände bei der verblüffenden Enthüllung zu Fäusten. Er wusste, dass er eigentlich glücklich sein sollte. Falls die Elfenkönigin sich in unmittelbarer Nähe befand, war es möglich, dass dieser Wahnsinn bald beendet und Anna in Sicherheit wäre. Aber das, was gerade durch seinen Körper pulsierte, war kein Glücksgefühl, sondern eine panische Angst bei der Vorstellung, dass Anna bald gezwungen sein würde, sich der Frau zu stellen, die entschlossen war, sie zu töten. Mit einiger Mühe entspannte er seine verkrampften Kiefer und schob die Furcht beiseite. »Wir müssen es Styx sagen.«
»Jetzt?« Mit einem kleinen Lächeln beugte sich Anna vor und presste keck ihre Lippen auf seine Brust.
Cezar fauchte, als er ihre sanfte Berührung spürte und den verführerischen Geruch wahrnahm, der sie umgab.
»Wirklich«, sie ließ ihre Lippen weiter nach unten wandern, »genau«, sie biss leicht in die straffe Haut an seinem Bauch, »jetzt?«
Cezar vergrub die Finger in ihrem Haar und schloss vor Wonne die Augen. »Vielleicht können wir auch noch eine Minute oder zwei warten«, meinte er heiser.
»Oder drei«, murmelte sie, bevor sie ihn in den Mund nahm und allen zusammenhängenden Gedanken ein Ende machte.
 
Morgana saß in ihrem Schlafzimmer und ließ sich ihr langes Haar von ihrem derzeitigen Geliebten Ash bürsten, einem reizenden Elfen mit langer, blonder Mähne und blauen Augen, als Modron in den Raum wankte und auf die Knie fiel.
Ash schrie vor Angst auf, da in den Augen der Hexe ein unheimliches weißes Licht erglühte, aber Morgana war umgehend auf den Beinen und schob ihren zartbesaiteten Liebhaber beiseite. Es war Jahrhunderte her seit dem letzten Mal, doch sie erkannte dennoch sofort, dass ihre Seherin sich in der Gewalt einer Vision befand.
»Was gibt es, Modron?«, verlangte sie zu wissen. »Was siehst du?«
»Grünes Feuer«, stöhnte die alte Frau, umschlang sich selbst mit den Armen und wiegte sich hin und her. »In grünes Feuer getaucht.«
»Grünes Feuer?« Morgana schien zu überlegen. »Ist es ein magisches Feuer?«
»Grünes Feuer - es ist überall.«
»Ja, das sagtest du bereits! Was bedeutet es?«
Modron stöhnte und schüttelte den Kopf. »Feuer … es brennt. Es brennt!«
Kalte Angst durchdrang Morganas Herz. Sie trat auf die Hexe zu und schlug ihr auf die faltige Wange. »Verdammt sollst du sein! Was bedeutet es
Die glühenden weißen Augen richteten sich auf sie, blind und doch erfüllt von furchtbarem Wissen. »Artus«, krächzte Modron und deutete mit einem knotigen Finger auf Morgana. »Er kommt. Er kommt, um dich zu holen.«
Ash keuchte vor Angst auf, doch Morganas Gesicht verzerrte sich vor Zorn bei der Erwähnung ihres Bruders. »Unmöglich«, zischte sie.
»Im Gegenteil. Gerade jetzt regt er sich, und seine Waffe spaltet die Luft, wie ein Pfeil, der auf sein Ziel zufliegt. Das Ende ist nahe.«
Erzürnt verpasste Morgana der Seherin einen so heftigen Hieb, dass die Frau gegen die Wand prallte. Als sie zu Boden stürzte, war sie tot.
Bei diesem Tumult wurde die Tür zum Schlafzimmer aufgestoßen, und zwei männliche Elfen eilten herein und schwenkten ihre lächerlichen Gewehre, als könnten sie auf irgendeine Weise hilfreich sein.
»Bringt sie hinaus.« Morgana deutete auf das leblose Bündel auf dem Fußboden. »Sofort.«
Mit furchtsamen Blicken hasteten die beiden Lakaien auf die leblose Modron zu und zogen sie aus dem Zimmer. Morgana wartete, bis sie die Schwelle überquert hatten, bevor sie die Tür mit ihren Kräften zuschlagen ließ.
Diese verdammte Modron. Die Greisin hatte es sich selbst zuzuschreiben, dass Morgana die Geduld verloren hatte. Worin lag der Sinn einer Vision, wenn diese zu ungenau war, um irgendeinen Sinn zu ergeben?
Grünes Feuer? Ihr toter Bruder mit irgendeiner Art von Waffe?
Das war purer Unsinn.
»Eure Majestät«, sagte Ash mit weicher, angstvoller Stimme.
Sie wirbelte herum und blickte ihn ungeduldig an. »Was willst du?«
Er leckte sich seinen Schmollmund und es wirkte, als sei sein gesamter Mut vonnöten, damit er sich nicht aus dem Fenster stürzte. Es gab nur wenige, die unerschrocken in der Nähe der Elfenkönigin blieben, wenn ihre Kräfte den Raum zu erfüllen begannen.
»Vielleicht sollten wir hier verschwinden«, gestand er schließlich stockend. »Wenn die Seherin die Wahrheit spricht …«
Morgana trat auf ihren Geliebten zu, die Augen warnend zusammengekniffen. »Du willst, dass ich vor einem Mädchen fliehe? Einem Mädchen, das noch nicht mal Ahnung von seinen eigenen Kräften hat?«
Der Elf fiel klugerweise auf die Knie. Er beugte den Kopf respektvoll. »Nach Avalon könnte sie Euch nicht folgen.«
»Ich werde aber nicht zurückkehren«, schimpfte Morgana. Die Woge ihrer Macht ließ ihr Haar in der Luft schweben. »Nicht, wenn ich so kurz vor dem Sieg stehe!«
»Aber die Seherin …«
Sie griff nach unten, umfasste Ashs Kinn und riss es nach oben, sodass er gezwungen war, ihrem unerbittlichen Blick zu begegnen. »Ich gestattete es Modron und ihren armseligen Visionen viel zu lange, mich gefangen zu halten.« Sie verstärkte den Griff ihrer Finger, bis Ashs Knochen zu brechen drohten.
Beim verfaulten Blute ihres Bruders, sie hatte es satt, sich in den Nebeln ihrer Insel zu verbergen! Sie war eine Königin! Eine mächtige Anführerin, die von den Dämonen und Menschen angebetet werden sollte. Zum Teufel mit der Prophezeiung, sie würde ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.
»Sobald Anna Randal tot ist, werde ich frei sein, und meine Kräfte werden auf der ganzen Welt wirken können. Niemals wieder werden wir gezwungen sein, uns in den Schatten zu verbergen oder uns vor denen zu verneigen, die unter uns stehen. Es wird eine Welt sein, in der Elfen angebetet werden!«
Ash stöhnte leise vor Schmerz. »Aber sie sprach von Artus.Was, wenn er noch lebt?«
»Mein Bruder ist mausetot und liegt friedlich in seinem Grab«, zischte Morgana. »Und ich muss es wissen - schließlich begrub ich ihn selbst.«
Erleichterung zeigte sich in den blauen Augen. »Dann muss ich nach den Soldaten verlangen. Ihr könnt ihr nicht allein entgegentreten.«
»Ach ja, meine Soldaten.« Morgana ließ das Kinn des Elfen los und wandte sich um, um durch das kleine Zimmer zu stolzieren. »Sie haben sich bisher ja auch als ungeheuer nützlich erwiesen, meinst du nicht, Ash?«
»Es gab … Schwierigkeiten, meine Königin.«
Mit einer raschen Bewegung drehte sich Morgana um, und der Ausbruch ihrer Macht zerschmetterte den alten Spiegel, der in der Ecke stand. »Das wurde mir auch mit schöner Regelmäßigkeit erzählt!«, erklärte sie, die Stimme belegt vor Abscheu.
Wie viele Elfen hatte sie ausgesandt, damit sie Anna Randal fingen, nur um Mal für Mal wieder enttäuscht zu werden? »Es scheint mir wahrscheinlicher, dass meine lieben Untertanen im Laufe der Jahrhunderte etwas träge geworden sind. Oder vielleicht haben sie vergessen, wie übel meine Laune werden kann, wenn ich enttäuscht werde.«
Ash schwankte und stürzte beinahe rückwärts zu Boden. »Nein, meine Königin, wir haben es nicht vergessen.«
»Dennoch denke ich, eine kleine Erinnerung könnte nicht schaden.« Morgana lächelte, und Ash gab seine Bemühungen auf und sackte ohnmächtig zusammen. Die Königin trat auf ihn zu und versetzte seinem Körper einen Stoß mit dem Fuß, sodass er in eine Ecke flog, bevor sie das Zimmer durchquerte, um die Tür zu einem kleinen, dunklen Raum zu öffnen.
Ein Teil ihrer kochenden Wut schwand dahin, als sie den rothaarigen Kobold erblickte, der dort, mehr tot als lebendig, an einem Holzbalken baumelte. Es gab nur wenige Dinge, die sie mehr befriedigten, als einen Verräter zu bestrafen, und Troy, der Fürst der Kobolde, hatte bewiesen, dass er ein Überläufer der schlimmsten Sorte war. Einen Augenblick lang trug sie sich mit dem Gedanken, dem kräftigen Kobold die Haut abzuziehen, aber dann schüttelte sie den Kopf. Sie hatte es satt, ihre stümperhaften Elfen auszusenden, nur um immer wieder von ihnen enttäuscht zu werden. Es war an der Zeit, die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen. Und der Kobold war das perfekte Mittel, um diese Aufgabe zu erfüllen.
Sie trat auf ihn zu und genoss es, als in Troys Smaragdaugen ungeheure Furcht aufblitzte. »Nun, Troy, es sieht ganz so aus, als ob du die Gelegenheit erhieltest, deine Königin wieder versöhnlich zu stimmen.« Sie legte ihm eine Hand auf die Brust und lächelte, als er vor Schmerz aufschrie. »Wenn du nicht den Rest der Ewigkeit als mein Spielzeug verbringen willst, schlage ich vor, dass du es dieses Mal nicht verpatzt.«
 
Es war beinahe zwei Stunden später, als Anna und Cezar schließlich aus ihrem unterirdischen Raum auftauchten und sich auf den Weg zu Vipers privatem Arbeitszimmer im hinteren Teil des großen, aber auf charmante Weise bescheidenen Landhauses machten.
Sie hatten geduscht und zogen dann die Kleidung an, die Viper ihnen geschickt hatte. Da Cezar zuvor Kontakt zu seinem Gastgeber aufgenommen und ihn gebeten hatte, Styx um eine Zusammenkunft an diesem Ort zu bitten, wusste er, dass die beiden ihre Ankunft ungeduldig erwarteten.
Dennoch stellte er fest, dass seine Füße stehen blieben, noch bevor er die Tür zum Arbeitszimmer erreichte, als hätten sie sich einen eigenen Willen angeeignet.
Anna, die neben Cezar ging, sah ihn an. »Stimmt irgendwas nicht?«
»Ich wünschte …« Seine Stimme war rau, und sein Körper fühlte sich verkrampft und unbeholfen an. Dios. Er hatte noch niemals eine solche Furcht empfunden. Nicht einmal, als er sich durch einige der blutigsten Schlachten der Geschichte hatte kämpfen müssen. »Ich wünschte, wir hätten diese Angelegenheit schon hinter uns gebracht und könnten einfach friedlich zusammenleben.«
Ein trauriges Lächeln bildete sich auf Annas Lippen.
Als er gerade im Begriff war, nach ihr zu greifen, wurde ruckartig die Tür geöffnet, und Styx kam zum Vorschein. Wie immer wirkte der drohend vor ihnen aufragende Azteke in seiner schwarzen Lederkleidung und seinem geflochtenen Zopf bedrohlich.
»Wertvolle Zeit wurde verschwendet, amigo«, erklärte der Anasso. »Wir müssen Pläne schmieden.«
»Wir sind auf dem Weg«, erwiderte Cezar, und sein Blick sorgte dafür, dass Styx mit einem tockenen Lächeln ins Arbeitszimmer zurückkehrte. Cezar wartete ab, bis sie allein waren, und ergriff dann Annas Hand. Er war erschrocken, als er bemerkte, dass diese noch kälter war als seine eigene. Eine bemerkenswerte Leistung für eine so heißblütige Frau.
»Bereit, querida
Sie lachte kurz auf. »Soll das ein Scherz sein?«
»Na gut, aber wenigstens etwas?«
Sie holte tief Luft. »Solange du bei mir bist …«
Er drückte ihre Finger. »Für immer.«
»Dann los.«
Hand in Hand betraten sie das Arbeitszimmer. Instinktiv ließ Cezar seinen Blick durch den Raum schnellen. Sofort bemerkte er die Verandatür zwischen dem Schreibtisch und den ausladenden Bücherschränken und das Fenster in der Nähe der zusammenpassenden Ledersessel. Erst als er überzeugt war, dass dort keine Elfen lauerten, wandte er seine Aufmerksamkeit den drei Vampiren zu, die gerade etwas an der gegenüberliegenden Wand anstarrten.
Viper und Styx waren leicht auszumachen, aber es dauerte einige Zeit, bis Cezar bemerkte, dass er auch den dritten Vampir kannte, der dort mit seiner langen blonden Mähne und dem stattlichen Körper stand. Jagr.
»Dios«, keuchte er und schob Anna hinter sich, als Styx sich zu ihm gesellte. »Was macht der denn hier?«
»Wer ist das denn?«, wollte Anna wissen.
»Anna.« Styx ging um Cezar herum und beugte leicht den Kopf. »Meine Ehefrau hat in der Küche ein Abendessen für Euch vorbereitet. Sie hofft, Ihr werdet ihr dort Gesellschaft leisten.«
Cezar wandte sich um und beobachtete, wie sich eine Vielzahl von gemischten Gefühlen auf dem Gesicht seiner Gefährtin abzeichneten. Einerseits wusste sie, dass die Notwendigkeit bestand zu essen, um bei Kräften zu bleiben, andererseits wollte sie nicht aus der Planung ausgeschlossen werden. Mit einem Lächeln streichelte er ihre Wange. »Du musst etwas essen, Anna. Wir werden keine Entscheidungen ohne dich treffen.«
Ihr Blick warnte ihn vor entsetzlichen Vergeltungsmaßnahmen, wenn er sein Wort nicht hielte, bevor sie sich widerwillig umdrehte und durch die Tür verschwand.
Cezar konnte ein gewisses Maß an Erleichterung nicht leugnen, das bei ihrem Weggang in ihm aufflackerte. Er wollte nicht, dass Anna sich in Jagrs Nähe aufhielt. Verdammt, er war sich ja nicht einmal sicher, ob er selbst sich in Jagrs Nähe wohlfühlte.
Er wartete, bis Annas schlanke Gestalt durch die Halle verschwunden war. Dann wandte er sich um und durchbohrte seinen Anführer mit einem verärgerten Blick. »Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
Styx deutete auf eine Karte, die an der Wand befestigt war. »Er besitzt die detailliertesten Pläne von Illinois.Viper fragte, ob wir sie ausleihen könnten.«
»Und er hat sein Versteck verlassen, nur um sie uns zu bringen?« Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den großen, ungezähmten Vampir, der sich leise mit Viper unterhielt. »Erstaunlich.«
»Eigentlich nicht.« Styx’ Lächeln war kalt. »Ich kann recht überzeugend sein, wenn ich eine Einladung ausspreche.«
Überzeugend? Wohl eher tödlich. »Bist du sicher, dass er in Ordnung ist?«, knurrte Cezar. Noch immer war er nicht erfreut über den Gedanken, dass sich dieser Vampir in Annas Nähe befinden sollte.
Styx zuckte mit den Schultern. »Es ist … nicht leicht, mit ihm umzugehen, aber er wird sich hüten, meinen Zorn zu wecken.«
Cezar grinste ein wenig. »Ist das nicht bei uns allen der Fall?«
Belustigung flackerte für einen kurzen Moment in Styx’ Augen auf, bevor der distanzierte Ausdruck zurückkehrte. »Wie geht es Anna?«
»Sie ist natürlich verängstigt.«
»Ich meine, wie nahm sie die Information auf, dass du dich mit ihr verbunden hast, während sie ohnmächtig war?«
Cezar fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, die er nach seiner Dusche nicht mehr zusammengebunden hatte. Es schien Anna zu gefallen, ihre Finger durch seine Mähne gleiten zu lassen, und ihm gefiel es, wenn sie das tat.
»Tatsächlich nahm sie es besser auf, als ich es je zu hoffen gewagt hätte«, erklärte er leise. Er war noch immer beeindruckt, wenn er sich in Erinnerung rief, wie bereitwillig sie es hingenommen hatte, dass er diesen Schritt getan hatte. Er hatte Stunden damit verbracht, sich auf ihren Zorn und sogar auf ihren Hass vorzubereiten. Worauf er sich nicht vorbereitet hatte, war ihr Wunsch, die Zeremonie zu vollenden - unvorstellbar. Und natürlich würde er lieber einen Spaziergang bei strahlendem Sonnenschein unternehmen, als ihr diese Bitte abzuschlagen. »Besser, als es eigentlich vernünftig wäre«, sagte er zu Styx.
Der Anasso, der Cezars heftigen Schmerz spürte, trat näher zu ihm. »Erzähle mir, was dich bekümmert.«
»Es ist ihr Wunsch, die Zeremonie zu vollenden«, gestand er.
Styx schien auf der Hut zu sein. »Sollte ich gratulieren?«
Cezar schloss für einen kurzen Moment die Augen, als sein Herz sich vor Sehnsucht zusammenzog. »Du hattest recht, Styx. Wir wissen beide, dass Annas Zukunft der Kommission gehört.«
»Womöglich …«
»Nein, Styx!« Cezar schüttelte heftig den Kopf. »Ich werde es mir selbst nicht erlauben, auf das Unmögliche zu hoffen.«
Sein Freund nickte verständnisvoll. Er wusste ebenso gut wie Cezar, dass sich nicht einmal der mächtigste Vampir gegen den Willen der Orakel wehren konnte. Doch bevor er sein Beileid aussprechen konnte, fuhr er herum und richtete seinen Blick auf die Tür. Er spürte, dass sich ein Diener näherte, noch bevor sich die Tür geöffnet hatte.
DeAngelo betrat das Zimmer und verbeugte sich beim Anblick seines Königs tief. »Mylord.«
»Was gibt es?«
»Ein Kobold ist an der Tür. Er bat darum, mit Conde Cezar zu sprechen.«
Styx fauchte verärgert. »Ist es Troy?«
»Das ist der Name, den er nannte.«
»Verdammt.« Styx kämpfte gegen seine Abneigung. Er mochte den exzentrischen Kobold nicht besonders. »Sage ihm, er möge zu uns kommen.«
»Er sagte, dass er über Informationen verfügt, die er nur …«, DeAngelo zögerte, »nur dem Conde verkaufen würde.«
Styx erwiderte scharf: »Troy sollte schleunigst erfahren, dass Vampire nicht für Informationen bezahlen. Ich werde mich um diese Angelegenheit kümmern.«
»Nein.« Cezar packte Styx am Arm. »Falls er Informationen über Morgana besitzt, will ich es nicht riskieren, dass er abgeschreckt wird. Bleibe du hier, und bringe unsere Planung zu Ende. Ich werde mich um Fürst Troy kümmern.«
Styx nahm eine bedrohliche Haltung ein. »Du solltest nicht allein gehen.«
»Du traust dem Kobold nicht?«
»Ich traue niemandem mit dem Blut des Feenvolks.« Bei Cezars warnendem Blick lachte Styx auf. »Natürlich mit Ausnahme deiner schönen Gefährtin.«
Cezar wedelte ungeduldig mit der Hand. Er wollte sich jetzt die Auskunft geben lassen und dann einen Blick in die Küche werfen, um dafür zu sorgen, dass Anna tatsächlich etwas aß und nicht nur über die bevorstehende Nacht grübelte. »Ich glaube, ich bin in der Lage, eine Angelegenheit mit einem einzigen Kobold allein zu bewältigen.«
Styx machte den Eindruck, als wolle er mit ihm streiten, aber angesichts von Cezars störrischer Miene nickte er schließlich widerstrebend. »Wie du wünschst.«
Cezar klopfte seinem Freund auf die Schulter und folgte DeAngelo durch die Halle bis in den vorderen Bereich des Gebäudes. Erneut fiel ihm die heimelige Atmosphäre des Hauses auf. Das musste Shays Werk sein, dachte er trocken. Denn Viper verfügte über eine natürliche Extravaganz, die seine diversen Nachtclubs in Chicago zu einer Sensation gemacht hatten - ein gemütliches Landhaus einzurichten war sicher nicht sein Fall.
Der Wächter hielt vor einer geschlossenen Tür an und verbeugte sich, bevor er schweigend in der Dunkelheit verschwand.
Cezar hielt einen Augenblick inne, verblüfft zu entdecken, dass seine Beine sich sonderbar schwach anfühlten. Kein Wunder. Es war lange her, seit er zuletzt Nahrung zu sich genommen hatte. Normalerweise war er peinlich genau, was seine Blutzufuhr betraf. Eine Spielfigur der Orakel zu sein bedeutete, dass er nie genau wusste, wann er zur Schlacht gerufen werden würde. Nicht vollkommen bei Kräften zu sein wäre absolut unverzeihlich gewesen.
Ehrlich gesagt, hatte er das in Flaschen abgefüllte Blut nicht mehr trinken wollen, nachdem er die Süße aus Annas Ader gekostet hatte. Das war nicht nur töricht, sondern auch gefährlich. Vorerst war Anna strengstens vom Speiseplan gestrichen!
Mit dem Versprechen an sich selbst, Nahrung zu sich zu nehmen, sobald er die Sache mit dem Kobold hinter sich gebracht hatte, öffnete Cezar die Tür und betrat das lange, dunkle Zimmer, das beinahe vor Büchern überquoll: Vipers riesige Bibliothek.
Jedoch hatte er keine Zeit, die zahlreichen dicken Lederbände zu würdigen. Er durchquerte den Raum und ging auf den rothaarigen Kobold zu, der einen schweren schwarzen Umhang trug und sich in der Nähe des Fensters herumdrückte, als sei er bereit, beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten sofort fortzulaufen.
Keine ungewöhnliche Reaktion. Die meisten Angehörigen des Feenvolkes fühlten sich unbehaglich, wenn sie das Versteck eines Vampirs betraten, ob nun Koboldfürst oder nicht.
Ohne sich mit Vorgeplänkel aufzuhalten, blieb Cezar direkt vor dem Kobold stehen. »Ihr verfügt über Informationen für mich?«
Ein eigenartiges Lächeln bildete sich auf dem langen, blassen Gesicht, während Troy sich steif verbeugte. »Conde.«
Cezar bemühte sich, seine strapazierte Geduld nicht gänzlich zu verlieren. »Worin bestehen diese Informationen?«
Troy richtete sich auf und legte eine Hand auf seine Brust. In seinen Augen war ein fiebriges Glitzern zu erkennen, als er Cezar mit enervierender Intensität anstarrte. »Zunächst muss ich etwas wissen. Haben Sie sich mit der Frau verbunden?«
Cezar konnte es nicht glauben. »Wie bitte?«
»Haben Sie sich mit der Frau verbunden?«
»Was geht Euch das an, zum Teufel?«
»Das ist der Preis. Beantworten Sie mir meine Frage.«
Cezar fauchte und rief sich ganz bewusst ins Gedächtnis, dass dieser Kobold Anna bei der Flucht vor Morganas Mördern geholfen hatte. Das war der einzige Grund, weshalb diese Kreatur jetzt nicht auf dem Fußboden lag und windelweich geschlagen wurde. »Ja«, antwortete er schlicht.
»Dann habe ich etwas für Sie.« Troy machte einen Schritt auf ihn zu. »Ein Geschenk.«
Was sollte das denn jetzt schon wieder? Cezar hatte allmählich genug. Der Kobold würde ihm unverzüglich Auskunft geben, sonst würde er diesem Trottel den Hals umdrehen!
»Verdammt soll Euer Geschenk sein«, knurrte er. »Alles, was ich will, ist …«
Troy bewegte sich mit unerwarteter Schnelligkeit, als er seine Hand ausstreckte, die er unter den Falten seines Umhangs verborgen gehalten hatte. Ein Halsband und eine Kette aus Silber kamen zum Vorschein.
Der Vampir versuchte einen Satz nach hinten zu machen, aber in Verbindung mit seiner nachlassenden Kraft entpuppte sich Troys Überrumpelungstaktik schließlich als sein Verderben. Er stolperte, als der Kobold sich auf ihn stürzte, und schaffte es nur, einen einzigen kräftigen Schlag zu landen, bevor er spürte, wie das Silber seinen Hals einschloss und in ihm einen brennenden Schmerz entfachte.
»Es tut mir leid, Vampir, aber ich habe keine andere Wahl«, murmelte Troy, und sein Blick drückte Wachsamkeit aus, als Cezar auf die Knie sank, weil die Wellen furchtbarer Qualen ihn überrollten. »Diese Angelegenheit muss heute Nacht enden.«