DREISSIGSTES KAPITEL
Nachts im
Gräberland
Goblin und Einauge brauchten nur
Minuten, um das Haus zu untersuchen. »Keine Fallen«, verkündete
Einauge. »Auch keine Gespenster. Ein paar alte magische
Schwingungen, von neueren überlagert. Oben.«
Ich förderte einen Zettel zutage. Darauf standen meine Notizen aus
den Bomanz-Briefen. Wir gingen hinauf. Goblin und Einauge zeigten
sich zwar zuversichtlich, ließen mich aber trotzdem vorangehen.
Schöne Freunde.
Zuerst überprüfte ich, ob die Fensterläden verriegelt waren, bevor
ich ein Licht ansteckte. Dann sagte ich: »Macht euren Kram. Ich
sehe mich hier mal um.« Tracker und Köter Krötenkiller blieben in
der Tür stehen. Es war kein besonders großes Zimmer. Ich musterte
die Titel der Bücher, bevor ich ernsthaft mit der Suche begann. Der
Mann hatte einen eklektischen Geschmack gehabt. Oder er hatte
vielleicht das zusammengesammelt, was am billigsten gewesen
war.
Ich fand keine Papiere.
Das Zimmer sah nicht aus, als wäre es ausgeplündert worden.
»Einauge. Kannst du mir sagen, ob das Haus durchsucht worden ist?«
»Wahrscheinlich nicht. Warum?«
»Die Papiere sind nicht hier.«
»Hast du dort nachgesehen, wo er das Zeug versteckt hat? Wie es in
den Briefen stand?« »In allen Verstecken bis auf eins.« In einer
Ecke lehnte ein Speer an der Wand. Und siehe da, als ich daran
drehte, löste sich die Spitze. Der Schaft war hohl. Darin die
Karte, die in der Geschichte erwähnt worden war. Wir breiteten sie
auf dem Tisch aus. Schauer krochen mir über den Rücken.
Dies war wahrhaftige Geschichte. Diese Karte hatte die heutige Welt
mitgestaltet. Trotz meines begrenzten Verständnisses des TelleKurre
und meiner noch schwächeren Kenntnisse magischer Symbole spürte ich
die Macht, die hier verzeichnet worden war. Für mich strahlte sie
etwas aus, das an der Grenze zwischen Unbehagen und echtem Grauen
lag. Goblin und Einauge spürten das nicht. Oder sie waren viel zu
fasziniert. Sie steckten die Köpfe zusammen und betrachteten den
Weg, den Bomanz eingeschlagen hatte, um zur Lady zu gelangen.
»Siebenunddreißig Jahre Arbeit«, sagte ich. »Was?«
»Er hat siebenunddreißig Jahre gebraucht, um all diese
Informationen zusammenzutragen.«
Etwas fiel mir auf. »Was ist das?« Da
stand etwas, das eigentlich nicht dort hätte stehen
sollen, soweit ich mich an die Geschichte erinnerte. »Ich verstehe.
Unser Briefeschreiber hat noch eigene Anmerkungen hinzugefügt.«
Einauge sah mich an. Dann sah er auf die Karte. Dann sah er mich
wieder an. Dann beugte er sich vor und musterte noch einmal den Weg
auf der Karte. »Das muß es sein. Etwas anderes ist nicht
möglich.«
»Was?«
»Ich weiß, was passiert ist.«
Tracker regte sich unbehaglich.
»Und?«
»Er hat versucht hineinzugelangen. Auf die einzig mögliche Art und
Weise. Und er ist nicht mehr rausgekommen.«
In seinem Brief an mich hatte er geschrieben, daß es etwas gäbe,
was er tun müsse, etwas, das mit großen Risiken verbunden sei.
Hatte Einauge recht? Ein tapferer Mann.
Keine Papiere. Falls sie nicht besser verteckt waren, als ich
annahm. Ich würde Goblin und Einauge danach suchen lassen. Ich ließ
sie die Karte wieder zusammenrollen und in den Speerschaft stecken,
dann sagte ich: »Ich bin für Vorschläge offen.« »Was für
Vorschläge?« quiekte Goblin.
»Wie wir diesen Burschen aus den Fängen der Ewigen Garde
herausbekommen. Und wie wir seine Seele wieder zurückpacken, damit
wir ihm Fragen stellen können. Solche Vorschläge etwa.«
Sie machten keinen sonderlich begeisterten Eindruck. Einauge sagte:
»Jemand muß hineingehen und nachsehen, was schiefgelaufen ist. Dann
muß er befreit und hinausgeleitet werden.«
»Ich verstehe.« Nur zu gut. Bevor wir das in Angriff nehmen
konnten, mußten wir den lebendigen Körper an uns bringen.
»Durchsucht das Haus. Seht zu, ob ihr irgendetwas Verstecktes
findet.«
Sie brauchten eine halbe Stunde dafür. In der Zwischenzeit wurde
ich zum Nervenwrack. »Das dauert zu lange, viel zu lange«, sagte
ich immer wieder. Sie beachteten mich nicht. Die Suche förderte
einen sehr alten Papierfetzen zutage, auf dem ein Codeschlüssel
stand. Eigentlich war er gar nicht richtig versteckt gewesen,
sondern in einem der Bücher zusammengefaltet. Ich nahm ihn an mich.
Vielleicht konnte ich ihn für die Dokumente im Loch verwenden.
Wir setzten uns ab. Ohne entdeckt zu werden, erreichten wir den
Blauen Schniedel. Wir alle stießen Seufzer der Erleichterung aus,
als wir in unser Zimmer traten.
»Und was jetzt?« fragte Goblin.
»Wir schlafen darüber. Morgen können wir uns immer noch Sorgen
machen.« Natürlich hatte ich damit unrecht. Ich machte mir jetzt
schon Sorgen. Mit jedem weiteren Schritt wurde die Geschichte
komplizierter.