EPILOG

~ Lennings Gerberei vergrößert sich ~

Fast einen Monat später… 

„Ich begreife einfach nicht, wie du dabei so gelassen bleiben kannst“, sagte Maia und stemmte die Hände in die Hüften. Sie schaute zu Corvindale hoch, der in ihrer Vorstellung und auch in ihrem Herzen mittlerweile nur noch Gavril war. „Sie schneiden Löcher in dein Haus. Große Löcher.“

„Das tun sie in der Tat, Miss Woodmore“, erwiderte er. Aber wenn er sie jetzt so förmlich anredete, schwang da eine leise Intimität mit, wie ein Streicheln mit Worten und Silben. „Blackmont Hall ist so dunkel und dämmrig, und mein Arbeitszimmer insbesondere, dass ich mehr Fenster haben will. Größere.“

„Aber alles ist eingestaubt. Und die Fliegen kommen herein. Und der Lärm!“

„Wir hätten damit natürlich warten können, bis wir in die Flitterwochen fahren“, sagte der Earl von Corvindale, als er auf die zukünftige Lady Corvindale hinabblickte, „aber ich habe so lange in der Dunkelheit gelebt, ich wollte damit nicht länger warten. Und der Himmel weiß, wann dein Bruder aus Schottland zurückkommt, um den Feierlichkeiten beizuwohnen.“

Maias Herz tat einen kleinen Hüpfer, wie immer, wenn ihr wieder einmal bewusst wurde, was er durchgemacht hatte, und was er für sie auf sich genommen hatte. „Natürlich“, sagte sie und musste plötzlich wieder blinzeln, weil Tränen ihr in den Augen stachen. „Wie dumm von mir, mich zu beschweren.“ Welcher Mann würde mehr für die Frau tun, die er liebte, als dieser hier direkt vor ihr?

Sie lächelte und kehrte wieder zu dem Stapel Bücher zurück, den sie gerade durchgesehen hatte, in der Hoffnung jetzt, wo auch das Zimmer renoviert wurde, endlich Ordnung in seine Bücher zu bringen. In letzter Zeit war sie recht nahe am Wasser gebaut und schien auch sehr empfindlich auf Staub und Lärm zu reagieren, was vielleicht irgendwie damit zusammenhing, dass sie gerade ihre monatliche Unpässlichkeit versäumt hatte. Und wie alles andere in ihrem Leben, war auch die stets ordentlich geregelt.

„Warte einen Moment“, sagte Gavril, und seine Finger legten sich ihr um einen Arm, um sie wieder zu sich herzudrehen. „Ist etwas nicht in Ordnung, Miss Woodmore?“

Sie schaute ihn erstaunt an. „Nein, wahrlich nicht. Ich könnte nicht glücklicher sein. Wirklich.“

Ein kleines Zucken spielte ihm um die Mundwinkel seiner schönen Lippen. „Aber du streitest dich ja gar nicht mit mir. Du hast mir zugestimmt. Bist du ganz sicher, dass alles in Ordnung ist?“

Maia lachte. Sie zog ihren Arm weg und streichelte ihm die Wange. „Ich bin sicher, dass alles in bester Ordnung ist.“ Sie würde ihm davon nichts erzählen, bis sie nicht sicher war. „Aber wenn du es vorziehst, mit mir zu streiten, dann sollte ich dich vielleicht fragen, was du dir hierbei denn eigentlich gedacht hast.“ Sie wies zu dem Bücherstapel hin, der ihr von den Hüften bis zur Schulter reichte. „Bist du dir in Klaren darüber, dass du fünf Ausgaben von Shakespeares Tragödien, aber keine von seinen Komödien besitzt?“

Er runzelte die Stirn und ließ seine eleganten Finger über die Buchrücken wandern. „Aber das geschah mit voller Absicht, meine Liebe, Ich war die letzten hundert Jahre nicht in der Stimmung so etwas wie die Zwei Herren aus Verona zu lesen oder Wie es euch gefällt.“

„Also hast du dich stattdessen mit Hamlet und Macbeth in deine Höhle verkrochen.“ Sie zog die Nase ein bisschen hoch, aber auf ihrem Mund machte sich ein Lächeln bemerkbar. Dann spürte sie, wie plötzlich ihre Augen wieder feucht wurden. „Es ist wirklich ein glücklicher Zufall, dass du nicht in die Fußstapfen von Romeo und Julia getreten bist“, sagte wie, während sie die zerlesene Ausgabe des Stückes betrachtete. 

„Zwei närrischere Liebhaber hat die Welt noch nie gesehen“, sagte er arrogant. „Wenn sie nur ein bisschen nachgedacht hätten, wären sie beide am Leben geblieben.“

„Du warst gar nicht so anders, weißt du“, sagte sie. „Dem Teufel wieder deine Seele zu verkaufen. Wie stünden wir denn damit jetzt da? Du wieder an ihn gekettet, nachdem du mehrere Jahrhunderte lang versucht hast, dich von ihm zu befreien.“

Er zuckte mit den Schultern, auf seinem Gesicht jetzt wieder der gewohnte störrische Ausdruck. „Ich tat, was ich tun musste, um dich zu retten, Maia. Ich würde es wieder tun, selbst wenn es nicht so gut ausgegangen wäre, wie es dann ausgegangen ist. Und es ist doch recht gut ausgegangen, oder etwa nicht?“

„Ich verstehe immer noch nicht ganz, wie genau es kam, dass es so ausgegangen ist“, sagte sie, die verflixten Tränen schwammen ihr wieder in den Augenwinkeln. Er war wahrhaftig der ungewöhnlichste aller Männer, ihr in echter Liebe zugetan. 

Aber wie war es geschehen? War es, weil er die Hölle und die Qualen gekannt hatte, die er nun wieder auf sich nahm, als er sich für sie opferte, und Luzifer zu sich zurückrief? Weil er diesmal genau wusste, was er damit aufgab? Dadurch war das Opfer noch einmal so groß geworden ... das aufzugeben, was er mehr als alles andere in der Welt begehrte, um die Last wieder zu schultern. Das war es wohl, warum Wayren in der Lage gewesen war, ihn davon abzuhalten, den Pakt ein zweites Mal einzugehen. 

Sie würde es nie sicher wissen, aber – auf eine ganz eigene Art – machte es alles Sinn.

Und Lerina war tot, dank Lord Eddersley, der es sich zur Aufgabe machte, die schreckliche Frau zu pfählen, kaum dass er an dem Hafenhaus eintraf. Alexander Bradington war in die Nacht hinausgesschlichen, genau wie die Schlange, die er war – obschon Maia das nicht laut aussprach, denn sicherlich würde Gavril sie daran erinnern, dass Schlangen nicht schlichen. Sie schlängelten sich. 

Nichtsdestotrotz hatte er ihr versichert, dass Alexander auf das Festland gewechselt war, und wahrscheinlich noch weiter, wo er vor Chas’ rachedurstigem Pflock sicher war (zumindest zeitweilig), und auch vor Gavrils eigenem Zorn. 

„Bist du wirklich frei von Luzifer, auch wenn du selbst ihn angerufen hast und dich ihm angeboten hast?“, fragte sie und blinzelte mehrmals.

Gavril nickte und nahm ihr das Buch aus der Hand. „Das bin ich. Ich bin frei und sterblich und meine Seele gehört wieder mir. Dank Ihnen, meine Liebe Miss Woodmore. Weil Sie so lange genörgelt haben, bis ich mich in Sie verlieben musste.“

Sie schaute ihn kokett an, und hob den schweren Stapel Bücher hoch. „Ich habe dich nicht angenörgelt, bis du dich in mich verliebt hast. Ich habe nur genörgelt, bis du es zugegeben hast.“

Er schmunzelte vor sich hin, ein leises, tiefes Geräusch, das ihr ein köstliches, kleines Prickeln in der Magengrube bescherte. „Das mag so sein. Aber“, fuhr er fort, während er ihr entschlossen den Bücherstapel abnahm, „ich denke, es ist auch Zeit für ein Geständnis von dir. Dass du nicht so schwere Dinge tragen solltest.“ Er machte ihr ein Zeichen mit dem Bücherstapel.

Maia schaute zu ihm hoch, die Wangen waren ihr ein wenig warm geworden. „Was meinen Sie nur damit, Lord Corvindale?“

„Ich meine“, sagte er, „dass gerade noch etwas anderes mit dir herumträgst, was deutlich wichtiger ist, wo es sich doch um einen zukünftigen Earl handelt.“

Jetzt war sie hochrot, und sie lächelte. „Nun, das wäre möglich“, gab sie zu. „Wir haben die Zeit schließlich nicht unnütz vergeudet, seit du deine Seele für mich verkauft hast.“

Das Strahlen, das über sein Gesicht ging, glich nichts, was sie vorher dort gesehen hatte: ein bisschen Staunen, ein bisschen Überraschung, eine Menge Liebe und ein kleines bisschen Kummer. „Wie ich Sie liebe, Miss Woodmore“, sagte er mit etwas belegter Stimme. „Und ich bin so über alle Maßen glücklich, dass ich meine Seele wiederhabe, damit ich sie mit Ihnen teilen kann. Also bitte, mein Liebling, hebe die nächsten neun Monate nichts Schweres mehr hoch. Versprich es mir.“

„Ich werde mein Bestes tun“, sagte sie und meinte kein Wort davon ernst. „Insbesondere, weil dir dieses so un-Earl-ische Wort ‚bitte‘ über die Lippen gekommen ist.“

Und weil es eben so seine Art war, sogar jetzt, verschwand die Sanftheit wieder ein wenig aus seinem Gesicht. „Und jetzt, da wir das geregelt haben, bin ich der Meinung, ich sollte dringend meinem Lieblingsantiquariat wieder einen Besuch abstatten.“

Maia wusste natürlich, von welchem er hier sprach. „Aber doch nicht etwa, um eine weitere Faustlegende zu erstehen?“

„Nein, in der Tat nicht“, sagte er und ein kleines Lächeln zuckte ihm wieder in den Mundwinkeln. „Aber ich finde, dass mir einige Bände von Shakespeares Komödien fehlen. Und gerade jetzt bin ich ganz besonders erpicht auf eine von ihnen.“ Seine Augen funkelten.

„Und welche wäre das?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits wusste. 

Der Widerspenstigen Zähmung.“ 

 

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Das kleine Antiquariat war verschwunden.

Gavril überraschte das nicht.

An der Stelle, wo Wayrens kleiner, enger Laden gewesen war, befand sich nun ein Fenster, das lediglich den Blick auf Innenräume einer Gerberei freigab.

Kurz in seine eigenen Betrachtungen versunken, schaute er dann neugierig durch das verstaubte Fenster hinein, um dort zu sehen, wie der Gerber ein Stück Leder abzog. Dann wandte Gavril sich wieder ab. Anstatt sich jedoch unter das fächerartige, kleine Vordach dort zu ducken, um wieder in seine Kutsche zu steigen, ging er zu Fuß die Straße runter. 

Die Sonne schien.

Und er lächelte.      

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