Acht
Astrid war noch schnell nach Hause gefahren, um die Sachen für Katharinas Ausflug an die Nordsee zusammenzusuchen, aber als sie ankam, hatten Sofia und Arend die Reisetasche und den kleinen roten Rucksack für Bücher und Spiele längst gepackt und waren schon fast auf dem Weg zu Steendijks, um ihr Ferienkind abzuholen.
Am Morgen hatte sie mit ihrer Tochter telefoniert, und Katharina war ganz begeistert gewesen über den Segeltörn. Astrid wusste, dass sie es dabei hätte bewenden lassen sollen. Aber dann war sie doch mit zum Haus ihrer Eltern gefahren, um Katharina noch einmal in die Arme zu nehmen und ihr nachzuwinken. Und natürlich hatte es dicke Abschiedstränen gegeben, und natürlich hatte sie sich wieder einmal schuldig gefühlt.
Jetzt saß sie im Auto auf dem Krankenhausparkplatz und versuchte, sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren. In diesem trostlosen Bau aus den frühen Sechzigern hatte es Toni also über zwanzig Jahre lang ausgehalten. Astrid schlüpfte an einer quälend langsamen Frau mit einem Gehwägelchen vorbei durch die Tür und blieb am Glaskasten des Pförtners stehen. Der Mann saß mit dem Rücken zu ihr und telefonierte. Sie wartete ein paar Sekunden, aber als er keine Anstalten machte, sich umzudrehen, klopfte sie gegen die Scheibe.
Widerstrebend legte er den Hörer aus der Hand und schob das Fenster auf.
«Wie kann ich Ihnen helfen?» Katzenfreundlich nannte man das wohl.
«Wo finde ich den Chefarzt der Chirurgischen Abteilung?»
«Der steht sicher noch im OP», antwortete er und schloss das Fenster.
«Augenblick!» Astrid hielt ihren Dienstausweis hoch. «Kripo Kleve.»
Der Blick des Pförtners wurde matt. Er schnarrte irgendetwas ins Telefon, ballerte den Hörer auf die Gabel und machte das Fenster wieder auf. «Und?»
«Ich möchte mit jemandem sprechen, der mit Dr. Pannier zusammengearbeitet hat.»
«Mit wem?»
«Dr. Anton Pannier.»
«Nie gehört.»
Astrid kam die Galle hoch. «Ich bitte Sie, er hat über zwanzig Jahre in dieser Klinik gearbeitet!»
«Als was?»
«Als Oberarzt in der Chirurgie.»
Der Mann kratzte sich hinter dem Ohr, und ein Wölkchen fettiger Schuppen ließ sich auf seinem Kragen nieder. «Wann soll das denn gewesen sein?»
«Er hat sich vor ungefähr vier Jahren niedergelassen, bis 2002 also.»
«Das erklärt’s!» Sollte das ein Lächeln sein? «War vor meiner Zeit. Am besten, Sie gehen rauf in die Ambulanz und fragen da mal.»
Im Ambulanzflur herrschte Hochbetrieb, die meisten Patienten hatten keinen Sitzplatz. «Mittwoch», dachte Astrid, da hatten die Praxen nachmittags geschlossen.
Sie trat einem jungen Arzt in den Weg, der, den Blick fest auf den Boden geheftet, an ihr vorbeiklotschen wollte. «Ich kenne nicht», stieß er verwirrt hervor, nachdem er kurz zugehört hatte, und hastete weiter.
Die Schwester in der Glaskanzel lächelte verbindlich, als sie Astrids Ausweis sah, konnte aber auch nur die Achseln zucken. Es war die Sekretärin des Chefarztes, die ihr schließlich weiterhalf. Ihr Büro war eine Art Durchgangslager – durch die offene Tür zum großen Ambulanzraum kamen Ärzte und Pfleger herein, legten irgendwelche Papiere ab, nahmen andere Papiere mit hinaus, sprachen im Gehen in Diktaphone – aber das schien der Frau nichts auszumachen. Sie war irgendwo in den Dreißigern und, wie Astrids Oma es ausgedrückt hätte, ein bisschen verwachsen. Aber sie versteckte sich nicht, ihr goldblondes Lockengewirr erinnerte an die amerikanischen Fernsehstars der siebziger Jahre, und auch mit Lippenstift hatte sie nicht gegeizt.
«Dr. Pannier habe ich nur noch kurz kennengelernt. Ein Netter war das. Ich habe im November hier angefangen, und er ist, glaube ich, Ende Dezember gegangen. Mein Chef müsste sich noch an ihn erinnern, der ist schon seit fast fünf Jahren da, aber sonst …» Nachdenklich tippte sie sich mit dem Fingernagel gegen die Schneidezähne. «Nein, die Leute aus der Zeit sind alle nicht mehr hier. Der zweite Oberarzt ist kurz nach Pannier auch gegangen, nach Holland. Einer von den Assistenten ist in Norwegen, und der andere macht irgendetwas mit Computern an Krankenhäusern im Osten. Wir haben jetzt lauter neue Ärzte, die meisten aus dem Ausland.» Sie hielt kurz inne, Astrid konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten.
«Na ja, die bleiben nicht lange, auch die deutschen nicht. Kriegen ja alle nur noch Zeitverträge. Und mit den paar Kröten, die du als Arzt für diesen Job hier bekommst», wurde sie auf einmal lauter, «kannst du nicht einmal kleine Sprünge machen, selbst wenn du zusätzlich dreizehn Nachtdienste im Monat schiebst. Ich mit meiner popeligen Ausbildung und meiner geregelten Arbeitszeit verdiene ja schon mehr als ein Assistent im dritten Jahr, und ich muss keine Familie ernähren. Könnte ich auch gar nicht, wenn ich nur 1800 Euro im Monat hätte. Wie denn?» Sie schlug die Hand vor den Mund. «Meine Güte! Bitte, entschuldigen Sie, aber … mein Freund ist Arzt am Krankenhaus in Bocholt, und eigentlich wollen wir Kinder …»
«Ich verstehe schon», sagte Astrid und suchte nach einer Überleitung, aber die Frau kam ihr zuvor. «Es geht um das Bombenattentat, oder? Haben wir im Fernsehen gesehen, und es stand ja auch in der Zeitung, dass Dr. Pannier dabei umgekommen ist. Ich dachte gerade, wenn jemand hier noch etwas über ihn weiß, dann vielleicht … Wir haben eine Ambulanzschwester, die schon seit dreißig Jahren an der Klinik ist.»
«Aber bestimmt nicht freiwillig», ließ sich eine raue Stimme von der Ambulanz her vernehmen. Am Türrahmen lehnte eine dünne Frau von Ende fünfzig, mausfarbenes Haar, lebhafte blaue Augen, über der Schwesterntracht eine ausgeleierte blaue Strickjacke, aus deren Taschen sie jetzt Zigaretten und Feuerzeug holte. Sie zündete sich eine an und inhalierte genüsslich mit zurückgelegtem Kopf. «Aah! Schwester Lissy», stellte sie sich vor, «das Phantom der Ambulanz. Als ich hier anfing, hat man noch Angelernte eingestellt – Schwesternmangel –, und das waren, weiß Gott, nicht die Schlechtesten. Ich habe nie ein Examen gemacht, deshalb bin ich noch hier, ich kann ja gar nicht wechseln. Sie sind von der Kripo?»
Astrid zog erstaunt die Augenbrauen hoch, und Lissy lachte. «Hier haben die Wände Ohren, Frau Kommissar. Also gut, wenn Sie etwas über Toni Pannier wissen wollen, dann kommen Sie mit.» Sie stieß sich vom Türrahmen ab und drehte sich um. «Ich mache Pause!»
«Bist du bescheuert?», schimpfte ein Mann zurück. «Du siehst doch, was heute los ist!»
«Bin im Gipsraum», rief sie nur und winkte Astrid, ihr zu folgen.
Der Gipsraum war ein schmales Zimmer mit einem kleinen Fenster, Metallschränken, von denen der Lack abblätterte, und träge summenden Neonleuchten.
Lissy schob Astrid einen Metallhocker hin, holte eine Nierenschale von der Fensterbank, in der sie die Asche abstreifte, und setzte sich auf die Untersuchungsliege, deren schwarzer Kunstlederbezug spröde und rissig war.
«Toni», sagte sie, bevor Astrid irgendetwas fragen konnte, «war ein Doktor vom alten Schlag, Arzt mit Leib und Seele. Für ihn stand der Patient immer an erster Stelle. Aber für solche Leute ist heute kein Platz mehr, ist ja alles kaputtverwaltet worden. Ohne Not wäre Toni niemals gegangen, und damit meine ich nicht Geld, sondern wie sich alles so schlimm verändert hat.» Sie drückte die Zigarette in der Nierenschale aus und zündete sich gleich eine neue an. «Was soll’s? Das kann man sowieso keinem erklären, der nicht drinsteckt. Und Toni –» Da war eine Menge Trauer in ihren Augen.
Astrid räusperte sich. «Ich habe ihn auch ganz gut gekannt, seine ganze Familie …»
«Und Sie glauben, dass die Bombe Toni gegolten hat?», fragte Lissy unvermittelt.
«Wir können es zumindest nicht ausschließen», antwortete Astrid. «Möglicherweise hat sich ein Patient an ihm rächen wollen. Wissen Sie, ob Toni irgendwann einmal Probleme mit Patienten hatte?»
Lissy fegte ein paar Ascheflocken von ihrer Strickjacke. «Sie meinen, ob jemand Toni wegen eines Kunstfehlers angezeigt hat?» Sie lachte kurz auf. «Nein! Aber es gibt natürlich immer unzufriedene Patienten. Wissen Sie, viele Leute glauben, die Chirurgie ist so etwas wie eine Reparaturwerkstatt. Wenn was kaputt ist, baust du einfach ein Ersatzteil ein, und fertig ist die Laube, alles wieder genau so wie vorher. Das kann natürlich nicht immer so sein, schließlich geht es um den menschlichen Körper und nicht um eine seelenlose Maschine.»
«Das ist mir schon klar», sagte Astrid. «Aber gab es konkrete Probleme?»
Lissy hörte ihr nicht zu. «Toni ist ja auch jahrelang Notarztwagen gefahren», sagte sie nachdenklich, «und da gibt es auch immer mal wieder Angehörige, die finden, der Doktor hätte nicht lange genug reanimiert, aber das trifft ja auf jeden Notarzt zu. Toni hatte allerdings eine Marotte: Er hat schon mal gern die Kripo gerufen, wenn die Todesursache unklar war.»
«Bei einem Notarzteinsatz?»
«Ja, genau. Ich kann mich an zwei Fälle erinnern, weil hinterher die Angehörigen hier aufgekreuzt sind und Rabatz gemacht haben. Einmal ging es um eine alte Oma, die angeblich in der Badewanne ausgerutscht war, wo die Verletzungen aber eher so aussahen, als wäre sie gestoßen worden. Und das andere Mal ging es um einen Mann, der sich aus Versehen in der Sauna eingeschlossen haben sollte und da drin erstickt oder verkocht war.»
«Wie lange ist das her?»
«Mindestens fünfzehn, sechzehn Jahre. Ich weiß allerdings nicht, ob die Polizei damals etwas unternommen hat.»
«Das lässt sich herausfinden, wenn wir ein ungefähres Datum haben. Können Sie sich an Namen erinnern?»
«Da müsste ich nachdenken … Aber es gab noch etwas. Es hat tatsächlich einmal Ärger gegeben, mit Anwalt und allem, ist noch gar nicht so lange her, 98, 99, vielleicht. Es ging um ein kleines Mädchen, das sich den Arm gebrochen hatte, angeblich die Treppe runtergefallen, aber für Toni sah das Ganze nach Kindesmisshandlung aus. Ich glaube, er hat sogar vor Gericht aussagen müssen. Den Namen von dem Kind weiß ich noch gut – Pia Heiligers –, war so eine Verhuschte, sechs oder sieben Jahre alt.»
Penny Small stand auf der Brücke und schaute einem Schwanenpaar zu, das hochmütig durch das ruhige Wasser des Kanals glitt. Sie war im Büro des Stadtmarketings gewesen und hatte sich danach ein Zimmer in einem kleinen Hotel besorgt. Ihr Zelt war mit der Militia auf dem Rückweg nach England, und sie brauchte schließlich ein Dach über dem Kopf, bis Matthew freikam. Heute Morgen hatte sie noch einmal mit ihm gesprochen, und sie konnte sich nicht mehr vorstellen, dass er tatsächlich der Bombenleger war. Sie schaute hoch zum freundlichen Gesicht des Schwanenturms und schulterte ihren Rucksack. Die meisten ihrer Sachen hatte sie mit zurück nach England geschickt und nur das Notwendigste behalten. Wenn sie noch länger blieb, musste sie neue Kleidung kaufen. Und sie würde gern noch bleiben. In der Fußgängerzone waren trotz des kalten Nieselregens eine Menge Leute unterwegs. Sie würde irgendwo eine Tasse Tee trinken und dann zum Präsidium zurückschlendern; ihr Boss erwartete ihren Anruf pünktlich um drei Uhr Ortszeit.
Sie mochte diese Stadt, mochte ihr Tempo, nicht zu hektisch, aber auch nicht zu gemächlich, ganz ähnlich wie in Worcester eigentlich. Sie hatte noch nie darüber nachgedacht, nach Deutschland zu gehen, aber jetzt …
Bernie Schnittges war für seine grenzenlose Geduld bekannt, und heute kam ihm diese Tugend wieder einmal zugute. Der orthopädische Schuhmacher gehörte zu den besonders hilfsbereiten Mitmenschen.
«Na, dann wollen wir mal schauen», meinte er munter, nahm den Schuh in die Hand und betrachtete ihn von allen Seiten. «Hat der was mit dem Blutbad an der Burg zu tun?» Flinke Mäuseaugen.
«Das tut eigentlich nichts zur Sache», brummelte Bernie.
«Auch wieder wahr. Also, ich würde sagen, der Träger dieses Schuhs hat eine Fehlstellung nach einer distalen Unterschenkelfraktur. Und zwar ist der Bruch in einer Valgus-Fehlstellung verheilt.» Er blinzelte Schnittges über seine Lesebrille hinweg an. «X-Bein, Sie verstehen? Das kann man an der Außenranderhöhung sehen.»
«Ach so.»
«Des Weiteren scheint als Unfallfolge eine Beinverkürzung vorzuliegen, denn wir haben hier eine Schuherhöhung von, warten Sie mal …» Er holte ein Maßband unter der Theke hervor. «Genau 1,2 Zentimetern. Und sehen Sie sich den Schuh genau an, sehr hoch, ziemlich plump, meinen Sie nicht?»
«Doch, doch.»
«Das kann eigentlich nur bedeuten, dass eine Schwellneigung vorliegt. Also, ich würde sagen, außer dem Unterschenkelbruch lag auch noch eine Fußfraktur vor, die zu einer leichten Klumpfußbildung geführt hat.»
«Beeindruckend», sagte Schnittges, «das ist ja wirklich eine Wissenschaft für sich.»
«Was haben Sie denn gedacht?», gab der Schuhmacher schnippisch zurück.
«Mir gefällt das, wenn ein Mensch so viel von seinem Handwerk versteht. Sie würden sich wundern, wie selten man heutzutage so etwas noch findet. Sie haben doch bestimmt eine Kundenkartei.»
«Selbstverständlich, was denken Sie?»
«Dann können Sie doch sicher herausfinden, für welchen Kunden Sie diesen Schuh angefertigt haben.»
«Ich?» Der Mann war sichtlich beleidigt. «Aber dieses Ding hier habe doch nicht ich angefertigt!»
Bernie spürte, wie sein Nacken zu kribbeln begann.
«Die Handschrift ist allerdings eindeutig.» Der Schuhmacher lachte tonlos. «Ich kann Ihnen genau sagen, wer so was hier zusammenschustert.»
Er gab ihm Namen und Adresse.
Der Besitzer des Schuhs hieß sinnigerweise Lahm, Herbert Lahm. Der zweite orthopädische Schuhmacher hatte ihn ganz schnell in seiner Kartei gefunden. «Ist schon länger Kunde bei mir. Dr. Pannier hat immer das Rezept ausgestellt.»
«Dr. Anton Pannier?» Schnittges traute seinen Ohren nicht.
«Richtig.»
«Haben Sie die Adresse von diesem Lahm?»
«Klar, hier, schreiben Sie sich’s auf.»
«Alles in Ordnung?», rief Norbert van Appeldorn, als er Ulli im Bad stöhnen hörte.
«Ja doch, Herrgott nochmal! Kümmere du dich um deine Fotos.» Sie lugte um die Ecke. «Ich habe nur meine Füße gesehen. Alles voll Wasser. Guck sie dir doch nur mal an, das sind doch Klumpfüße! Die werden nie mehr wieder. Und ich war tatsächlich mal zierlich. Wahrscheinlich kannst du dich daran gar nicht mehr erinnern. Würde mich nicht wundern, so wie ich aussehe. Ich fühle mich wie ein gestrandeter Wal. Ach was, das trifft es noch nicht mal, viel schlimmer.»
Van Appeldorn lächelte. «Es dauert ja nicht mehr lange.»
«Du hast gut reden! Jede Minute ist zu viel.» Sie klapste sich auf den Bauch. «Mach endlich voran, Paul, komm raus!»
«‹Paul›? Ich dachte, wir wären bei ‹Jakob› gelandet.»
«Nein, überhaupt nicht, wie kommst du darauf? Habe ich dir das nicht gesagt? ‹Paul›! Oder eventuell auch ‹Willi›.»
Van Appeldorn suchte nach Worten.
«Guck nicht so, ‹Willi› war nur ein Witz.»
«‹Paul› auch?»
«Nein, ‹Paul› nicht.» Ulli plumpste aufs Sofa und legte die Füße auf die Lehne. «Eigentlich habe ich Hunger.»
Van Appeldorn schaute auf die Uhr – es waren noch drei Stunden bis zu ihrer normalen Abendbrotzeit. «Ich kann uns was machen. Worauf hast du Lust? Oder soll ich uns etwas holen?»
«Um Himmels willen, wenn ich jetzt etwas esse, kriege ich nur Sodbrennen. Außerdem muss ich schon wieder pinkeln.» Sie kicherte. «Bin ich nicht schrecklich? Das totale Klischee. Beachte mich einfach gar nicht. Es ist schon schlimm genug, dass Helmut dich als Stallwache abgestellt hat. Dabei komme ich mir so was von blöd vor. Von dir vermutlich ganz zu schweigen.»
«Ich habe mich nicht beklagt.»
«Musst du auch gar nicht. Also, ackere dich durch deine Fotos, ich schlafe ein bisschen.»
Er hatte sich mittlerweile durch gut die Hälfte der Fotos gearbeitet und bisher niemanden entdeckt, der so aussah, als würde er eine Bombe zünden – ganz besonders nicht in dem Stapel der «zeitnahen» Bilder, den er zur Seite gelegt hatte.
Er zog ein Blatt Papier heran. Während er sich die Fotos anschaute, musste er feststellen, dass er viele der abgebildeten Leute kannte, zumindest dem Namen nach. Offenbar waren die Zuschauer am Sonntag zum größten Teil Einheimische gewesen. Es konnte nicht schaden, sich deren Namen zu notieren.
«Schlafen kann ich auch nicht!» Ulli setzte sich abrupt auf. «Sollen wir nicht endlich das Mobile über der Wiege aufhängen?»
Van Appeldorn stand auf, setzte sich neben sie auf die Sofakante und fing an, ihr den Rücken zu massieren. Sie stöhnte und rollte die Schultern.
«Wenn du dich inzwischen entschieden hast, welches von den dreien, die wir gekauft haben, es denn nun sein soll, gern.»
«Die sind eben alle so süß.» Sie setzte die Füße auf den Boden. «Ich glaube, ich packe jetzt besser mal meinen Koffer für das Krankenhaus.»
«Der ist schon seit vier Wochen gepackt.»
«Das weiß ich selbst. Ich dachte nur, vielleicht will ich doch den anderen Strampler mitnehmen, den gelben, der ist neutraler.»
«Was spricht gegen Blau? Wir wissen doch, dass es ein Junge wird.»
«Auch Ärzte können sich irren. Außerdem ist Blau so was von klassisch, da wird einem ja ganz übel. Warum nicht Rosa? Schon extra!»
«Wir haben nichts in Rosa.»
«Schlimm genug!»
Sie stand auf und umarmte ihn. «Hör einfach nicht auf mich, ich bin nicht mehr normal. Dieses Wesen hier hat mit mir nichts zu tun. Ich liebe dich, weißt du?»
«Das weiß ich.»
«Ach, ich glaube, ich mache mir einen heißen Rotwein mit Nelken und viel Zucker. Das hat bei meiner Oma immer die Wehen in Gang gebracht. Und du setzt dich wieder an deine Arbeit.»
«In Ordnung.»