KAPITEL 5
Die Nebel von Avalon waren
kein Mythos. Der magische Schild erstreckte sich kilometerweit um
die Insel, hielt sie vor menschlichen Augen verborgen und schützte
sie vor dem Eindringen sämtlicher Dämonen.
Niemandem war es gestattet, auf der Insel
anzulegen, wenn er nicht von der Königin selbst eingeladen worden
war. Und diejenigen, die töricht genug waren, den Versuch zu wagen,
durch ihre magischen Mauern zu schlüpfen, lernten durch eine
schmerzhafte Lektion, wie es sich anfühlte, Morgana le Fays
Missfallen zu erregen. Es war eine Lektion, die nur wenige je
wiederholten.
Meistens, weil sie tot waren.
An diesem Tag waren die Nebel von einem dunklen,
bedrohlichen Grau. Sie spiegelten die Stimmung Morganas wider, als
sie über den Samtteppich in ihrem Thronsaal schritt. Es war ein
ungemein beeindruckender Raum mit einer Glaskuppel und feinen
Tapisserien an der Wand, die einen menschlichen Handwerker vor Neid
zum Weinen hätten bringen können. Direkt unter der Kuppel befand
sich ein rundes Podium mit einem goldenen Thron. Und auf beiden
Seiten davon standen zwei männliche Elfen in ihrer vollkommenen
Schönheit. Sie sahen fast gleich aus, mit ihrem langen blonden
Haar, das ihnen bis zur Taille
reichte, und ihren Gesichtszügen, die von Engelshand gemeißelt
schienen. Außerdem waren sie nackt, damit ihre muskulöse Gestalt
zum Vorschein kam.Wie es ihre Ausbildung verlangte, zeigten sie nie
die geringste Emotion.
Genau das war Morganas Wille. Nicht, dass sie sich
die Mühe machte, in ihre Richtung zu blicken. Stattdessen fuhr sie
fort, den Saal mit ihren Schritten zu durchmessen, wobei das
hauchdünne weiße Kleid um ihren großen, schlanken Körper flatterte
und ihre wunderschöne Mähne aus roten Locken im Kerzenlicht
schimmerte. Erst als sie den Elfen spürte, der sich ihr näherte,
zwang sie sich, zu ihrem Thron zurückzukehren und Platz zu
nehmen.
Sie wirkte ruhig und gefasst. Ihre schönen Züge
waren undurchdringlich, und ihre grünen Augen wurden von langen
Wimpern abgeschirmt. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich auch nicht,
als ein großer, ungewöhnlich muskulöser Mann mit lockigem schwarzem
Haar und blauen Augen die Gemächer betrat. Er war schlicht
hinreißend. Und ein hervorragender Liebhaber. Zu schade, dass er
sich als Enttäuschung erwiesen hatte.
Schweigend betrachtete sie den Elfen und wartete
ab, bis er vor ihr auf die Knie gefallen war und seinen Kopf auf
den Teppich gedrückt hatte.
»Ihr habt nach mir geschickt, Eure Majestät?«
Sie ignorierte die Stimme, die er eigens geschult
hatte, um ihr heiße und kalte Schauder über den Rücken zu jagen.
Ihre langen Fingernägel, die in einem dunklen Blutrot lackiert
waren, trommelten auf die vergoldete Armlehne ihres Throns. »Bist
du mir aus dem Weg gegangen, Landes?«, fragte sie sanft.
Er hob den Kopf, um sie vorsichtig anzusehen.
»Nein, ich sehne mich nach wie vor danach, in Eurer Schönheit
zu schwelgen. Ich erbebe vor Verlangen, Euch zu Füßen zu liegen
und Euch zu huldigen.«
»Hübsch, aber das ist es nicht, was ich hören
will.« Sie beugte sich vor. »Erinnerst du dich daran, mein Süßer,
dass es mir umgehend mitgeteilt werden sollte, wenn du Kontakt mit
Sybil aufgenommen hast?«
Er erbleichte unter ihrem unerschütterlichen Blick.
»J… ja.«
»Weshalb hast du mich dann warten lassen?«
»Es gab Schwierigkeiten, meine Königin.«
Morgana widerstand dem Drang, dem Mann ins Gesicht
zu treten. Dieser verdammte Dummkopf! Sie wollte seine erbärmlichen
Ausflüchte nicht hören. Sie wollte Ergebnisse! »Was kann denn an
einer dermaßen einfachen Aufgabe so schwierig sein?«, verlangte sie
zu wissen. Der Nebel um die Glaskuppel wirbelte in dem aufziehenden
Sturm umher.
Landes warf einen nervösen Blick nach oben und
schluckte dann den Kloß in seinem Hals herunter. »Sybil hat nicht
auf meine Aufforderung reagiert.«
»Du öffnetest ein Portal?«
»Natürlich, Eure Majestät, aber da gibt es etwas,
das meine Bemühungen blockiert.«
»Etwas?«
»Ich weiß nicht, worum es sich dabei handelt.« Er
hob mit einem flehenden Gesichtsausdruck die Hände. »Es ist wie ein
Netz, das ich nicht durchdringen kann.«
Ein finsterer Zorn strömte durch Morganas Blut, als
sie sich langsam von ihrem Thron erhob. Sie hatte Jahrhunderte
geopfert, um der Blutlinie ihres Bruders ein Ende zu bereiten und
um dafür zu sorgen, dass jeder einzelne ihrer Feinde tot auf dem
Boden liegend endete. Und für eine
kurze Zeit war sie sicher gewesen, dass sie erfolgreich gewesen
war. Vor zweihundert Jahren hatte sie Anna Randal getötet, die
letzte Angehörige des verdammungswürdigen Clans. Endlich hatte sie
sich von ihrem Schicksal befreit!
Doch aus irgendeinem Grund hatte sie jemanden
übersehen. Die wachsenden Kräfte, die sie in letzter Zeit spüren
konnte, waren unverkennbar Kräfte, die von der Erde hätten getilgt
sein sollen. Ihre Furcht war zurückgekehrt, und sie hatte sich an
ihr Volk gewandt. Vor zwei Tagen dann hatte sie von Sybil die
Mitteilung erhalten, dass sie die Person gefunden hatte, nach der
Morgana suchte. Und sie hatte versprochen, diese Frau nach Avalon
zu bringen. Aber sie war nie eingetroffen, und nun hatte Landes
gestanden, dass sie über ein Portal nicht erreicht werden
konnte.
Sie griff nach unten, packte Landes am Kinn und zog
ihn mit einem Ruck auf die Beine. »Offensichtlich habe ich deine
Bedeutung für mich überschätzt, Landes.«
Seine schönen Augen weiteten sich. »Nein! Ich werde
sie finden, das schwöre ich bei meinem Leben!«
Mit einem kalten Lächeln hauchte ihm Morgana einen
leichten Kuss auf die Lippen. »Zu spät, mein schöner Knabe. Ich
habe den Entschluss gefasst, die Angelegenheit selbst in die Hand
zu nehmen.« Sie intensivierte den Kuss. Dabei drückte sie mit den
Händen gegen Landes’ nackte Brust und nutzte ihre Kräfte, um ihm
das Leben aus dem gut gebauten Körper zu saugen. Einen Augenblick
lang wehrte er sich, bevor er sanft aufseufzte und zu Boden fiel.
Morgana schritt gleichgültig über seinen Kadaver hinweg. Auf eine
Handbewegung hin beeilten sich die beiden Wachtposten, den toten
Elfen aus dem Thronsaal zu tragen.
Morgana wartete darauf, dass sich die Türen hinter
den Wachen schlossen. Dann legte sie den Kopf in den Nacken
und schrie vor Wut und Enttäuschung. Wie konnte es das Schicksal
wagen, sie so zu verhöhnen? Sie war eine Königin! Die geliebte
Anführerin aller Elfen! Sie sollte die Welt mit ihrer Schönheit
schmücken. Sie sollte von allen verehrt werden. Stattdessen war sie
gezwungen, sich in den Nebeln ihres Reiches zu verstecken, in der
ständigen Angst, dass die endgültige Rache ihres Bruders irgendwo
auf sie lauerte.
»Hast du erneut eines deiner Spielzeuge
zerbrochen?«, fragte eine durchdringende Frauenstimme. »Wie oft
habe ich dich vor deiner Reizbarkeit gewarnt?«
Morgana wirbelte auf dem Absatz herum und
beobachtete, wie die faltige alte Frau mit den hässlichen Büscheln
aus grauem Haar, das ihr am Schädel klebte, und den pupillenlosen
Augen in den Raum schlurfte. Die Königin verzog das Gesicht,
angewidert von dem abscheulichen Gestank verfaulender Zähne und
kürzlich hingemetzelter Opfer, der der Frau anhaftete.
Modron hatte Morgana aus der Wiege gestohlen, als
sie noch ein Säugling gewesen war, und sie als ihr eigenes Kind
aufgezogen. Dennoch war es keine Zuneigung, die Morgana davon
abhielt, die abstoßende Kreatur zu töten. Die Frau war eine
mächtige Seherin. Das war selbst unter Elfen eine seltene
Kraft.
»Halte den Mund, alte Hexe«, knurrte sie nun und
ließ sich mit verdrossener Miene auf den Thron zurückfallen. »Ich
habe bereits genug Schwierigkeiten, auch ohne deine langweiligen
Vorträge.«
Die alte Frau lachte gackernd auf, durchquerte den
Raum und blieb schließlich vor dem Thron stehen. All dies geschah
mit bemerkenswerter Leichtigkeit, wenn man bedachte, dass sie
völlig blind war. »Du bist gereizt.«
»Ich bin nicht gereizt, sondern wütend!« Morgana
wedelte mit der Hand vor ihrer Nase herum. Ihr eigener
Granatapfelduft erfüllte den Raum und begann den Gestank der Hexe
zu überdecken. »Ich habe ein Jahrtausend geopfert, um mich von der
Blutlinie meines Bruders zu befreien. Ich war sicher, dass Anna die
Letzte war, als ich sie in London röstete. Sie sollten tot sein!
Sie sollten vom Angesicht der Erde getilgt sein!«
Modron schüttelte den Kopf. »Sie sind wie
Küchenschaben. Sie weigern sich auszusterben.«
Morgana schlug mit der Faust auf die Armlehne ihres
Thrones. »Dieses Mal nicht!«
»Was beabsichtigst du zu tun?«
»Die letzte Mitteilung von Sybil stammt aus
Chicago.«
Das Lächeln der Hexe verblasste, wodurch
glücklicherweise ihre fauligen Zähne nicht mehr zu sehen waren. »Du
willst dorthin reisen?«
Morganas Augen verengten sich. »Wir werden
beide dorthin reisen.«
Modron zischte und umklammerte mit den Händen das
fadenscheinige Wollkleid, das ihren hageren Leib bedeckte. »Avalon
verlassen? Nein. Das ist zu gefährlich.«
Morgana beugte sich vor und verpasste der Frau
einen Schlag ins Gesicht. Der Hieb war so fest, dass die Hexe
ausgestreckt auf dem Teppich zu liegen kam. »Vielleicht hättest du
daran denken sollen, bevor du meinen Tod vorhergesagt hast!«
Morgana lehnte sich auf ihrem Thron zurück und hob
den Blick zu dem schwarzen Nebel, der über ihr schwebte. »Ich weiß,
dass du dort draußen bist und dich wie ein Feigling vor mir
versteckst, doch ich komme, um dich zu holen«, keuchte sie gen
Himmel, und ihr Haar wirbelte umher,
als ihre Macht aus ihrem Körper strömte. Sie konnte ihre Beute
nicht sehen, aber sie konnte die sich regende Kraft spüren. »Und
wenn ich dich finde, werde ich dir das Herz aus der Brust
reißen!«
Trotz der Tatsache, dass ihm eine Schlafkammer in
einem anderen Flügel des Hauses zugewiesen worden war, erwachte
Cezar augenblicklich, als er den Schrei in der Ferne hörte. Mit
einer Geschwindigkeit, die nur ein Vampir an den Tag legen konnte,
schoss er durch den Flur, wobei er erleichtert war, dass das Haus
an diesem späten Nachmittag angemessen gegen die Sonne geschützt
war. Natürlich hatte er von Styx nicht weniger als das
erwartet.
Der Schrei hing noch immer zitternd in der Luft,
als Cezar die Tür aufstieß. Mit nichts außer seinen silbernen
Boxershorts bekleidet, war er dennoch auf einen Kampf vorbereitet,
als er die Schwelle überquerte. Er hielt zwei Dolche in der Hand,
ein zusammenpassendes Paar von Handfeuerwaffen war um seine Brust
geschnallt. Ein Wächter für die Orakel zu sein hatte für eine gute
Ausbildung gesorgt …
Nach einem schnellen Blick auf den dunklen Raum und
das angrenzende Badezimmer hatte er sich vergewissert, dass in den
Ecken keine Feinde lauerten. Er trat an das Bett und fand Anna noch
immer fest schlafend vor. Ihr schönes Gesicht war gerötet, als sie
sich in den Qualen ihres Albtraumes wand.
Abrupt durchströmte ihn eine heftige Woge der
Erleichterung und zwang ihn beinahe in die Knie. Cezar stapelte
seine Waffen auf dem Nachttisch und schlüpfte unter die Decken, um
Annas zitternden Körper in seine Arme zu nehmen. Dios. Er
hatte schon befürchtet … Zum Teufel, er
konnte sich nicht einmal selbst dazu bringen, darüber
nachzudenken, was er befürchtet hatte. Nicht jetzt, als er Anna
fest in den Armen hielt, ihr Herz wie wild gegen seine Brust schlug
und sie instinktiv mit den Händen seine Arme umklammerte.
Einen Moment lang genoss Cezar das Gefühl ihres
warmen Körpers, der sich bereitwillig an den seinen schmiegte. Er
hatte schließlich lange genug gewartet, um noch einmal diesen
berauschenden Genuss zu spüren - sie einfach in seinen Armen zu
halten. Er vergrub sein Gesicht in ihren weichen Haaren, nahm ihren
süßen, leicht fruchtigen Duft in sich auf, und seine Hände glitten
an ihrer Wirbelsäule entlang nach oben.
Sie trug nicht mehr als ein dünnes Nichts aus Seide
und Spitze, das Darcy ihr geliehen haben musste, aber im Augenblick
war Cezar mehr darauf bedacht, ihre Angst zu lindern, als ihre
Leidenschaft zu wecken. »Ganz ruhig, Anna«, flüsterte er immer
wieder und streifte leicht mit seinen Lippen ihr Ohr.
Allmählich ließ ihr Zittern nach, und einen
wunderschönen Moment lang schmiegte sie sich an seinen harten
Körper, als ob sie Trost suche. Cezar schlang die Arme fester um
sie und fuhr mit seinem Wispern fort. Ein seltsam friedliches
Gefühl breitete sich in seinem Herzen aus, und Cezar wurde sich der
Tatsache bewusst, dass er die Zeit genau in diesem Moment
angehalten hätte, wenn er die Macht dazu besessen hätte. Wenn er
diese Frau mit seinen Armen umschlang, schien sich die restliche
Welt jedes Mal in weiter Ferne zu befinden. Doch obgleich er ein
unübertroffener Krieger und hervorragender Wächter war, erstreckten
sich seine Fähigkeiten leider nicht auf das Anhalten der
Zeit.
Anna seufzte leise, und ihr Atem strich über die
bloße Haut seiner Brust. Dann öffnete sie die Augen, um ihn mit
benommener Verwirrung anzusehen. »Cezar?«
»Si.«
Ihre Hände, die ihn zuvor noch umklammert hatten,
gingen nun dazu über, ihn voller Angst wegzustoßen. »Was zur Hölle
machen Sie in meinem Bett?«
Seine Arme hingegen weigerten sich, sich von der
Stelle zu rühren. Der Traum hatte sie erschüttert, und Cezar würde
sie nicht verlassen, bevor er herausgefunden hatte, worum es darin
gegangen war. »Du hast im Schlaf geschrien.« Er legte den Kopf auf
das Kissen und forschte mit dem Blick in ihren angestrengten Zügen.
»Ich dachte, ich sollte dich besser wecken, bevor die Polizei kommt
und die Angelegenheit untersucht.«
Die hinreißenden haselnussbraunen Augen
verdüsterten sich, als die Erinnerung an ihren Traum sie überkam.
»Oh.«
»Erzähl es mir.«
»Was erzählen?«
»Den Traum.«
Sie zog die Brauen zusammen. »Warum?«
Er zögerte, bevor er antwortete. Sie war bereits
verwirrt genug, nun, da sie in eine Welt gestoßen worden war, von
der sie bislang kaum wusste, dass sie überhaupt existierte. Das
Letzte, was er wollte, war, sie dadurch in völlige Panik zu
versetzen, dass es Dämonen gab, die die Fähigkeit besaßen, durch
Träume zu sprechen oder sogar anzugreifen. »Möglicherweise ist es
von Bedeutung, querida«, murmelte er schließlich.
»Was könnte denn an einem Traum von Bedeutung
sein?«
»Ich weiß es nicht, wenn du es mir nicht erzählst.«
Er studierte ihren störrischen Gesichtsausdruck. Sie war immerzu
bockig und schien irgendwie den Wunsch zu hegen, selbst gegen die
vernünftigsten Vorschläge Argumente zu finden. Offensichtlich war
eine neue Taktik vonnöten.
Mit einem Lächeln verlagerte er seine Position, um
seine Lippen über ihren Nasenrücken wandern zu lassen, und seine
Hände begannen eine genaue Inspektion des Nachthemdes, das wohl
eigens dazu kreiert worden war, den Appetit eines Mannes anzuregen.
Und er war definitiv angeregt. Angeregt, betört, heißer als die
Hölle! Er spannte in rastloser Begierde die Finger an, und sein
Mund streifte mit steigender Überzeugungskraft über ihren. »Anna,
ich gehe nicht, bevor du mit mir geredet hast! Allerdings kann ich
mich auf angenehme Weise ablenken, wenn du es vorziehen solltest,
noch zu warten.«
Sie hob zu widersprechen an, doch Cezar machte sich
das schnell zunutze. Er intensivierte den Kuss, indem er seine
Zunge in die feuchte Hitze ihres Mundes schob, und seine Erektion
pochte rhythmisch im Takt mit Annas leisem Stöhnen. Sie schmeckte
nach Früchten, süß und vollmundig wie eine reife, in Honig
getauchte Feige. Cezar zitterte, als seine Sinne machtvoll zum
Leben erwachten. Sein gesamter Körper war angespannt durch dieses
Verlangen, das nur sie erwecken konnte. Er saugte ihre Zunge in
seinen Mund, wobei er sorgsam darauf achtete, sie nicht mit seinen
Fangzähnen zu verletzen. Die Angelegenheit geriet ohnehin bereits
außer Kontrolle, auch ohne dass er die Gefahr einging, seinen
Blutdurst zu wecken.
Seine Hände glitten über ihre Schultern und teilten
dann den seidigen Vorhang ihrer honigfarbenen Haare. Cezar knurrte
tief in der Kehle. Er wollte sie verschlingen, sie sich so
vollkommen einverleiben, dass er zu einem Teil ihrer Seele wurde.
Das Feuer ihres immer größer werdenden
Verlangens versengte seine Haut, als er seinen Mund von ihrem
löste und jetzt ihre Halsbeuge mit einer Reihe von Küssen übersäte.
Er konnte riechen, wie der Duft ihres Hungers die Luft erfüllte,
und ihr Erzittern spüren, als er seine Erektion gegen ihren Bauch
drückte.
Anna mochte vielleicht nicht bewusst akzeptieren,
dass sie ihn brauchte, aber ihre Reaktion bewies, dass sich in den
vergangenen zwei Jahrhunderten nichts verändert hatte. Seine
Berührung konnte ihren Körper noch immer vor Begierde erglühen
lassen.
Cezar zeigte murmelnd seine Zustimmung und ließ
seine Finger durch ihre Mähne gleiten, bevor er sie über Annas
Rücken wandern ließ. Er nahm sich einen köstlichen Augenblick lang
Zeit, die Rundung ihrer Hüften zu erkunden, bevor er vorsichtig den
seidigen Stoff ihres Kleides nach oben schob. Sein Instinkt drängte
ihn, ihr die störende Kleidung einfach vom Leib zu reißen, doch
sein Verstand ermahnte ihn, sich dieses Mal zivilisiert zu
verhalten. Es würde noch eine Unmenge an Tagen und Nächten geben,
in denen er sie hart und schnell nehmen konnte.
»Cezar.« Ohne Vorwarnung pressten sich Annas Hände
erneut gegen seinen Brustkorb, und sie entzog ihren Kopf seinen
räuberischen Lippen. »Nein!«
Er fauchte frustriert, doch sein Mund weigerte
sich, ihrem Protest zu gehorchen, sondern senkte sich stattdessen,
um eine steife Brustwarze zu erobern, die sich durch die hauchdünne
Spitze abzeichnete. Dios, er begehrte sie wie ein Süchtiger
in den Qualen des Entzuges. »Bist du sicher?«
Sie gab ein ersticktes Stöhnen von sich, bevor sie
ihn am Haar packte und seinen Kopf nach oben zog, damit er ihrem
funkelnden Blick begegnete. »Ich bin nicht mehr die unschuldige
Idiotin, die ich damals war!«
Der Unterton von Bitterkeit in ihrer Stimme riss
Cezar aus seiner sinnlichen Benommenheit, und er wich ein Stück
zurück, um sie zögerlich anzusehen. Wovon zum Teufel sprach sie da?
Diese Nacht, die sie miteinander verbracht hatten, war doch
atemberaubend gewesen. Er konnte noch immer ihre Lustschreie hören,
die sie ausgestoßen hatte, als er tief in ihren Körper eingedrungen
war, konnte noch immer den Schauder ihres explosionsartigen
Höhepunktes spüren, konnte noch immer die mächtige Freude fühlen,
die er empfunden hatte, als er ihr Blut in sich aufgenommen hatte.
Wie konnte sie das bereuen?
»Du warst vielleicht unschuldig, aber niemals eine
Idiotin«, sagte er mit belegter Stimme, verärgert von ihrem
Versuch, das zu verleugnen, was sie miteinander geteilt
hatten.
»Ich habe es immerhin zugelassen, dass ein völlig
Fremder mich verführt hat, oder?« Sie schüttelte den Kopf. »Das
nenne ich einen erstklassigen Anfall von Dummheit.«
»Ich würde es eher Schicksal nennen«, sagte er,
ohne die bedeutungsschweren Worte zurückhalten zu können.
Es war nicht weiter überraschend, dass sie ihn nun
erst recht voller Verwirrung ansah. »Was soll das denn
bedeuten?«
Doch er war nicht bereit, das Gesagte zu vertiefen.
Es war an der Zeit für eine Ablenkung. Für sie beide. »Erzähl mir
von deinem Traum«, wiederholte er.
Sie zog mit einer heftigen Bewegung ihre Finger
zurück, die unwissentlich angefangen hatten, durch seine
Haarsträhnen zu streichen. »Gott, du gibst wohl nie auf.«
Er ließ ein wildes Grinsen aufblitzen.
»Niemals.«
Sie schloss kurz die Augen, bevor sie tief
aufseufzte. »Na gut. Da war eine Frau.«
Cezar, der ihren schlanken Körper fest umfasst
hielt,
forschte in ihrem Gesicht. Anna neigte dazu, weitaus mehr durch
ihren Gesichtsausdruck zu verraten als durch Worte. »Wie sah sie
aus?«
Sie hob eine Schulter. »Sie war sehr schön, hatte
rote Locken und grüne Augen.«
Ein Kältegefühl breitete sich in seinem Körper aus.
»Was hat sie getan?«
»Sie saß auf einem goldenen Thron, und da war noch
eine andere Frau, eine alte Frau, die auf einem roten Teppich lag.«
Sie lächelte mitleidsvoll bei der Erinnerung. »Sie blutete am
Mund.«
»War sie tot?«
»Ich glaube nicht.«
Geistesabwesend ließ er seine Hände an ihrem Rücken
entlang nach oben wandern. »Irgendetwas hat dich zum Schreien
gebracht, Anna. Was war es?«
Sie erzitterte plötzlich, und Angst blitzte in
ihren Augen auf. »Die Frau, die auf dem Thron saß … sie schien mich
direkt anzusehen … und dann …«
»Dann?«
»Dann hat sie gesagt, dass sie mir das Herz
herausreißen würde. Und ich habe ihr geglaubt.«
Sie zitterte, und Cezar schob seine Hand unter
ihren Kopf und zog sie an sich. Es bestand kein Zweifel daran, dass
die Frau in ihren Träumen Morgana le Fay gewesen war. Und dass
diese Frau entschlossen war, Anna umzubringen. Niemals.
Dieses Wort brannte sich tief in Cezars Herz. Er würde jeden töten,
der es wagen würde, Anna etwas anzutun! »Niemand wird dir das Herz
herausreißen, querida«, sagte er rau. »So viel kann ich dir
versprechen.«
Sie lachte bei diesem überheblichen Versprechen
erstickt
auf, aber machte glücklicherweise keine Anstalten, sich ihm zu
entziehen. »So sicher bist du dir, dass du mich beschützen
kannst?«
»Ja.« Er streifte mit den Lippen ihre Stirn. »Doch
darüber hinaus bist du selbst eine gefährliche Frau. Meine Rippen
schmerzen beispielsweise noch immer.«
Sie legte den Kopf nach hinten, um seinem glühenden
Blick zu begegnen, und die Angst wich aus ihren Augen. »Eine
gefährliche Frau, wie?«
»Absolut.«
»Das gefällt mir.«
Er rieb ganz bewusst seine Erektion an ihrer Hüfte.
»Mir auch.«
»Das merke ich«, meinte sie trocken.
»Was soll ich tun? Gefährliche Frauen sind nun mal
aufregend.«
»Du denkst doch, jede Frau ist aufregend!« Sie fuhr
kurz zusammen, als er bei ihren Worten scharf und humorlos
auflachte. »Was ist daran so witzig?«
Hundertfünfundneunzig Jahre ohne eine Frau. Ohne
auch nur den geringsten Anflug von Begehren. Und nun, da er endlich
seine Libido wiedererlangt hatte, wirkte sie nur bei einer Frau,
die wild entschlossen war, nachhaltig für seine Enthaltsamkeit zu
sorgen.Was war er für ein Frauenheld! »Dios«, keuchte er.
»Wenn du wüsstest.«
»Was denn?«
Er winkte ab. »Erzähl mir lieber von deinem Leben,
querida«, forderte er sie stattdessen auf. »Du sagtest, du
habest ein ruhiges Leben geführt, aber du musst doch etwas getan
haben, um dich zu beschäftigen.«
Sie forschte in seinem Gesicht, das von dem
schweren Vorhang seiner schwarzen Haare eingerahmt wurde. »Bist
du wirklich daran interessiert oder versuchst du bloß, mich
abzulenken, damit du in meinem Bett bleiben kannst?«
Er lächelte und machte sich dabei nicht einmal die
Mühe, seine voll ausgefahrenen Fangzähne zu verbergen.
»Beides.«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen.«
»Erfüll mir diesen Wunsch, por favor.«
Sie rollte mit den Augen über seine Beharrlichkeit,
was Cezar ignorierte. Anna fühlte sich in seinen Armen warm und
weich an, und im Augenblick wollte er nichts anderes spüren als das
Gefühl ihres pochenden Herzens an seiner Brust und den Duft ihrer
warmen Haut.
»Ich bin oft umgezogen, was nicht schlecht war,
weil ich so im Laufe der Jahre eine ganze Menge von der Welt
gesehen habe«, begann sie schließlich mit leiser Stimme. »Venedig,
Amsterdam, Kairo … Ich habe sogar ein paar unvergessliche Monate in
Tokio verbracht, bevor ich nach Amerika gereist bin.«
»Wovon lebtest du?«
»Ich habe jeden Job angenommen, den ich finden
konnte. In der Anfangszeit habe ich üblicherweise als Dienstmädchen
gearbeitet, weil das die einzige anständige Arbeit war, die einer
Frau offenstand. Später habe ich angefangen, in kleinen Restaurants
zu kellnern.« Sie machte ein gespielt verzweifeltes Gesicht. »Ein
Job, den ich nicht jedem empfehlen würde. Sogar heute noch bekomme
ich ein mulmiges Gefühl im Bauch, wenn ich heißes Fett
rieche.«
Cezar widerstand dem Drang, seine Hände über diesen
Bauch gleiten zu lassen. Oder vielleicht sollte er seine Lippen
über diesen Bauch gleiten lassen? O ja, definitiv seine Lippen. Und
dann konnte er die Stellen weiter unten erkunden,
den winzigen Tanga, und dann zwischen ihren Beinen …
»Wie sieht es mit Männern aus?«, wollte er
unvermittelt wissen.
Sie sah ihn mit großen Augen an. »Wie bitte?«
Eine eigenartige Anspannung erfasste ihn, als ihm
urplötzlich bewusst wurde, wie wichtig ihre Antwort ihm war. »Hast
du jemals geheiratet?«
»Großer Gott, nein«, sagte sie etwas
schockiert.
»Weshalb nicht? Du bist eine unglaublich schöne
Frau.« Sanft umfasste er ihre Wange und strich mit dem Daumen über
ihre volle Unterlippe. »Ich bezweifle nicht, dass du die Männer
abwehren musstest.«
Ihre Zunge lugte hervor, um genau die Stelle zu
berühren, die sein Daumen liebkost hatte. Dies ließ einen
Stromschlag durch seinen Körper zucken. Diese Zunge konnte einen
Vampir vor Lust aufheulen lassen. Allein der Gedanke daran
reichte beinahe aus, um ihn zum Aufheulen zu bringen. Cezar zwang
sich krampfhaft, sich auf Annas leise Worte zu konzentrieren.
»Und wie glaubst du wohl, hätte ich die Tatsache
erklären sollen, dass ich eine Art Supermann-Klon bin?«, fragte
sie.
»Meinst du nicht eher Wonderwoman?«
»Das ist nicht komisch!« Sie zwickte ihn in den
Arm. »Ich konnte es einfach nicht riskieren, jemandem zu
nahezukommen.«
Ein sonderbarer Schmerz durchzuckte ihn. »Wolltest
du denn jemandem nahekommen? Gab es jemand Besonderen?«
Sie sah ihn nicht an. »Spielt das eine
Rolle?«
»Ja!« Er knirschte mit den Zähnen. »Es spielt eine
Rolle.«
Ihre Blicke trafen sich wieder, und für einen
Moment befürchtete Cezar, sie würde sich weigern, seine Frage zu
beantworten. Aber dann gestand sie ihre Niederlage mit einem
frustrierten Kopfschütteln ein. »Nein, es gab niemand Besonderen.
Ich war ganz und gar allein für … es kommt mir vor wie eine
Ewigkeit. Bist du jetzt glücklich?«
Er war mehr als glücklich. Er hätte schreien können
vor Glück, weil sie ihr Herz nicht an irgendeinen unwürdigen
Bastard verschenkt hatte. Und er war klug genug, diese Genugtuung
für sich zu behalten. Stattdessen strich er mit der Hand über ihr
Haar und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Schläfe. »Ich
wollte dich nicht aufregen, querida.«
Sie schnaubte ungläubig. »Und was ist mit
dir?«
»Was meinst du?«
»Hast du eine …«, sie runzelte die Stirn, als sie
um das passende Wort rang, »Gefährtin in irgendeiner feuchtkalten
Höhle sitzen?«
Langsam kräuselte ein verschmitztes Lächeln seine
Lippen. Er war belustigt über ihre widerwillige Neugierde. »Nein,
ich habe keine Gefährtin.«
»Warum nicht?«
Er knabberte zärtlich an ihrem Mundwinkel. »Anna
Randal, manche Dinge sind es wert, dass man auf sie wartet.«