FÜNFUNDVIERZIGSTES KAPITEL
Ein besiegelter Pakt

Später erhob sich eine Mondsichel. Wir gingen nicht weit, bevor sie aufstieg, denn bei dem geringen Sternenlicht kam man nicht gut voran. Sobald der Mond erschien, führte mich die Lady in einem Bogen zu dem Ort, wo die Unterworfenen abgestürzt waren. Wir blieben auf einem freien Fleck stehen. Er war sandig, jedoch ungefährlich. Sie breitete die Decke aus. Wir befanden uns außerhalb des Nullfeldes. »Setz dich.« Ich setzte mich. Sie setzte sich.
Ich fragte: »Was…?«
»Sei still.« Sie schloß die Augen und zog sich in sich selbst zurück. Ich fragte mich, ob Schweiger sich von Darling losgerissen hatte, um uns nachzuschleichen. Fragte mich, ob meine Kameraden derbe Scherze über uns machten, während sie sich mit den Wanderbäumen abmühten. Fragte mich, in was für ein Spiel ich mich hier verstrickt hatte. Jedenfalls hast du etwas dabei gelernt, Croaker. Nach einer Weile begriff ich, daß sie von wo auch immer zurückgekehrt war. »Das erstaunt mich nun wirklich«, flüsterte sie. »Wer hätte gedacht, daß sie den Mumm dazu hätten?« »Eh?«
»Unsere fliegenden Freunde. Eigentlich habe ich gedacht, es wären Hinker und Wisper, die wieder ihre alten Untaten versuchen. Aber es waren Hohn und Senger. Obwohl ich eigentlich gleich auf sie hätte kommen müssen. In Nekromantik ist sie sehr begabt.« Und wieder dachte sie laut. Ob sie das wohl häufig tat? Falls es so war, so war sie es sicher nicht gewohnt, dabei Zeugen zu haben. »Was meinst du damit?« Sie achtete nicht auf mich. »Ich frage mich, ob sie es den anderen gesagt haben?« Ich dachte zurück und fügte einige Dinge zusammen. Die Weissagungen der Lady von drei verschiedenen Zukünften, und in keiner davon einen Platz für sie. Vielleicht bedeutete das, daß es darin auch keinen Platz für Unterworfene gab. Und vielleicht waren sie der Ansicht, daß sie ihre Zukunft in ihre eigenen Hände nehmen konnten, wenn sie sich ihrer Herrin entledigten.
Ein leichter Schritt ließ mich zusammenzucken. Aber erschreckte mich nicht. Ich dachte mir, daß Schweiger uns doch gefolgt war. Daher war ich sehr überrascht, als Darling sich ohne Begleitung zu uns setzte.
Wie hatte ich die Rückkehr des Nullfeldes nicht bemerken können? Natürlich war ich abgelenkt gewesen.
Als ob Darling gar nicht da wäre, sagte die Lady: »Sie sind noch nicht aus den Korallen

heraus. Sie kommen nur sehr langsam voran, und sie sind beide verletzt. Und obwohl die
Korallen nicht tödlich für sie sind, können sie doch große Schmerzen bereiten. Im Augenblick ruhen sie sich gerade aus und warten auf den Tagesanbruch.« »Also?«
»Also kommen sie vielleicht überhaupt nicht mehr heraus.« »Darling kann Lippen lesen.«
»Sie weiß es bereits.«
Nun, ich habe ja schon tausendmal gesagt, daß das Mädchen nicht dumm ist. Ich glaube, Darlings Wissen zeigte sich schon in der Position, die sie einnahm. Sie setzte sich so, daß sie mich genau zwischen sich und der Lady hatte. Oja.
Ich fand mich in der Rolle des Übersetzers wieder. Ärgerlicherweise kann ich nicht wiedergeben, was sich zwischen ihnen abspielte. Denn später spielte jemand mit meinem Gedächtnis herum. Ich erhielt nur eine einzige Gelegenheit, mir Notizen zu machen, und die ergeben keinen Sinn mehr. Eine Art Verhandlung fand statt. Ich kann mich immer noch an ein Gefühl des tiefsten Erstaunens erinnern, daß Darling bereit war einen Handel einzugehen. Auch an ein Gefühl der Verwunderung über die Lady, und aus dem gleichen Grund. Sie gelangten zu einer Übereinkunft. Sicherlich ein brüchiger Friede, denn später blieb die Lady dicht an meiner Seite und hielt mich immer zwischen sich und allen anderen, solange sie sich im Nullfeld aufhielt… Und Darling blieb in der Nähe der Lady, damit sie ihre Macht nicht einsetzen konnte.
Aber einmal ließ sie sie doch frei.
Darin greife ich ein wenig vor. Zuerst schlichen wir uns zurück und ließen niemanden wissen, daß ein Gipfeltreffen stattgefunden hatte. Die Lady und ich kehrten kurz nach Darling zurück und versuchten so zu tun, als ob wir eine lebhafte und gründliche Unterhaltung gehabt hätten. Über einige der neidischen Blicke mußte ich unwillkürlich schmunzeln. Am nächsten Morgen verließen die Lady und ich wieder das Nullfeld, nachdem Darling Schweiger, Einauge und Goblin dadurch abgelenkt hatte, daß sie sie losschickte, um mit den Menhiren zu feilschen. Vater Baum konnte sich nicht so recht entscheiden. Wir gingen in die andere Richtung. Und spürten den Unterworfenen nach. Große Spürarbeit mußten wir allerdings nicht leisten. Sie waren noch nicht aus den Korallen herausgekommen. Die Lady bediente sich der Macht, die sie über sie hatte, und dann waren sie keine Unterworfenen mehr.
Ihre Geduld war zur Neige gegangen. Vielleicht sollten sie auch als Beispiel dienen… Jedenfalls kreisten Bussarde - echte Bussarde - über ihnen, noch bevor wir zum Loch zurückkehrten.

So einfach, dachte ich. Für sie. Und für mich, als ich damals mit den allerbesten Aussichten
den Hinker zu töten versuchte, schier unmöglich. Sie und ich machten uns wieder an die Übersetzungsarbeit. Wir waren so beschäftigt, daß ich die Nachrichten von der Außenwelt kaum mitbekam. Ich war sowieso leicht benebelt, weil sie meine Erinnerungen an das Treffen mit Darling gelöscht hatte. Jedenfalls arrangierte sich die Weiße Rose wieder mit Vater Baum. Und das unsichere Bündnis hatte weiter Bestand. Eines fiel mir auf. Die Menhire gingen mir nicht mehr mit ihren Sprüchen über Fremde auf der Steppe auf die Nerven.
Sie hatten die ganze Zeit Tracker und Köter Krötenkiller gemeint. Und die Lady. Zwei dieser drei waren keine Fremden mehr. Niemand wußte, was aus Köter Krötenkiller geworden war. Nicht einmal die Menhire konnten ihn finden. Ich versuchte von Tracker herauszubekommen, was der Name bedeutete. Er konnte sich nicht daran erinnern. Nicht einmal an Köter Krötenkiller selbst. Seltsam. Er war zur Kreatur des
Baumes
geworden.