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Wir fuhren an dem großen Einkaufszentrum vorbei, dem sie sarkastischerweise den Namen Marktplatz gegeben hatten. Auf dem Felshügel dahinter lagen zwei Schulen, eine große, errötende Realschule und eine Grundschule, die sich wie vollgefressene Raupen an den Berghang klammerten. Dahinter erhoben sich die vier Hochhäuser zum Himmel.
»In dem da wohnen wir«, erzählte Roar mit einer Miene, als zeige er auf einen der Sterne im Großen Wagen.
Der ganze Stadtteil lag im Schatten des Lyderhorns. Von dieser Seite sah der Berg steil, dunkel und bedrohlich aus. Auf dem Gipfel ragten die Fernsehmasten auf. Sie schlitzten den Wolken den Bauch auf, so dass Gedärm aus stahlblauem Himmel herausquoll.
Ich parkte, und wir stiegen aus.
»Da wohnen wir«, sagte er und zeigte in die Höhe.
Ich folgte seinem Zeigefinger mit dem Blick. »Wo?«, sagte ich.
»Im neunten Stock. Das Fenster mit den grünen und weißen Gardinen, das ist mein Zimmer.«
»Aha.« Ein Fenster mit grünen und weißen Gardinen irgendwo im neunten Stock; er hörte sich an wie Robinson Crusoe.
»Dann gehen wir am besten hinauf und sagen deiner Mutter Bescheid.«
Er schüttelte energisch den Kopf: »Nicht ohne das Fahrrad«, sagte er.
»Na gut.« Ich hatte ein ungutes Gefühl im Magen. Mit Banden von Siebzehn-, Achtzehnjährigen ist nicht immer gut Kirschen essen, besonders dann, wenn sie sich für harte Burschen halten und du selbst deine Fäuste seit ein paar Jahren hauptsächlich zum Heben der Aquavitflasche benutzt hast. »Wo ist denn die Hütte?«
»Da.« Er zeigte nach oben. »Ich geh ein Stück mit.«
Wir gingen um den nächsten Hochhausblock herum. Zur Rechten, den Hang aufwärts lag eine Anzahl niedriger Blocks zwischen den Bäumen verteilt, als seien sie aus großer Höhe heruntergefallen und niemand habe sich darum gekümmert, wo sie gelandet waren. Hinter dem ersten dieser Blocks stieg das Gelände an, es war mit Wacholderbüschen und Kiefern bewachsen, und auf halber Höhe des Abhangs sollte die Hütte von Joker und seiner Gang liegen.
Roar blieb an der Ecke des letzten Blocks stehen und erklärte mir, wie ich gehen sollte.
»Du hast keine Lust, selbst mitzukommen?«, fragte ich.
Er schüttelte verzagt den Kopf.
»Nein. Ich kann dich verstehen«, lächelte ich ihm zu. Da, wo ich aufgewachsen war, hatten wir auch so eine Gang. Vielleicht nicht ganz so raffiniert wie diese. Aber wir wohnten auch nicht in so hohen Häusern. »Dann wartest du hier auf mich. Also den Pfad zwischen den Bäumen dort rauf?«
Er nickte zweimal und sah mich mit seinen großen Augen an. Er sah wirklich besorgt aus, nicht seinetwegen, sondern meinetwegen. Das baute mich nicht gerade auf.
Ich ging los, in wiegendem Seemannsgang. Das half mir, mich ein wenig mutiger zu fühlen, so als sei dies gar nichts für einen großen, starken Mann, der sich jetzt schon seit vielen Jahren die Zähne selber putzte.
Eine Frau kam mir entgegen. Sie war Ende dreißig, ihr Gesicht war mager und zerfurcht, wie die Überreste einer Fischmahlzeit bei armen Leuten. Um ihre besondere Note zu betonen, hatte sie die Haare zurückgekämmt und im Nacken straff zusammengebunden, sodass sie aussahen, als seien sie auf die Kopfhaut geklebt. Das gab ihr trotz ihrer blonden Haare ein nahezu indianisches Aussehen. Doch sie zog kein demontiertes Tipi hinter sich her, sondern einen Einkaufstrolley. Sie war sehr blass und sah mich aus ängstlichen Augen an. Doch sie hatte keinen Grund, sich zu fürchten. Ich versuchte nicht einmal, sie anzulächeln.
Ich trat zwischen die Bäume.
Ich habe Kiefern immer gemocht. Sie lassen mich an heidnische Phallussymbole denken, wie sie üppig und rund und wollüstig gen Himmel streben – im krassen Gegensatz zu den pietistischen Fichten mit ihren hängenden Ästen und ihrem tristen Leichenbitteraussehen. Der Duft von Kiefern lässt mich immer an Sommer denken – Spätsommer, und du steigst aufwärts, durch ein Tal oder eine Schlucht oder sonst wo, hinauf ins heidekrautbedeckte Hochland, zu den weiten, offenen Flächen und dem gewölbten, klaren Spätsommerhimmel mit seiner ganzen dunkelblauen Kraft, die eine lange Sonnensaison hindurch ihre Vitamine für den Winter abgelagert hat.
Aber jetzt war kein Spätsommer. Es war Februar, und es gab keinen Grund, an die Weiten des Hochlandfjells zu denken, oder an Kiefern, oder an überhaupt irgendetwas.
Plötzlich lag die Hütte da, zwanzig Meter über mir am Hang. Es war nicht gerade viel Staat mit ihr zu machen. Schalbretter, die jemand mit grüner Farbe überpinselt hatte, ein bisschen Teerpappe und Sackleinen als Isolierung und hoch oben an der mir zugewandten Wand eine mit Hühnerdraht bespannte Öffnung. Daran lehnte ein blaues, glänzendes Fahrrad, und hinter dem Hühnerdraht erkannte ich ein weißes Gesicht.
Ich ging näher heran und hörte Stimmen aus dem Hütteninneren. Dann quollen sie durch die eine Seitenwand heraus, liefen zur Vorderseite der Hütte und stellten sich vor dem Fahrrad auf, wie eine Mauer.
Das Empfangskomitee war zur Stelle.