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Vicky

»Du bist am falschen Ort«, sagt er. »Wahrscheinlich ein Zahlendreher.«

»Am falschen Ort warst wohl eher du heute.«

»Das stimmt, Vicky, darf ich dir das in Ruhe erklären? Lass uns bitte erst mal gegenüberstehen. Larissa hat dich zur falschen Hausnummer geschickt. Ich bin hier richtig, das weiß ich aus sehr zuverlässiger Quelle. Nun erzähl mal, was ist das überhaupt mit diesem Flo, und welches Taxi ist verreckt? Das von Joe? Ich bin schon ganz durcheinander.«

Ich lehne mich an den Kofferraum des Wagens. Offensichtlich bin ich mitten in einem kleinen Abenteuer gelandet. Die Kinder sind versorgt, mein Süßer ist irgendwo in der Nähe, und der Bruder eines afrikanischen Häuptlings löst Kreuzworträtsel, während er auf mich wartet.

»Also, Larissa und Herr Schulze standen auf einmal vor der Tür und meinten, er würde auf Tilda und Luis aufpassen und sie mich irgendwohin bringen.«

»Der Schulze? Oh Gott! Mein armes Mädchen! Und mein armer Junge«, fügt er eilig hinzu.

»Mach dir keine Sorgen, ich hab ein gutes Gefühl. Jedenfalls hat Larissa mich in einen Kübelwagen von ihrem Kumpel Flo verfrachtet. So eine uralte Karre, die aussieht wie von der Bundeswehr.«

»Baby, ich weiß, was Kübelwagen sind, ich bin ein Mann.«

»Wie konnte ich das vergessen? Mit dem Kübel sind wir anschließend losgefahren, aber dann hat er angefangen zu knallen und zu rattern, und wir sind am Arsch der Welt stehengeblieben. Larissa meinte, ich hätte einen wichtigen Termin und müsste daher mit einem Taxi weiterfahren. Tja, und da stehe ich jetzt: neben dem Taxi eines total witzigen Fahrers namens Joe. Er kommt aus Nigeria, und sein Bruder rennt rum wie der Prinz aus Zamunda, stell dir das mal vor, so ist der sogar durch Deutschland gelaufen …«

»… Süße, ich unterbreche dich wirklich ungern, aber das sind zu viele Informationen für ein männliches Gehirn. Ich will dich endlich in meine Arme schließen, sonst drehe ich noch komplett durch.«

»Das will ich auch«, hauche ich ins Handy und spüre auf einmal eine solche Sehnsucht, dass mein Herz zu rasen beginnt. Am liebsten würde ich die vergangenen Tage auslöschen, so sinnlos erscheinen mir diese ganzen albernen Streitpunkte.

»Okay, dann bleib genau dort, wo du jetzt bist, ja?«

»Kein Problem.«

»Ich bin in wenigen Minuten bei dir. Und lass dich nicht von diesem Joe entführen.«

»Verlockender Gedanke, aber: nein. Nun komm endlich, ich schicke das Taxi weg.«

Wir beenden das Telefonat, und ich gehe um den Wagen herum zur Fahrertür. Joe ist schwer beschäftigt mit seinem Rätsel, und ich räuspere mich.

»Oh, Miss, wollen Sie weiter?«

»Nein, danke, ich bleibe hier. Ich würde gern bezahlen.«

»Ja, gleich, aber ich habe eine klitzekleine Frage«, bittet er.

»Klar, schießen Sie los.«

»Ich brauche noch Längenmaß mit zwei Buchstaben.«

»XL«, sage ich spaßeshalber, was er sofort aufschreibt, bevor ich die Möglichkeit habe, mich zu korrigieren.

»Vielen Dank, Miss, dann habe ich alles ausgefüllt und kann heute Nacht ruhig schlafen. Es macht mich fix und fertig, wenn ein Kreuzworträtsel nicht vollständig ist. Raten Sie mal, wie viele Rätselhefte ich in der Woche schaffe?«

Unruhig schaue ich die Straße hinunter. Simon könnte jeden Augenblick aufkreuzen. Ich will Joe loswerden, so lustig er auch ist.

»Keine Ahnung. Zwei?«, sage ich und zücke meine Geldbörse.

»Drei. Wie die Ehefrauen von meinem Bruder, hahaha. Dreizehn Euro, bitte, Miss.«

Weil es vermutlich Glück bringt, dem hilfsbereiten Bruder eines Häuptlings eine Freude zu bereiten, runde ich großzügig auf.

»Stimmt so«, erkläre ich und drücke ihm einen Zwanziger in die Hand. »Herzlichen Dank, Joe, das war die tollste Taxifahrt meines Lebens. Mein Freund wird jeden Moment hier sein. Ich sage schon mal tschüss.«

»Es ist gefährlich für eine junge Frau allein. Soll ich wirklich fahren?«

»Ja, bitte.«

Er dreht den Zündschlüssel um und tuckert gemächlich davon. Ich beobachte, wie der Wagen um die nächste Kurve biegt und aus meinem Blickfeld verschwindet. Im selben Moment kommt Simon um die Ecke gerannt. Aufgeregt winke ich mit beiden Händen, und er winkt zurück, als er mich sieht. Mit jedem Schritt, den er in meine Richtung macht, kann ich besser erkennen, wie kaputt er aussieht. Au weia, seine Klamotten sind dreckig und die Haare verstrubbelt. Mein armer Schatz hat im Knast bestimmt einen Kulturschock erlitten, er kennt doch solche Gepflogenheiten gar nicht.

Das letzte kleine Stück gehe ich ihm entgegen. Mein stinkender Liebling lächelt mich an, und ich schmelze auf der Stelle dahin. Wie konnte ich auch nur eine Sekunde an seiner Liebe zweifeln?

»Da bist du ja endlich«, sage ich und falle ihm in die Arme.