VIERUNDDREISSIGSTES KAPITEL
Bomanz’
Geschichte
Croaker:
Bomanz trat in einem anderen Winkel vor die Lady. Er sah, wie ein
Hauch von Angst über ihre unvergleichlichen Züge glitt. »Ardath«,
sagte er und sah, wie aus der Angst Resignation wurde.
Ardath war meine Schwester.
»Du hattest eine Zwillingsschwester. Du hast sie umgebracht und
ihren Namen angenommen. Dein wahrer Name lautet Ardath.«
Das wirst du bereuen. Ich werde deinen Namen
herausfinden…
»Warum drohst du mir? Ich will dir nicht schaden.« Indem du dich mir widersetzt, schadest du mir. Befreie
mich.
»Komm, komm. Sei nicht kindisch. Warum willst du mich dazu zwingen?
Das kostet uns beide nur Kraft und Leid. Ich will nur das Wissen
wiederentdecken, das in dir vergraben ist. Es wird dich nichts
kosten, wenn du es mich lehrst. Es wird dir nicht schaden. Es
könnte sogar die Welt auf deine Rückkehr vorbereiten.« Die Welt bereitet sich schon vor. Bomanz!
Er schmunzelte. »Das ist nur eine Maske wie auch der
Antiquitätenhändler. So heiße ich nicht. Ardath. Müssen wir
miteinander streiten?« Die Weisen sagen, daß
man das Unausweichliche mit Anmut hinnehmen soll. Wenn ich
es
tun muß, dann muß ich eben. Ich werde
versuchen, mich anmutig zu zeigen.
Und Schweine lernen das Fliegen, dachte Bomanz. Die Lady lächelte
spöttisch. Sie sandte etwas aus. Er verstand es nicht. Andere
Stimmen erfüllten seinen Geist. Einen Augenblick lang dachte er,
daß der Dominator erwachte. Aber die Stimmen erklangen in seinen
körperlichen Ohren im Haus. »O verdammt!« Erheiterung wie ein
Windspiel.
»Clete steht bereit.« Die Stimme gehörte Tokar. Seine Anwesenheit auf dem Speicher versetzte Bomanz in Wut. Er rannte los. »Hilf mir, ihn aus dem Sessel zu schaffen.« Stancil. »Willst du ihn denn nicht aufwecken?« Glory.
»Sein Geist ist draußen im Gräberland.
Er wird nichts erfahren, es sei denn, daß wir einander
dort über den Weg laufen.«
Falsch, dachte Bomanz. Falsch, du heimtückische, undankbare Warze.
Dein alter Herr ist ja nicht blöde. Er reagiert sogar auf
Anzeichen, wenn er sie gar nicht sehen will. Als er daran
vorbeilief, schwang der Kopf des Drachen herum. Spott folgte ihm.
Während er weiterrannte, drosch der Haß der toten Kämpen auf ihn
ein. »Schafft ihn dort in die Ecke. Tokar, das Amulett liegt unter
dem Herdstein im Schuppen. Dieser verfluchte Men fu! Er hätte es
beinahe vermasselt. Den Schwachkopf möchte ich in die Finger
kriegen, der den hierhergeschickt hat. Dieser gierige Idiot war
doch nur an sich selbst interessiert.«
»Wenigstens hat er den Wachwart mitgenommen.« Glory. »Reiner
Zufall. Schieres Glück.«
»Die Zeit. Die Zeit«, sagte Tokar. »Cletes Leute gehen jetzt gegen
die Baracken vor.« »Dann verschwindet von hier. Glory, tust du
vielleicht auch mal etwas, außer den Alten anzustarren? Ich muß
hinein bevor Tokar das Gräberland erreicht. Die Erhabenen müssen
erfahren, was wir hier tun.«
Bomanz kam an Mondhunds Hügelgrab vorbei. Er spürte die Unruhe
darin. Er rannte weiter. Neben ihm tanzte ein Gespenst. Ein
Gespenst mit hängenden Schultern und boshaftem Gesicht, das ihn
tausendfach verfluchte. »Ich hab jetzt keine Zeit, Besand. Aber du
hattest recht.« Er überquerte den alten Graben, lief an seiner
Ausgrabungsstätte vorbei. Das Gelände war von Fremden übersät.
Fremden Neuerstehern. Wo waren die hergekommen. Aus Verstecken im
Alten Wald?
Schneller. Muß schneller laufen dachte er. Stance, dieser Idiot,
versucht mir hierher zu folgen.
Er raste wie in einem Albtraum voran und schwebte über scheinbar
endlose Stufen hinauf. Der Komet starrte herunter. Sein Licht
schien stark genug, um Schatten zu werfen. »Lies noch mal die
Anweisungen, um sicherzugehen«, sagte Stancil. »Du brauchst dich
nicht zu beeilen, es darf nur nicht zu früh passieren.« »Sollten
wir ihn nicht fesseln oder so? Für alle Fälle.« »Dafür haben wir
keine Zeit. Mach dir um ihn keine Sorgen. Er kommt nicht wieder,
bis es zu spät ist.«
»Er macht mich nervös.«
»Dann wirf ihm einen Teppich über und beeil dich. Und rede nicht so
laut. Du willst doch nicht, daß Mutter wach wird.«
Bomanz rannte auf die Lichter der Stadt zu… Ihm fiel ein, daß er in
diesem Zustand kein kurzbeiniger dicker Mann sein mußte, dem die
Puste ausging. Er veränderte seine
Wahrnehmung, und seine Geschwindigkeit
nahm zu. Kurz darauf begegnete er Tokar, der mit
Besands Amulett auf das Gräberland zutrabte. Bomanz verglich sein
eigenes beachtliches Tempo mit Tokars scheinbarer Trägheit. Er war
wirklich sehr schnell. Das Hauptquartier brannte. Um die Baracken
herum waren schwere Kämpfe ausgebrochen. Tokars Fuhrmänner führten
die Angreifer an. Einige Gardisten waren aus der Falle
ausgebrochen. Die Unruhen breiteten sich bis in die Stadt aus.
Bomanz erreichte seinen Laden. Oben sagte Stancil zu Glory: »Fang
jetzt an.« Als Bomanz die Treppe hinaufraste, begann Stancil:
»Dumni. Um muji dumni.« Bomanz krachte in seinen Körper zurück. Er
brachte seine Muskeln in seine Gewalt und kam vom Boden hoch. Glory
kreischte auf. Bomanz schleuderte sie gegen eine Wand. Unbezahlbare
Antiquitäten gingen bei ihrem Sturz zu Bruch.
Bomanz stöhnte gequält auf, als sämtliche Schmerzen eines alten
Körpers sein Bewußtsein trafen. Verdammt! Sein Magengeschwür riß
ihm die Gedärme auseinander! Als sein Sohn sich umdrehte, packte er
ihn an der Kehle und brachte ihn zum Schweigen. Der Spruch blieb
unvollendet.
Stancil war jünger, stärker. Er erhob sich. Und Glory warf sich auf
Bomanz. Bomanz fuhr zurück. »Keiner bewegt sich«, blaffte er.
Stancil rieb sich den Hals und krächzte etwas. »Glaubst du, ich
bringe es nicht fertig? Versuch’s doch. Es ist mir gleich, wer du
bist. Du wirst dieses Ding da draußen nicht befreien.«
»Woher hast du es gewußt?« krächzte Stancil. »Du hast dich seltsam
verhalten. Du hast seltsame Freunde. Ich habe gehofft, daß ich mich
irre, aber ich gehe keine Risiken ein. Daran hättest du denken
sollen.« Stancil zog ein Messer. Sein Blick verhärtete sich. »Es
tut mir leid, Papa. Manche Dinge sind wichtiger als Menschen.«
Bomanz’ Schläfen pochten. »Benimm dich. Ich habe keine Zeit für so
etwas. Ich muß Tokar aufhalten.«
Glory zog ebenfalls ein Messer. Sie glitt einen Schritt näher. »Ihr
strapaziert meine Geduld, Junge.«
Das Mädchen sprang. Bomanz sprach ein Wort der Macht. Sie krachte
kopfüber gegen den Tisch und glitt zu Boden, fast unmenschlich
schlaff. Sekunden später war sie noch schlaffer. Sie wimmerte wie
ein verletztes Kätzchen. Stancil sank auf ein Knie. »Es tut mir
leid, Glory. Es tut mir leid.« Bomanz achtete nicht auf seine
eigenen Seelenqualen. Er barg das Quecksilber, das aus der Schüssel
auf den Tisch geflossen war und raunte Worte, die seine Oberfläche
in einen Fernspiegel verwandelten.
Tokar hatte bereits zwei Drittel des
Weges zum Gräberland zurückgelegt.
»Du hast sie getötet«, sagte Stancil. »Du hast sie getötet.« »Ich
habe dich gewarnt: Das hier ist ein unbarmherziges Geschäft.« Und:
»Du hast gewettet und verloren. Schieb deinen Hintern in die Ecke
und benimm dich.« »Du hast sie umgebracht.«
Reue überflutete ihn, noch bevor sein Sohn ihn zum Handeln zwang.
Er versuchte den Schlag zu mildern, aber das Knochenschmelzen ging
entweder ganz oder gar nicht. Stancil fiel über seine Geliebte.
Sein Vater sank neben ihm auf die Knie. »Warum habt ihr mich dazu
gezwungen? Ihr Narren. Ihr verdammten Narren! Ihr habt mich
benutzt. Ihr hattet nicht einmal genug Verstand, mich
auszuschalten, und ihr wollt mit so etwas wie der Lady fertig
werden? Ich weiß nicht. Ich weiß nicht. Was sage ich nur Jasmine?
Wie kann ich ihr das erklären?« Er schaute mit wildem Blick um sich
wie ein gepeinigtes Tier. »Mich umbringen. Das ist alles, was ich
machen kann. Ihr das Leid ersparen, daß sie erfährt, was ihr Sohn
war… Kann nicht. Muß Tokar aufhalten.«
Auf der Straße wurde gekämpft. Bomanz
achtete nicht darauf. Er suchte weiteres Quecksilber zusammen.
Tokar stand am Rande des Grabens und starrte in das Gräberland.
Bomanz erkannte die Angst und die Unsicherheit in ihm. Tokar raffte
seinen Mut zusammen. Er umklammerte das Amulett und überquerte die
Linie. Bomanz begann eine Todessendung aufzubauen. Sein Blick
huschte über die Türöffnung. Er sah eine verängstigte Snoopy, die
aus dem dunklen Treppenabsatz hereinspähte. »Oh, Kind. Kind,
verschwinde von hier.« »Ich hab Angst. Da draußen bringen sie sich
gegenseitig um.« Hier drin bringen wir uns auch gegenseitig um,
dachte er. Bitte geh weg. »Geh zu Jasmine.« Aus dem Laden ertönte
ein gewaltiges Krachen. Männer fluchten. Stahl traf auf Stahl.
Bomanz hörte die Stimme von einem von Tokars Fahrern. Der Mann
organisierte die Verteidigung des Hauses.
Die Garde hatte sich neu formiert.
Snoopy wimmerte.
»Bleib draußen, Kind. Bleib draußen. Geh zu Jasmine hinunter.« »Ich
hab Angst.«
»Ich auch. Und ich werde dir nicht helfen können, wenn du mir hier
im Weg bist. Bitte geh nach unten.«
Sie knirschte mit den Zähnen und rannte
fort. Bomanz seufzte. Das war knapp gewesen.
Wenn sie Stance und Glory gesehen hätte… Der Lärm verdoppelte sich.
Männer schrien. Bomanz hörte, wie Korporal Husky Befehle bellte. Er
wandte sich wieder der Schüssel zu. Tokar war verschwunden. Er
konnte den Mann nicht wiederfinden. Er überflog das Gelände
zwischen der Stadt und dem Gräberland. Einige Neuersteher rannten
auf die Kämpfer zu und wollten offenbar ihren Genossen beistehen.
Andere flohen in blinder Hast. Versprengte Gardisten verfolgten
sie. Stiefel donnerten die Treppe herauf. Wieder unterbrach Bomanz
die Vorbereitungen seiner Sendung. Husky tauchte im Eingang auf.
Bomanz wollte ihn hinausschicken. Aber der Korporal war nicht in
der Stimmung für Diskussionen. Er schwang ein großes blutiges
Schwert…
Bomanz wandte das Wort der Macht an. Wieder wurden die Knochen
eines Menschen zu Gelee. Dann noch einmal und noch einmal, als
Huskys Soldaten ihn rächen wollten. Vier von ihnen streckte Bomanz
nieder, bevor der Ansturm abgebrochen wurde. Er versuchte sich
wieder auf seine Sendung zu konzentrieren… Dieses Mal war die
Unterbrechung nicht real. Es war ein Beben auf dem Pfad, den er zur
Gruft der Lady geöffnet hatte. Tokar stand auf dem großen Grab und
hatte Verbindung mit der Kreatur darin aufgenommen.
»Zu spät«, murmelte er. »Verdammt zu spät.« Aber er stieß die
Sendung trotzdem aus. Vielleicht würde Tokar sterben, bevor er
diese Ungeheuer freisetzte. Jasmine keifte. Snoopy schrie auf.
Bomanz stürzte über die gefallenen Gardisten und die Treppe
hinunter. Wieder schrie Snoopy auf. Bo betrat sein Schlafzimmer.
Einer von Tokars Männern hielt Jasmine ein Messer an die Kehle.
Zwei Gardisten warteten auf eine Gelegenheit anzugreifen. Bomanz
hatte keine Geduld mehr. Er tötete alle drei. Das Haus bebte. In
der Küche klirrten Teetassen. Das Beben war nur sanft, aber es war
ein Vorbote, der Bomanz vor Schlimmerem warnte. Seine Sendung war
nicht rechtzeitig angekommen. Resigniert sagte er: »Verlaßt das
Haus. Es wird ein Erdbeben geben.« Jasmine warf ihm einen schiefen
Blick zu. Sie hielt das hysterische Mädchen im Arm. »Ich werde es
später erklären. Wenn wir das hier überleben. Verlaßt bloß das
Haus.« Er fuhr herum, stürzte auf die Straße und rannte zum
Gräberland. Sich selbst groß und schlank und schnell zu denken,
nützte ihm jetzt gar nichts. Er war der leibhaftige Bomanz, ein
kleiner dicker alter Mann, dem rasch die Luft wegblieb. Zweimal
stolperte er und fiel zu Boden, als Beben das Land erschütterten.
Jedes war stärker als das vorangehende.
Die Brände loderten immer noch, aber die Kämpfe waren zum Erliegen
gekommen. Auf
beiden Seiten hatten die Überlebenden
erkannt, daß Schwerter hier nichts mehr zu
entscheiden vermochten. Sie starrten zum Gräberland und warteten
auf das, was geschehen würde.
Bomanz schloß zu den Beobachtern auf.
Der Komet brannte so strahlend, daß das Gräberland hell erleuchtet
war. Ein gewaltiger Schlag ließ die Erde beben. Bomanz taumelte. Im
Gräberland barst das Hügelgrab auseinander, das Seelenfänger
gefangen hielt. Ein unheilvolles Glosen schien daraus hervor. Aus
dem Schutt erhob sich eine Gestalt, und das Glühen zeichnete ihre
Umrisse nach.
Die Menschen beteten oder fluchten, je nach Neigung. Die Beben
setzten sich fort. Nacheinander öffneten sich die Hügelgräber.
Nacheinander erhoben sich die Zehn Unterworfenen vor dem Antlitz
der Nacht. »Tokar«, sagte Bomanz leise. »Ich hoffe, du verfaulst in
der Hölle.« Es gab nur noch eine Chance. Eine unmöglich winzige
Chance. Sie ruhte auf den altersgebeugten Schultern eines
untersetzten kleinen Mannes, der nicht auf dem Höhepunkt seiner
Kräfte war.
Er sammelte seine mächtigsten Bannsprüche, seine gewaltigsten
Magien, sämtliche mystischen Kunststücke, die er sich in
siebenunddreißigjähriger einsamer Nachtarbeit angeeignet hatte. Und
er ging langsam auf das Gräberland zu. Hände griffen nach ihm, um
ihn zurückzuhalten. Sie fanden keinen Halt. Aus der Menge rief eine
alte Frau: »Bo, nein! Bitte!«
Er ging weiter.
Das Gräberland brodelte. Zwischen den Trümmern heulten Gespenster.
Das Große Grab bäumte sich auf. Flammende Erde spritzte auf. Eine
mächtige geflügelte Schlange erhob sich vor der Nacht. Ein
gewaltiger Schrei drang aus ihrem Maul. Ströme von Drachenfeuer
überfluteten das Gräberland.
Weise grüne Augen beobachteten Bomanz’ Vorrücken. Der dicke kleine
Mann schritt in den Weltuntergang und setzte sein Zauberarsenal
frei. Feuer hüllte ihn ein.