|161|Die Amazonen von heute

Das Bild, das wir heute von den Amazonen haben, ist eine Collage aus den drei verschiedenen Amazonentypen, die bisher vorgestellt wurden.

Die antiken Amazonen: Sie sind das älteste Beispiel für Frauen, die selbstbewusst gegen eine Männerwelt revoltieren und letzten Endes an der Radikalität ihres eigenen Anspruchs tragisch scheitern.

Die fernen Amazonen: Ihre Mütter sind die geheimnisvollen südamerikanischen Amazonen, deren Selbstständigkeit auf größtmöglicher Isolation ihrer Gemeinschaft beruht. Da diese Frauen den Männern fern bleiben, werden Konflikte und tragische Konstellationen weitgehend vermieden.

Die leibhaftigen Amazonen: Als Kriegerinnen von Dahomey sind sie die ersten sinnlich wahrnehmbaren Amazonen und deshalb weniger rätselhaft als die anderen beiden Typen. Sie repräsentieren vielmehr das erotische Moment, das von Frauen ausgeht, die Männern im Kampf gleichwertig oder überlegen sind.

Abhängig von gesellschaftlichen Entwicklungen, Moden und individuellen Sehnsüchten oder Ängsten wandelt sich das Bild der Amazone, sodass immer wieder ein anderer Typus Modell |162|steht für das Bild, das man sich von den freien, kriegerischen Frauen macht.

Wie und wann solche Bilder auftauchen, sich eine Weile behaupten, dann verblassen und übermalt werden, das soll ein Blick ins 20. und 21. Jahrhundert zeigen, wo alle drei Amazonentypen so lebhaft zitiert werden, als wären sie mitten unter uns.

Die leibhaftigen Amazonen, die an die afrikanischen Kriegerinnen erinnern, tauchen als körperlich starke, begehrenswerte Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem in der Science Fiction und Fantasy auf.

„Wonder Woman“ war neben Batman und Superman über drei Jahrzehnte lang der Star von DC Comics, einem der größten US-amerikanischen Comicverlage. Von ihrer Mutter Hippolyte aus Ton geschaffen, wurde sie von den griechischen Göttern belebt und mit übermenschlicher Stärke, Schnelligkeit und der Fähigkeit zu fliegen beschenkt. Ihre Aufgabe war es, als Botschafterin des Weltfriedens den militant aggressiven Ares zu bekämpfen. Gleichzeitig erfüllte sie, wie ihr Schöpfer Marston freimütig zugab, die weniger friedlichen unbewussten männlichen Wünsche, von einer Frau gebunden und gezähmt zu werden. Das wiederum konnte laut Marston „ohne ein starkes erotisches Element unmöglich erfreulich sein“.

Abgesehen von Wonder Woman war schon in der frühen Science Fiction „die Amazonenkönigin“ ein Stereotyp in der Darstellung weiblicher Charaktere. Ihre Funktion reduzierte sich darauf, durch ihre außergewöhnlichen körperlichen Fähigkeiten die Potenz des männlichen Helden herauszustellen, von dem sie besiegt wurde. Meist waren die Amazonenkönigin und das von ihr geführte Frauenvolk in einem unerforschten Gebiet der Erde oder auf einem anderen Planeten zu Hause, wie zum Beispiel in der Perry-Rhodan-Serie „Die letzten Tage der Amazonen“ auf dem Planeten Diane im System Emanzopa.

Auch das Kino nutzte die Powerfrau für seinen Zweck, ein Massenpublikum anzusprechen. Kinofilme über Amazonen waren zwischen |163|den 1940er und 1960er Jahren nahezu Genre bildend: Tarzan und die Amazonen, Queen of the Amazons, Herkules und die Königin der Amazonen, Amazons of Rome, Lana – Königin der Amazonen. So oder ähnlich hießen die B-Movies über den Geschlechterkrieg zwischen starken Frauen und noch stärkeren Männern.

Sogar Leni Riefenstahl, die wegen ihrer Nähe zu Hitler und auch ihrem eigenwilligen Kunstbegriff umstritten ist, plante schon lange, einen Film über Penthesilea in die deutschen Kinos zu bringen, in dem sie gleichzeitig Regie führen und die Hauptrolle spielen wollte. 1939 ließ sie ein ganzes Heer junger deutscher Sportlerinnen am Bogen und auf dem Pferd ausbilden, sie selbst lernte das Reiten ohne Sattel. Als Drehorte waren die Dünen von Sylt und die libysche Küste vorgesehen, wo Marshall Balbo, der Gouverneur der italienischen Kolonie Libyen, bereits tausend Araberschimmel für den Film organisiert hatte. Alle Vorbereitungen deuteten auf eine grandiose Inszenierung hin, bis der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs dem Projekt ein vorzeitiges Ende setzte.

Dieser Film hätte die nackte Erotik, die im Zentrum aller sonstigen Amazonenfilme steht, sicherlich im großen Stil ästhetisiert. Aber er wäre ebenso wahrscheinlich am Einspruch Hitlers gescheitert, der die deutsche Frau lieber am heimischen Herd als an den Waffen sah. „Flintenweiber“ hießen in der Sprache der Nazis die Amazonen des Ostens, die niemals Zutritt zum Kino, der deutschen Propagandamaschine, gehabt hätten.

In der jüngsten Vergangenheit gab es noch zwei Filme, in denen Amazonen eine wesentliche Rolle spielten. Der Regisseur Werner Herzog hat mit „Cobra Verde“ den Amazonen von Dahomey ein Denkmal gesetzt. James Bond bescherte ihnen in „Octopussy“ ein Happy End.

Doch im Vergleich zu ihrem massenhaften Auftreten in den 1940er und 1960er Jahren sind die leibhaftigen, sinnlichen Amazonen von der Leinwand so gut wie verschwunden. In dem Maß, |164|wie die Waffen im Geschlechterkrieg feiner, schärfer und kälter wurden, gingen auch sie auf Distanz. Körperkontakt mit dem Feind, der oft einem Vorspiel glich, war nicht mehr populär, kühle Blicke ließen die attraktiven Amazonenkörper unangreifbar werden.

Das Bild der fernen Amazonen, das die südamerikanischen erstmals repräsentiert hatten, schob sich über das der leibhaftigen und verlangte auch nach einem anderen Medium der Darstellung. Die Fotografie als gebannter Blick eignete sich dafür viel besser als der lebensnahe Film.

Die fotografischen Arbeiten von Man Ray, Robert Mapplethorpe und Helmut Newton deuten weibliche Schönheit als ferne erotische Macht. Newtons bekannte Serie der „Big Nudes“, die explizit als „Amazonen“ vorgestellt werden, führt Hyperfrauen vor, die ihren perfekten Körper interesselos dem Objektiv präsentieren und den Blick der Männer herausfordern, ohne ihn zu erwidern. Makellose, zu Kunstwerken erstarrte Körper, die nicht berührt werden dürfen.

„Amazon-women“ nennen sich heute noch amerikanische Bodybuilderinnen, die ihren Körper zum Kunstwerk umformen. Mit der Weltmeisterin Lisa Lyon arbeitete der Fotograf Robert Mapplethorpe in den 1980er Jahren zusammen und bildete die Bodybuilderin mit Pfeil und Bogen sowie nackter Brust als Amazone ab. Die Fotos zeigen eine schlanke, starke, schöne Frau, die ihre Weiblichkeit bewusst in Szene setzt.

Wie ist diese Pose zu lesen? Das Foto sagt, dass diese Amazone ihren Körper nicht etwa trainiert, um Männern ähnlich zu sein oder ihnen zu gefallen. Ihr Blick sucht ein anderes Ziel als den Betrachter. Sie konzentriert sich auf die Flugbahn des Pfeils, der starke Armmuskeln braucht, um weit zu fliegen und sein Ziel zu erreichen.

Wer das narzisstische Spiel zwischen Bodybuilderin, Fotograf und Betrachter zu Ende denken mag, wird zu dem Schluss kommen, |165|dass Lisa Lyons perfekter Körper der Weg und das Ziel in einem ist.

Mischen sich in ihrem Posing noch die Bilder der leibhaftigen (afrikanischen) und fernen (südamerikanischen) Amazonen, insofern der Darstellung des Körpers ein hoher Stellenwert zukommt, so wird in einem 20 Jahre jüngeren Relaunch dieses Fotos der Körper auf seine Aura reduziert. Kraft und Sinnlichkeit einer Frau erscheinen von allem Materiellen abstrahiert.

Dieses neue Bild ist ein Werbefoto für ein Parfum namens Pure der Marke Jil Sander. Es präsentiert die ferne Frau in Reinkultur – eben „Pure“. Sie ist jung, schön und durch minimale Zeichen als Amazone kenntlich gemacht. Vom Bogen ist auf dem Foto nur eine durchscheinend dünne Sehne und ihr Schattenwurf über der Brust zu sehen, doch Perspektive und Blick sind die gleichen wie bei Lisa Lyon. Vom Betrachter abgewandt, konzentriert sich die Frau ganz auf den Pfeil, der schon außerhalb des Fotos schwirrt. Dieser imaginäre Pfeil, der schnell, frei, aller Erdenschwere enthoben denjenigen tödlich trifft, der sich diesem Höhenflug in den Weg stellt, symbolisiert das Wesen der gefährlich schönen, begehrenswerten Frau, die einen Hauch von Amazone trägt, wenn sie „Pure“ benutzt.

„Reduce to the Max“ heißt die Formel für solche Werbeauftritte. Pure zeigt beispielhaft, wie aus dem Kalten Krieg der Geschlechter, den auf ihre Art auch die Big Nudes und Lisa Lion geführt haben, die Frau als Siegerin hervorgeht. Aber Vorsicht, dieses Frauenmodell gehört in die Welt der Werbung!

Hier haben starke, selbstbestimmte Frauen, wie die Amazonen sie in Reinkultur vorstellen, einen verführerischen Mehrwert und werden gerne als Imageträgerinnen eingesetzt. Mode von Dior, Gaultier oder Sonia Rykiel stellt Le Monde unter dem Titel „Der Winter der Amazonen“ vor. Pepsi lässt für einen Werbespot Britney Spears, Pink und Beyoncé als leicht bekleidete Amazonen antreten. Und die Zeitschrift Elle präsentiert im Dezember 2007 „Schmuck für Amazonenprinzessinnen schön schlau stark“.

|166|Medien und Marken nutzen ihr Image, weil sie wissen, dass im Namen der Amazonen immer noch ein uneingelöstes Versprechen schlummert und eine breite Zielgruppe mit dem Kauf eines bestimmten Produktes hofft, dieses Versprechen eingelöst zu bekommen. Da die Marketingexperten und -expertinnen Seismographen für gesellschaftliche Entwicklungen sind und sowohl den Zeitgeist als auch kommende Trends erspüren müssen, sind sie wohl die besten Gradmesser für die Aktualität der Amazonen. Wenn sie publik machen, dass Amazonen schön, schlau und stark sind, dann scheint es wirklich so zu sein, dass das antike Vorbild für die emanzipierte, erfolgreiche Frau von heute Züge trägt, die immer noch nachahmenswert sind.

Man muss die Geschichte der Amazonen auch gar nicht allzu wörtlich nehmen, um sich an ihrem selbstbestimmten Lebensentwurf zu orientieren. Wie die Umsetzung von „damals“ in „heute“ gelingen könnte – auch dafür gibt die Unterhaltungsindustrie ein Beispiel. Lara Croft heißt die moderne Amazone, die, analog zu den antiken Vorgängerinnen, ebenfalls zwei Väter hat. Einen menschlichen, von Beruf Archäologe, und einen mythischen, wobei heutzutage Computer den Mythos ersetzen. Lara Croft wurde zuerst vom Computer animiert, bevor ihre Menschwerdung durch Angelina Jolie erfolgte. Im Film hat ihr der leibliche Vater die Liebe zur Archäologie in die Wiege gelegt, die als Verbindungselement zwischen der technisch versierten jungen Frau und dem Mythos dient. Lara Crofts technische Begabung führt der Film als modernes Pendant zur Kriegstechnik der Amazonen vor. Ihre körperlichen Fähigkeiten und Reitkünste gleichen denen der Amazonen aufs Haar. Schnell, gewandt, stark und den Männern haushoch überlegen gewinnt Lara Croft jede kämpferische Auseinandersetzung.

Das Gesetz, das die echten Amazonen sich bei ihrer Staatsgründung selbst auferlegten, hat die Kriegerin von heute bereits internalisiert. Sie muss sich das Verlieben nicht verbieten, weil es ihr sowieso unmöglich ist. Zu wem sollte sie bewundernd aufblicken, |167|vor wem den Blick senken, bei wem Halt und Geborgenheit suchen, wo sie doch besser ist als jeder Mann. Das heißt nicht, dass sie jungfräulich keusch wäre, denn das wäre altmodisch. Sie nimmt sich durchaus in guter Amazonentradition den einen oder anderen Mann. Nicht, um Töchter zu zeugen, sondern um sich selbst als Frau zu bezeugen. Niemals allerdings verliebt sie sich. Denn dann gehörte sie zum dritten Typus der antiken Amazonen und hätte ihren Platz an der Seite von Hippolyte und Penthesilea, den beiden Königinnen, die am Amazonengesetz tragisch gescheitert waren.

Die Kategorie des Scheiterns gehört aber weder in die Welt der Mode und Werbung noch in die der Unterhaltung und des Films. Ihr Ort ist die Literatur, die zum Thema Amazonen einen unerreichten Höhepunkt kennt: Heinrich von Kleists Trauerspiel „Penthesilea“ von 1808.

Kleists Tragödie ist an keine Zeit gebunden. Wer heute ein innovatives Theater propagiert, zeigt die Penthesilea. Auch Schillers „Jungfrau von Orléans“, auf die noch kurz eingegangen werden soll, nimmt ein Thema auf, das heute noch aktuell ist: „Jeanne d’Arc. Die Frau des Jahrtausends“ ist der Titel eines Films, der zur Jahrtausendwende in die Kinos kam.

In Kleists Drama erscheinen die Amazonen unter Führung ihrer Königin Penthesilea vor Troja. Ares hat sie angewiesen, mit den Griechen Nachwuchs zu zeugen. Das heißt: Diejenigen griechischen Helden, die von den Amazonen im Kampf besiegt werden, sind bestimmt, ihnen nach Themiskyra zu folgen. Doch Penthesilea kennt schon vorher einen Namen: Achill. Ihre Mutter hat ihn für sie ausgewählt, und die junge Königin ist bereits in diesen Namen verliebt, als sie vor Troja ankommt. Nur für ihn hat sie Augen, ihn hetzt sie, ihn stellt sie, hat ihn schon so gut wie besiegt – da lässt sie von ihm ab, schenkt ihm das Leben, das er nutzt, um sie gefangen zu nehmen. Auch Achill ist fasziniert von der schönen Kriegerin, so sehr, dass er sie heiraten und mit ihr in seine |168|Heimat zurückkehren möchte. Als er endlich versteht, dass Penthesilea ihm nicht folgen kann, weil ihr das Gesetz heilig ist, nach dem sie nur dem Mann angehören darf, den ihr das Kriegsglück zugespielt hat, fordert er sie zum Schein noch einmal ins Feld. Unbewaffnet will er sich ihr ergeben, ihr folgen, sie lieben – wenigstens ein paar Monate lang. Doch für Penthesilea gibt es kein „zum Schein“, für sie ist es ein Kampf auf Liebe und Tod. In voller Rüstung, begleitet von einem Tross aus Hunden, Elefanten, Sichelwagen und anderem Kriegsgräuel bricht sie im Wahnsinn über Achill herein und zerfleischt den Wehrlosen an der Seite ihrer Meute: „Küsse, Bisse, das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, kann schon das eine für das andre greifen,“ sagt sie scheinbar leichthin, bevor sie das tödliche Wort gegen sich selbst wendet und stirbt.

Schiller hat das tragische Moment des Amazonenstoffes „klassischer“ bearbeitet und die Problematik in eine andere Zeit und auf eine beliebtere Figur projiziert. Sein Drama um Liebe und Krieg heißt „Die Jungfrau von Orleans“. Indem er Jeanne d’Arc explizit Jungfrau nennt und ihre militärischen Erfolge an den Schwur, sich niemals zu verlieben, bindet, überträgt er den Kernkonflikt aller Amazonengeschichten auf sein Drama: Jeanne d’Arc hat dem Himmel Entsagung geschworen und im Gegenzug ein Siegesversprechen erhalten. Dass sich nun ihr eigenes Gefühl gegen sie selbst richtet, betrachtet sie als persönliches Versagen. Dass sie auch noch einen Engländer liebt, macht sie in den eigenen Augen zur Landesverräterin. Doch wer gegen sich selbst kämpft, kann nicht gewinnen. Jeanne d’Arc wird gefangen genommen, liegt in Ketten, hat noch die Kraft, sie zu sprengen, aber nicht mehr die zu entscheiden. Schillers Lösung des Konfliktes ist keine so ungeheuerliche, wie man sie Kleist vorgeworfen hat. Es ist eine elegante, aber auch etwas ratlose, denn Jeanne d’Arc entzieht sich allen irdischen Verstrickungen in einer Art Himmelfahrt.

|169|Diese Lösung sagte dem Publikum mehr zu als Penthesileas Raserei, was ein Brief an Kleists Verleger auf den Punkt bringt: „Wird der Buchhändler durch Kleists Trauerspiel abgeschreckt... ist eine Jungfrau von Orléans freilich immer ein Gewinn, vorzüglich im Taschenformate.“

Abwehr und Angst, Faszination, Bewunderung und sogar Idealisierung begleiten die Amazonen, wann und wo immer sie in Erscheinung treten. Von der Antike an über die frühe Neuzeit und durch die folgenden Jahrhunderte bis heute. Ein aktuelles Beispiel dafür, dass die Amazonengeschichten immer weiter erzählt werden, ist ein 2008 erschienener Thriller, der Teile der antiken Amazonengeschichte sorgfältig recherchiert präsentiert. Es ist nicht irgendein Krimi, sondern der Krimi des Jahres mit einem Dauerabonnement auf die Bestsellerlisten, ein Buch, das laut größter deutschen Sonntagszeitung die Arbeitswelt lahm legen wird, weil alle nur noch lesen: Stieg Larsson, „Vergebung“.

Die Amazonen bleiben präsent, werden gebraucht, provozieren Ängste, wecken Hoffnungen. Das alles macht sie so unverzichtbar und begehrenswert. Auf dem Weg von der Antike bis zur Gegenwart haben sich ihr Bild und ihre Funktion immer wieder verändert, sodass die Amazonen stets die zeittypischen Ängste und Wünsche der Menschen gespiegelt haben. Aber niemals wurde ihre Botschaft verfälscht, dass die Frau selbstbestimmt und frei sein kann: schön … schlau … stark.

Wer Lust hat, ihren Spuren weiter und über dieses Buch hinaus zu folgen, soll sich nicht ohne Navigationshilfe auf den Weg machen müssen. Deshalb noch einige ihrer Stationen in Stichpunkten:

In Vergils Äneis erscheinen sie in der Figur der Kriegerin Camilla.

Der Mädchenkrieg von Böhmen, dessen Geschichte Eneo Silvio de Piccolomini aufgeschrieben hat – besser bekannt als Papst |170|Pius II. – verbindet das Amazonenmotiv mit der Gründung der Stadt Prag. Und wie so oft wird diese Gründungssage von der Literatur aufgenommen und tradiert. Clemens Brentano, Franz Grillparzer und Libuse Monikova haben die tschechischen Amazonen in ihren Texten verewigt.

Im Barock war der Amazonenstoff besonders beliebt, was die vielen Opern und Singspiele beweisen. Sie kamen dem Geschmack der Zeit an Verwirrungen, Vertauschungen, Spiegelungen und Irreführungen in idealer Weise entgegen.

Während der Französischen Revolution stehen Demokratinnen wie Théroigne de Méricourt im Ruf, Amazone zu sein.

Bürgerliche Frauen zu Anfang des 20. Jahrhunderts wehrten sich in einem Frauenbrevier mit dem Titel „Penthesilea“ gegen ihre gesellschaftliche Entmündigung.

Bei Johann Jakob Bachofen, dem Erfinder des Mutterrechts, beweisen die Amazonen die Existenz matriarchaler Gesellschaftsformen. Die Thesen, die er in seinem Buch vertritt, sind wissenschaftlich nicht anerkannt. Trotzdem lohnt sich die Lektüre, denn „das Mutterrecht“ lässt sich wie eine Datenbank zur Antike benutzen. Wer Quellen zu den Amazonen sucht, findet hier auch entlegene.

In den kriegerischen Töchtern Wotans, den Walküren, kehren sie wieder. Die weiblichen Geisterwesen aus der nordischen Mythologie sind zunächst eine Art Todesengel, die gefallene Krieger nach Walhall bringen, bevor Richard Wagner sie im „Ring des Nibelungen“ selbst zu Kriegerinnen macht. Die bekannteste Walküre ist seither Brünnhilde.

An die Amazonen erinnern all die Soldatinnen, die unerkannt in Männerkleidung an Kriegen teilnahmen, und auch die Frauen, die im zivilen Leben bis heute um ihre Rechte kämpfen müssen.

Und natürlich werden sie in der Kunst dargestellt: auf Gebrauchsgegenständen, Bildern, Plastiken, Zeichnungen von Künstlern wie Rubens, Feuerbach, Ingres, Tischbein, von Stuck, Wunderlich, Kokoschka. Wie sehr Le Corbusier sich vor ihnen fürchtete, |171|hat er in seinem Buch „Als die Kathedralen weiß waren“ geschildert.

Und schließlich sind sie überall präsent, wo eine Internet-Recherche auf die Online-Firma amazon verweist.

Mit anderen Worten: Sie sind da, sie sind mitten unter uns. Zeitlos wie der Mythos. Oder doch historisch, mit einem Anfang und einem Ende?