Neun

Ackermann hatte im Arnheimer Krankenhaus angerufen und erfahren, dass der Kammergerichtspräsident immer noch nicht vernehmungsfähig war. Also war er zur Burg gefahren, um dort beim Landgericht jemanden aufzutreiben, der ihm etwas über Lohmeier erzählen konnte, und ob er sich in seiner beruflichen Karriere möglicherweise Feinde gemacht hatte. Eine ganze Weile hatte er am Burgtor gestanden und auf die Spuren der Verwüstung gestarrt. Der größte Teil der Trümmer war inzwischen weggeräumt worden, aber an der hellgelben Wand waren noch die Feuer- und Blutspuren zu erkennen, und es lag immer noch ein beißend bitterer Geruch in der Luft. Gerade einmal drei Tage war es her, aber es kam ihm vor wie Wochen. Er konnte nicht abschalten, selbst im Schlaf fand er keine Ruhe, den anderen musste es genauso gehen.

Er war froh gewesen, dass er Knickrehm erwischt hatte, einen Richter, mit dem sie schon oft zusammengearbeitet hatten, der hilfsbereit und unkompliziert und einfach ein netter Mensch war. «Walter ist seit achtundzwanzig Jahren an der Burg», hatte er erzählt. «Bei uns heißt er nur ‹Papa Lohmeier›. Er hat einen recht eigenwilligen Humor, kann es überhaupt nicht leiden, wenn ein Angeklagter ihn verscheißern will. Ich weiß noch, vor ein paar Jahren, irgend so ein Junkie hat das Blaue vom Himmel gelogen, hat wohl gedacht, der Richter wäre nur ein netter Opi. Und Papa Lohmeier hat auch die ganze Zeit freundlich gelächelt. Aber bei der Urteilsverkündung hat er dann den inzwischen schon legendären Satz losgelassen: ‹Der Herr Staatsanwalt fordert zehn Jahre Haft, der Herr Rechtsanwalt acht, prima, da nehmen wir doch den Mittelwert: zwölf Jahre.›»

Da hatte Ackermann noch gelacht, aber als Knickrehm fortgefahren war, hatte seine Laune doch deutlich Schaden genommen. «Lohmeier macht bei uns die Drogensachen, hauptsächlich die richtig dicken Dinger. Unter denen, die er über die Jahre verknackt hat, gibt es bestimmt einige, die ihm die Pest an den Hals wünschen. Und ein paar von denen haben meiner Meinung nach durchaus das Kaliber, ein solches Massaker anzurichten, und auch die Möglichkeit, an Bomben zu kommen. Ich suche dir gern ein paar Akten heraus.»

Jetzt stand er hier, einen Packen Papier unter dem Arm, und war frustriert. Normalerweise arbeitete er im Betrugsdezernat, und er hatte schon so manchen Fisch an der Angel gehabt, kleine, aber auch ganz große. Mit einem anständigen Betrüger hatte er keine Probleme, aber mit Drogenleuten wollte er am liebsten nichts zu tun haben, nicht nur die Dealermafia kannte keine Grenzen, auch alle anderen, die mit dieser Szene zu tun hatten, würden jederzeit ihre eigene Oma verkaufen.

Langsam stakste er den Berg hinunter. Vor vierzehn Tagen hatte er in der Garage seine alten Holzclogs wiedergefunden – an die dreißig Jahre alt und immer noch wie neu! – und hatte seitdem keine anderen Schuhe mehr getragen. Seine Frau hatte nur den Kopf geschüttelt, und inzwischen ahnte er, warum. Er musste höllisch aufpassen, dass er sich auf dem feuchten Kopfsteinpflaster nicht die Knochen brach.

Jetzt war erst einmal Telefonieren angesagt, und das war nicht sein Ding. Es machte ihm nichts aus, zwölf Stunden ohne Pause durch die Gegend zu fahren und Leute zu befragen, aber vier, fünf Stunden am alten Zauberknochen, das war Folter! Aber es half ja nichts, er musste herausfinden, wer von den schweren Jungs aus diesem muffigen Stapel hier noch saß, wo die anderen, die schon draußen waren, steckten und welche Connections sie hatten.

Als er endlich bei seinem Auto ankam, schwitzte er.

Wer von diesen Ganoven konnte am Sonntag überhaupt in Kleve gewesen sein? Er ließ die Akten auf die Motorhaube fallen und blätterte – alle mit Foto. Wunderbar!

Die Narbe an seiner Schläfe ziepte. Vielleicht hätte er doch noch einmal Salbe und ein neues Pflaster drauftun sollen.

 

Toppe rollte langsam vom Klinikgelände und fädelte sich in den Verkehr ein. Er hatte mit mehreren von Hornungs Kollegen gesprochen, und alle hatten im Prinzip das Gleiche gesagt. Natürlich hatte Hornung über die Jahre Patienten entlassen, aber er war ein sehr erfahrener Therapeut gewesen, der niemals jemanden in die Freiheit geschickt hätte, der gefährlich gewesen wäre. Er hatte auch schon Leute ins Gefängnis zurückgeschickt, aber das waren Männer gewesen, die jegliche Therapie abgelehnt hatten, die den Knast einer Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Leben und ihrer Tat vorgezogen hatten. Warum sollten sie an Hornung Rache nehmen?

Trotzdem lagen jetzt drei Akten neben ihm auf dem Beifahrersitz. Bei dem einen Fall handelte es sich um einen Doppelmörder, der über zehn Jahre auf Hornungs Station gewesen war und in der ganzen Zeit keinerlei Veränderung gezeigt hatte. Hornung und sein damaliger Oberarzt waren zu dem Schluss gekommen, dass der Mann nach wie vor hochgradig gefährlich war, und hatten ein Gutachten erstellt, das die Rückführung in Haft und anschließende Sicherungsverwahrung empfahl. Nur kurze Zeit später war ein externer Gutachter zu einem völlig anderen Urteil gekommen, und der Täter war bedingt auf Bewährung entlassen worden. Der Mann lebte im Ruhrgebiet. Er hatte sowohl Hornung als auch den Arzt am Telefon zweimal mit dem Tod bedroht – vor vier Jahren.

Bei den beiden anderen Fällen ging es um Gewaltstraftäter, die zu dem Zeitpunkt, als sie zu Hornung in die Klinik kamen, noch unter das Jugendstrafrecht gefallen waren. Beide Fälle ähnelten in ihrem Verlauf dem ersten. Externe Gutachter waren Hornungs Empfehlungen nicht gefolgt, und die jungen Männer waren auf Bewährung freigekommen. Der letzte der beiden Fälle lag noch keine drei Monate zurück. Toppe spürte, wie sein Herz anfing zu stolpern – drei schnelle Schläge, eine Pause, wieder kurze Schläge, Blubbern, als strömte Sprudelwasser durch seine Herzgefäße. Er schaltete die Warnblinkanlage ein und fuhr an den Straßenrand, öffnete das Fenster und versuchte, ruhig und tief zu atmen. Er schlief einfach zu wenig.

 

Peter Cox schob die Akte beiseite, zog den Zettel mit der Handynummer aus der Hosentasche und wählte. Jemand antwortete, aber er verstand kein Wort.

«Penny?»

«Bist du das, Peter?»

«Ja, ich bin’s. Ich habe eben gehört, dass Helmut die letzte Teamsitzung für 19.30 Uhr angesetzt hat. Du bist doch dabei, oder?»

«Klar, ich weiß schon Bescheid.»

«Dann könnten wir wohl gegen zehn fertig sein, schätze ich.»

«Jaa …»

«Ich fände es schön, wenn wir hinterher zusammen sein könnten, bei mir, meine ich.»

«Das fände ich auch schön.»

«Eigentlich würde ich gern etwas für dich kochen, aber …»

«Hast du eine Fritteuse?»

«Ja, hab ich.»

«Wie sieht es aus mit Kartoffeln, Mehl, Eiern, Erbsen und Butter?»

«Kartoffeln und Mehl, ja, Eier und Butter auch, aber Erbsen … nein.»

«Das macht nichts. Ich bin gerade in einem Café. Gleich gegenüber ist ein Fischladen, der hat auch Gemüse. Pass auf, ich koche, und zwar Fish ’n Chips und Mushy Peas.»

«Und was?»

«Mushy Peas, eine Spezialität aus Yorkshire, Erbsenbrei.»

«Hört sich toll an …»

Sie lachte. «Ich freue mich schon.»

Vor dem Fischladen lief sie fast in einen Bekannten hinein.

«Oliver, du bist ja doch hier! Ich hab dich im Lager gar nicht gesehen.»

«Hi, Penny.» Er lächelte. «Tja, eigentlich wollte Chris mich mitnehmen, aber dann musste ich über Ostern arbeiten. Ich bin erst gestern angekommen.»

«Du hast mal hier gewohnt, nicht?»

«Ja», nickte er, «und jetzt besuche ich alte Freunde.» Er drückte ihr kurz die Schulter. «Man sieht sich. Spätestens beim Junicamp in der Commandery.»

Sie winkte ihm nach. «Kabeljau?», überlegte sie. «Oder doch lieber Rotbarsch?»

 

«Ich bin bis jetzt nur auf eine einzige brauchbare Spur gestoßen», berichtete Astrid, «und zwar die Kindesmisshandlung, die Toni 1998 angezeigt hat. Das Opfer war ein siebenjähriges Mädchen, Pia Heiligers. Die Sache ist tatsächlich vor Gericht gekommen. Verdächtig war der Stiefvater der Kleinen. Der Mann ist aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden. Er hat allerdings infolge des Verfahrens seinen Job verloren, und seine Frau hat sich von ihm scheiden lassen. Mit ihr habe ich heute Nachmittag gesprochen. Er sei aus Emmerich weggezogen, und sie sagt, sie hat keinen Kontakt mehr zu ihm. Ich habe ihn bis jetzt noch nicht ausfindig machen können.»

«Mir ist es ähnlich ergangen», sagte Bernie Schnittges und erzählte von dem orthopädischen Schuh. «Lahms Adresse stimmt nicht mehr. Er hat sein Haus verkauft. Aber mittlerweile weiß ich, dass er in der Kleiststraße wohnt. Ich will ihn mir gleich morgen früh vorknöpfen.»

«Und ich fahre morgen in Tonis Praxis», schloss Astrid, «und spreche mit seinem Partner. Vielleicht ist dort ja etwas vorgefallen.»

Für sechs Leute war Cox’ Büro viel zu klein, und die Luft war schnell verbraucht. Astrid stand auf und öffnete die Tür, außer ihnen war sowieso niemand mehr in diesem Stockwerk.

Penny Small, die auf einem Klappstuhl neben dem Aktenschrank saß, nickte dankbar und schaute dann Toppe an. «Chris Kingsleys Festplatte ist sauber, da sind sich meine Kollegen zu Hause mittlerweile ganz sicher. Sie wollen jetzt noch ein paar zwielichtige Typen überprüfen, mit denen Matthew zu tun gehabt haben könnte. Ich bekomme morgen im Laufe des Tages Bescheid.» Sie machte ein zerknirschtes Gesicht. «Es sieht so aus, als hätte ich ganz unnötig so viel Staub aufgewirbelt. Das tut mir wirklich leid.»

Toppe winkte lächelnd ab. «Sie haben ganz richtig gehandelt, und das wissen Sie auch.» Dann schaute er in seine Unterlagen. «Unsere beiden Krefelder Kolleginnen haben sich heute mit den drei Schwerverletzten unterhalten, die in den Krankenhäusern hier im Kreis untergebracht sind: Eva Hendricks, Marlies van Bentum und Sven Jäger, aber dabei ist nicht viel rumgekommen. Wir bekommen morgen die ausführlichen Berichte. Jetzt fehlt nur noch Jürgen Kolbe, er liegt mit Verbrennungen in einem Krankenhaus in Duisburg. Den wollen sich die beiden noch vornehmen.»

«Un’ ich hab mir ’n Marmeladenohr telefoniert», meldete sich Ackermann, der bisher ungewohnt still vor sich hin geschaut hatte, «für nix bis jetzt! Morgen mach’ ich mal wat anderes. Der Lohmeier is’ Witwer, aber er soll mit seiner Tochter zusammenwohnen, wie ich gehört hab. Mal gucken, wat die mir so zu sagen hat.» Er stöhnte. «Hört mal, Leute, mir is’ da noch ’ne Idee gekommen: Wir haben doch die ganzen Fotos. Wenn man sich ’n klein bissken Mühe gibt, müsst’ man eigentlich rauskriegen können, wie die Zuschauer alle heißen, ich mein, wer die waren.»

Bernie Schnittges lachte laut auf. «Wie soll das denn gehen? Du spinnst doch!»

«Nee, lass mal, dat hier is’ keine anonyme Großstadt, mein Jung’. Jeder hat doch da am Sonntag Bekannte gesehen, oder? Also, ich zumindest, ’ne ganze Menge sogar, un’ die haben doch auch wieder andere Bekannte gesehen … Un’ dann kann man dat alles mit den Fotos abgleichen. Un’ vielleicht bleiben irgendwann ’n paar übrig, die keiner kennt. Un’ dat is’ dann vielleicht einer von meinen Drogenjungs hier, von denen et schöne Fotos inne Akten gibt, oder vielleicht einer von Helmuts forensischen, wer weiß.»

Schnittges schüttelte den Kopf. «Dein ständiges Lob auf die Kleinstadt in Ehren, Jupp, aber bei an die fünfhundert Zuschauern – unmöglich!»

«Es wäre einen Versuch wert», sagte Toppe und nickte Ackermann zu.

Der freute sich. «Ich nehm mir ’n paar von der Streife dazu, die kennen doch auch genug Leute. Ihr werdet sehen, dat fluppt.»

«Soll ich die Fotos bei Norbert wieder abholen lassen?», fragte Cox.

«Ach wat, dat mach ich selbst, liegt ja quasi auf ’m Weg. Dann kann ich dem gleich meine Drogenfreaks auf ’t Auge drücken, wenn dat in Ordnung geht, Chef. Hat ja sonst nix zu tun, der arme Schloof.»

Cox stand auf. «Das Amateurvideo, ich habe es mir schon angeschaut, aber vier Augen sehen mehr als zwei.»

«Zwölf», gab Ackermann zu bedenken, «zwölf Augen.»

Doch Cox ignorierte ihn. «Kommt ihr mit runter in den Besprechungsraum, dann lasse ich es mal laufen.»

«Mann, is’ dat verwackelt», meinte Ackermann nach dem zweiten Durchlauf, «da wird einem beim Gucken ganz schlecht.»

«Stopp!», rief Astrid. «Spul mal ein Stück zurück … Stopp! Genau, da, der Mann am linken Bildrand …»

«Dat is’ Jäger, der Stadtmanager», erklärte Ackermann.

«Okay, der hat doch da was in der Hand, sieht nach einem Plastikbecher aus, oder?»

Wieder wusste Ackermann Bescheid. «Bier», sagte er. «Die Kneipe an der Schlossstraße hatte ’n Stand draußen, Halbliterbecher Kölsch. Hatt’ ich auch mit geliebäugelt, aber dann hab ich mir doch lieber ’n Eis gekauft.»

Astrid nickte. «Jetzt lass mal ein Stück vorlaufen, Peter. Geht das vielleicht in Standbildern?»

«Sicher.»

Man sah, wie Jäger zum Trinken ansetzte, dann aber von jemandem außerhalb des Bildes angerempelt wurde. Der Becher rutschte ihm aus den Händen und klatschte auf den Tribünenboden.

«Zwischen den Planken sind Ritzen», stellte Astrid fest. «Daran kann ich mich erinnern.»

«Du meinst … die drei Bomben, die nich’ hochgegangen sind», verstand Ackermann und lief zu der Schautafel, an der eine Skizze der Tribüne hing, auf der die Positionen der Sprengsätze eingezeichnet waren. «Scheint mir die richtige Stelle zu sein.»

«Na ja», fragte Cox skeptisch, «hätte ein halber Liter Bier gereicht, die Zünder so zu durchweichen, dass sie nicht mehr ausgelöst haben?»

«Ich weiß es nicht», antwortete Toppe und schaute auf die Uhr. «Heute erwischen wir keinen von den Sprengstoffexperten mehr.»

Astrid rieb sich die Schläfen. «Wenn es wirklich das Bier war, dann waren die Bomben vielleicht doch ordentlich gebaut, und der Attentäter ist möglicherweise doch kein Amateur.»

«Ach wat!» Ackermann schüttelte den Kopf. «’n Profi hätt’ so wat einkalkuliert un’ die Dinger schön wasserdicht verpackt. Et hätt’ doch schließlich auch regnen können.» Er schlüpfte in seine Jacke. «Ich mach mich dann mal vom Acker, wenn et recht is’. Muss ja auch noch bei Norbert vorbei.»

Auch die anderen suchten ihre Sachen zusammen.

Penny drückte Cox ihren Sturzhelm in die Hand. «Ich muss schnell nochmal an den Kühlschrank in der Teeküche.» Sie lachte, als sie Peters verdutztes Gesicht sah. «Der Fisch», erklärte sie. «Warte auf mich, ich bin gleich wieder da.»

«So, so», sagte Astrid und musterte Cox neugierig. Toppe legte ihr schmunzelnd den Arm um die Schultern und zog sie mit sich hinaus. «Dann wollen wir mal nicht weiter stören.»

«Ähem», hielt Cox sie zurück, «wie geht es euch eigentlich so?»

Astrid drehte sich um. «Wie meinst du das?», fragte sie irritiert.

«Ich weiß nicht genau. Ich finde, Helmut sieht schlecht aus, den ganzen Tag schon.»

«Mir geht es gut», winkte Toppe schnell ab. «Ich schlafe nur nicht besonders gut, aber das geht uns wahrscheinlich allen so.»

Astrid schaute ihn besorgt an. «Peter hat recht, du bist ganz grau im Gesicht.»

«In meinem Alter braucht man halt seinen Schönheitsschlaf.» Er küsste sie.

Sie machte sich von ihm los. «Wenn wir zu Hause sind, koche ich dir Fencheltee, der soll beruhigend wirken.»

«Igitt!» Toppe schüttelte sich. «Glühwein oder Grog wäre mir lieber.»

 

Sie hatten sich geliebt, ein wenig geschlafen und sich wieder geliebt. Sie hatten gelacht, als sie sich beide ein bisschen geschämt hatten, weil sie nach Fisch schmeckten, und sie waren traurig und still geworden, als es Zeit war, zur Arbeit zu gehen. Und jeder einzelne Moment miteinander hatte sich gut und richtig angefühlt. Sie waren früh aufgebrochen – zuerst zu Pennys Hotel gefahren, damit sie sich frische Sachen anziehen konnte –, und als sie im Präsidium ankamen, waren sie die Ersten. Cox nahm sie mit hoch in sein Büro, zog sie auf seinen Schoß, hielt sie in den Armen, und sie vergrub ihr Gesicht an seinem Hals. Schließlich küsste sie ihn. «Und wenn ihr den Fall abgeschlossen habt, kommst du.»

«Ich nehme den ersten Flieger nach Birmingham. Und du findest heraus …»

«… ob ich in Deutschland arbeiten kann. Sobald ich zu Hause bin.»

Die Tür flog auf, und Ackermann polterte herein. «Au verdammich, junges Glück, un’ dat werd ich jetzt erst gewahr! Tut mir echt leid, aber die warten alle auf euch, die Teamsitzung läuft schon.»

Sie hatten keine Eile, sich voneinander zu lösen.

Ackermann legte den Kopf schief und lächelte versonnen. «Also, ihr zwei, dat passt irgendwie … dat passt sogar richtig gut.»

 

Das Schwein saß da und fraß sein Frühstück. Saß da am Fenster, las Zeitung und grinste.

Ihm stülpte sich der Magen um, und er legte das Fernglas weg. Die Narben an seinen Armen brannten wie Feuer.

 

«Die Schulkonferenz hat entschieden, beide Jungen am Institut zu behalten, unter großem Vorbehalt selbstverständlich.»

Die ölige Stimme des Direx, und sein Alter sitzt da mit zusammengekniffenen Arschbacken und starrt nadeldünne Löcher in die Wand.

Hinter dem Direx steht das Schwein und grinst. «Ich bin gern bereit, die beiden ein bisschen unter meine Fittiche zu nehmen.»

Und grinst.

Thorsten heult Rotz und Wasser, lässt sich von seiner Mutter halten, schaut ihn nicht an. Schaut seitdem keinen mehr an.

«Weitere Disziplinarmaßnahmen überlasse ich Ihnen als Eltern.»

Sein Alter steht auf und geht, sagt kein Wort.

Das Schwein grinst.

 

Er musste sich einen Leihwagen besorgen, sein eigener fiel zu sehr auf.

Wenn er ein Auto hatte, konnte er rund um die Uhr an ihm dranbleiben, jede Minute.

Warten, bis es so weit war.

 

Der Anruf aus England kam, als die Teambesprechung gerade zu Ende war: Gegen Matthew Hendry lag nicht das Geringste vor. Toppe nahm Penny mit in sein Chefbüro und schickte nach Matthew.

Sie sah unglücklich aus. «Ich habe John versprochen, dass ich den Jungen sicher nach Hause bringe, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er freiwillig zu mir aufs Motorrad steigt. Er ist nicht gerade gut auf mich zu sprechen.»

«Das wird schon», sagte Toppe und bot ihr eine Zigarette an. «Ich habe bei den Kollegen von der Motorradstaffel einen Helm und einen Schutzanzug für ihn besorgt. Sie wollen die Sachen allerdings bald zurückhaben, da sind sie ein bisschen eigen.»

Penny nickte. «Das kann ich gut verstehen. Ich schicke sie gleich morgen zurück. Danke übrigens, das ist wirklich nett von Ihnen.»

Matthew trug immer noch sein zerschlissenes Kostüm, und er stank wie ein Puma.

Penny sprang vom Stuhl und baute sich vor ihm auf. «Verdammt nochmal, du Ferkel! Ich habe dir doch die Tasche mit deinen Sachen gebracht, und Duschen gibt es hier auch.»

«Shut up, you dirty little bitch!»

Ehe Toppe reagieren konnte, hatte Penny dem Jungen mitten ins Gesicht geschlagen. «Keiner nennt mich eine Hure!»

Matthew hielt sich die Wange und wich einen Schritt zurück. «Am liebsten würde ich diesen Nazistall hier auseinandernehmen.»

Toppe spürte, wie ihm auf einmal kalt wurde. «Ich schlage vor, Sie halten sofort den Mund», sagte er leise, «dann könnte ich so tun, als hätte ich Sie nicht verstanden.»

Matthew wurde blass, und als Penny ihm etwas zuzischte, senkte er den Kopf.

«Wo ist deine Tasche?»

«Auf dem Flur.»

«Na schön», seufzte sie und lächelte Toppe an. «Ich nehme ihn mit ins Hotel, dort kann er duschen und sich umziehen. Und dann sollten wir uns auf den Heimweg machen.»

«Die Motorradkleidung liegt unten auf der Wache. Soll ich einen Platz für Sie auf der Fähre buchen?»

«Nicht nötig, mit dem Motorrad kommt man immer noch irgendwie mit. Außerdem ist es billiger, wenn man das Ticket vor Ort löst.» Sie streckte Toppe die Hand hin. «Ich denke, wir sehen uns wieder.»

«Das hoffe ich sehr.»

Dann knuffte sie Matthew mit dem Ellbogen. «Get organized, pikeman! Ich möchte mich noch von jemandem verabschieden.»