23
Vicky
Manche Dinge ändern sich nie. Die Titelmusik des ›Tatorts‹ zum Beispiel. Wenn der altmodische Einspieler irgendwann nicht mehr gesendet wird, steige ich aus. Bis dahin halte ich es wie der Durchschnittsdeutsche und grüble höchstens darüber nach, welches Ermittlerduo mein Favorit ist.
Um harmonische Stimmung bemüht, habe ich zwei Weingläser auf den Couchtisch gestellt und das Licht gedimmt. Sogar an Simons Lieblingsschokolade habe ich gedacht und die Kinderzimmertür geschlossen. Der Sonntag endet hoffentlich besser als er begonnen hat.
»Jan Josef Liefers ist cool, oder?«, frage ich und strecke die Beine auf dem Sofa aus.
»Geht so.«
Simon wendet den Blick nicht von der Mattscheibe und kaut konzentriert auf einer Möhre herum. Männer, die dauernd Gemüse essen, finde ich eigentlich unsexy, aber bei Simon mache ich eine Ausnahme.
»Vielleicht kommt er mir auch nur cool vor, weil er mit Anna Loos zusammen ist. Die beiden wirken natürlich und sind trotzdem Stars. Weißt du, wie ich das meine?«
Ja, ich kann nerven. Und ich nerve ihn ganz bewusst. Er soll gefälligst mit mir reden und nicht so tun, als wäre ihm der Münsteraner ›Tatort‹ neuerdings der liebste. Sag einen Ton, oller Miesepeter.
»Hm. Wollen wir gucken oder über Promis diskutieren? Beides auf einmal geht nicht. Ich will es nur wissen, dann stelle ich mich drauf ein.«
Beleidigt stehe ich auf und flüchte ins Bad. Missmutig betrachte ich mein Spiegelbild und schiebe die wirren Gedanken hin und her. Simon ist eindeutig gereizt, und ich stresse ihn. Wie kann das angehen?
Offensichtlich haben wir eine Beziehungskrise – das kann doch nicht wahr sein. Hallo, bitte den miesen Traum stoppen, ich möchte das nicht! Ich bürste meine Haare, sprühe einen winzigen Stoß Parfum in meinen Nacken und gehe zurück zu Simon, wobei ich demonstrativ mit dem Hintern wackle. Trotzdem nimmt er immer noch keine Notiz von mir. Ich könnte halbnackt und in Strapsen vor ihm rumhüpfen, und er würde es noch nicht mal merken. Jetzt wird es mir aber wirklich langsam zu blöd. Provokant lasse ich mich direkt neben ihm nieder und dränge meinen Arm an seinen. Nicht zärtlich, sondern aufdringlich. Vermutlich befinde ich mich im falschen Film. Selten habe ich mich deplatzierter gefühlt als jetzt. Und das ausgerechnet mit Simon.
»In Beziehungsratgebern würde man den wohlwollenden Hinweis erhalten: Er steht einfach nicht auf dich.«
»Hä? Was?« Irritiert wendet er den Blick von der Glotze und schaut mich fragend an. »Wer steht auf wen nicht?«
»Na, du auf mich. Das ist absolut nicht normal, Simon, wieso bist du so abweisend?«
»Ich bin nicht abweisend, ich will einfach nur fernsehen. Oder ist das jetzt auch nicht mehr erlaubt? Dein ständiges Gemecker nimmt langsam, aber sicher pathologische Züge an.«
»Wieso auch nicht mehr erlaubt? Was erlaube ich denn bitte sonst noch nicht? Ich bin ja wohl die Großzügigkeit in Person und tolerant ohne Ende. Als ob ich ständig meckern würde, welch ein Unsinn. Andere Frauen würden dir was husten, wenn du dich so verhalten würdest!«
Er stellt den Ton leiser und setzt sich aufrecht hin. Oha. Gut, dass die Kinder bereits schlafen. Ich glaube, wir haben gerade unseren ersten Streit. Oder unseren letzten. Trotzdem gebe ich nicht nach. Der spinnt ja vollkommen.
»Wenn sich hier jemand falsch verhält, dann bist das wohl eher du«, sagt er und guckt richtig sauer.
Mir macht das etwas Angst, denn obwohl ich normalerweise seine Konsequenz und Gradlinigkeit schätze, stelle ich mir manchmal in meinen schlimmsten Albträumen vor, wie er mir auf genau diese Art eines Tages das Aus unserer Beziehung mitteilt. Simon umzustimmen, ist wahrscheinlich ziemlich schwierig. Neuerdings kriegt man ihn ja nicht mal mehr zum Sex rum. Und überhaupt – ich bin diejenige, die Grund hat, sauer zu sein!
»Andersrum wird ein Schuh draus«, stelle ich selbstbewusst fest. »Ich dachte, du kämst von allein drauf zu sprechen, aber da kann ich vermutlich lange warten. Also, eigentlich wollte ich die Klappe halten, aber da du anscheinend auf Krawall gebürstet bist, lasse ich es jetzt eben doch raus.« Ich atme durch. »Hast du mir irgendetwas mitzuteilen?«
Genervt schüttelt er den Kopf. Es ist so ein Oh-Gott-sie-redet-totalen-Blödsinn-Kopfschütteln. »Du sprichst in Rätseln. Was sollte ich dir deiner Meinung nach mitteilen? Ist es nicht vielmehr so, dass du mir etwas zu erzählen hast?«
»Ich hab keine Ahnung, wovon du redest. Was sollte ich dir denn erzählen? Habe ich irgendwas angestellt? Ehrlich gesagt verstehe ich nur noch Bahnhof. Leben wir inzwischen auf unterschiedlichen Planeten?«
»Okay, dann Butter bei die Fische, Vicky: Was läuft da zwischen dir und der Pasqualle? Ich bin weder blind noch blöd, also sei bitte ehrlich. Ich denke, das habe ich verdient. Wir sind keine neunzehn mehr, und für Machtkämpfe und Spielchen ist mir meine Zeit zu schade.«
Mir steht der Mund offen. Das kann nicht sein Ernst sein. Er glaubt nicht wirklich, dass ich ihn mit Pascal betrüge? Nein, das ist ausgeschlossen, er verarscht mich.
»Du machst hoffentlich Scherze?«, versuche ich es.
»Mit so was spaße ich nicht. Du solltest mich kennen.«
»Du solltest mich ebenfalls kennen, Simon Deerberg! Ich glaube, es hackt! Als wenn ich auch nur den Ansatz eines Flirts mit irgendwem hätte. Ich liebe nur dich, und ich bin dir treu, das weißt du ganz genau! Niemals würde ich fremdgehen, warum sollte ich auch? Ich will nur dich. Aber du willst mich offenbar nicht mehr. Was sollen diese albernen Verdächtigungen, wie kommst du überhaupt auf solchen Quatsch? Du lenkst bestimmt nur von deinen eigenen Unzulänglichkeiten ab!«
Feindseligkeit liegt in der Luft. Wir hatten so was noch nie, aber ich werde nicht einknicken. Seine Behauptungen sind völlig an den Haaren herbeigezogen, sie entbehren jeglicher Grundlage. Eine gute Formulierung. Die muss ich noch irgendwo einbauen, um ihm zu imponieren.
»Nicht mal den Ansatz eines Flirts hast du?«, spottet er. »Du solltest dich selbst mal hören und sehen, wenn du mit diesem Angeber zusammen bist. Das ist regelrecht peinlich. Hahahaha, du bist ja soooo witzig, Pasqualle-Schätzchen!«
Überzogen äfft er mich nach und verstellt dabei die Stimme.
»Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie viel Spaß du mit ihm hast. Muss ja echt tierisch komisch sein, was dieser Vin Diesel für Arme von sich gibt.«
»Oh Mann, meinst du eben auf dem Rückweg vom Gassigehen? Simon, er hat mir lediglich einen Witz erzählt, das ist alles. Du kannst nicht ernsthaft eifersüchtig auf ihn sein. Die Behauptung entbehrt jeglicher Grundlage.« Was bin ich gebildet. Ein Beziehungskonflikt auf hohem Niveau.
»Einen Witz, soso. Na, dann bin ich mal gespannt, ob du den wiedergeben kannst.«
Gott sei Dank habe ich ihn mir gemerkt. Sonst vergesse ich Witze immer sofort, aber diesen fand ich so gut, dass ich ihn auf meiner internen Festplatte gespeichert habe.
»Auch wenn ich es überflüssig finde, dir in dieser Situation etwas Lustiges zu erzählen«, kontere ich zickig, »aber bitte, er geht folgendermaßen: ›Guten Tag, ich heiße Umberto und bin gekommen, um ihre Tochter zu ficken.‹ ›Um was?‹ ›Umberto.‹«
Dummerweise kann ich mir ein erneutes Grinsen nicht verkneifen, doch Simon verzieht keine Miene.
»Komm, der ist gut, das musst du zugeben«, sage ich. Eine letzte Chance zur Versöhnung, lange krieche ich ihm nicht mehr in den Hintern.
»Kannte ich bereits, der ist uralt. Aber hervorragend, dass du dich mit ihm dermaßen amüsieren kannst. Mit mir tust du das neuerdings ja nicht mehr.«
Das ist die Höhe!
»Ich amüsiere mich nicht mit dir? Schön wär’s! Du amüsierst dich nicht mit mir! Oder was war das heute früh, als du mich weggeschubst hast? Das war ziemlich verletzend.«
»Ich habe dich nicht weggeschubst, ich habe deine Hand zur Seite geschoben. Falls es dir entgangen sein sollte: Ich bin kein dauerpotenter Zwanzigjähriger, sondern habe noch andere Interessen als ständig nur Sex. Zufällig habe ich auch Gefühle, und wenn ich mir Sorgen mache, kann ich es dir leider nicht täglich besorgen. Da musst du dann schon auf solche Flachwichser wie Pasqualle zurückgreifen.«
»Du wirst immer gemeiner, Simon. Das war fies.«
Schweigend starren wir zum Bildschirm und sehen Axel Prahl beim Autofahren zu. Ich greife zur Fernbedienung und schalte die Kiste aus.
»Ich kann mir übrigens denken, worüber du dir Sorgen machst«, sage ich. Jetzt ist es auch egal.
»Das glaube ich kaum.«
»Wieso hältst du so etwas Wichtiges wie das Testergebnis eines Urologen vor mir geheim? Geht mich das gar nichts an?«
Wütend springt er auf. »Woher weißt du das? Hast du mir etwa hinterherspioniert?«
»Was hättest du denn an meiner Stelle getan?«, setze ich zum Gegenangriff an. »Wenn ich dich dauernd abweisen würde und total von dir genervt wäre – was würdest du tun? Ich konnte gar nicht anders, als mir endlich ein eigenes Bild zu machen. Du hast mir keine Wahl gelassen, weil du mit verdeckten Karten gespielt hast.«
»Ganz bestimmt würde ich nicht schnüffeln, sondern dich fragen, was mit dir los ist.«
Wir bemühen uns beide um eine gedämpfte Tonlage, damit die Kinder nicht wach werden, aber es gelingt uns nur begrenzt. Immer wieder schnauben wir wie zwei aufgebrachte Wildschweine, um uns dann kurzzeitig zu beruhigen.
»Ich habe dich gefragt, was mit dir los ist. Aber du weichst mir ja immer wieder aus. Und nun auch noch dieses bescheuerte Pasqualle-Gelaber. Das ist pubertärer als jede Schnüffelei. Ich finde es zum Kotzen, wie du von deinen Problemen einfach ablenkst und mir den Schwarzen Peter zuschiebst. Als wäre ich geistig minderbemittelt und würde die Zusammenhänge nicht kapieren.«
»Meine liebe Vicky.« Oha. »In privaten Sachen rumzuwühlen, geht gar nicht. Dafür habe ich null Verständnis. Ich bin zutiefst enttäuscht von dir. Dass du so tief sinkst, hätte ich niemals von dir erwartet. Bitter. Ganz, ganz bitter.«
»Ach? Das trifft sich gut. Ich bin nämlich auch zutiefst enttäuscht von dir. Wieso bist du zum Arzt gegangen, um deine Spermien überprüfen zu lassen, ohne mir davon zu erzählen? Seit wann lässt du mich an deinen Gedanken nicht mehr teilhaben? Was verbirgst du noch alles vor mir, wenn das Thema Familienplanung für dich privat ist? Welche Rolle spiele ich eigentlich in deinem Leben? Ich dachte, ich wäre mehr als nur eine unwichtige Freundin, vielleicht sogar so was wie deine zukünftige Frau!«
Oh Mann, nun heule ich doch. Warum habe ich das gesagt? Ich bin ein Rindviech.
»Von Heirat war nie die Rede, und außerdem passt das jetzt ja wohl gar nicht.«
»Absolut richtig. Es passt weniger denn je. Wie konnte ich nur so naiv sein und glauben, dass ich die Eine für dich bin?«
»Du warst die Eine für mich.«
»Warst?« Ich kreische und würde am liebsten in Ohnmacht fallen. »Sind wir bereits beim Präteritum angelangt?«
Genervt rollt er mit den Augen.
»Dreh mir bitte nicht jedes Wort im Mund herum. Es ist jedenfalls völlig inakzeptabel, meine Post zu durchforsten, kaum dass ich die Wohnung verlassen habe. Herrgott, Vicky, so was hast du doch wohl nicht nötig. Du bist eine erwachsene Frau und kein eifersüchtiger Teenager.«
»Danke gleichfalls. Stichwort Pasqualle. Ich wusste mir einfach keinen Rat mehr. Dass etwas nicht stimmt, lag auf der Hand, allerdings hatte ich keinen Schimmer, um was es sich handelt. Wie konntest du mir das nur verschweigen? Es tut mir ja leid, dass ich rumgeschnüffelt habe, ehrlich, aber entschuldigen tue ich mich dafür nicht. Du hast schließlich selbst den Karren gegen die Wand gefahren, du bist quasi für mein Fehlverhalten verantwortlich.«
»Klaaaar, die kleine Welt der Victoria Mahler.«
Unbeirrt fahre ich fort: »Ich habe mir so sehr ein gemeinsames Kind gewünscht, das betrifft mich genauso wie dich. Aber natürlich wäre es keine Katastrophe, wenn es nicht klappen sollte. Wir haben uns, Luis, Tilda … Viel mehr als manch anderer. Trotzdem hättest du mich einweihen müssen. Mich geht das ebenso viel an wie dich.«
»Tut es nicht.«
»Ach?«
»Hast du mal fünf Minuten darüber nachgedacht, dass Tilda nicht von mir sein könnte? Wie es sich für mich anfühlt, schwarz auf weiß zu lesen, dass womöglich ein anderer Typ der biologische Vater meiner Tochter ist? Das ist mein Problem, ganz allein meins.«
»Traurig, dass du es so siehst, Simon. Ja, ich habe darüber nachgedacht, und ich finde es schrecklich. Lass mich daran teilhaben und stoß mich nicht weg. Wir stehen das zusammen durch.«
»Damit du einfach so davonkommst mit diesem widerlichen Misstrauen und der Spionage? Vergiss es!«
»Pfft. Jetzt drehst du völlig ab. Von mir aus vergessen wir das alles und fangen bei null an, was deine Samen und unseren neuen Nachbarn betrifft. Aber ich werde mich ganz bestimmt nicht für etwas entschuldigen, was du verbockt hast. Das sehe ich überhaupt nicht ein. Von mir aus haben wir beide Mist gebaut.«
Genau. Ich reiche ihm die Hand und signalisiere Versöhnungsbereitschaft. So macht man das als moderner, beziehungstauglicher Mensch. Selbstverständlich trage ich nicht annähernd so viel Schuld an unserem Streit wie er, aber da er ein Mann ist und das ohnehin nie begreifen würde, tue ich so, als hätte ich einen schlimmen Fehler begangen. Der Klügere gibt nach.
»Du empfindest es also als Mist bauen, wenn man kein Baby basteln kann. Interessantes Weltbild, wirklich aufschlussreich. Stell dir nur mal vor, was los wäre, wenn du unfruchtbar wärst. Das wäre ein Geheule und Gejammer. Ich hingegen wollte dich schützen und das mit mir selbst ausmachen. Selbstverständlich hätte ich dir zu gegebener Zeit davon berichtet. Ich musste nur erst mal den Kopf klarbekommen und mit Marion drüber reden.«
»Mit Marion. Klar. Die ist natürlich wichtiger als ich. Wie konnte ich das nur übersehen? Sie war ja sogar deine Frau, und ich bin nicht mal des Heiratsthemas würdig. Mannmannmann.«
»Wegen Tilda. Es ist offensichtlich sinnlos, mit dir eine zielführende Diskussion zu führen. Du reagierst total kindisch. Genau aus dem Grund wollte ich das Gespräch vorerst vermeiden, aber du musstest mir ja unbedingt zuvorgekommen, indem du in meiner privaten Schublade rumwühlst. Ist dir das eigentlich gar nicht peinlich?«
»Weißt du was, mir ist das jetzt langsam echt zu doof«, lenke ich ab, weil ich unter keinen Umständen zugeben werde, wie peinlich mir meine Neugier ist. Und schon gar nicht mein Hochzeitsgequatsche. Ich will doch gar nicht heiraten, es geht mir nur ums Prinzip. Ich will, dass er will, damit ich mich zieren kann. »Ein weiteres Mal: Wollen wir das endlich vergessen und ins Bett gehen? Ich bin müde, dieses Gezoffe stresst mich.«
»Ganz sicher werde ich die Nacht nicht mit dir in einem Raum verbringen. Nenn mich einen Waschlappen, aber ich kann nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen. Ich schlafe heute auf dem Sofa.«
»Ist das dein letztes Wort?«
»Für heute: ja. Oder wolltest du noch mit mir über Promipärchen sprechen? Daran habe ich allerdings kein Interesse. Lass mich bitte bis zum Frühstück in Ruhe, ich muss nachdenken.«
»Dann denk mal schön nach«, sage ich und räume mein Weinglas weg. Seines nicht. Er wird es vermutlich für den Rest des Jahres dort stehenlassen, genau wie seine stinkenden Socken vorm Bett vergammeln würden. »Gute Nacht.«
»Gute Nacht«, antwortet er wütend, legt sich in voller Montur der Länge nach auf die Couch und schließt demonstrativ die Augen.