25. KAPITEL
Finnland
23. Februar
Kurz nach siebzehn Uhr an diesem Februarnachmittag landete die SAS Constellation aus Stockholm planmäßig auf Helsinkis Flughafen Malmi.
Unter den Passagieren befanden sich auch Massey, Slanski und Anna Chorjowa.
Als die Maschine eingewunken wurde, konnte man in der beinahe arktischen Dunkelheit vor den Fenstern des Flugzeugs so gut wie keine Einzelheiten erkennen. Man sah nur die vereinzelten Lichter auf den Inseln in der zugefrorenen Helsinkibucht und die grauen Umrisse des endlos erscheinenden Waldes. Ansonsten herrschte eine wäßrige Schwärze. Draußen verharrte der Zeiger des Thermometers bei minus zwanzig Grad. Zehn Minuten nach der Landung betraten Anna und ihre Begleiter die Ankunftshalle.
Ein blonder Mann in einer abgeschabten Lederjacke und mit einem weißen, wollenen Fliegerschal um den Hals löste sich aus der wartenden Menge, trat auf sie zu und schüttelte Massey liebenswürdig die Hand.
»Schön, dich zu sehen, Jake. Das ist also meine Fuhre?«
Massey wandte sich zu Anna und Slanski um. »Ich möchte euch Janne Saarinen vorstellen, euren Piloten. Einer der besten in Finnland.«
Saarinen lächelte geschmeichelt, während er ihnen die Hände schüttelte. Für einen Finnen war er ziemlich klein, und sein Gesicht war eine Kraterlandschaft aus Narben, aber das schien seiner guten Laune keinen Abbruch zu tun.
»Glauben Sie ihm kein Wort«, sagte Saarinen in perfektem Englisch. »Er ist ein Schmeichler. Sie müssen nach dem Flug ziemlich erschöpft sein. Mein Wagen steht draußen. Fahren wir am besten gleich zu unserer Basis.«
Es war sehr kalt, und die Dunkelheit mußte für jeden Fremden unheimlich sein. Am Horizont über der Arktis zeigte sich nur ein schmaler Streifen Helligkeit.
Saarinen nahm Annas Koffer und schritt zum Parkplatz voraus. Massey bemerkte die düsteren Mienen der beiden, als der Finne vor ihnen herhumpelte und sein Holzbein bei jedem Schritt ausschwang.
Als er außer Hörweite war, sagte Massey zu Slanski: »Was ist los?«
»Falls Sie es noch nicht bemerkt haben: Ich würde sagen, Ihrem Freund fehlt ein Bein.«
»Machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Janne stört es auch nicht. Glauben Sie mir, er ist der Beste weit und breit. Er hat für die deutsche Luftwaffe mehr als hundert russische Maschinen abgeschossen. Die Zahl ist bestätigt. Die Hälfte davon hat er erwischt, nachdem er sein Bein verloren hatte.«
»Ich muß wohl Ihrem Wort glauben.«
Saarinen stieg in einen kleinen, verdreckten grauen Volvo, dessen Reifen mit Schneeketten ausgerüstet waren. Massey stieg neben ihm ein, und Slanski und Anna setzten sich nach hinten.
Als sie nur wenige Minuten später den Flughafen hinter sich ließen, war Anna bereits vor Erschöpfung nach der langen Reise eingeschlafen. Ihr Kopf ruhte auf Slanskis Schulter.
In Helsinki herrschte trotz der Dunkelheit geschäftiges Treiben. Die hell erleuchteten Straßenbahnen fuhren klingelnd vorbei, und die Stadt und ihre Bewohner strotzten nur so vor Energie, trotz der Kälte und des Schnees, der alles zuzudecken schien. Überall gingen dick eingemummelte Leute zügig über die Straße, als fürchteten sie, auf der Stelle festzufrieren, wenn sie nur einen Moment stehenblieben.
Trotz seines amputierten Beines hatte Saarinen keine Schwierigkeiten mit dem Wagen. Sie ließen das alte Zentrum der Stadt hinter sich. Es stammte noch aus der Zeit der Zaren, als Helsinki zum russischen Reich gehört hatte. Die soliden Granitbauten in pastellenem Senfgrün oder Taubenblau waren eindeutig russischer Provenienz. Schließlich bog Saarinen nach Westen auf eine felsige Küstenstraße ab.
Die Ostsee wirkte in der Dunkelheit wie eine einzige Fläche aus kompaktem Eis. Sie fuhren etwa eine halbe Stunde landeinwärts, bis Saarinen hinter Espoo nach Süden abbog und wieder Richtung Meer fuhr. Eine Viertelstunde später tauchten im Eis der Ostsee die dunklen Umrisse von etwa einem halben Dutzend kleiner Inseln auf. Doch in den leuchtendbunten Häusern, die auf diesen Inseln standen, brannte kein Licht.
»Es sind Sommerhäuser«, erklärte Saarinen. »Im Winter ist es hier ziemlich einsam, abgesehen von ein paar hartgesottenen Ansässigen. Wir sind fast da.«
Er fuhr langsamer, und als sie eine letzte Kurve umrundeten, schwang die Küstenstraße sich bergab. Sie sahen ein kleines, zerklüftetes Eiland, das fast vollkommen unter Birkenwäldern verschwand. Es war durch eine solide Holzbrücke, die gerade breit genug für den Volvo war, mit dem Festland verbunden. In der Dunkelheit wirkte die Insel trotz ihrer einsamen Schönheit ein bißchen unheimlich.
»Willkommen auf Bylandet«, verkündete Saarinen.
Sie fuhren ratternd über die Brücke und gelangten an eine kleine Bucht mit einem sichelförmigen Stück Strand und dem dichten Birkenwald dahinter. Davor standen zwei buntbemalte Holzgebäude. Saarinen parkte den Wagen vor dem großen grünen, zweistöckigen Wohnhaus, dessen Fensterläden fest verrammelt waren. An einer Hauswand waren Holzscheite bis zum Dach gestapelt, und die Reste eines Fischerbootes lagen am Strand. Ein altes Netz hing wie eine gefrorene Skulptur an einem rostigen Haken an der Seite des Hauses.
»Dies hier gehörte einem Fischer aus der Gegend, bis er sich zu Tode gesoffen hat«, erklärte Saarinen. »Was eigentlich nicht verwunderlich ist. Es ist das einzige Wohnhaus auf diesem Teil der Insel und liegt ziemlich weit vom Schuß. Im Winter kommt außer irgendwelchen Tieren niemand vorbei, es sei denn, Verrückte wie wir. Deshalb wird uns hier niemand stören.«
Innen war das rohe Kiefernholz des Hauses bunt bemalt. Es war bitterkalt.
Saarinen zündete einige Petroleumlampen an und führte seine Gäste herum. Ein großer Raum im Erdgeschoß diente als Küche und Wohnzimmer. Das spärliche Mobiliar bestand aus einem Kieferntisch und vier Stühlen sowie einem uralten Sofa und einer Kommode. Alles war sauber und ordentlich. Unter einer schweren Segeltuchdecke auf einem kleinen Holztisch in der Ecke des Raumes verbarg sich etwas Großes, Sperriges, und in einer anderen Ecke stand ein Holzofen. Nachdem Saarinen ihn angezündet und etwas Kerosin über die Scheite gegossen hatte, damit sie ordentlich brannten, zeigte er seinen Gästen ihre Zimmer im Obergeschoß.
Sie waren gemütlich eingerichtet und hatten schlichte Kiefernbetten mit einem Nachttisch und einer Petroleumlampe darauf. Doch überall stank es nach Moder und salziger Luft. Als sie zehn Minuten später herunterkamen, hatte Saarinen den Generator angeworfen und kochte Kaffee.
In der Küche brannte eine einzige elektrische Lampe an der Decke. Auf dem Tisch hatte der Pilot ein paar Landkarten ausgerollt, die sehr detailliert die Südküste Finnlands, die Westküste der Sowjetunion und die baltischen Staaten zeigten. Auf einer dieser Karten hatte Saarinen die geplante Flugroute mit einem Rotstift eingezeichnet.
Er lächelte. »Das Haus ist leider nicht das Helsinki Palace, und ich fürchte, daß man gegen den Salzgeruch nichts machen kann. Aber es ist ja nur für eine Nacht und außerdem viel komfortabler als das, was Sie drüben auf der anderen Seite der Ostsee erwartet. Manchmal setzt der Generator aus. Dann müssen wir uns mit den Petroleumlampen behelfen. Also, zur Sache. Die Überfahrt sollte nicht länger als fünfunddreißig, höchstens vierzig Minuten dauern. Das hängt von den Gegenwinden ab.«
Er deutete auf die Landkarte und die rote, geschwungene Linie, die er gezogen hatte. Sie führte von Bylandet auf die gegenüberliegende Küste des Finnischen Meerbusens, in die Nähe der estnischen Hauptstadt Tallinn. »Von dieser Insel hier bis zur Absprungstelle sind es genau fünfundsiebzig Meilen. Bis dahin ist es nur ein Katzensprung, wenn alles nach Plan läuft.«
Anna schaute ihn an. »Wo ist denn hier auf der Insel eine Startbahn?«
Saarinen schüttelte grinsend den Kopf. »Es gibt keine. Das Flugzeug hat Skier statt Reifen, so daß wir vom Eis starten können. Keine Angst, es wird vielleicht ein bißchen rumpeln, aber ansonsten werden Sie kaum einen Unterschied merken.«
»Was sagen die letzten Wetterberichte?« wollte Massey wissen.
Saarinen lächelte, was seinem Gesicht ein verwegenes Aussehen verlieh. »Laut des Metereologischen Instituts in Helsinki könnte es für einen unbemerkten Absprung kaum besser sein. Heute abend herrschen starke Winde, gefolgt von einer Kältefront. Für morgen abend werden Gewitterwolken über Teilen des Finnischen Meerbusens in Höhen zwischen eintausendfünfhundert und dreihundert Metern vorhergesagt. Diese Wolken versprechen Schnee und Hagel und sogar Gewitter. Wir müssen es einfach versuchen und wenn möglich dem Schlimmsten aus dem Weg gehen. Warten wir erst einmal ab, wie es sich entwickelt. Die Vorhersagen der Meteorologen sind nicht besonders genau, und ich persönlich traue diesen Wetterfröschen sowieso nie. Wie mein alter Fluglehrer immer zu sagen pflegte: Ein kleiner Junge, der Lügen erzählt, wird Meteorologe, wenn er groß ist. Aber wenn wir Glück haben und die Vorhersage einigermaßen günstig ist, können wir nach dem Start bis kurz vor dem Zielgebiet unter zweitausend Fuß bleiben. Dann lassen wir uns wie ein Stein aus einer Wolke fallen, visieren so schnell wie möglich das Absprunggebiet an, und ich setze euch zwei ab.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ein Flug in einem Schneesturm ist für die Passagiere nie besonders gemütlich, weil es da oben ziemlich ruppig zugeht. Aber bei solch extremen Witterungsbedingungen ist es weniger wahrscheinlich, daß die Russen mit ihren Migs im Luftraum patrouillieren. Natürlich kann ich das nicht garantieren. Ich bin bloß optimistisch.« Er lächelte wieder, als wäre er dazu geboren, Schlechtwetterflüge unter lebensgefährlichen Bedingungen zu machen.
Slanski zündete sich eine Zigarette an. »Ist es nicht ziemlich riskant, bei so schlechten Bedingungen mit einem Sportflugzeug zu fliegen?«
Saarinen lachte. »Natürlich. Aber es ist nicht so riskant, wie bei klarem Wetter von einem Mig-Düsenjäger vom Himmel geputzt zu werden. Diese Maschinen sind das Schnellste, was sich im Augenblick da oben rumtreibt, sogar schneller als alles, was die Amerikaner bis jetzt entwickelt haben. Die Migs schaffen über tausend Kilometer pro Stunde, angetrieben von der russischen Variante eines Rolls-Royce-Triebwerks. Die Maschinen steigen auf wie Fledermäuse. Sehr beeindruckend, gelinde gesagt.«
»Und das Radar?« wollte Slanski wissen. »Die Russen überwachen dieses Gebiet doch bestimmt.«
»Darauf können Sie Ihren Hintern verwetten.« Saarinen tippte mit dem Finger auf eine Stelle der Landkarte unmittelbar neben Tallinn. »Genau hier befindet sich eine russische Militärbasis, auf der russische Mig-Abfangjäger stationiert sind. Die Maschinen haben eigenes Radar an Bord, das gerade erst entwickelt worden ist. Diese Basis wird vom Baltikum und einer Leningrader Radarstelle aus rund um die Uhr überwacht. Wenn ein fremdes Flugzeug in russisches Gebiet eindringt, holen sie es runter, ohne lange zu fackeln.
Aber soweit ich weiß, bleiben russische Piloten bei schlechtem Wetter oberhalb der Wolkenschicht, weil sie noch nicht ganz mit der Funktionsweise des neuen Radars vertraut sind. Allerdings befindet sich auf der Basis auch eine Radarstation, und eine weitere gibt es im Hauptquartier der sowjetischen Armee in der Tondy-Kaserne kurz vor Tallinn. Eine dritte ist im alten Kirchturm von Sankt Olaus, unmittelbar neben dem KGB-Hauptquartier. Vermutlich ist das der höchste Punkt in der Stadt. Von diesen drei Stationen aus stehen sie mit den patrouillierenden Mig-Piloten in ständigem Funkkontakt.«
Er lächelte. »An einem klaren Tag kann man vom Kirchturm aus den Flügelschlag eines Schmetterlings auffangen. Aber bei schlechtem Wetter, zum Beispiel bei Schnee und Hagel, kann das sowjetische Radar oft nicht zwischen einem möglichen Ziel und dem Chaos auf den Bildschirmen unterscheiden, das vom Wetter verursacht wird. Aus diesem Grund helfen uns schlechte Bedingungen wirklich. Außerdem bleibe ich so lange wie möglich innerhalb der Wolkendecke, damit sie mich gar nicht erst auf die Schirme bekommen. Knifflig wird es erst, wenn wir die Wolkendecke für unseren Zielanflug kurz verlassen müssen. Dann könnten wir auf dem Radar der Russen auftauchen und ihr Interesse wecken. Deshalb muß ich das Ziel schnell finden und Sie sofort absetzen. Aber zu diesem Zeitpunkt ist das nicht mehr Ihr Problem. Selbst wenn die Russen reagieren, sind Sie schon längst abgesprungen, und mit ein bißchen Glück bin ich auf dem Heimweg, bevor die ersten Migs auftauchen.«
Slanski schien Zweifel an dieser Einschätzung zu hegen. »Die ganze Sache klingt ziemlich riskant. Glauben Sie wirklich, daß es funktioniert?«
»Es ist ein Kinderspiel, glauben Sie mir.« Saarinen warf Anna einen Blick zu. »Es hört sich viel gefährlicher an, als es in Wirklichkeit ist. Piloten übertreiben die Gefahren ihrer Mission gern ein bißchen, vor allem, wenn eine Frau dabei ist. Dann wirken sie schneidiger und tollkühner.«
»Hält Ihr Flugzeug auch den Turbulenzen stand, wenn das Wetter wirklich schlechter wird?« forschte Slanski weiter.
Saarinen nickte. »Die kleine Norseman da draußen im Hangar übersteht selbst die schlimmste Suppe ohne Kratzer. Die Passagiere werden zwar nach diesem Ausflug reichlich durchgeschüttelt sein, aber sie leben, und darauf kommt’s ja an. Das Flugzeug ist wie ein Scheißhaus aus Ziegelsteinen gebaut.« Er lächelte Anna zu. »Entschuldigen Sie den Ausdruck.«
Massey trat ans Fenster und blickte hinaus auf die gefrorene Bucht. Hier im Norden war man schon froh, wenn man im Winter ein paar Stunden in der Woche die Sonne sah. Das Zwielicht hatte eine merkwürdig deprimierende Wirkung. Massey blickte wieder zu Saarinen hinüber. Der Finne war ein fähiger Pilot, doch seine Sorglosigkeit war eindeutig übertrieben, wenn man die Gefahren betrachtete. Massey fragte sich, ob die Schrapnellsplitter nicht nur sein Bein abrasiert, sondern auch seinen Kopf getroffen hatten.
»Gut, Janne, wie ist der Zeitplan? Wann können wir loslegen?«
Saarinen setzte sich lässig auf die Tischkante. »Die Wolken aus südöstlicher Richtung sollen morgen abend gegen acht hier sein. Falls die Jungs vom Wetterdienst recht behalten, bietet uns das Deckung bis fast zur Küste von Estland. Wenn wir gegen 20 Uhr 30 starten, müßten wir etwa zwanzig Meilen weiter auf die Wolken treffen. Wir nehmen folgende Route …« Er deutete auf die rote Linie auf der Landkarte. »Fast gerade über die Ostsee zum Absprunggebiet. Ich kenne die Frequenzen der russischen Funkfeuer und kann sie als Navigationshilfe benutzen, wenn wir uns Tallinn nähern, damit ich den Absprungort finde.«
Massey runzelte die Stirn. »Und wenn das Wetter richtig schlecht wird, wie du gesagt hast?«
»Keine Sorge, damit werde ich fertig. Zur Not kann ich tiefer gehen, bis knapp fünfhundert Fuß über den Boden. Wenn wir die Wolkenschicht verlassen, müßte ich eigentlich die Lichter von Tallinn ausmachen können. Das Gebiet dort ist ziemlich flach, so daß wir hoffentlich nicht gegen irgendwelche Berge stoßen, wenn wir uns im Blindflug durch die Wolken tasten. Gut, noch irgendwelche Fragen?«
Keiner sagte etwas, und Saarinen lächelte strahlend. »Das heißt dann wohl, Sie trauen mir.« Er schwang das Holzbein herum und sagte zu Massey: »Komm mit, ich zeige deinen Freunden die kleine Schönheit, von der sie dem Teufel in den Rachen hüpfen.«
Saarinen führte sie über einen hölzernen Steg zum Hangar.
Es war ein umgebautes Bootshaus mit zwei Doppeltüren. Saarinen öffnete eine und zeigte ihnen das kurze, gedrungen wirkende einmotorige Flugzeug mit seinen hoch angesetzten Flügeln. Es war vollkommen weiß lackiert und trug keine Hoheitszeichen. Statt Rädern besaß es eine Kombination aus Skiern und Reifen, so daß es sowohl auf Eis als auch auf einer normalen Piste starten und landen konnte. Über der Motorenverkleidung und dem Propeller lag eine schwere Wolldecke. Saarinen fuhr zärtlich mit einer Hand über die Heckflossen.
»Eine Schönheit, stimmt’s? Das Norseman C-64 Leichttransportflugzeug, kanadisches Design, wie die amerikanische Luftwaffe es während des Krieges benutzt hat. Ich habe sie bei einer Militärversteigerung in Hamburg für ’n Appel und ’n Ei bekommen. Sie ist für Länder mit kaltem Klima ideal und macht hundertvierzig Knoten mit maximal acht Passagieren. Aber bei diesen Temperaturen muß man sie verhätscheln wie ein Baby. Man muß sie mehrmals am Tag anlassen, sonst friert das Öl ein, und bei der beißenden Kälte platzt das Metall des Motors.« Er schaute auf die Uhr. »Es wird wieder Zeit. Treten Sie lieber etwas zurück.«
Sie blieben außerhalb der geöffneten Hangartore stehen, während Saarinen die Decke vom Motor und dem Propeller zog. Er schwang sich überraschend geschickt ins Cockpit, wobei er sein Holzbein nachzog. Dann ließ er den Motor an und schob den Gashebel vor. Er ließ die Maschine etwa zehn Minuten laufen. Der Lärm war ohrenbetäubend. Schließlich zog er langsam den Hebel zurück, so daß die Drehzahl fünf Minuten lang immer weiter sank, bis er den Motor schließlich abstellte und aus dem Cockpit kletterte.
»Gut, das reicht für ein paar Stunden. Jetzt muß ich mich selbst aufwärmen. Wie die meisten empfindlichen Finnen in so harten Wintern gieße ich mir ein paar steife Drinks hinter die Binde, damit mein Blut nicht einfriert. Möchten Sie auch einen?«
»Hört sich an gut«, sagte Massey.
Er schaute zu Slanski und Anna hinüber. Slanskis verkniffener Mund verriet die Anspannung, und seine Augen huschten nervös hin und her. Er winkte wie ein Tier im Käfig, das es kaum erwarten konnte, endlich freigelassen zu werden. Anna wirkte gelassen, doch Massey konnte auch ihre Rastlosigkeit spüren.
»Danke für das Angebot, Janne, aber lieber ein andermal«, sagte Slanski und wandte sich an Massey.
»Was steht als nächstes auf dem Plan?«
»Wir gehen heute abend noch einmal die Waffen, die Kleidung und die Papiere durch. Alles, was Sie für den Absprung und die Zeit danach brauchen. Inzwischen gibt es nicht viel zu tun.«
»Wie wäre es, wenn ich Anna eine kleine Ablenkung biete?«
»An was für eine Ablenkung haben Sie gedacht?«
»Eine Fahrt nach Helsinki und zurück, falls wir uns Jannes Wagen leihen können.«
Als Massey zweifelnd das Gesicht verzog, fuhr Slanski fort: »Jake, wir haben die letzten sechzehn Stunden in Flugzeugen verbracht. Ich brauche Luft und etwas Bewegung. Anna ebenfalls.«
Massey blickte Anna an. »Was halten Sie davon?«
»Ich glaube, Alex hat recht.«
Massey spürte die unbehagliche Stimmung, eine nervöse Verzweiflung nach den Geschehnissen der letzten Stunden. Vermutlich tat eine Abwechslung gut.
Er blickte Saarinen fragend an. »Was sagst du, Janne?«
Der Finne zuckte mit den Schultern. »Ich hab’ keine Einwände.« Er suchte die Wagenschlüssel und warf sie Slanski zu. »Passen Sie nur auf die Straßen auf. In dieser Jahreszeit sind sie verteufelt glatt. Und trinken Sie nichts, bevor Sie zurückgekommen sind. Alkohol am Steuer ist so ziemlich das einzige, bei dem die Polizei hier oben keinerlei Spaß versteht.«
»Gut«, sagte Massey zu Slanski. »Aber ich möchte, daß ihr beide um neun wieder hier seid. Nicht später.«
»Ein letzter Geschmack der Freiheit, bevor wir rübergehen, Jake. Ich glaube, Sie schulden uns ein gutes Abendessen.«
Massey zog die Brieftasche heraus und reichte Slanski einige finnische Geldscheine. »Wahrscheinlich haben Sie recht. Mit den besten Empfehlungen von Washington. Kommt mir nicht abhanden, ihr zwei. Und seid um Himmels willen vorsichtig.«